Startseite > Archiv > 01/02 - 2006 > Ein katholischer Bischof in der Wiege des Islam
ZEUGNIS
Aus Nr. 01/02 - 2006

EIN CHRISTLICHES ZEUGNIS IN DER MUSLIMISCHEN WELT

Ein katholischer Bischof in der Wiege des Islam


Interview mit Giovanni Bernardo Gremoli, ehemaliger Apostolischer Vikar von Arabien, mit Jurisdiktion über die Katholiken Saudi-Arabiens, Bahreins, der Vereinigten Arabischen Emirate, Oman, Qatar und Jemen: „Meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß heute jedes Bestreben, die Konfrontation zwischen dem Westen und der islamischen Welt zu verschärfen, zu nichts führt, nur gefährlich ist.“


Interview mit Giovanni Bernardo Gremoli von Gianni Cardinale


Mekka: Panoramablick.

Mekka: Panoramablick.

Dieses durch den Karikaturenstreit so angeheizte Klima ist ganz einfach schrecklich. Diese ganze Gewalt ist schrecklich. All die getöteten Christen und Muslime, die zerstörten Kirchen und Moscheen… das alles ist schrecklich. Natürlich kann man diese Gewalt nur aufs Schärfste verurteilen, es gibt nichts, was sie rechtfertigen könnte… Wenn natürlich auch in aller Klarheit gesagt werden muß, daß es absolut falsch ist, irgendeine Religion oder irgendein Religionssymbol zu beleidigen. Aber Gewalt tut letztendlich nichts anderes, als wieder Gewalt hervorzurufen.“ Mons. Giovanni Bernardo Gremoli, der „zuerst Kapuziner und dann Bischof“ ist, macht aus seiner Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen islamischer und westlicher Welt keinen Hehl. Immerhin hat er selbst erlebt, daß ein Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen sehr wohl möglich ist – sogar in der sogenannten „Wiege des Islam.“ Mons. Gremoli war nämlich fast dreißig Jahre lang Apostolischer Vikar von Arabien, mit Jurisdiktion über alle Katholiken in Saudi-Arabien, Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Qatar und Jemen. In Saudi-Arabien ist Christen der öffentliche Kult bekanntlich verboten – daß die Situation in den anderen Ländern auf der arabischen Halbinsel eine ganz andere ist, wissen dagegen nur wenige: Ländern, in denen in den letzten Jahrzehnten Kirchen, Pfarrhäuser und Schulen errichtet wurden und die Christen Kultfreiheit genießen. Über diese wenig bekannte Situation wollte 30Tage mit Mons. Gremoli sprechen. Da der eigentlich recht medienscheue Monsignore unseren Chefredakteur sehr schätzt, war er dann doch gerne bereit, unsere Fragen zu beantworten. Empfangen hat er uns in seinem kleinen Büro im alten Kapuzinerkloster von Florenz, auf dem Montughi-Hügel, von wo man einen herrlichen Blick auf die Stadt hat. An der Wand hängt ein großes Bild von Padre Pio von Pietrelcina; Fotos, auf denen er mit den Päpsten Paul VI., Johannes Paul I. und Johannes Paul II., zu sehen ist („ich hoffe, bald auch eines mit Papst Benedikt XVI. aufhängen zu können“) – und ein Foto, auf dem er Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan von Abu Dhabi die Hand gibt, einem „großen Wohltäter unserer Kirche.“

Exzellenz, wie war es um das Apostolische Vikariat Arabien bestellt, als Sie 1976 nach Abu Dhabi kamen?
GIOVANNI BERNARDO GREMOLI: Die Situation war kritisch – auch, weil mein Vorgänger den historischen Sitz des Vikariats verlassen hatte müssen, der eigentlich Aden in Jemen war. Es gab nur sehr wenige Priester – ein knappes Dutzend –, wenige Kultstätten, und wir hatten gerade die Zeit des Ölbooms: Tausende katholischer Arbeiter waren aus allen Teilen der Welt an den Golf gekommen, um für die Ölgesellschaften, in den immer zahlreicher werdenden Baustellen in der Stadt und für die Aquädukte zu arbeiten.
Was haben Sie dann unternommen?
GREMOLI: Ich habe mich sofort darum bemüht, Priester kommen zu lassen, auch ad tempus, und zwar nicht nur meines Ordens, dem der Franziskaner, der damals Berufungsprobleme hatte, sondern auch anderer Kongregationen. Zum Glück gab es unter den Katholiken im Vikariat auch junge Immigranten, die schon in der Heimat den Ruf des Herrn vernommen hatten. So beschloß ich, die überzeugtesten unter ihnen zum Studieren ins Ausland zu schicken – es waren sieben, und sieben sind als Priester zurückgekommen. Heute erfüllen sie ihre Sendung im Vikariat, das nun 48 Priester zählt.
Dann kam die Frage der Kultstätten an die Reihe…
GREMOLI: Eine wirklich delikate und komplizierte Angelegenheit. Mit viel Geduld und diplomatischem Geschick gelang es uns, die Baugenehmigung für Kirchen und Schulen zu erhalten. Oft hat es vier, ja manchmal sogar acht Jahre gedauert, bis wir eine Antwort bekommen haben. Letzten Endes konnten wir aber doch Resultate erzielen – Resultate, die manchmal sogar unsere Erwartungen übertroffen haben.
Giovanni Bernardo Gremoli.

