Startseite > Archiv > 04 - 2006 > Laie, also Christ
KIRCHENGESCHICHTE
Aus Nr. 04 - 2006

Laie, also Christ


Benedikt XV. war ein Verfechter der Liebe, des Friedens und der Freiheit der Kinder Gottes durch Respekt für die anderen und die Institutionen. Der vierte und letzte Teil der Parade der Päpste namens Benedikt.


von Lorenzo Cappelletti


Titelseite der Acta Apostolicae  Sedis  vom 3. September 1914 mit der Nachricht 
von der Wahl  Kardinal  Giacomo Della Chiesas auf den Petrusstuhl

Titelseite der Acta Apostolicae Sedis vom 3. September 1914 mit der Nachricht von der Wahl Kardinal Giacomo Della Chiesas auf den Petrusstuhl

Nachdem die letzte Seite des Pontifikats von Pius X. (1903-1914) „von allmächtiger und unsichtbarer Hand umgeblättert wurde“, wie die Jesuiten im September 1914 in der Zeitschrift Études schrieben, „stehen wir jetzt vor einer anderen, noch unbeschriebenen Seite, deren Titel schlicht den Namen des neuen Papstes trägt: Benedikt XV. Welche Worte, welche Werke werden morgen dieses Papsttum beschreiben? Was wird auf dieser heute noch unbeschriebenen Seite stehen?“.
Diese Seite ist nun schon seit hundert Jahren nicht mehr unbeschrieben, wenn sie auch nicht leicht zu entziffern zu sein scheint: immerhin sprechen die Giacomo Della Chiesa, dem späteren Benedikt XV. (1914-1922), gewidmeten Biographien noch immer von einem wenig bekannten, ja gar verkannten Papst. „Meine äußere Erscheinung ist mir nicht von großem Nutzen,“ schrieb er selbstironisch in einem Brief vom 21. Dezember 1898 an seinen ehemaligen Kollegen der Päpstlichen Diplomaten­akademie, Teodoro Valfrè di Bonzo (Teil der wertvollen Dokumente, die 1991 von dem verstorbenen Giorgio Rumi in Civitas veröffentlicht wurden). Man muß nur seine Porträts betrachten, um zu verstehen, daß er nicht gerade das hatte, was man le physique du rôle nennt. „Er war von kleiner, ein wenig gebückter Statur,“ schrieb Francis MacNutt, ein anderer „Kollege“ aus den Zeiten der Akademie, ja „alles an ihm war gekrümmt: die Nase, der Mund, die Augen, die Schultern – nichts hatte Kontur.“
Auch aus seinem curriculum geht nicht viel mehr hervor als ein mediocris homo, wie es Kardinal Agliardi am Vorabend der Wahl von Giacomo Della Chiesa zum Papst nannte. Von großem Arbeitseifer zwar, aber eben – wie Agliardi meinte – ein „x-beliebiger Bürokrat.“ Wer hätte ahnen sollen, welches Schicksal diesem „piccoletto“ [„der Kleine“], wie er in der Kurie genannt wurde, bestimmt war, von wieviel Nächstenliebe er beseelt war? Und doch hätte gerade die Kirchengeschichte lehren müssen (und sollte lehren), daß dieses der überlieferten Form treu Bleiben – die Spezialität von Giacomo Della Chiesa – entscheidend war, oft sehr viel mehr als offensichtliche Tugenden, wenn es darum ging, das Wesen der Liebe und des christlichen Glaubens zu verteidigen.
Im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Vorgängern und Nachfolgern auf dem Petrusstuhl (mit Ausnahme von Pius XII.) war Giacomo Della Chiesa ein „Stadtmensch.“ 1854 als Sproß einer Familie adeliger Abstammung geboren, wuchs er in einem großbürgerlichen Haus in jenem Genua auf, das, wie jeder weiß, der es kennt, seit dem Frühmittelalter eine Stadt par excellence war: einige seiner alten Türme erheben sich noch heute inmitten der modernen Hochhäuser, die ebenfalls zum ersten Mal in Italien gerade hier entstanden.
Sein Bildungsweg war nicht nur ganz in der Stadt Genua verankert, sondern auch weltlich, weshalb so mancher – die von Benedikt XV. selbst geprägten Worte aufgreifend – feststellte, daß er nicht den Anspruch stellte, über große theologische Kompetenz zu verfügen. In der Tat studierte er zunächst an der Universität Genua Jurisprudenz und frequentierte als Gasthörer die Philosophie- und Theologievorlesungen am dortigen Seminar. Vorlesungen, die er später in Rom, an der Universität Gregoriana, vertiefen sollte.
1875 kam Giacomo nach Rom ans Collegio Capranica; die Ewige Stadt schickte sich damals gerade an, die Hauptstadt des geeinten Italien zu werden. Am 21. Dezember 1878 empfing er die Priesterweihe, im selben Jahr, in dem Leo XIII. (1878-1903) – nach einem unerreicht langen Pontifikat – Pius IX. (1846-1878) auf dem Petrusstuhl nachgefolgt war. In den folgenden zwei Jahren besuchte er die „Accademia dei nobili ecclesiastici“, die Schule für die Papstdiplomatie.

