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NEW AGE
Aus Nr. 05 - 2003

68er Protest, Mystik, Satanismus


Die Aktualität der antiken Gnosis und ihrer Entartungen, die sich auch auf höchster Ebene ins katholische Denken einschleichen können. Interview mit Alessandro Olivieri Pennesi, Dozent der Päpstlichen Universität Lateranense.


von Giovanni Cubeddu


Das Letzte Abendmahl, Salvador Dalí, 1955, National Gallery of Art, Washington.

Das Letzte Abendmahl, Salvador Dalí, 1955, National Gallery of Art, Washington.

Die Frage des New Age und die Aktualität der gnostischen Glaubensformen hat zwei Päpstliche Räte, den für die Kultur und den für den interreligiösen Dialog, kürzlich dazu veranlaßt, ein gemeinsames Dokument in der Form eines „provisorischen Berichts“ vorzulegen, der nicht nur ein Führer für mit dem Predigen des Evangeliums und der Lehre des Glaubens auf jeder Ebene der Kirche befaßten Katholiken sei soll („Guida per i cattolici impegnati nella predicazione del Vangelo e nell’ insegnamento della fede ad ogni livello della Chiesa“), sondern auch eine „Einladung, diese kulturelle Strömung zu verstehen.“
Der einzige italienische Autor, der in den Studi cristiani zitiert wird, die von den Verfassern des Berichts herangezogen wurden, ist Alessandro Olivieri Pennesi, römischer Priester und Dozent an der Universität Lateranense – dank seines von der Libreria Editrice Vaticana herausgegebenen Il Cristo del New Age. Ein informativer Text, der mit einem Kapitel über Christus in der zeitgenössischen Gnosis beginnt (die, ebenso wie die antike, der „Gegenwart jeden Wert abspricht“ und prinzipiell jede Möglichkeit eines Heils in der Geschichte für den Menschen ausschließt) und den „gemeinsamen esoterisch-okkulten Background“ jener herausstellt, die „zu denselben Quellen“ Zugang haben wie die Christen und diese interpretiert haben in der Anmaßung, sie zu übertreffen, im Hinblick auf eine neue Ära und um einen „allzeitigen Christus“ neu zu bekräftigen, abstraktes und nüchternes Prinzip.
Unser Gespräch mit Don Olivieri Pennesi nimmt bei dem vatikanischen Dokument Ausgang.
ALLESSANDRO OLIVIERI PENNESI: In Gelehrtenkreisen hatte man schon lange mit der Veröffentlichung eines derartigen vatikanischen Dokument gerechnet. Und nicht wenige stellten fest, daß es, trotz der langen Vorbereitungszeit, mit großer Verspätung herausgegeben wurde. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, daß der Papst schon 1993 bei Begegnungen mit den nordamerikanischen Bischöfen vor der Ausbreitung des New Age gewarnt hatte, die, in vollem Bewußtsein dieses Phänomens, bereits Hirtenbriefe über die in einigen lokalen Gemeinschaften erfolgte „Ansteckung“ herausgegeben hatten. In Italien hatte auch die CEI im Jahr 1993 mit ihrem Dokument über die pastoralen Bemühungen der Kirche angesichts neuer religiöser Bewegungen und Sekten darauf aufmerksam gemacht. Der Versuch der vatikanischen Verfasser, ein „Arbeitsinstrument“ anzubieten, das mehr oder weniger überall zum Einsatz kommen kann – immerhin konnte sich das Phänomen New Age von Lateinamerika bis Japan ausbreiten –, ist sehr zu schätzen.
Diese Verhaltensweisen und Glaubensformen scheinen inzwischen in alle Bevölkerungsschichten vorgedrungen zu sein.
OLIVIERI PENNESI: Das Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre von 1989, Lettera ai vescovi della Chiesa cattolica su alcuni aspetti della meditazione cristiana, ist bereits ein maßgeblicher Text in Bezug auf die der neuen Aktualität der antiken Gnosis zu widmende Aufmerksamkeit, nach der das Heil durch die wenigen vorbehaltene esoterische Erkenntnis erreicht würde. Bezüglich der Praxis des New Age (oder der Gnosis, was mehr oder weniger dasselbe ist) in der Bevölkerung gibt es zahlreiche Beispiele. Um nur eines zu nennen: das letzte vatikanische Dokument über New Age verweist auf den in alarmierender Weise verbreiteten Gebrauch des enneagramma (Neuner-Symbolik): ein Symbol, das ursprünglich Initiations-Charakter hatte, sich im esoterisch-synkretistischen Bereich herausbilden konnte und in der Folge zum System der Klassifizierung der Persönlichkeit in neun psychologische Typen wurde, die der Suche nach einer Selbstverwirklichung auf esoterischem und/oder magischem Weg dient. In letzterem Fall hat die Selbstvergöttlichung als letztes Ziel den Erwerb von Macht, was sich auch in der extremen Form des Satanismus konkretisieren kann. Hier sind wir im Bereich tiefster Gnosis. In gewissen angloamerikanischen christlichen Kreisen findet diese Methode im Bereich der geistlichen Führung und Leitung Raum (die amerikanischen Bischöfe haben eine eigene, dem Studium dieses Phänomens gewidmete Kommission geschaffen).
