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NAHOST
Aus Nr. 01/02 - 2006

DIE NAHOSTPOLITK DES HL. STUHLS

Heiliges Land: Zwischen Angst und Hoffnung


Heiliges Land: Zwischen Angst und Hoffnung. Der Nahe Osten, Kreuzungspunkt von drei Kontinenten, ist die Wiege der drei monotheistischen Religionen, die wichtigste Quelle der Treibstoffversorgung, aber auch Opfer einer Situation, die nicht nur vom Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern geschaffen wurde. In dieser Zone der Welt wird trotz der großen Armut am meisten Geld für die Rüstungsindustrie ausgegeben. Die Reflexionen des französischen Kardinals, der dreißig Jahre im Dienst der Vatikan-Diplomatie stand.


von Kardinal Jean-Louis Tauran


Ein Palästinenser betrachtet die Mauer, die die Israelis im Innern von West Bank errichtet haben.

Ein Palästinenser betrachtet die Mauer, die die Israelis im Innern von West Bank errichtet haben.

Als ich mich auf unsere Begegnung heute Nachmittag vorbereitet habe, dachte ich, wie schön es wäre, wenn meine Zuhörer am Ende meines Vortrages zumindest einen Hauch von der Freiheit verspüren würden, mit der die Päpste und ihre Mitarbeiter – aus einer wunderbar ethischen Perspektive – so komplexe Situationen wie die in Nahost angehen. Im Grunde sind die Worte der Päpste, das diskrete Handeln der päpstlichen Diplomaten die Stimme des Gewissens, die angesichts einer Region, in der sich die Situation über Nacht schlagartig ändern kann, folgendes sagt: wir dürfen die Banalisierung der kleinen und großen Kriege, die Ungerechtigkeit verbreiten und ganze Bevölkerungen in Mitleidenschaft ziehen, die nicht wissen, ob sie überhaupt noch eine Zukunft haben, nicht befürworten. Der Hl. Stuhl wird nie aufhören, die Rückkehr zur internationalen Legalität zu propagieren. Das bedeutet die Weigerung, den Erwerb von Territorien mit dem Mittel der Gewalt anzuerkennen, das Recht der Völker auf Selbstbestimmung sowie die Achtung der Charta der UNO und ihrer Resolutionen. Kurzum: die Worte, mit denen man die Papst-Diplomatie zusammenfassen könnte, sind: Freiheit, Wahrheit, Dialog!
Bevor ich auf das mir gestellte Thema eingehe, möchte ich noch einiges klarstellen: was versteht man eigentlich unter „Naher Osten“, und was bedeutet der Begriff „Hl. Stuhl“?.

Der Nahe Osten
Der heutige Begriff „Naher Osten“ kommt zum ersten Mal 1902 vor, in einem in der Londoner Zeitung National Review erschienenen Artikel von Alfred Mahan. Gemeint ist damit die Zone, die sich vom östlichen Teil des Mittelmeers bis nach Pakistan erstreckt und sowohl arabische als auch nicht-arabische Völker mit einschließt. Seit 1948 gehört auch der Staat Israel dazu. Die politischen Krisen und die hier wütenden Kriege wie auch die reichen Energieressourcen haben bewirkt, daß dem Gebiet eine zentrale wirtschaftliche und strategische Bedeutung zukommt.