Giovanni Bernardo Gremoli.

Wie war das möglich?
GREMOLI: Die Regierenden haben die gute Führung unserer katholischen Schulen zu schätzen gelernt, die sich stets dazu verpflichteten, die hier geltenden Regeln des guten Zusammenlebens einzuhalten und die den lokalen Behörden durch ihren religiösen Eifer positiv auffielen. Mehr als einmal hat man mir gesagt, daß meine Anfragen Gehör gefunden haben, weil die Katholiken so viel beten, eine so große Teilnahme am Kult und am sakramentalen Leben zeigen. So konnte das Vikariat in diesen dreißig Jahren 11 Kirchen und Pfarreien errichten – alle auf Baugrund, den die Behörden gratis zur Verfügung stellten. Der Großteil der Gebäude konnte in den Emiraten entstehen. Vier der Kirchen wurden aber auch in Oman gebaut, wo es seit dem 19. Jahrhundert keine Kirche mehr gegeben hatte; und eine in Bahrein, wo die einzige, die man 1939 als erste Kirche am Golf gebaut hatte, inzwischen vollkommen unzureichend war.
Zu den 11 bereits errichteten Kirchen kommt also bald eine zwölfte hinzu…
GREMOLI: Ja, ein wirklich denkwürdiges Ereignis – und zwar aus zwei Gründen. Einmal, weil es in Qatar noch nie eine Kirche gegeben hat. Und dann, weil in Qatar – genauso wie in Saudi-Arabien – Bevölkerung und Regierende wahabitische Muslime sind, eine bekanntlich sehr strenggläubige Sekte.
Auf Saudi-Arabien kommen wir noch zurück. Eine der „Stärken“ des Vikariats sind die katholischen Schulen…
GREMOLI: Ich kann sagen, daß unsere Präsenz am Golf tatsächlich gerade wegen unserer Schulen geschätzt wird, die nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der lokalen Elite positiv aufgefallen sind. In dreißig Jahren wurden im Vikariat acht Schulen errichtet, sieben in den Emiraten und eine in Bahrein. Sie alle werden von Ordensfrauen verschiedener Kongregationen geleitet (indische Karmelitinnen, italienische Comboni-Missionarinnen, Schwestern vom Rosenkranz aus Jerusalem). Sie sind von den Behörden offiziell anerkannt und werden nicht nur wegen ihres hohen Bildungsniveaus geschätzt, sondern auch wegen ihrer Disziplin und des unter den Studenten verschiedener Nationalität und Religion herrschenden Klimas des Respekts und der Brüderlichkeit. Und dann sind sie auch in modernen, sauberen und gepflegten Gebäuden untergebracht.
Wie sind diese Schulen strukturiert?
GREMOLI: Sie sind für jeden zugänglich, 60% der insgesamt 16.500 Schüler sind Muslime. Der Lehrkörper ist sehr qualifiziert, diesbezüglich sind die Behörden sehr anspruchsvoll. Die Schulen stehen, was das Unterrichtsprogramm angeht, unter Kontrolle der zuständigen Kultusministerien – die oft auch Inspektoren schicken –, in allgemeineren Angelegenheiten, beispielsweise Fragen der Hygiene, unter der Kontrolle der Gemeinden.
Wie steht es um den Religionsunterricht? Welche Kriterien gelten hierbei?
GREMOLI: Seitens der Regierung besteht die Verpflichtung, allen Schülern drei Stunden pro Woche Religionsunterricht zu geben. So erhalten alle muslimischen Kinder (Sunniten, Schiiten oder andere Sekten) Islam-Unterricht, die katholischen Kinder und die anderer christlicher Konfessionen werden in Christentum unterrichtet; die nicht christlichen und nicht muslimischen Kinder in auf dem Naturgesetz basierenden Moralprinzipien.
Hat es in diesen dreißig Jahren jemals Probleme mit diesen Schulen gegeben?
GREMOLI: Es ist niemals zu nationalen oder religiösen Kontrasten gekommen. Die Atmosphäre war stets von gegenseitiger Herzlichkeit und Sympathie geprägt. So kam es auch, daß, als ich die Leitung des Vikariats niederlegte, mir nicht nur der Kultusminister der Vereinigten Arabischen Emirate – wo sich, wie bereits gesagt, sieben unserer Schulen befinden (die andere ist in Bahrein) –, sondern auch Scheich Nahyan Bin Mubarak Al Nahyan persönlich danken wollten, wie Sie auf dem von ihm unterzeichneten Foto hier sehen können, das mir besonders teuer ist.
Das Foto von Scheich Nahyan Bin Mubarak Al Nahyan,  Kultusminister der Vereinigten Arabischen Emirate, und Gremoli, mit der Widmung: „Dem guten Bernardo. Es war mir eine Freude, Dich kennengelernt und in Dir einen Freund, einen Mann des Friedens und der Toleranz gefunden zu haben, einen bewundernswerten Menschen und einen Mann Gottes.  Ich wünsche Dir alles Gute.“