Was fällt Ihnen in der theologischen Reflexion auf?
OLIVIERI PENNESI: Im Bereich des interreligiösen Dialogs kenne ich Autoren, die die Suche nach Berührungspunkten mit den orientalischen Religionen dazu führt, sich letztendlich gnostischen Themen zu verschreiben.Dazu kommt noch, daß es eine katholische Umwelt-Spiritualität gibt, die sich gewissermaßen die Vergöttlichung der geschaffenen Welt in der Mutter Erde zueigen macht (und nicht einzusehen ist, warum man dann nicht den universalen Archetypus der jungfräulichen Mutter an die Stelle der Jungfrau Maria treten lassen sollte). Diese Themen kommen auch in einigen Schriften vor, wie bei Leonardo Boff und dem Ex-Dominikaner Matthew Fox, der in Oklahoma die University of Creation Spirituality gegründet hat. Im allgemeinen eliminiert, wer diese Themen vertritt, die Ursünde und ersetzt sie durch den „Ursegen.“ Demnach muß der Mensch, wenn er gut ist und keinerlei Gnade notwendig hat, selbst sehen, wie er den Funken Gottes, der sich von Anfang an in ihm befindet, wiederfinden kann. Die Dialektik zwischen Natur und Gnade ist aufgehoben. Es gibt auch eine Theologie der Energie, die den dem New Age so teuren kosmischen Fluß übernommen hat und im Bereich der katholischen Inkulturation vor allem im Fernen Osten zuhause zu sein scheint.
Wie kann es Ihrer Meinung nach zu einer Verzerrung des Glaubens kommen?
OLIVIERI PENNESI: Indem man vereinfacht, will man, wenngleich in der besten Absicht, à la page sein, auf den Menschen von heute zugehen, wobei man sich jedoch im Grunde degradiert und glaubt, daß der religiöse Sinn der Faktor der Begegnung sei. Und dann behauptet diese Gnosis New Age, den Menschen ohne Leiden umwandeln zu können, hebt den Gedanken der Sünde auf. Während im christlichen Leben das Geheimnis des Kreuzes, des Schmerzes, den Jesus erlitten hat, gegenwärtig ist. Wenn das Heil nicht mehr von Jesus kommt, ist es ein nicht katholischer Gedanke vom von selbst erlangten Heil, der auch gewisse kirchliche Kreise in seinen Bann ziehen kann. Wie in der Prophecy of Celestine von James Redfield, zeitgenössische gnostische Bibel, wo man nach neun Graden die vollkommene Erleuchtung erlangt. Oder wie in der sogenannten, in nordamerikanischen Kreisen vorkommenden Catholic theology of the process, die Gefahr läuft, dem von selbst erlangten Heil Tür und Tor zu öffnen.
Es gibt Schriften von dem amerikanischen Ordensmann Maloney über New Age und christlichen Mystizismus, die für New Age Partei zu ergreifen scheinen, indem sie auf Prinzipien wie das „christische Bewußstein“ verweisen: etwas, das von einem gewissen Gesichtspunkt aus, keine Schwierigkeiten hat sich auch auf höchster Ebene in das katholische Denken einzuschleichen.
Ein nicht katholisches Denken kann also auch in der Kirche Einlaß finden...?
Die verzerrten Interpretationen der Pastoralität des II. Vatikanischen Konzils sind daran nicht unschuldig, z.B. die Mißverständnisse um die den „Zeichen der Zeit“ zu widmende Aufmerksamkeit. New Age ist sicher ein Zeichen der Zeit, mit dem man sich auseinandersetzen muß, darin sind wir uns einig... aber nicht, um die Tradition zu verlassen, das Konkrete, wozu die Gnosis schon immer neigte.
