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SECHZIG JAHRE REPUBLIK ITALIEN
Aus Nr. 05 - 2006

Zwischen Republik und Verfassungsgebender Versammlung


Das Referendum vom 2. Juni um die Entscheidung zwischen Monarchie und Republik. Die Wahl und die Arbeiten der Verfassungsgebenden Versammlung. Die ersten Regierungen De Gasperi und ein Land im Wiederaufbau. Das grundlegende Gesetzesdokument des Staates.


von Giovanni Sale S.I.


Im Hintergrund, eine Demonstration für die Verfassungsgebende Versammlung in Turin im Oktober 1945; der Corriere della Sera vom 6. Juni 1946, La Voce Repubblicana 
vom 9. Oktober 1947, ein Plakat der sozialistischen Partei Italiens und eines der Democrazia cristiana, ein Foto von Nenni, Ruini, Vernocchi, De Gasperi und  Togliatti zur Zeit der 1. Regierung De Gasperi (10. Dezember 1945-13. Juli 1946).

Im Hintergrund, eine Demonstration für die Verfassungsgebende Versammlung in Turin im Oktober 1945; der Corriere della Sera vom 6. Juni 1946, La Voce Repubblicana vom 9. Oktober 1947, ein Plakat der sozialistischen Partei Italiens und eines der Democrazia cristiana, ein Foto von Nenni, Ruini, Vernocchi, De Gasperi und Togliatti zur Zeit der 1. Regierung De Gasperi (10. Dezember 1945-13. Juli 1946).

Am 2. Juni 1946 wurde der gesamte Wahlkorpus von der Nationalen Einheitsregierung einberufen, um über zwei wichtige Fragen zur neuen Zusammensetzung des Staates Stellung zu nehmen: der Lösung des umstrittenen konstitutionellen Problems (Monarchie oder Republik) und der Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung, die mit der Formulierung der Charta des neuen Staates befaßt sein sollte. Das Referendum endete mit der Entscheidung für die Republik – 2 Millionen mehr Stimmen als für die Monarchie. Ein Ergebnis, das von monarchiefreundlichen politischen Kräften nicht anerkannt wurde, die mehrfach versuchten, beim Kassationshof Berufung einzulegen. Letzterer bestätigte am 18. Juni – die Aussagen des Innenministeriums vom 10. Juni bestätigend – den Sieg der Republik. All das verzögerte den institutionellen Übergang jedoch um eine Woche – ein Übergang, der nicht gerade schmerzlos vor sich ging. Das Ergebnis des Referendums legte den Akzent auf die tiefgehende politische, soziale und kulturelle Spaltung des Landes: dem hauptsächlich republikanischen, politisch gesehen „progressiven“ Norditalien stand der Süden gegenüber, der die Monarchie befürwortete und politisch gesehen eher konservativ war. In diesem Sinne hatte Ministerpräsident Alcide De Gasperi in einer Unterredung vom 21. Mai 1946 mit dem Nuntius in Italien, Mons. Francesco Borgongini Duca, folgende prophetische Äußerung gemacht: „Der südliche Teil Italiens, bis knapp über Rom, wird zu 70% für die Monarchie stimmen, bei einer Bevölkerungszahl von 18 Millionen; was den Rest Italiens – mit 22 Millionen Menschen – betrifft, wird das Verhältnis bei 70% für die Republik liegen, die Mehrheit ist letzteren also gewiß“ (Archiv Civiltà Cattolica).