Das Krönungszeremoniell von 
Benedikt XV. in der Sixtinischen Kapelle, 
6. September 1914.

Das Krönungszeremoniell von Benedikt XV. in der Sixtinischen Kapelle, 6. September 1914.

Vom Diplomaten zum Bischof in Bologna
Zwei Männer, die aus der Diplomatie Leos XIII. nicht wegzudenken sind, haben auch den Werdegang Giacomo Della Chiesas nachhaltig geprägt: sein Maestro Mariano Rampolla del Tindaro, Staatssekretär Leos XIII., bei dem er in den Jahren 1881 und 1882 seine diplomatische Ausbildung erhielt, und sein Altersgenosse Pietro Gasparri, der 1901 Sekretär für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten wurde. Dasselbe Jahr, in dem Giacomo Della Chiesa das Amt des Substituten erhielt. Gasparri sollte sich nicht nur als überaus fähiger Staatssekretär von Benedikt XV. erweisen, sondern auch unter Pius XI. (1922-1939) in diesem Amt bleiben. „Ein in der Papstgeschichte kaum dagewesener Umstand,“ wie John F. Pollard in einer unlängst erschienenen Biographie Benedikts XV. schreibt. Und das, obwohl Gasparri eigentlich das genaue Gegenteil von Della Chiesa war. „Sein alles andere als formvollendetes Auftreten,“ – wie Don Giuseppe De Luca am 19. November 1952 in einem wunderschönen Artikel zum 100. Geburtstag dieses „ungehobeltenKerls“ und Kardinals im Osservatore Romano schrieb, „nahm manchmal bedauerliche Ausmaße an, über die er selbst am meisten lachen mußte.“ Was hatten die beiden also gemeinsam? Ähnlich waren sie sich – wie wir hier festhalten wollen – nicht nur in der peinlich genauen Ausführung ihres Amtes und in ihrem Pragmatismus, sondern auch in einer souveränen Distanz zu sich selbst. So „mißtraute Gasparri“, wie De Luca in besagtem Artikel schreibt, „nicht nur der Kraft, die schon in seinem Naturell lag, sondern auch jener, die ihm im Rahmen seiner Regierungsgeschäfte übertragen war, betrachtete beide als gefährliche Waffen.“ Was, mutatis mutandis, auch für Benedikt galt. Man braucht nur das zu lesen, was der Chefredakteur der Civiltà Cattolica kurz vor dem Kriegseintritt Italiens schrieb: „Man muß die persönliche Meinung des Papstes von dem, was für die Lehre wesentlich ist, unterscheiden.“ Die ihm als Papst auferlegte Zurückhaltung gilt nicht für alle. Der Papst ist übernational: er betet nicht für den Sieg Italiens; wenn es aber ein italienischer Katholik täte, wäre das nicht gegen den Papst. So hat er auch nie gesagt, daß der Krieg dieser oder jener Nation gerecht oder ungerecht wäre.“ Worte, die Pater Sale in dem unlängst erschienenen Buch Popolari e destra cattolica al tempo di Benedetto XV zitiert.
Aber kommen wir wieder auf den cursus honorum Giacomo Della Chiesas zurück, auf die Zeit, als er noch nicht Benedikt XV. war.
Als Rampolla 1883 Nuntius in Madrid wurde, wollte er Della Chiesa bei sich haben, und 1887, als er als Staatssekretär wieder nach Rom zurückkam, stand ihm Della Chiesa als Minutant in der Römischen Kurie zu Seite. Ein Amt, das er mit großem Pflichtbewußtsein ausübte. Bis er 1901, wie bereits gesagt, Substitut wurde.