Das Foto von Scheich Nahyan Bin Mubarak Al Nahyan, Kultusminister der Vereinigten Arabischen Emirate, und Gremoli, mit der Widmung: „Dem guten Bernardo. Es war mir eine Freude, Dich kennengelernt und in Dir einen Freund, einen Mann des Friedens und der Toleranz gefunden zu haben, einen bewundernswerten Menschen und einen Mann Gottes. Ich wünsche Dir alles Gute.“

Sie haben gesagt, daß diese Schulen von Nonnen geleitet werden. Aber es gibt auch noch andere Ordensfrauen, die im Wohltätigkeitsbereich arbeiten…
GREMOLI: In Jemen leiteten die Weissen Missionarinnen seit 1972 verschiedene Ambulatorien, waren in vielen Krankenhäusern tätig. Aufgrund eines Berufungsrückgangs mußten sie diese Tätigkeit dann leider abgeben. In Jemen waren seit 1973 auch die Schwestern von Mutter Teresa von Kalkutta tätig, die derzeit vier Institute für behinderte Kinder und alleinstehende alte Menschen leiten. Die Missionarinnen der Nächstenliebe leiteten auch eine Leprastation in Ta’izz, auf der Hunderte von Kranken untergebracht und gepflegt wurden: sie war derart effizient, daß man sie „Stadt des Lichts“ nannte, City of light. Viele Kranke zogen es – nachdem sie geheilt waren – sogar vor, hier zu bleiben, sich in der Nähe der Leprastation niederzulassen. Sowohl die Leaders als auch das Volk Jemens haben die Arbeit der Missionarinnen der Nächstenliebe stets sehr geschätzt.
Und doch wurden im Juli 1998 drei Schwestern auf barbarische Weise ermordet, als sie gerade auf dem Weg zu ihrem Institut Hodeida waren…
GREMOLI: Ja, das war eine schreckliche Geschichte – aber ein Einzelfall: Daß Schwester Zelia, Schwester Aletta und Schwester Michela auf so tragische Weise ihr Leben lassen mußten, hat bei Behörden und Volk für großen Aufruhr gesorgt. Der Täter war ein gerade aus dem Bosnien-Krieg zurückgekehrter Fanatiker. Der Präsident war über den Vorfall mehr als schockiert – und das auch, weil die Regierung selbst die Schwestern nach Jemen geholt hatte. Für die Behörden dieses Landes war Mutter Teresa schon immer eine Heilige gewesen, und so schickte man zu ihrer Seligsprechung als Repräsentantin auch ein Parlamentsmitglied, eine Dame, die als Kind die katholische Schule von Aden besucht hatte. Was Jemen betrifft, möchte ich daran erinnern, daß auch dort Ordensleute ihr Apostolat erfüllen
Aus welchen Orden?
GREMOLI: Vier Salesianer aus der Provinz Mangalore in Indien. Sie sind sehr engagiert, helfen den Missionarinnen der Nächstenliebe und unterstützen die hiesige katholische Gemeinschaft. Die Salesianer sind seit 1988 in Jemen; dem Jahr, in dem sie an die Stelle der Weißen Väter traten, die gerade eine Berufungskrise durchmachten.
Wir haben über die Priester, Kirchen, Schulen und die Ordensfrauen gesprochen. Wieviele Katholiken gibt es im Vikariat Arabien überhaupt?
GREMOLI: Es gibt keine zuverlässigen Statistiken, und das auch wegen des beachtlichen turn overs von Gläubigen auf der gesamten Halbinsel. 1976, als ich hierher gekommen bin, soll es ca. 200.000 Katholiken gegeben haben, heute werden es im Vikariat mindestens drei Millionen sein.