Dabei wiederholte die „politische Abstimmung“, also die der Verfassungsgebenden Versammlung, in einem gewissen Maß die administrativen Wahlen im Frühling. Die christdemokratische Partei „Democrazia cristiana“ wurde als führende politische Partei des Landes bestätigt (8.012.355 Stimmen), gefolgt von Sozialisten (4.674.977 Stimmen) und Kommunisten (4.287.054); die Summe der Stimmen der beiden linksgerichteten Parteien war – wenn auch nur geringfügig – größer als die der Christdemokraten allein. Die Wähler – zum ersten Mal auch die Frauen – hatten die sogenannten Massenparteien prämiert, jene also, die sich am Widerstand beteiligt hatten und nun von den Wählern gerufen wurden, die Verfassungscharta neu zu schreiben. Das Ergebnis der Wahlen wurde von der DC und der vatikanischen Hierarchie überaus positiv beurteilt – die Parteien des linken Flügels dagegen interpretierten es als eine unerwartete Niederlage. Ihr Engagement während der Wahlkampagne – sowohl durch straffe Organisation als auch die Aufwendung beträchtlicher Finanzierungen aus dem Ausland, besonders der Sowjetunion – war so groß gewesen, daß man mit einem zufriedenstellenden Wahlergebnis gerechnet hatte. Für die PCI (kommunistische ParteiItaliens) war die Niederlage besonders bitter. Immerhin war sie im Partisanenkampf aktiv gewesen und hatte in den nationalen Befreiungskomitees das Sagen gehabt. Sie erhielt nicht nur weniger Stimmen als ihr „Konkurrent“, die Democrazia cristiana (104 Abgeordnete verglichen mit den 207 der DC), sondern wurde sogar von ihrem sozialistischen Verbündeten überrundet (115 Abgeordnete), die somit die wichtigste Partei des linken Flügels wurden. So führte die Wahlniederlage zu einer „Erschütterung“ der PCI, zu Kritiken seitens des radikaleren Flügels der Partei, angeführt von Secchia und Longo, und zur nachgiebigen Linie einer „progressiven Demokratie“ in Richtung Sozialismus, den Togliatti seit der ersten Nationalen Einheitsregierung (1944) vertrat. Trotz der gegen Togliatti vorgebrachten Kritik war den Leitern der PCI in Wahrheit klar, daß es – zumindest im Moment – nicht möglich war, die politische Strategie zu ändern, weil das zu einer Isolierung der PCI im Innern der Gruppe der demokratischen Mächte geführt und sie dazu verurteilt hätte, Oppositionspartei zu werden. Und das auch schon aus dem Grund, weil Stalin nicht die Absicht hatte, die italienischen Kommunisten bei einer eventuellen Revolutions-Erhebung zu unterstützen, die darauf abzielte, Italien den Sozialismus aufzuerlegen. Schließlich gehörte die Halbinsel auf der Grundlage des Abkommens von Jalta nicht zum sowjetischen Einflußbereich, und ein Einschreiten hätte, wie schon in Griechenland, eine prompte Reaktion seitens der Amerikaner und Engländer ausgelöst, deren Waffen noch immer in Europa stationiert waren, was wiederum einen neuen Krieg hätte auslösen können – und das konnte sich die UdSSR damals wirklich nicht leisten. Die PCI beschloß, erst einmal auf der Linie der zum Teil bereits konsolidierten Erfahrung der Nationalen Einheitsregierungen weiterzumachen, im Land den politisch-gewerkschaftlichen Kampf auszubauen, um die Arbeiter für die Partei zu begeistern – und natürlich auch die breite Mittelschicht, die bei den letzten Wahlen für die DC gestimmt hatte. Kurzum: die PCI organisierte sich dergestalt, daß sie Regierungspartei und gleichzeitig auch Kampfpartei, also Oppositionspartei, sein konnte. Diese Ambiguität war natürlich nicht gerade der Stabilität und dem einheitlichen Handeln des neuen Ministerstabs dienlich, mit De Gasperi an der Spitze, und war monatelang – bis zum Ausschluß der Links-Parteien aus der Regierung im Mai 1947 – Quelle ständiger Konflikte zwischen dem Ministerpräsidenten und Togliatti, aber auch der Instabilität im Handeln der Regierung.