Unter dem Pontifikat von Leo XIII. konnte ein anderer Diplomat eine noch „steilere“ Karriere machen als Della Chiesa und Gasparri, und das, obwohl er sehr viel jünger war: Mons. Rafael Merry del Val. Am Ende des nach dem Tod von Papst Pecci einberufenen Konklaves wurde er, wie Gianpaolo Romanato in dieser Nummer unserer Zeitschrift schreibt (vgl. 30Tage, Nr. 4, April 2006, SS. 40-46), zum Staatssekretär von Pius X. ernannt. Zur Überraschung aller, einschließlich Mons. Della Chiesas, der am 8. November 1903 schrieb: „Morgen haben wir das Konsistorium, dem dann die definitive Ernennung des Staatssekretärs folgen wird! Wer hätte das vor 10 Jahren geglaubt!!!“ (man beachte die vielen Ausrufungszeichen!).
Rampolla wurde sofort beiseite geschoben. Della Chiesa blieb noch eine Zeitlang auf seinem Posten, aber auch ihm wurde – als der Zeitpunkt 1907 gekommen war – eine andere Aufgabe zugeteilt: der Bischofssitz von Bologna. Der Hauptgrund für die „Versetzung“ war zweifelsohne die Wertschätzung, um die er sich verdient gemacht hatte – vielleicht wollte man aber auch sehen, wie er mit einer Diözese zurechtkam, die bisher von Erzbischof Domenico Svampa geleitet wurde, einem Mann, der im Verdacht stand, mit den Modernisten und den Christdemokraten zu liebäugeln und u.a. für Don Giulio Belvederi und Don Alfonso Manaresi eingetreten zu sein. Was Mons. Della Chiesa im Oktober 1907 in seinem typisch ironischen Ton an den Freund Teodoro Valfrè di Bonzo (der glaubte, er wäre schon auf dem Weg in die Nuntiatur Madrid) schreibt, scheint zu bestätigen, daß hinter der Wahl des Bischofssitzes Bologna durchaus derartige Ansinnen gestanden haben können: „Ich habe Ihnen auf Ihr freundliches Glückwunschtelegramm zu meiner vermeintlichen Ernennung zum Nuntius in Madrid nicht geantwortet, weil ich Ihre Annahme nicht öffentlich dementieren wollte. Es ist aber nun so, daß man mich nicht zum Nuntius ernannt hat, und das auch nicht tun wird, weil es dem Heiligen Vater vielmehr gefallen hat, mich zum .... Erzbischof von Bologna zu machen. In diesem Wunsch des Heiligen Vaters konnte ich den Willen Gottes erkennen, weil ich mir sicher nie hätte träumen lassen, daß gerade ich eines Tages Erzbischof von Bologna werden würde. Als mir der Wunsch des Papstes mitgeteilt wurde, war ich zunächst sehr überrascht, und der Gedanke an die schwierige Situation, mit der der arme Erzbischof von Bologna zu kämpfen hat, machte mich noch betroffener: aber wird der Herr, der mich in Bologna will, mir nicht letztendlich die Gnaden schenken, die notwendig sind, dort ein bißchen Gutes zu wirken?“.
In den Jahren seines Bischofsdienstes in Bologna (über die man sich nun in dem interessanten Buch, das Antonio Scottà 2002 veröffentlichte, genauestens informieren kann) half ihm die Standesgnade dort, wo er nicht nur mit Weisheit agierte, sondern auch mit pastoraler Liebe. So machte er sich sofort daran, der Diözese seinen Besuch abzustatten und kümmerte sich um die Ausbildung der Katechisten und das Seminar. Und was nun die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Modernismus-Tendenzen anging, hielt er sich zwar peinlich genau an die aus Rom ergangenen Weisungen – was blieb ihm auch anderes übrig? –, ließ es jedoch niemandem gegenüber an Respekt fehlen – und was hätte er mehr tun können?
Das Verzeichnis des „Almo Collegio Capranica“ 
mit der Aufzeichnung von Namen und Eintrittsdatum des Studenten Giacomo Della Chiesa. 
Man beachte die Anmerkung des Datums seiner Wahl zum Papst.

Das Verzeichnis des „Almo Collegio Capranica“ mit der Aufzeichnung von Namen und Eintrittsdatum des Studenten Giacomo Della Chiesa. Man beachte die Anmerkung des Datums seiner Wahl zum Papst.