Und woher kommen sie?
GREMOLI: Wir haben einmal, am Ende einer Sonntagsmesse, in der Kathedrale von Abu Dhabi eine Umfrage gestartet, um herauszufinden, woher die Gläubigen stammten. Das Ergebnis waren 93 verschiedene Herkunftsländer. Der Großteil sind allerdings Inder und Philippiner. Die Zahl der letzteren beträgt allein in Saudi-Arabien ca. eine Million.
In den letzten Jahren Ihrer Tätigkeit im Vikariat konnten – was es zuvor nicht gegeben hat – viele diplomatische Abkommen zwischen Hl. Stuhl und einigen Ländern der arabischen Halbinsel zustande kommen…
GREMOLI: 1998 knüpfte der Hl. Stuhl diplomatische Beziehungen zu Jemen an, 2000 zu Bahrein, im Jahr 2002 zu Qatar. Der erste Nuntius in diesen Ländern war Erzbischof Giuseppe De Andrea. Er wohnte in Kuwait und ist erst vor kurzem – nach langem, fruchtbaren Schaffen – „in Pension gegangen.“ Ich glaube, daß man auch in Oman großes Interesse daran hat, diplomatische Beziehungen zum Hl. Stuhl anzuknüpfen. Ein eigenes Kapitel dagegen sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Da der Apostolische Vikar von Arabien dort wohnt, wollen die lokalen Autoritäten nicht verstehen, warum dort noch ein anderer Bischof, der Nuntius, als Repräsentant des Papstes sein muß. Für sie ist schon der Vikar der Repräsentant des Papstes. Er wird wie ein Botschafter behandelt und ist auch bei den Begegnungen des diplomatischen Korps mit dem Scheich zugegen. Aber ich schließe es dennoch nicht aus, daß diese kleine Anormalität schon bald eine glückliche Lösung findet.
Exzellenz, wir haben bisher von den „Freuden“ und „Erfolgen“ gesprochen, die es in diesen dreißig Jahren gegeben hat – in Ihrer Abschiedsrede haben Sie selbst aber auch die „Schmer­zen“ und „Niederlagen“ angesprochen…
GREMOLI: Ja, vor allem den Schmerz über die barbarische Ermordung der drei Schwestern in Jemen. Und dann noch den über gewisse „verwaltungstechnische“ Probleme. Trotz der Unterstützung, die uns die Regierung bei unseren Bauprojekten für Kultstätten zukommen ließ, konnte vielen Katholiken leider kein angemessener religiöser Beistand gegeben werden, konnten wir ihnen keinen geeigneten Ort für die Zelebrationen anbieten. Damit meine ich die Katholiken, die in der Wüste leben, in den Arbeitslagern der Baustellen für die Pipelines und die Bohrtürme. Die vielen Christen nicht mitgerechnet, die – sei es aus Ermangelung an Transportmitteln oder wegen fehlender Arbeitserlaubnisse (dabei denke ich besonders an die christlichen Frauen, die in kinderreichen islamischen Familien als Hausangestellte arbeiten) – ganz einfach nicht die Möglichkeit haben, zur Sonntagsmesse zu gehen, obwohl ihnen das zu Weihnachten und zu Ostern freigestellt ist.
Mons. Gremoli mit den Dozenten der St.-Josefs-Schule in Abu Dhabi.

Mons. Gremoli mit den Dozenten der St.-Josefs-Schule in Abu Dhabi.