Institutionelle Ämter und die Regierung De Gasperi
Sofort nach den Wahlen begannen die „großen Manöver“ zwischen den Parteien zur Lösung der wichtigsten institutionellen Fragen, wie der Wahl des provisorischen Präsidenten, dem Vorsitz der neuen Verfassungsgebenden Versammlung, und – unmittelbar danach – der Bildung der neuen Regierung. „Was die Nachfolge angeht, also die Republik,“ vertraute De Gasperi dem Nuntius in Italien an, „wurde mir eine Dreiparteien-Regierung vorgeschlagen: der Vorsitz der Republik sollte mir zukommen, der Posten des Ministerpräsidenten Nenni oder Romita […]. Den Kommunisten das Außenministerium; aber ich möchte nicht Staatspräsident werden: ich kann mir Nenni nicht als Regierungschef vorstellen – Togliatti noch weniger. Da würde ich schon eher die Sozialisten von den Kommunisten ‚abkoppeln‘, ersteren den Vorsitz der Republik vorschlagen, und ich würde dort bleiben, wo ich bin. Wenn sie sich abkoppelten, würden die Kommunisten nicht ins Kabinett einziehen: aber wird das gelingen? Ich frage mich: ‚Kann die Democrazia cristiana mit den anderen monarchischen Parteien gemeinsam dem linken Flügel standhalten?‘. Die Antwort lautet: ‚Ja! Wir haben arithmetisch gesehen genug, um uns über Wasser zu halten, aber nicht auf lange Sicht‘“ (Archiv Civiltà Cattolica). Auf Anraten De Gasperis schlugen die wichtigsten politischen Leaders vor, den Vorsitz der Verfassungsgebenden Versammlung dem Sozialisten Nenni anzuvertrauen; dieser jedoch zog es vor, das Angebot zugunsten Saragats abzulehnen, da er damals meinte, daß sich seine Partei an der neuen republikanischen Regierung beteiligen müsse: in der Hoffnung, ein Amt mit Schlüsselfunktion zu ergattern, die sich ja dann auch erfüllte. Die Verfassungsgebende Versammlung nahm ihre Arbeit am 25. Juni auf, mit der Wahl ihres Präsidenten, dem Sozialisten Giuseppe Saragat, dem nur kurze Zeit später der Kommunist Umberto Terracini nachfolgte.
Als provisorischer Präsident war Benedetto Croce im Gespräch. Eine Kandidatur, die beim Hl. Stuhl nicht gern gesehen war: Croce war nämlich in Italien der bekannteste Vertreter des idealistisch-immanentistischen Denkens, das die katholische Kirche lange Zeit erbittert bekämpft hatte. Ihn zum Staatspräsidenten zu wählen, bedeutete zu bekräftigen, daß das republikanische Italien im Zeichen der antikatholischen liberalen Tradition geboren wurde, und das in einem Moment, in dem das italienische Volk die Mehrheit der Stimmen einer christlich inspirierten Partei gegeben hatte. Und es hätte auch bedeutet, die Aussöhnung zwischen Staat und Kirche des Jahres 1929, gegen die sich Croce im Senat ausgesprochen hatte, aufs Spiel zu setzen und die von den Lateranverträgen sanktionierten Grundprinzipien über Bord zu werfen. De Gasperi stellte sich entschieden gegen die Kandidatur Croces (und auch gegen die des von den Kommunisten vorgeschlagenen Nitti), um dem Vatikan einen Gefallen zu tun, aber auch, weil man mit dieser Kandidatur die Democrazia cristiana in Schwierigkeiten bringen wollte – er schlug die Namen Orlando und De Nicola vor. Am 28. Juni wählte die Verfassungsgebende Versammlung Enrico De Nicola zum provisorischen Präsidenten, der von 1920 bis 1924 Präsident der Abgeordnetenkammer und 1943, während seines kurzen Aufenthalts in Salerno, der weitsichtige Berater von Vittorio Emanuele III. gewesen war. Am Ende nahm er – auf Drängen De Gasperis – die Kandidatur an, die wiederum von allen Parteien bestätigt wurde, wenn auch unter der Bedingung, daß sein Mandat nur solange dauern würde, wie für dieses provisorische Amt vorgesehen.
Die Einführungssitzung der Verfassungsgebenden Versammlung 
in der Aula von Montecitorio am 25. Juni 1946.

Die Einführungssitzung der Verfassungsgebenden Versammlung in der Aula von Montecitorio am 25. Juni 1946.