Trotzdem wurde er erst im Mai 1914 zum Kardinal kreiert, wenige Monate, bevor er in das Konklave einzog, aus dem er als Papst herauskommen sollte. Vielleicht ist es kein Zufall, daß er das Kardinalsbirett erst nach dem Tode Rampollas (im Dezember des Vorjahres) erhielt. Man wollte wohl vermeiden, daß der Einfluß des „Duos“ im Kardinalskollegium zum Tragen kommen könne.
In der Zwischenzeit war der 1. Weltkrieg ausgebrochen. Nicht wenige sind der Meinung, daß dieser Krieg Pius X. ins Grab gebracht hätte – so sehr hat er sich darüber gegrämt –; andere wieder, Pollard beispielsweise, meinen, daß „er und sein Kardinalstaatssekretär Merry del Val den Kriegsausbruch noch beschleunigt haben, weil sie Franz Joseph unglücklicherweise einredeten, daß Österreich im Recht sei und Serbien eine Demütigung zufügen müsse.“ Wie dem auch sei: der Großteil der Historiker ist sich einig, daß bei diesem Konklave nach dem Tod von Pius X. nicht der Krieg im Vordergrund stand, sondern die interne Debatte, bei der es darum ging, ob man den vermeintlichen oder tatsächlichen modernistischen Tendenzen nun auf der Linie der Unnachgiebigkeit oder besser der der Mäßigung begegnen sollte.

Die Wahl zum Papst
Gerade, weil er diese gemäßigtere Linie vertrat, war Della Chiesa – wenngleich erst kurz Kardinal – einer der „Papabili“ und konnte trotz des Widerstands der Gruppierung, die von Anfang des Konklaves an den unnachgiebigen Kurs vertrat, Papst werden. Auch während seines Pontifikats wurde sie nicht müde, ihre Ränke zu schmieden, die umso gefährlicher waren je mehr sie aus dem Entourage des Papstes kamen. Sie wurde „Vaticanetto“ [eine Art „Palastopposition“, Anm.d.Red.] genannt. Noch zwei Monate vor dem Tod von Benedikt XV. kritisierte ihn Merry del Val und schrieb in einem privaten Brief, daß man „den Taktiken der menschlichen Politik entrinnen müsse […]. In einer Zeit, in der die Welt ihre Orientierung verloren hat und verzweifelt nach einem Rettungsanker sucht, den nur wir anbieten können, dürfen wir uns nicht von der Strömung forttragen lassen und den Eindruck erwecken, wir wären bereit, unsere Prinzipien über Bord zu werfen.“ Benedikt kümmerte das wenig, und er veränderte auch nicht viel. Außer im Staatssekretariat, wo er mit Personal und Ämtern gut vertraut war und wichtige Umbesetzungen vornahm. Und das gilt nicht nur im Falle Gasparris, der nach dem plötzlichen Tod Ferratas Staatssekretär wurde, sondern auch für Bonaventura Cerretti, Pacelli, Ratti, aber auch Valfrè di Bonzo (nicht zu vergessen Roncalli und Montini, der damals die ersten Karriereschritte unternahm): sie alle wurden während des Pontifikats Benedikts mit wichtigen Ämtern betraut. Der diesen Namen nicht nur in Anlehnung an den heiligen Mönch von Nursia gewählt hatte, sondern – wie er selbst gesagt haben soll – an Benedikt XIV., der Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Bischofssitz Bologna und dem von Rom sein Vorgänger gewesen war: auch er war, wie Della Chiesa, ein Mann des Rechts, und wie er hatte er lernen müssen, sich vor jenen zu hüten, die den Papst die Lehre lehren wollten.
Liebe und Gehorsam waren die zentralen Themen seiner ersten programmatischen Enzyklika Ad beatissimi vom November 1914. Sie waren schon die Antriebsfeder des eifrigen Wirkens von Mons. Della Chiesa gewesen und sollten auch sein Lehramt und Wirken als Papst nachhaltig prägen. Themen, die nicht nur ad intra (was offensichtlich, und vielleicht gerade deshalb so selten ist und so wenig praktiziert wird) gelten mußten, sondern auch ad extra, und das rief nicht nur die Pflicht der Menschen auf den Plan, „einander zu lieben“, sondern auch das apostolische Prinzip der Unterwerfung unter jegliche rechtmäßige Autorität.
Es ist interessant festzustellen, daß die Enzyklika den letzten Grund der gegenseitigen Liebe unter den Menschen in dem Faktum ausmacht, daß Jesus Christus sein Blut für alle vergossen hat. Das wird vom Papst dreimal herausgestellt. Der Krieg war gerade ausgebrochen, und er wollte betonen, wie unnötig jedes weitere Blutvergießen wäre. In der berühmten Note an die kriegführenden Nationen vom 1. August 1917 über das „sinnlose Blutvergießen“ – nicht zufällig Dès le début („seit Beginn Unseres Pontifikats…“) – wurde dieses Urteil noch deutlicher herausgestellt, motiviert von neuen, noch barbarischeren und blutigeren Greueltaten wie denen der Luftangriffe. Zweck dieser Note war es übrigens nicht, zu definieren oder anzuklagen, sondern einen konkreten Friedensvorschlag zu machen. „Zum ersten Mal in diesem Krieg hatte eine Person oder eine Macht ein detailliertes, praktisches Schema für eine Friedensverhandlung formuliert“ (Pollard, 148). In dem – seit Ad beatissimi vom Papst mehrfach zum Ausdruck gebrachten – Bewusstsein, daß der Frieden die Voraussetzung dafür ist, daß diese gegenseitige Liebe unter den Menschen umgesetzt werden kann: „Der Frieden ist eine übergroße Gabe Gottes: unter den irdischen Dingen gibt es nichts, was willkommener ist, als größere Wonne betrachtet werden könnte. Kurzum: etwas Besseres gibt es nicht,“ schrieb er – Augustinus zitierend – in Pacem Dei munus.
Die Bronzebüste 
und die Gedenktafel 
Benedikts XV. im
„Almo Collegio Capranica.“