Bedauern Sie es, keine Konversionen bewirkt zu haben?
GREMOLI: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Glauben der dort lebenden Katholiken lebendig zu halten. Jede Art von Proselytenmacherei ist bekanntlich verboten, und dasselbe gilt für die Konversionen. Wenn dann doch jemand von der Gnade angerührt wird, wird das nicht an die große Glocke gehängt.
Ein besonders heikles Thema hier im Westen ist die Frage der Mischehen. Ein Problem, das sich, wie ich mir gut vorstellen kann, wohl auch auf der arabischen Halbinsel stellt…
GREMOLI: Von Mischehen zwischen Christen und Muslimen raten nicht nur wir, sondern auch die Muslime dringendst ab, und das aus vielerlei Gründen. Man darf beispielsweise nicht vergessen, daß laut islamischem Recht die Kinder dem Vater angehören, weshalb der Vater immer Muslim sein muß. Ich selbst habe nur selten einen Dispens gewährt, und wenn ja, dann nur in Fällen, in denen die Brautleute ins Ausland gehen wollten und der muslimische Ehepartner versprochen hat, seinem Partner und den Kindern Religionsfreiheit zuzugestehen.
Kommen wir nun auf Saudi-Arabien zu sprechen, ein Land, das sich bisher gegen jegliche Öffnung den Christen gegenüber verwehrt hat…
GREMOLI: Dort leben mehr als die Hälfte unserer Katholiken. Es ist eine Zone, die uns ein bißchen an die Zeit der Katakomben erinnert. Priester sind dort offiziell nicht erlaubt, auch keine Meßfeiern, ausgenommen in den Botschaften. Die Katholiken dürfen nur bei sich zuhause beten, und auch nicht in Gruppen, nicht einmal, wenn es sich um Verwandte oder Freunde handelt. Zwischen 1979 und 1985 wurden einige von irgendwelchen Firmen „gesponserte“ Priester entdeckt, verhaftet und ausgewiesen. Viele Christen, die man beim gemeinsamen Gebet „erwischt“ hat, erlitten dasselbe Schicksal. In Arabien gibt es nämlich eine überaus effiziente „Religionspolizei“, die mutawa, die sofort einschreitet, wenn jemand verdächtigt wird, eine nicht islamische religiöse Versammlung abzuhalten. Alle Versuche seitens verschiedener Regierungen, seitens des Hl. Stuhls, und besonders die von Johannes Paul II. unternommenen, sind ergebnislos geblieben.
Warum diese hartnäckige Verweigerung einer größeren Öffnung?
GREMOLI: In Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie an der Macht, die Einwohner sind der Gruppe der Wahabiten angehörende Sunniten, eine Sekte, die überaus intransigent ist. Sie halten sich für die Hüter der Heiligen Stätten Mekka und Medina und betrachten ganz Arabien als einen heiligen islamischen Ort, an dem kein anderer Kult erlaubt sein darf.
Das heißt also, daß die gut eine Million zählenden Katholiken in Saudi-Arabien sich selbst überlassen bleiben?
GREMOLI: Nicht ganz… man kann sagen, daß der Heilige Geist trotz all dieser Probleme und Schwierigkeiten auch in Saudi-Arabien gute Arbeit leistet. Ich möchte hier nicht auf einzelne Fälle eingehen, was ich aber sagen kann ist, daß ich meine Pastoralbesuche jedes Jahr durchführen, die Firmung und andere Sakramente spenden konnte, für viele Gruppen viele heilige Messen zelebrierte. Ich kann noch anfügen, daß in regelmäßigen zeitlichen Abständen Priester „vorbeikommen“ und man sehr darum bemüht ist, für deren Sicherheit zu garantieren.
Die getauften Laien spielen also eine wichtige Rolle in Saudi-Arabien?
GREMOLI: Ja, denn eigentlich sind sie es, die den Kindern in Privat­häusern oder anderswo Katechismus­­unterricht erteilen. Auch die „Pfarrei“ von Riad ist einem Laien anvertraut, der sich – mit Hilfe einiger weniger Mitarbeiter – um das kümmert, was wesentlich ist, einschließlich der Pfarreiregister bezüglich der von den regelmäßig „vorbeikommenden“ Priester gespendeten Sakramente.
Glauben Sie, daß Saudi-Arabien einen anderen Kurs einschlagen könnte?
GREMOLI: Das ist schwer zu sagen. Als Johannes Paul II. starb, hat auch Saudi-Arabien – obgleich es keine diplomatischen Beziehungen zum Hl. Stuhl unterhält – eine offizielle Delegation zur Trauerfeier geschickt. Eine andere Delegation kam zur Antrittsmesse des neuen Papstes Benedikt XVI. Wir können nur hoffen, daß diese kleinen Gesten reiche Frucht tragen und es Saudi-Arabien den Christen eines Tages wenigstens erlaubt, gemeinsam nach ihrem Glauben zu beten.