Nach der Ernennung des provisorischen Staatschefs trat die Regierung von Ministerpräsident De Gasperi zurück. Präsident De Nicola übertrug dem ausscheidenden Ministerpräsidenten, der auch der Leader der Partei gewesen war, die die vorherigen politischen Wahlen gewonnen hatte, die Aufgabe, das neue Kabinett zu bilden. So kam es zur 2. Regierung De Gasperi, die von den drei Massenparteien gestützt wurde, den Christdemokraten, den Sozialisten, den Kommunisten, und auch den Republikanern. De Gasperi war auch für das Innenministerium zuständig und übernahm ad interim (bis zur Unterzeichnung des Friedensvertrages) auch das Außenministerium: später sollte es dann von Nenni übernommen werden. Die Kommunisten stellten vier Minister, u.a. den Justizminister (Gullo) und den Finanzminister (Scoccimarro); dieselbe Zahl an Ministern hatten die Sozialisten. Die übrigen Ministerposten wurden der DC übertragen (der für das Öffentliche Bildungswesen ging an Gonella). Togliatti zog es, wie bereits gesagt, trotz des Drängens De Gasperis vor, sich aus der Regierung herauszuhalten, um sich um die Partei kümmern zu können.
Das erste große Problem der neuen Regierung war die Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit: Die Inflation hatte Hochkonjunktur, erreichte in jenem Jahr mit 35% ihren Höhepunkt; auf dem Inlandsmarkt waren nur schwer Grundnahrungsmittel wie Brot zu bekommen. Auch die von den Aliierten (UNRRA) versprochenen Hilfsgüter ließen auf sich warten, und so bereitete sich die italienische Bevölkerung auf einen harten Winter vor. Die Parteien des linken Flügels halfen der Regierung nicht, die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, sondern strebten eine Zuspitzung des politischen Kampfes an. Auf den Plätzen und in den Zeitungen wurden sie nicht müde, die Freihandelspolitik der Regierung für die Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen – die die Arbeiter an den Bettelstab brachte, indem sie die Löhne gering hielt (und so die landesinterne Nachfrage verringerte), und Confindustria und die ohnehin schon Finanzstarken begünstigte – und nicht realisierbare Politikprogramme nach sowjetischem Modell vorzuschlagen. Diese „zweigleisige“ Politik, die damals vor allem von der PCI vorangetrieben wurde, unterstützte das Land nicht bei dem Versuch, aus der schweren Wirtschaftskrise herauszukommen, sondern half der Partei Togliattis, das Leadership der Arbeiterbewegung in Italien wieder an sich zu reißen. Indem er sich auf diese politische Taktik berief, gelang es ihm, seiner Partei – die vom jüngsten Wahlkampf moralisch stark angeschlagen war – neuen Auftrieb zu geben und die Regierung in Schach zu halten.
Damals (Anfang Januar 1947) reiste De Gasperi zum ersten Mal in die USA. Von der Regierung dieses mächtigen und reichen Landes erhoffte er sich Wirtschaftshilfen und Unterstützung in verschiedenen Fragen um das Friedensabkommen: die Reise war politisch gesehen sehr nützlich und ermöglichte die Wirtschaftshilfen, die Amerika unserem Land in der Folge noch leisten sollte. In der Zwischenzeit hatte sich die politische Situation in Italien jedoch zusehends verschlimmert: durch die „Amerikareise“ des Ministerpräsidenten spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Christdemokraten zu. Nachdem die Republikaner der Regierung ihre Unterstützung entzogen hatten (19. Januar), reichte De Gasperi sein Rücktrittsgesuch ein und wurde wieder vom Staatschef damit beauftragt, eine neue Administration zu bilden. Die 3. Regierung De Gasperi war eine Neubildung der vorherigen, wenn auch mit einer neuen Verteilung der Ministerposten.