Die Bronzebüste und die Gedenktafel Benedikts XV. im „Almo Collegio Capranica.“

Aber der Nationalismus vieler Regierungen, die keine andere Lösung als die blutige des Krieges wollten, bewirkte schließlich, daß der Vorschlag von 1917 abgelehnt wurde. Negativ wirkte sich auch die schwache Position aus, in der sich der Hl. Stuhl von einem diplomatischen Gesichtspunkt aus befand. Der Papst verlor 1870 den Kirchenstaat, und Merry del Val hatte während des vorherigen Pontifikats, soweit möglich, eine wachsende Isolierung begünstigt, sich fast schon des Beharrens auf den Werten brüstend: die Beziehungen zu Frankreich waren seit 1906 abgebrochen. Die zu Großbritannien sogar seit dreieinhalb Jahrhunderten!
So gestattete man Benedikt XV. (obwohl er diese und viele andere Beziehungen wieder aufgenommen hatte; mit Italien war es aber noch zu keiner Aussöhnung gekommen) nicht viel mehr, als die vom Krieg geschlagenen Wunden zu verbinden, Spendensammlungen zu organisieren, den Austausch von Kriegsgefangenen, das Sammeln von Information. Das Lob, mit dem man ihn später dafür bedachte, scheint manchmal eine Dankbarkeit auszudrücken, die nicht über die unverhohlene Befriedigung über diese nun so sehr beschränkte Rolle hinwegtäuschen konnte.
Nicht einmal nach Kriegsende ließ man den Hl. Stuhl an der Friedenskonferenz von Versailles vom Frühjahr/Sommer 1919 teilnehmen. Und doch waren Benedikt und Gasparri vielleicht zwei der aufmerksamsten Beobachter – wie man es heute nennen würde – und hätten durchaus einen Beitrag zum Frieden leisten können, wenn das der Zweck der Friedenskonferenz gewesen wäre. Schließlich haben sie auch sofort erkannt, daß die den Besiegten auferlegten Konditionen gewiß nicht dergestalt waren, die Feindseligkeiten auszuräumen. Und daß die aus dem Untergang Österreich-Ungarns hervorgegangenen Nationen unmöglich autonom sein konnten. „Eine Vorhersage, die die Geschichte auf nur allzu schmerzliche Weise, bestätigt hat,“ wie Pollard schreibt.
Auch der nach dem Fall des Osmanischen Reiches neu definierte Nahe Osten bereitete dem Vatikan einiges Kopfzerbrechen: von dem Zusammenleben verschiedener Religionen, das dieses Reich im Grunde garantiert hatte, war gerade nun kaum noch die Rede, wie in einem schönen Essay von Andrea Riccardi mit dem bezeichnenden Titel Benedetto XV e la crisi della convivenza religiosa nell’Impero ottomano zu lesen steht.