Exzellenz, was würden Sie als die schwierigsten Momente in diesen dreißig Jahren bezeichnen?
GREMOLI: Zweifelsohne den ersten Golfkrieg und die jüngste Invasion des Irak – Momente, die große Probleme mit sich brachten. Während des Golfkriegs wurden alle Flughäfen der arabischen Halbinsel geschlossen, was es mir unmöglich machte, unsere Katholiken zu besuchen. Von dem feindlichen Klima uns gegenüber, das dann entstanden war, einmal ganz abgesehen. Zum Glück konnten unsere Schwierigkeiten dank der entschiedenen und klaren Haltung des Papstes und des Hl. Stuhls dann doch überwunden werden. Viele Muslime – die am besten informierten und die ehrlichsten unter ihnen – haben verstanden, daß man die katholische Kirche nicht mit dem Westen und den kriegführenden Staaten verwechseln darf. Dasselbe war geschehen, als der Krieg begonnen hatte, der zur Invasion Bagdads und zum Fall des Regimes Saddam Husseins führte.
In Bahrein wurden die Katholiken immer sehr wohlwollend behandelt. Der Urgroßvater des derzeitigen Herrschers gab seine Zustimmung zum Bau der ersten katholischen Kirche am Golf. Der Vater des derzeitigen Königs bedauerte es zwar, daß der Hl. Stuhl als neuen Sitz des Vikariats Abu Dhabi, und nicht sein Bahrein gewählt hatte, sah aber ein, daß diese Wahl aus rein logistischen Gründen erfolgt war.
Welche islamische Persönlichkeit hat Sie in diesen dreißig Jahren am meisten beeindruckt?
GREMOLI: Der verstorbene Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan, der uns 1976 gestattete, den Sitz des Vikariats von dem historischen Sitz Aden, in Jemen, in sein Emirat Abu Dhabi (siehe Kasten) zu verlegen. Erinnerungswert sind aber auch der Emir von Qatar, der König von Bahrein und der Sultan von Oman. Sie alle haben den Katholiken gegenüber stets großes Wohlwollen an den Tag gelegt und verdienen daher unsere größte Dankbarkeit.
Was können Sie uns über den Emir von Qatar erzählen?
GREMOLI: Emir Hamad bin Khalifa al-Thani war mir gegenüber sehr disponibel – schon als er noch Kronprinz war. Er hat stets großes Interesse an der christlichen Welt gezeigt, organisiert seit drei Jahren sogar in Doha eine Konferenz für den Dialog zwischen christlichen und muslimischen Gelehrten und Experten. Am zweiten Treffen, im Jahr 2004, nahm auch Kardinal Jean-Louis Tauran teil, der uns, als er noch vatikanischer „Außenminister“ war, immer sehr geholfen hat. Bei dieser zweiten Konferenz sagte der Emir in seiner Grußadresse, daß an einem wahren Dialog alle Völker des Buches teilnehmen müßten, und somit auch die Juden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß diese Ankündigung bei weitem nicht von allen positiv aufgenommen wurde, aber zur Konferenz des Jahres 2005 wurde dann doch auch eine jüdische Delegation geladen. Das ist umso außergewöhnlicher, wenn man bedenkt, daß Qatar, wie bereits gesagt, ein wahabitisches Land ist. Hoffen wir, daß das Saudi-Arabien Glück bringen wird.
Und der König von Bahrein?
GREMOLI: König Hamad bin Isa al-Khalifah verdient unsere ganze Sympathie und Dankbarkeit. Und das nicht nur wegen seiner persönlichen Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit, sondern auch wegen der Verdienste des Herrscherhauses. Die Dynastie, die Bahrein regiert, hat sich den Katholiken gegenüber nämlich schon immer überaus wohlwollend gezeigt. Der Urgroßvater des derzeitigen Herrschers gab, wie bereits gesagt, 1939 seine Zustimmung zum Bau der ersten katholischen Kirche am Golf. Der Vater des derzeitigen Königs bedauerte es zwar, daß der Hl. Stuhl als neuen Sitz des Vikariats Abu Dhabi, und nicht sein Bahrein gewählt hatte, sah aber ein, daß diese Wahl aus rein logistischen Gründen erfolgt war – immerhin wäre die Bewegungsfreiheit des Apostolischen Vikars durch eine Insel wie Bahrein sehr eingeschränkt gewesen.