Der Heilige Stuhl
Er ist nicht dasselbe wie die katholische Kirche, und auch nicht dasselbe wie der Staat der Vatikanstadt;er ist jenes einzigartige Zentrum universaler Gemeinschaft, das vom Papst und seiner Kurie im Dienst der katholischen Kirche repräsentiert wird, die von ihrem Wesen her eine universale Realität ist. Zumindest bis zum Hochmittelalter haben die Staaten diesem Zentrum eine Subjektivität und eine Unabhängigkeit zugestanden, die es ihm ermöglicht, als religiöse und moralische Ziele verfolgende juridische Person nach dem öffentlichen Völkerrecht, wahrer Partner für die Akteure der internationalen Gemeinschaft zu sein. Kurzum: der Hl. Stuhl ist nichts anderes als das Papsttum. Eine moralische Macht.
Das Thema unserer Begegnung soll herausstellen, wie sich der Hl. Stuhl, der moralische Macht ist und super partes bleiben will, Gehör verschafft in Sachen Rechte der menschlichen Person und der Nationen, Achtung des Völkerrechtes und Förderung der Zusammenarbeit und des Friedens.
Wie sieht der Nahe Osten heute aus?
Ich werde Ihnen natürlich auch persönliche Meinungen unterbreiten, die Frucht meiner guten Kenntnis dieser Region sind. Dazu muß ich folgendes erklären: von 1979 bis 1983 – damals tobte gerade der Bürgerkrieg – war ich Sekretär der Apostolischen Nuntiatur in Beirut. 1990 ernannte mich Papst Johannes Paul II. zum Sekretär für die Beziehungen mit den Staaten, und somit befaßte ich mich mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Hl. Stuhl und dem Staat Israel (die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen geht auf 1994 zurück). Das Thema Nahost war überdies schon seit dem ersten Golfkrieg eines der Themen, die mich am meisten beschäftigten – bis zum Oktober 2003, als ich Mitglied des Kardinalskollegiums wurde. Durch meine zahlreichen Missionen in Nahost konnte ich die dort lebenden Menschen und ihre Probleme von Grund auf kennen lernen. Weshalb man meinen Vortrag in einem gewissen Sinne auch als eine Art Zeugnis bezeichnen kann.
Jedes Volk hat das Recht auf sein Land in Souveränität und Freiheit. Das haben die Päpste stets allen gegenüber – und für alle geltend – betont. Man kann nicht seine eigenen Rechte verteidigen, die legitimen Rechte der anderen aber mit Füßen treten. Gerade aus diesem Grund haben sich die Päpste für die Existenz zweier Staaten ausgesprochen – den israelischen und den palästinensischen –, die, dem Diktat des Völkerrechts entsprechend, die gleiche Freiheit, Würde und Sicherheit genießen.
Der Nahe Osten flößt uns heute Angst sein. Und das aus gutem Grund. Er befindet sich am Schnittpunkt von drei Kontinenten, ist die Wiege der drei monotheistischen Religionen. Nahost ist die wichtigste Quelle der Treibstoffversorgung geworden, aber auch Opfer einer Situation, die von der immer noch nicht erfolgten Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern geschaffen wurde. Die Folgen des amerikanischen Einschreitens im Irak sind noch nicht abzusehen. Dazu kommt die Bedrohung durch die Atomwaffen und den Terrorismus, die in einem solchen Kontext natürlich auf einen mehr als fruchtbaren Boden fällt.
Der Nahe Osten ist die Region auf der Welt, die am meisten in die Rüstungsindustrie investiert. Die extremistischen islamistischen Strömungen sind überall präsent. Der ausstehende politische Wechsel, die große Armut der einfachen Gesellschaftsschichten, die unkontrollierte Verstädterung, die Arbeitslosigkeit und der demographische Druck bewirken, daß eine privilegierte Minderheit entstehen konnte und der Korruption Tor und Tür geöffnet wurde.
Trotzdem gibt es auch den ein oder anderen Hoffnungsschimmer: auf palästinensischem Territorium konnten Wahlen durchgeführt werden; es kam zum (zumindest sichtbaren) Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon; in Saudi-Arbien wurden Stadtratswahlen angekündigt; der Irak hat heute eine Verfassung, und auch in vielen anderen Ländern ist der Wunsch nach einer wahren Teilhabe am politischen Leben spürbar geworden.
Aber man könnte sich auch fragen, ob die Demokratie die Region nicht vielleicht in den Abgrund der Anarchie stürzen, bewirken könnte, daß islamistische Bewegungen oder Parteien an die Macht gelangen. Heizt die nun schon so lang andauernde Präsenz der Amerikaner im Irak nicht die Fremdenfeindlichkeit, den Haß der hiesigen Bevölkerungen auf den Westen an? Man kann sich sicher unschwer vorstellen, wie komplex die Situation in einem Teil der Welt sein muß, der ständig zwischen Hoffnung und Angst schwankt. Das führt zu einem Gefühl der Unsicherheit, das der Erfolg der Hamas auf palästinensischem Territorium und der schlechte Gesundheitszustand von Ariel Scharon noch verstärkt haben. Und somit wird der Nahe Osten wohl noch jahrelang eine Art Pulverfaß sein: der Einfluß der islamistischen Bewegungen wird andauern, das Gefühl der Abneigung gegen die Amerikaner und die westliche Welt weiterhin stark spürbar sein; die drohende Gefahr des Terrorismus inner- und außerhalb der Region beeinträchtigt die Sicherheit; die Entwicklung des Ölmarktes wird stark von dieser Instabilität abhängen. „L’expérience prouve qu’au Moyen Orient seul l’imprévu est prévisible et le pire n’est jamais sûr!“.
Welche Linie hat der Hl. Stuhl nun angesichts dieser Situation verfolgt?
Ich würde sagen, eine Linie, die von fünf Grundgedanken geprägt ist:
1. die Päpste waren stets darauf bedacht, „super partes“ zu bleiben, letzte Instanz für alle Beteiligten zu sein;
2. der Hl. Stuhl hat – als Völkerrechtssubjekt religiöser Natur – keine technischen Lösungen vorgeschlagen, sondern versucht, diese zu begünstigen, und in erster Linie daran erinnert, was das Völkerrecht diesbezüglich besagt;
3. ...niemals auf die Präsenz christlicher Gemeinschaften vergessen und ist für deren besondere Rechte eingetreten, ganz besonders das Recht der Gewissens- und Religionsfreiheit;
4. ...den interreligiösen Dialog zwischen Judaismus, Christentum und Islam stets befürwortet;
5. ...ein international garantiertes Sonderstatut für die Heiligen Stätten der drei Religionen befürwortet.
Ich möchte nun genauer auf diese oben genannten Grundgedanken eingehen, die das diplomatische Handeln der päpstlichen Diplomatie in Nahost so nachhaltig geprägt haben.
Die Kuppel der Omar-Moschee in Jerusalem.