Die Zusammensetzung der neuen Regierung wurde in den ersten beiden Tagen des Monats Februar 1947 beschlossen: der DC wurden sechs Ministerämter übertragen, in Wahrheit die entscheidenden, die anderen sechs gingen an den linken Flügel (drei an die Kommunisten und drei an die Sozialisten). Die PCI mußte auf das Finanzministerium verzichten, das dem Christdemokraten Campilli übertragen wurde; das Justizministeramt blieb ihr jedoch – in der Person Gullos – erhalten. In die neue Dreiparteien-Regierung traten noch zwei Unabhängige ein: Gasparotto ins Verteidigungsministerium, und der aus der Diplomatie kommende Sforza ins Außenministerium. Das Innenministerium dagegen wurde dem Christdemokraten Scelba anvertraut. In Wahrheit war gerade das – abgesehen davon, daß das Außenministerium einem Unabhängigen anvertraut wurde – die große Neuheit des neuen Kabinetts: De Gasperi wollte mit diesem Minister die öffentliche Ordnung unter Kontrolle halten. Wie viele Christdemokraten auch, war er besorgt darüber, daß ein Großteil der Staatspolizei nicht von der öffentlichen Autorität kontrolliert war, sondern von Sektionen der Parteien des linken Flügels. Scelba schien damals der richtige Mann zu sein, den Sektor der öffentlichen Sicherheit zu kontrollieren; eine Aufgabe, die er in den folgenden Monaten entschieden vorantrieb. Die Haltung des Hl. Stuhls – der über den Kanal der Nuntiatur Italiens stets über die komplizierten politischen Entwicklungen unterrichtet war – war in dieser ganzen Zeit eine überaus reservierte. Das von Civiltà Cattolica über Beratungen geführte Tagebuch besagt: „In Sachen italienische Situation,“ berichtete Pater Martegani, „hat der Heilige Vater erklärt, sich heraushalten zu wollen, solange es die Interessen der Religion nicht erforderlich machten; sollte es aber doch nötig sein, wolle er mit der gewohnten, auch schon Präsident De Nicola gegenüber gezeigten Unnachgiebigkeit auf der Einhaltung der Lateranverträge und anderer Belange der neuen Verfassung bestehen, die die Kirche direkt betreffen.“ Das bedeutete, daß der Hl. Stuhl nicht in die Debatte eingreifen wollte, die unter den politischen Parteien hinsichtlich der Bildung des neuen Kabinetts entbrannt war; sein Interesse ging allein dahin zu garantieren, daß die neue Koalition die Rechte der Kirche nicht mißachtete; man wußte natürlich, daß man, solange der Regierungskurs von der DC bestimmt würde, von der öffentlichen Autorität nichts zu fürchten hatte.
Die neue Regierung (die zweite aus drei Parteien zusammengesetzte und dritte De Gasperis) leistete dem provisorischen Präsidenten am Morgen des 2. Februar den Treueeid; die Unterbreitung des Regierungsprogramms vor der Verfassungsgebenden Versammlung sollte auf einen Zeitpunkt nach der Wahl des neuen Präsidenten der Versammlung verschoben werden, zu der es am 8. Februar kommen konnte: sein Name war Umberto Terracini. Unmittelbar danach legte der Präsident der Versammlung das Programm der neuen Regierung vor und bestand darauf, daß Italien den Friedensvertrag unterzeichnete. Die Frage der Revision der schmerzlichsten Klauseln wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben; den Moment, in dem es die internationalen Beziehungen möglich machen würden. Das Abkommen wurde wie vorgesehen am 10. Februar in Paris für Italien von Botschafter Meli Lupi di Soragna unterzeichnet, wobei im Land aus Protest 10 Schweigeminuten eingehalten wurden. Am 2. Februar wurde der 3. Regierung De Gasperi das Vertrauen ausgesprochen. Einer Regierung von kurzer Dauer; Historiker und politische Beobachter betrachteten sie als eine einfache Übergangsregierung, auch wenn sie das nicht in den Köpfen derer war, die sie unterstützten. Sie dauerte nur drei Monate (vom 2. Februar bis zum 13. Mai 1947): aber in dieser kurzen Zeit ereigneten sich in der italienischen und weltweiten Politik entscheidende Dinge, die das Schicksal Europas, und nicht nur, die nächsten 50 Jahre prägen sollten. In dieser Periode verschärfte sich nämlich die schon lange schwelende internationale Krise, und die politisch-strategische Auseinandersetzung zwischen USA und Sowjetunion trat unübersehbar ans Tageslicht: die Zeit des „Kalten Krieges“ zwischen den beiden Supermächten war angebrochen.

 Botschafter Antonio Meli Lupi di Soragna  unterzeichnet für Italien in Paris das Friedensabkommen (10. Februar 1947).

Botschafter Antonio Meli Lupi di Soragna unterzeichnet für Italien in Paris das Friedensabkommen (10. Februar 1947).