Welche Erinnerung verbinden Sie mit dem Sultan von Oman…
GREMOLI: Jedes Mal, wenn wir Sultan Sayed Qabus ibn Said um die Erlaubnis baten, eine neue Kirche zu bauen, wollte er ganz genau wissen, wieviele Christen es gab, und wenn ihm dann gesagt wurde, daß es viele waren, stellte er stets großzügig die nötigen Territorien zur Verfügung. Ich kann mich noch an eine sehr lange Unterredung mit ihm erinnern: er wollte wissen, ob sich die Katholiken im Sultanat wohlfühlten, welche Probleme sie hätten. Bei dieser Gelegenheit versicherte er mir auch, daß ihm alle Emigranten am Herzen lägen, alle mit demselben Wohlwollen, derselben Gerechtigkeit behandelt werden würden, „weil“ – wie er mir sagte – „gerade sie zum Fortschritt des Landes beigetragen haben und wir ihnen dankbar sein müssen.“
Sind Persönlichkeiten wie der Sultan eine Ausnahme oder repräsentieren sie tatsächlich das von ihnen regierte Land?
GREMOLI: Ich glaube, daß sie die Mentalität dieser Länder repräsentieren, wenn ich in den letzten Jahren leider auch eine wenig positive Entwicklung miterleben mußte, womit ich allerdings nicht sagen will, daß sich die Beziehungen zu den Behördenvertretern und zur Bevölkerung verschlechtert haben. Von der früheren Herzlichkeit ist jedoch leider nicht mehr viel zu spüren.
Warum?
GREMOLI: Durch den negativen Einfluß der von außen kommenden fundamentalistischen Gruppen. Gruppen, die es offiziell in diesen gemäßigten Ländern nicht gibt, deren negativer Einfluß aber dennoch stark spürbar ist.
Wie könnte Ihrer Meinung nach ein konstruktives Verhalten der islamischen Welt gegenüber aussehen?
GREMOLI: Es müßte vom Dialog und einer besseren gegenseitigen Kenntnis geprägt sein. Der Dialog sollte sich vor allem um religiöse Themen drehen. Ich persönlich glaube, daß es immer noch zu riskant ist, den Dialog auf politische, kulturelle oder geschichtliche Themen auszuweiten. Der religiöse Dialog muß konkret darauf abzielen, die Kultfreiheit und den Respekt der Symbole der verschiedenen Glaubensformen zu gewährleisten. Darauf, daß man sich allgemein dahingehend einig ist, wie verurteilungswürdig die Zerstörung von Kirchen oder Moscheen ist. In diesem Zusammenhang scheint es mir vorbildlich zu sein, daß Papst Benedikt XVI., beim Angelus vom Sonntag, 26. Februar, die jüngst in Nigeria verübten Gewalttaten und die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen verurteilt. Die Leaders der beiden Religionen müßten eine bessere gegenseitige Kenntnis fördern. Es gibt soviele Dinge, die wir nicht voneinander wissen. Nicht alle wissen beispielsweise, daß nicht nur die Muslime, sondern auch die arabischen Christen Gott in ihren Gebeten und Liturgien „Allah“ nennen. Wenn die Christen des Westens also über Allah spötteln, beleidigen sie in Wahrheit die arabischen Christen.
Sind Sie der Meinung, daß es notwendig ist, von der islamischen Welt Gegenseitigkeit zu verlangen?
GREMOLI: Gegenseitigkeit ist etwas sehr Schönes. Natürlich ist die volle Gegenseitigkeit erstrebenswert. Aber wir müssen realistisch sein. Wir dürfen heute keine Gegenseitigkeit in Dingen verlangen, die nicht wesentlich, sondern nur zweitrangig sind, in deren Genuß nicht einmal die muslimischen Gruppen kommen, die in ihren islamischen Ländern Minderheiten darstellen. Und ich glaube, daß das Wesentliche die Freiheit ist, die eigene Religion ausüben zu können, eine Kultstätte zu haben und als Kinder Gottes respektiert zu werden. Wenn mir die Autoritäten nur dann die Genehmigung geben, eine Kirche zu bauen, wenn ich mich dazu verpflichte, außen keine christlichen Symbole anzubringen, kann ich nicht verlangen, daß diese Kirche einen Glockenturm mit einem Kreuz darauf hat. Denn damit würde ich auch die Autoritäten in Schwierigkeiten bringen, die uns mit Wohlwollen behandelt haben und so auch das Zugeständnis gefährden, das man mir bereits gemacht hat…
Die heilige Messe, die zum Abschied von Bischof Tremoli 
in der St.-Josefs-Schule von Abu Dhabi gefeiert wurde.