Die Kuppel der Omar-Moschee in Jerusalem.

1. Für den Hl. Stuhl muß ein gerechter Friede vor allem auf Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit gegründet sein. Ein Frieden, der von den betroffenen Parteien nicht als gerecht empfunden wird, kann nicht von Dauer sein; ganz im Gegenteil: ein solcher Frieden würde nur zu immer größerer Frustration führen. Für die katholische Kirche hat jede Person die gleiche Würde, die gleichen Grundrechte. Daraus folgt, daß jedes Volk das Recht auf sein Land in Souveränität und Freiheit genießen können muß. Das haben die Päpste stets allen gegenüber – und für alle geltend – betont. Man kann nicht seine eigenen Rechte verteidigen, die legitimen Rechte der anderen aber mit Füßen treten. Gerade aus diesem Grund haben sich die Päpste für die Existenz zweier Staaten ausgesprochen – den israelischen und den palästinensischen –, die, dem Diktat des Völkerrechts entsprechend, die gleiche Freiheit, Würde und Sicherheit genießen.
2. Der Hl. Stuhl hat es nie versäumt, allen die Prinzipien des Völkerrechts ins Gedächtnis zu rufen, die nicht mit zweierlei Maßen gemessen werden dürfen, sondern in gleicher Weise für alle gelten müssen. Dialog, Verhandlung, Vermittlung der internationalen Gemeinschaft: das sind die einzigen Mittel, die auf die friedliche Beilegung der unvermeidlichen Kontroversen zwischen Staaten angewandt werden dürfen.
Der Frieden erfordert auch die Achtung der technischen Werkzeuge der internationalen Zusammenarbeit. Das Völkerrecht garantiert die Freiheit der Personen und der Völker. Die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen – dem altbewährten Motto „pacta sunt serranda“ entsprechend –; das Festhalten an den ausgearbeiteten Texten – nicht selten unter großen Opfern –; die dem Dialog eingeräumte Priorität helfen zu verhindern, daß die Schwächeren Opfer der Gewalt der Stärkeren werden. Nur so kann man die Mächtigen daran gemahnen, daß sie vor der Nationengemeinschaft für ihr Handeln Rechenschaft abzulegen haben. So hat der Hl. Stuhl z.B. im Falle der irakischen Krise betont, daß alle Entscheidungen im Rahmen der UNO getroffen werden müßten, unter besonderem Verweis auf Kapitel VII der Charta, in dem es heißt, daß nur der Sicherheitsrat – unter besonderen Umständen – darüber befinden kann, ob ein Mitgliedsland für ein anderes eine Bedrohung darstellt. Das bedeutet aber natürlich nicht, daß der Rückgriff auf Gewalt – und das gilt selbstverständlich auch für den Sicherheitsrat – die einzige angemessene Antwort ist. Das Völkerrecht hat den Krieg mit dem Bann belegt, und das vor allem dank der UNO-Charta: ich meine damit Art. 2 § 4, wo betont wird, daß die Mitgliedstaaten auf Kriege als Mittel zur Lösung ihrer Konflikte verzichten.
3. Von seiner wunderbar religiösen Dimension geleitet, hat der Hl. Stuhl versucht, Gewissens- und Religionsfreiheit in einer Region mit muslimischer Mehrheit zu wahren. In den letzten beiden Jahrhunderten war das Schicksal der Christen eng mit den Interessen der europäischen Mächte verflochten. In der Zeit des Entkolonisierungsprozesses des 20. Jahrhunderts fühlten sich die Christen oft verlassen – mußten sie sich doch nicht nur dem mehrheitlich islamischen Staat gegenüber zweitrangig fühlen, sondern auch dem neuen Staat für die Aufnahme der Juden gegenüber, und gegenüber den Palästinensern, die auf der Suche nach einem Stück Boden waren, das sie ihr eigen nennen konnten. Wie hätten sie sich da nicht dreimal in der Minderheit fühlen sollen?!