Der notwendige Verfassungs-Kompromiss
Der provisorische Verfassungstext, der von der „Kommission der 75“ entworfen und dann vom „Komitee der 18“ überarbeitet worden war, wurde der Verfassungsgebenden Versammlung am 4. März 1947 zur Diskussion und Approbation vorgelegt. Präsident Terracini legte die Ordnung der Arbeiten wie folgt fest: allgemeine Diskussion über die Struktur der Verfassungscharta; Überprüfung der 10 Titel, aus denen sie sich zusammensetzte (vier des ersten Teils zu „Rechten und Pflichten der Bürger“, sechs des zweiten Teils zu „Ordnung der Republik“); dann noch die Überprüfung der einzelnen Artikel. Die allgemeine Diskussion klang am 12. März mit einer Ansprache des Präsidenten der „Kommission der 75“ aus. Die am 13. begonnene Diskussion über die Titel dauerte dagegen bis zum 21. März. An diesen lebhaften Diskussionen beteiligten sich die wichtigsten Vertreter der politischen Kräfte: sowohl Männer der alten liberalen Garde als auch die neuen Leaders der sogenannten „Massenparteien“, darunter so namhafte Persönlichkeiten wir Calamandrei, Mortati, Croce, Marchesi, La Pira. Danach ging man zur Überprüfung und Approbation der einzelnen Artikel über. Diese Phase begann am 22. März und klang – nach einer langen Sommerpause (vom 22. Juli bis 10. September) – am 22. Dezember aus, als über den definitiven Text abgestimmt wurde, der dann am 1. Januar 1948 in Kraft trat.
Was das Modell der neuen Verfassung anging, kristallisierten sich in der Verfassungsgebenden Versammlung zwei – in einem gewissen Sinne entgegengesetzte – Tendenzen heraus: die Vertreter der alten vorfaschistischen Führungsklasse schlugen eine Art „kurze“ Verfassung vor, nach dem Modell des Albertinischen Statuts, in gewisser Kontinuität mit den alten Institutionen der liberalen Tradition, so als wären der Faschismus, der Krieg und der Befreiungskampf einfach nur eine Episode, ja fast schon ein bedeutungsloses Intermezzo der jüngsten Vergangenheit gewesen, die man irgendwie aus dem Weg schaffen, vergessen müsste. Die Repräsentanten der großen Massenparteien dagegen, die im Widerstand aktiv gewesen waren und in diesem Moment das Land regierten, schlugen eine „lange“ Verfassung vor, die in einem gewissen Sinne den Bruch mit der institutionellen Vergangenheit des Landes bedeutete und Platz schaffen sollte für die großen Ideale der Freiheit, für die man gegen die Diktaturen gekämpft hatte, wie auch für die Grundprinzipien ihrer politischen Sicht. So kam es, daß die Katholiken in die neue Charta ihre Sensibilität in Sachen Menschenrechte einbrachten, den Schutz der Familie und der anderen intermediären Organismen, auch auf institutioneller Ebene (lokale Autonomie und administrative Dezentralisierung); die Partein der Linken dagegen waren empfänglich für Probleme, die mit den Themen Arbeit und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft zusammenhingen. Sie waren die ersten überzeugten Befürworter des Modells der „parlamentarischen Demokratie“ mit einem gleichwertigen Zweikammersystem. Die Christdemokraten versuchten hierbei, einen übertriebenen „Parlamentarismus“ der Linken abzuwehren und die Gefahr jeglicher Form von Jakobinismus aus der Versammlung zu bannen. Im Vatikan hätte man dagegen die Annahme einer Regierungsform gern gesehen, die dem Staatspräsidenten oder dem Regierungschef mehr Macht gab, um eine stabilere Regierung für das Land zu gewährleisten.