Die heilige Messe, die zum Abschied von Bischof Tremoli in der St.-Josefs-Schule von Abu Dhabi gefeiert wurde.

Viele können immer noch nicht verstehen, warum Saudi-Arabien den Bau einer großen Moschee in Rom finanziert hat, auf eigenem Boden aber keine Kirche errichten läßt …
GREMOLI: Die Moschee von Rom steht gut dort, wo sie steht. Und das auch, weil – obwohl sie hauptsächlich von Saudi-Arabien finanziert wurde – auch viele Muslime aus anderen Ländern in ihren Genuß kommen, in denen wir Christen durchaus Kultstätten haben dürfen. Außerdem hatte der damalige König Feisal um die Baugenehmigung angesucht, ein Herrscher, der auch den Christen gegenüber sehr aufgeschlossen war – gerade deshalb wurde er ja auch umgebracht.
Exzellenz, hier in Italien treten Politiker wie Senatspräsident Marcello Pera, Journalisten wie Oriana Fallaci und Künstler wie Franco Zeffirelli für eine heftigere Konfronation mit dem Islam ein, scheinen fast schon der Hoffnung Ausdruck zu geben, die christliche Welt möge einen größeren Stolz an den Tag legen…
GREMOLI: Leben und leben lassen. Ich will mich mit niemandem anlegen, und das sind Haltungen, die ich respektiere. Aus meiner Erfahrung heraus finde ich sie jedoch wenig verständlich. Die dahinter stehenden, wohl guten Absichten einmal dahingestellt, halte ich es für nutzlos und gefährlich, die Konfrontation zwischen westlicher und islamischer Welt zu verschärfen. Und dann können wir – was verschiedene moralische und religiöse Aspekte angeht – von den Muslimen noch einiges lernen. Es gibt also wenig, worauf man stolz sein könnte. Außerdem sind Stärke und Weisheit ja auch christliche Tugenden, Stolz aber nicht.
Mehr als einmal hat man mir gesagt, daß meine Anfragen Gehör gefunden haben, weil die Katholiken so viel beten, eine so große Teilnahme am Kult und am sakramentalen Leben zeigen. So konnte das Vikariat in diesen dreißig Jahren 11 Kirchen und Pfarreien errichten – alle auf Baugrund, den die Behörden gratis zur Verfügung gestellt haben.
Fürchten Sie einen „Krieg der Zivilisationen“ zwischen Islam und westlicher Welt?
GREMOLI: Gott bewahre! Der König von Bahrein hat im Oktober 2002 bei der Konferenz für den islamisch-christlichen Dialog gesagt: „Im historischen Gebilde unserer Zeit bietet sich uns die einmalige Gelegenheit, neue wichtige Ziele anzustreben, gestützt auf die Werte der Toleranz und der Harmonie, und im Bewusstsein der Notwendigkeit, gegen jede Art von religiösem Extremismus vorzugehen.“ Damit bin ich voll und ganz einverstanden. Meiner Meinung nach ist es überaus wichtig, eine Konfrontation zwischen zwei so großen Realitäten wie der christlichen und der islamischen zu vermeiden, die katastrophale Auswirkungen haben könnte.
Sie waren der letzte von fünf Bischöfen des Apostolischen Vikariats Arabien, die alle Kapuziner aus der Toskana waren. Ihr Nachfolger ist nun ein Schweizer Mitbruder, Paul Hinder.
GREMOLI: Der Kapuzinerorden hat die Frage meiner Nachfolge – unter Leitung des Generalministers John Corriveau – sorgsam überprüft, den besten Mann ausgesucht. Bischof Paul war 10 Jahre lang Assistent des Generalministers, er spricht fünf Sprachen, lernt gerade Arabisch, hat in Kirchenrecht und Theologie promoviert und verfügt über eine große Erfahrung. In dem Jahr, in dem er mein Weihbischof war, habe ich seinen Glauben und seine menschlichen Werte zu schätzen gelernt. Ich bin sicher, daß er gute Arbeit leisten wird.
Exzellenz, erlauben Sie mir eine letzte Frage. Fehlt Ihnen die arabische Halbinsel eigentlich?
GREMOLI: Nun ja, ein bißchen schon. Ich habe dort eine sehr lebhafte christliche Gemeinschaft zurückgelassen, die ihren Glauben voller Freude lebt und hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Allein in der Pfarrei St. Maria in Dubai wurden 2005 fünfhundert Firmungen gespendet und 850 Erstkommunionen, 4.200 Kinder haben am wöchentlichen Katechese-Unterricht teilgenommen, in den drei österlichen Tagen wurde 100.000 mal die heilige Kommunion ausgeteilt. Hier bei uns haben wir wohl kaum eine derart tröstliche Realität…


Italiano Español English Français Português