Das einmal gesagt, möchte ich betonen, daß der Hl. Stuhl nicht darauf abzielt, die Christen in Nahost zu schützen, indem er sie in ein Ghetto oder in kleine, religiös „reine“ Enklaven einschließt! Für die Christen – besonders für die Katholiken – sind Brücken den Mauern vorzuziehen. Die Kirche ist katholisch, ihrem Wesen nach universal. Das Überleben der Christen vor allem in diesem Teil der Welt kann nicht anders als in Symbiose mit dem Judaismus und dem Islam verstanden werden. Gerade aus diesem Grund hat der Hl. Stuhl ja auch ein Grundsatzabkommen mit dem Staat Israel (30. Dezember 1993) und ein Grundlagenkommen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (15. Februar 2000) unterzeichnet: um die Rechte der Katholiken zu wahren, sie im Falle von Krisen und Veränderungen des politischen Lebens der beiden Gesellschaften zu schützen.
4. Man darf nicht vergessen, daß die christlichen Gemeinschaften, die sich respektiert fühlen, auch eine größere Bereitschaft haben werden, am Leben der Gesellschaft, in der sie leben, mitzuwirken, und damit auch am Bau des Friedens. Eines der effizientesten Mittel für ein Gelingen dieser Aufgabe ist nun einmal der interreligiöse Dialog. Wir alle erinnern uns an den Besuch von Johannes Paul II. in der Synagoge von Rom, an sein Verweilen vor der Klagemauer und seine Begegnung mit dem Rektor der Al-Azhar-Universität von Kairo, an seinen Besuch im Libanon und in der historischen Moschee von Damaskus. Für den Hl. Stuhl ist der Dialog der Gläubigen untereinander das beste Mittel zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, der eine Perversion des Islam darstellt. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2002 betonte Johannes Paul II., daß Töten im Namen Gottes nichts anderes sei als eine Perversion der Religion: „Die terroristische Gewalt steht im Gegensatz zum Glauben an Gott, den Schöpfer des Menschen, an Gott, der sich um den Menschen kümmert und ihn liebt.“
So erklärt sich auch die Sorge des Hl. Stuhls um den Libanon, wo Religion und Kultur einander befruchten, das toleranteste und demokratischste Land des Nahen Osten bilden konnten. Ein Land, in dem alle Gemeinschaften dieselben Rechte haben. Ein Land, das der gesamten Region zum Vorbild gereicht.
Die Religionen dürfen nicht Quelle von Spaltungen sein oder Angst machen. Sie sollten vielmehr ein kraftvoller Humanisierungsfaktor, ein Faktor der Einheit der menschlichen Gesellschaft sein. Der Islamwissenschaftler Louis Massignon ging einmal soweit zu sagen, daß seiner Meinung nach eine jede der drei monotheistischen Religionen eine der theologischen Tugenden zeige: Israel, die Hoffnung; der Islam, den Glauben; das Christentum, die Liebe!
5. Wer die Texte der Päpste und des Hl. Stuhls zum Thema Nahost kennt, wird feststellen können, daß der Ausdruck „Nahost“ kaum vorkommt, sondern vielmehr vom „Heiligen Land“ gesprochen wird. Warum, liegt auf der Hand: es handelt sich um eine Region, die einen besonderen Bezug zum Glauben hat. Eine „heilige“ Region: für die Juden, weil auf diesem Boden ihre Vorfahren lebten, er der Boden des Buches ist; für die Christen, weil auf diesem Boden Jesus lebte, hier die großen Ereignisse der Erlösung stattfanden und hier die ersten christlichen Gemeinschaften entstanden; für die Muslime, weil auf diesem Boden ihre Religion geboren wurde und sie schon seit mehr als 1000 Jahren hier vertreten sind.
Das einmal gesagt, möchte ich betonen, daß der Hl. Stuhl nicht darauf abzielt, die Christen in Nahost zu schützen, indem er sie in ein Ghetto oder in kleine, religiös „reine“ Enklaven einschließt! Für die Christen – besonders für die Katholiken – sind Brücken den Mauern vorzuziehen. Die Kirche ist katholisch, ihrem Wesen nach universal. Das Überleben der Christen vor allem in diesem Teil der Welt kann nicht anders als in Symbiose mit dem Judaismus und dem Islam verstanden werden.