Zu den desiderata des Hl. Stuhls in Sachen Verfassung weiß Pater Martegani, damals Chefredakteur von Civiltà Cattolica, mit dem sich der Papst über die heikle Frage unterhalten hatte, zu berichten: „Der Heilige Vater hatte gesagt, daß der Abgeordnete De Nicola bereits im Vorfeld von den Parteien Zusagen in drei Punkten erhalten hätte, was Voraussetzung für diese offizielle Audienz gewesen war [die des Staatsoberhaupts bei Pius XII. am 31. Juli 1946], die dann sehr herzlich und angenehm verlief: die Beibehaltung der Lateranverträge, des Zweikammersystems und der unabhängigen Judikative. Abgeordneter De Nicola hatte auch den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß alle Bischöfe ihren – bereits dem König von Italien geleisteten – Treueid ihm gegenüber erneuern sollten […]. Was die zukünftige Verfassung angeht, wünscht sich der Papst – neben der Beachtung der Lateranverträge – daß das neue Statut nichts enthält, was diesen entgegensteht; was die allgemeinen Erklärungen angeht, könne man zufrieden sein, wenn es auch besser gewesen wäre, die Prinzipien des Konkordats vollkommen zu übernehmen“ (Archiv Civiltà Cattolica). Für den Hl. Stuhl war es in der Tat für die Zukunft der Kirche in Italien nicht nur überaus wichtig, daß das Konkordat in die neue Verfassungscharta aufgenommen wurde, sondern daß diese in Dingen, die das religiöse und moralische Leben der Person und der Familie betrafen, nicht von den christlichen Prinzipien abwich. Der Hl. Stuhl bemühte sich daher in den ersten Monaten nach „Geburt“ der Verfassung nachdrücklich, den katholischen Abgeordneten seinen Standpunkt in religiösen Fragen klarzumachen. Die christdemokratischen Leaders dagegen wollten, daß in diesen Belangen Übereinkunft zwischen der Linie, die die Partei in der Versammlung vertreten würde, und der offiziellen des Hl. Stuhls, bestand: De Gasperi hielt es sogar für angebracht, daß den christdemokratischen Abgeordneten, die Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung waren, bei ihrer Arbeit ein Theologe und ein Kirchenrechtsexperte zur Seite standen – die jedoch keine offiziellen Ämter innehaben sollten. Ein Bruch zwischen DC und Hl. Stuhl wegen dieser Themen wäre in diesem Moment schwerwiegend gewesen, vor allem für erstere: es hätte nicht nur ihre geduldige Arbeit, die katholische Welt in die Reihen der DC einzugliedern, zunichte gemacht, sondern die Partei hätte auch bei der vatikanischen Hierarchie an Glaubwürdigkeit verloren. Und das wollten die Leaders der DC wirklich nicht.
Pius XII. beauftragte die Jesuiten von Civiltà Cattolica Anfang Oktober 1946 damit, dem Hl. Stuhl dabei zu helfen, seinen katholischen Gesichtspunkt in den moralischen und religiösen Belangen, mit denen sich die Verfassungsgebende Versammlung befassen würde, zu formulieren und darzulegen. Man erwartete sich von ihnen insbesondere dahingehend einen Rat, was man von der weltlichen Macht in Belangen von allgemeinem Interesse verlangen konnte, stets im Respekt der Rechte der Kirche und der internationalen Regeln. Der Hl. Stuhl war während der gesamten Arbeiten der Verfassungsgebenden Versammlung darum bemüht, den katholischen Abgeordneten seinen Standpunkt „ins Gedächtnis zu rufen“, und das nicht nur in Dingen, die die Religion betrafen. Hier soll daran erinnert werden, daß es Fragen gab – wenn auch in Wahrheit nicht viele –, in denen sich der Hl. Stuhl und die katholischen Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung nicht einig waren; und wieder andere, in denen nicht einmal die Christdemokraten an einem Strang zogen. Bestehen bleibt jedoch, daß die Schützenhilfe, die die vatikanische Hierarchie (durch die katholischen Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung) bei der Abfassung der neuen Verfassungscharta der Republik leistete, bemerkenswert und manchmal auch überaus wertvoll war; nicht selten gelang es, die Wogen zu glätten und in wichtigen sozialen Fragen den „radikalen Ton“ abzuschwächen, den die politischen Kräfte der Rechte oder der Linken anschlagen wollten.