Weitblickende Unternehmungen
Soweit also der anfängliche Kurs des Pontifikats von Benedikt XV., der von der Not des Krieges diktiert wurde und, wie wir gesehen haben, über diesen hinaus andauerte. Der danach folgende, der sich zeitlich zum Teil mit ersterem überschneidet, ist geprägt von einigen weitblickenden Unternehmungen. Und wenn auch nicht alle direktes Werk des Papstes sind, ist es doch ihm zu verdanken, wenn sie in die Tat umgesetzt werden konnten: z. B. der 1917 promulgierte Kodex des kanonischen Rechtes, mit dem schon unter Pius X. begonnen worden war und der zum Großteil dank der Kompetenz und dem Fleiß Gasparris entstehen konnte. 1917 spaltete sich von Propaganda Fide auch die nun eigenständige Kongregation für die Ostkirche ab (später „der Orientalischen Kirchen“), deren Vorsitz der Papst aufgrund seines erklärten Interesses für sie, selbst übernahm. Im selben Jahr erfolgte auch die Schaffung eines Instituts für den christlichen Osten. Scheinbar rein verwaltungstechnische Maßnahmen, hinter denen jedoch in Wahrheit eine Auffassung von Katholizität stand, die eine solche ohne die nicht-lateinischen Kirchen nicht wäre, wie der derzeitige Rektor dieses Studieninstituts bei einer kürzlich in Anagni abgehaltenen Tagung betont hat.Die Einleitung einer neuen missionarischen Jahreszeit, zu der die Enzyklika Maximum illud den Auftakt gegeben hatte, ermöglichte den Missionaren, nun frei von den perversen Verflechtungen mit Nationalismus und Kolonialismus, einen größeren Handlungsspielraum. Letztere hatten besonders in China das Entstehen einer autochtonen Hierarchie behindert. Ganz zu schweigen von den zaghaften ersten ökumenischen Gesprächen, zu denen es in Malines mit Einvernehmen des Papstes – der nicht mehr lange zu leben hatte – kommen konnte.
Kardinal Mariano Rampolla del Tindaro.

Kardinal Mariano Rampolla del Tindaro.

Was Italien oder besser die Römische Frage betrifft, konnte gerade dank der loyalen Beziehung Benedikts zu seinem alten Schulkameraden Baron Carlo Monti, Generaldirektor für Kultangelegenheiten und – auf reserviertem Wege – mit den Angelegenheiten der italienischen Regierung beim Hl. Stuhl betraut, jene „offiziöse Aussöhnung“ beginnen, nach der die jüngst veröffentlichten Tagebücher Montis benannt wurden. Bücher „voller Authentizität und Lebensnähe“ – wie Kardinal Silvestrini im Vorwort schreibt.
So haben wir also Benedikt XV. und Gasparri die Entstehung der italienischen Volkspartei zu verdanken (der Appello ai liberi e forti stammt vom 18. Januar 1919) – wenn vielleicht auch ungewollt. „Die Entstehung der Volkspartei erfolgte spontan, ohne jegliches Eingreifen des Hl. Stuhls, weder dafür noch dagegen,“ schreibt Gasparri in seinen Memoiren. Aber doch in dem Sinne, daß sie gemäß jenen Koordiaten der Akonfessionalität und des Reformismus entstand, die sie Italien vermachten als entscheidenden Faktor für das „größere Wohl im Zusammenleben“ – wie es Gasparri nannte. Und das haben sie sicher gewollt, schreibt Pater Sale, auch entgegen jenen Teil der Katholiken und Bischöfe, der „die Schaffung einer katholischen Partei im Sinn hatte, die vollkommen den Weisungen der Hierarchie unterstand“.
Explicit.



Die bisher in 30Tage erschienenen Artikel von Lorenzo Cappelletti
über die Päpste namens Benedikt sind:

1)Nomen omen, Nr. 10,
Oktober 2005, SS. 64-69;

2)Ein diskontinuierliches
„continuum“ , Nr. 11,
November 2005, SS. 38-43;

3)Die Reformatoren unter den Benedikts, Nr. 12, Dezember 2005, SS. 40-45.


Italiano Español English Français Português