Im Zentrum dieser Überlegungen zum sakralen Charakter dieses Landes steht Jerusalem, ideales Vaterland aller geistlichen Nachkommen Abrahams. Das heute geteilte Jerusalem hat immer noch diese Berufung, Symbol der Einheit und des Friedens für die gesamte Menschheitsfamilie zu sein. So erklärt sich auch der Nachdruck, mit dem sich die Päpste – und das schon seit 1947 – als Verteidiger des einzigartigen und sakralen Charakters dieser Stadt verstehen. Bereits am 29. November 1947 hat die UNO in Resolution 181 eine Sonderlösung vorgeschlagen, unter der Schirmherrschaft der internationalen Gemeinschaft: einen „corpus separatum“. Nach von israelischer Seite gewaltsam erwirkter Annexion des Ostteils der Stadt befürwortete die internationale Gemeinschaft die Annahme eines „international garantierten Statuts“ für die Teile der Stadt, die den drei monotheistischen Religionen besonders am Herzen liegen. Der Hl. Stuhl hat diese Sicht stets befürwortet – stets aber auch in dem Bemühen, den territorialen Aspekt Jerusalems (Hauptstadt zweier Staaten?), der Subjekt bilateraler Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern sein muß, vom multilateralen Aspekt zu trennen, der wiederum das Ergebnis der religiösen und universalen Dimension der Heiligen Stätten der drei Religionen ist, deren Gläubige auf der ganzen Welt verstreut sind. Es geht also, für die internationale Gemeinschaft, darum, sich zum Garanten des einzigartigen und sakralen Charakters Jerusalems „intra muros“ zu machen; einer Stadt, in der sich die Heiligen Stätten befinden, umgeben von menschlichen Gemeinschaften mit ihren Sprachen, kulturellen Traditionen, Schulen, Krankenhäusern, Geschäften… Der Hl. Stuhl ist der Meinung, daß ein von der internationalen Gemeinschaft garantiertes Sonderstatut das einzig wirksame Mittel ist, zu vermeiden, daß in der Zukunft – auf Druck der Ereignisse oder politischer Veränderungen – eine der Parteien die Kontrolle der Heiligtümer und der sie umgebenden menschlichen Realitäten für sich beansprucht.
Diese Reflexionen sind in besonderer Weise von der Lehre und dem Handeln Johannes Pauls II. inspiriert, und das auch schon deshalb, weil immerhin 25 der 28 Jahre, die ich für die Vatikan-Diplomatie tätig war, in das Pontifikat dieses großen Papstes fallen.
An dieser Stelle möchte ich betonen, daß sein Nachfolger dieses Erbe auch im Bereich der internationalen Fragen, ganz besonders in Sachen Nahost, übernommen hat.
Das geht schon aus der ersten Botschaft zum Weltfriedenstag vom 1. Januar 2006 und der Ansprache, die Benedikt XVI. vor dem diplomatischen Korps gehalten hat, deutlich hervor. Wie schon Johannes Paul II., gründet auch Benedikt XVI. das internationale Handeln auf Gerechtigkeit, Vergebung und Aussöhnung. Die Botschaft vom 1. Januar enthält diesbezüglich einen lobenden Verweis auf das humanitäre Völkerrecht. Auch den Diplomaten gegenüber war es dem Papst ein Anliegen, auf den Dialog unter den Religionen und Kulturen zu verweisen. Insbesondere lobte er den fruchtbaren kulturellen Austausch zwischen „Judentum und Hellenismus, zwischen römischer, germanischer und slawischer Welt, sowie auch zwischen arabischer und europäischer Welt“. Bei seiner Reise nach Deutschland im vergangenen August besuchte der neue Papst auch eine Kölner Synagoge. Mit demselben Nachdruck, den schon sein Vorgänger an den Tag gelegt hatte, verurteilte er den Terrorismus: „Bis zum heutigen Tag ist die Wahrheit des Friedens immer noch auf dramatische Weise gefährdet und geleugnet durch den Terrorismus, der mit seinen Drohungen und seinen kriminellen Handlungen imstande ist, die Welt im Zustand der Angst und der Unsicherheit zu halten“. Und im Zusammenhang mit Nahost meinte Benedikt XVI.: „Der Staat Israel muß dort nach den Regeln des internationalen Rechts friedlich existieren können; das palästinensische Volk muß dort ebenfalls seine demokratischen Institutionen friedlich für eine freie und gedeihliche Zukunft entwickeln können.“.
Zwei palästinensische Mädchen  kehren nach dem Schulbesuch wieder ins Flüchtlingslager  Ain Al Hilhew im Libanon zurück.