Die Arbeiten zogen sich monatelang hin und waren nicht frei von Reibungen. Die aktivste Phase fiel in die Periode der sogenannten „Zwangskoexistenz“ zwischen den Parteien der „Triarchie“, die – mit manchen Höhen und Tiefen – von Juni 1946 bis Mai 1947 funktionierte. Damals wurden die wichtigsten Teile des Verfassungstextes besprochen: der ideologische und der pragmatische Teil. Der letztendlich approbierte Verfassungstypus bekam diesen „Verfassungskompromiss“, zwischen so verschiedenen politischen Kräften – die DC De Gasperis und die kommunistische Partei Togliattis – , entsprechend zu spüren. Lobenswert ist jedoch die Synthese, die man darin in weiser Voraussicht erarbeitet hatte: eine Synthese zwischen so verschiedenen Traditionen und Ideologien, die aus der italienischen Verfassung eine der aufgeschlossensten und fortschrittlichsten jener Jahre machte.
Natürlich wurde diese Art Verfassung scharf kritisiert, vor allem von den Parteien, die nicht zur „Triarchie“, sowohl der Rechten als auch der Linken, gehörten und die darin einen Kompromiss nicht nur unter Parteien, sondern auch Klassen erkannten. Die Liberalen kritisierten nicht nur diese Art von Verfassung, sondern beurteilten die Aufnahme „programmatischer Normen“ in die Verfassung als unnötig, da sich – um es mit den Worten Vittorio Emanuele Orlandos zu sagen – die Charta eines Staates nicht um die Zukunft kümmern solle, sondern nur um die Gegenwart. Sie kritisierten dann noch den „ideologisch offenen“ Charakter der neuen Verfassung, ihren erklärten „Antifaschismus“, wo man doch einen „A-faschistischen“, technischeren, weniger lehrmäßigen Text bevorzugt hätte. Klar war die Antwort, die Togliatti in der Verfassungsgebenden Versammlung auf die Einwände der Liberalen gab. Ausgegangen war man, wie der kommunistische Leader erklärte, von der Feststellung, daß die liberale Führungsklasse auf historischer und ziviler Ebene versagt, es nicht verstanden hätte, dem aufstrebenden Faschismus und der daraus resultierenden nationalen Katastrophe entgegenzuwirken. Gerade aus diesem Grund – fuhr er fort – müsse man eine Verfassungscharta schaffen, die Garantien für die Zukunft gebe, damit sich „das, was einmal geschehen ist, nicht wiederholen kann.“ Aus diesem Grund hatte man „keine a-faschistische, sondern eine antifaschistische Verfassung“ gewollt. Auf den von mehreren Seiten vorgebrachten Vorwurf, die Verfassung sei Frucht eines Kompromisses zwischen den Parteien, sagte er, daß man die Absicht gehabt hätte, „Einheit“ zu schaffen zwischen den im Land am meisten repräsentierten moralischen Instanzen und man daher versucht habe, „den gemeinsamen Raum zu finden, wo unterschiedliche ideologische und politische Strömungen zusammenfließen könnten.“ Und diesen hatte man dann im „Bereich der menschlichen und sozialen Solidarität“ gefunden, zu der sich sowohl die Linken als auch die christlich inspirierten Kräfte bekennen.
Die arbeitsaufwendigste und turbulenteste Phase der Arbeiten für die Verfassungsgebende Versammlung war die Diskussion und Approbation der einzelnen Artikel: hierbei machten die politischen Kräfte, vor allem die der „Dreiparteien“-Gruppe, ihren ganzen politischen Einfluß geltend, versuchten jedoch, die bisher geleistete Arbeit der Versammlung nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Der sogenannte „Verfassungskompromiss“, inspiriert vom Prinzip der aktiven Zusammenarbeit der wichtigsten politischen und moralischen Kräfte des Landes, auf dessen Grundlage die Arbeiten derer, die gerufen waren, die Charta des Staates auszuarbeiten, eingeleitet und bisher auch vorangetrieben worden waren, wurde in dieser Phase auf eine harte Probe gestellt. Wenn es dennoch zu keiner offenen Auseinandersetzung kam, dann hat man das auch dem Realismus und dem Weitblick der wichtigsten politischen Leaders zu verdanken, denen mehr daran lag, die Zusammenarbeit und Harmonie in der Beziehung zur politischen Gegenseite nicht zu kompromittieren, als auf gewissen Prinzipien ihrer ideologischen Tradition zu beharren.


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