OLIVIERI PENNESI: Die verzerrten Interpretationen der Pastoralität des II. Vatikanischen Konzils sind daran nicht unschuldig, z.B. die Mißverständnisse um die den „Zeichen der Zeit“ zu widmende Aufmerksamkeit. New Age ist sicher ein Zeichen der Zeit, mit dem man sich auseinandersetzen muß, darin sind wir uns einig... aber nicht, um die Tradition zu verlassen, das Konkrete, wozu die Gnosis schon immer neigte. Aldo Natale Terrin behauptet bei seiner Auseinandersetzung mit der Postmoderne, daß die heutige Kirche in der Akzeptanz einer doppelten Zugehörigkeit lebt: katholisch (aber auf welche Weise?) und gleichzeitig etwas anderes sein zu können, mit der Anmaßung, ungestraft auch zu anderen Quellen Zugang zu haben. Diese doppelte Zugehörigkeit wäre demnach nicht nur im Innern der Kirche auf verschiedenen Ebenen akzeptiert, sondern wäre auch Teil des Angebots der Kirche für den heutigen Menschen. Ein stillschweigender, innerer und äußerer, Pakt also. Aldo Natale Terrin fügt noch an, daß das auf Religion reduzierte Christentum sich in keinster Weise vor New Age schützen, sich nicht verteidigen kann, weil es in sich den Geist einer Epoche trägt, die nicht die Absicht hat, sich einer klar definierten religiösen Welt entgegenzustellen (vgl. Terrin, New Age. La religiosità del postmoderno, Bologna 1993, S. 247). Außerdem birgt New Age eine ernstzunehmende Gefahr; die Zeitschrift Jesus (März 2003) behauptet, daß es im Bereich der Esoterik und des Okkultismus angesiedelt werden müßte. Damit bin ich einverstanden, denn New Age dient nur als Etikett für diese Inhalte und tut im Grunde nichts anderes, als zu bezeugen, wie weit verbreitet Esoterik und Okkultismus inzwischen sind.
Und wie sehr sind sie das?
OLIVIERI PENNESI: Malraux soll einmal einen, unter einem gewissen Aspekt zugleich beunruhigenden und prophetischen Ausspruch geprägt haben, nach dem das 21. Jahrhundert entweder mystisch oder überhaupt nichts sein würde. Zusammen mit dem Verlust der Erfahrung des Glaubens in Europa, das sich christlich wähnte, macht das verständlich, wie verbreitet das Anhängen an einen Glauben sein kann, der heidnisch ist, vorchristlich (die Ur-Schöpfung wird von einer „Wieder-Verzauberung“ der Welt überlagert, eine mystische, magische Anschauung wiederaufgreifend, die die Erstevangelisierung beiseite geschoben hatte). Und hier kommt auch wieder die doppelte Zugehörigkeit ins Spiel, die wir bereits angesprochen haben.
Und schließlich liegt ein gewisser Satanismus bereits in nuce in den Wurzeln des New Age, bzw. in der Theosophie, wo die Teufelsanbetung vorgesehen ist. Luzifer wäre demnach nicht das Böse, sondern die andere Seite Gottes. Der kulturelle Stiftung, auf die sich Alice Bailey bezog, eine erste Vorbotin der neuen Ära, hieß Lucis Trust (Lucis steht für „Lucifer“). Ihre Zeitschrift hat viel über Jacob Frank geschrieben, den Frankismus... über die Reinigung durch das Böse (da für die Frankisten das Böse selbst von Gott kommt).
Der Versuch der Vergöttlichung des Menschen, den das New Age propagiert, durch eine Umwandlung, die zustandegebracht werden kann, indem man an sich selbst arbeitet, beruht auf dem Wiederaufgreifen des Gedankens der Alchimie. In der Prophecy of Celestine kommt die Metapher der Spiritualisierung des Menschen vor, der reine Energie wird: ein gnostischer Versuch, wieder beim göttlichen Funken anzulangen. Der sich auch in einem anderen der maßgeblichen Texte des New Age findet, Course in miracles. Es handelt sich dabei um ein Buch, das in akademischen Kreisen in Amerika entstanden ist, ein Werk der Jüdin Helen Schucman. Diese behauptete, mit ihrem Innersten in Kontakt zu treten, dort die „Offenbarung“ Christi zu empfangen...
Die historische Gestalt Jesu Christi wird also im New Age sozusagen null und nichtig?
OLIVIERI PENNESI: Was sollte aber ohne historische Hoffnung aus dem Christentum werden? Die New-Age-„Gelehrten“ sprechen u.a. von einer „Christosophie“, die gegen die Geschichte geht, die auf alternative oder apokryphische Texte zurückgreift, als „Lückenbüßer“ zwischen der Darstellung im Tempel und dem öffentlichen Leben Jesu, um still und heimlich – wie es die „Achtundsechziger“ getan haben – die esoterischen Reisen Jesu, seine Inititation bei den Essenern der Qumran Gemeinschaft, oder seine Besuche im buddhistischen Indien einzuflechten... Und symptomatisch ist das Beispiel einer Publikation wie Re Nudo, wo jene, die den 68er Protest miterlebt haben, über ihren ursprünglichen Marxismus und so manchen Umweg schließlich zu einer neuen Haltung der gnostischen Art gefunden haben. Und wäre es – in Zeiten, in denen die Eschatologie alle zu einem letzten Weltkrieg führen möchte – nicht interessant, eine politische Interpretation der Folgen einer solchen neuen Haltung zu wagen?




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