Zwei palästinensische Mädchen kehren nach dem Schulbesuch wieder ins Flüchtlingslager Ain Al Hilhew im Libanon zurück.

Lassen Sie mich abschließend sagen, was der Friede in Nahost bedeuten würde:
­– er würde menschliche Energien und wirtschaftliche Ressourcen für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung ganzer Völker freisetzen;
­– die bürgerliche Gesellschaft und den Demokratisierungsprozess konsolidieren;
­– den Extremisten jegliche Motivation für gewaltsames Handeln entziehen, die von der Frustration der Enterbten genährt wird;
­– einen konstruktiven Dialog zwischen Religionen und Kulturen ankurbeln, womit religiöser Extremismus und die Emigration der Christen vermieden werden könnten.
Gerade in diesen Tagen, in denen die wackeligen Gleichgewichte, die man in einem Teil der Welt erreichen konnte, wo übrigens noch stark in Waffen investiert wird, erneut gefährdet sind, ist es die Pflicht eines jeden Menschen guten Willens, alle daran zu gemahnen, daß der Krieg immer das schlechteste Mittel sein wird, den Frieden zu gewährleisten. Zumindest die Christen glauben an die Möglichkeit einer anderen Logik, die sich in folgenden, knappen Worten zusammenfassen läßt: Jeder Mensch ist mein Bruder. Wenn wir alle davon überzeugt wären, daß wir gerufen sind, miteinander zu leben, daß es schön ist, einander kennenzulernen, einander zu achten und zu helfen, dann wäre die Welt eine andere. Daran glauben wir Christen.
Niemand – außer dem ein oder anderen Fanatiker – kann Interesse daran haben, daß im Nahen Osten weiter Blut vergossen wird. Gerade aus diesem Grund wird der Hl. Stuhl an seiner Überzeugung festhalten und auch weiterhin allen Bevölkerungen dieser Region unter die Arme greifen; Bevölkerungen, die von durch geographische, geschichtliche – ja, ich würde auch sagen, religiöse – Umstände gezwungen sind, miteinander zu leben und die Achtung der grundlegenden Menschenrechte und des Völkerrechts zu praktizieren. Und das wird erst dann möglich sein, wenn es der Stärke des Rechts gelingen wird, endlich über das Recht des Stärkeren zu siegen!


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