Erneutes sinnloses Blutvergießen
Die italienische Außenpolitik der Nachkriegszeit hat den Konflikt in Nahost nie als eine Auseinandersetzung zwischen „Engeln“ und „Teufeln“ sehen, keine Schwarzmalerei betreiben wollen. Es handelt sich um zwei Völker, die – mag man es nun aussprechen oder nicht – verzweifelt versuchen, auf einen gemeinsamen Punkt zu kommen, was letzten Endes unvermeidlich sein wird.
Giulio Andreotti
Kurz vor Anbruch der Sommerferien wurden im Senat zwei
wichtige Fragen der Innen- und Außenpolitik diskutiert. Mit
letzterer – dem Straferlass – werde ich mich im September
beschäftigen.
Die besorgniserregende palästinensische Frage
steht immer noch im Zentrum des Interesses. Erwogen wird nun, Kräfte
zu schicken, die zwischen Libanon und Israel vermitteln sollen, um in
Erwartung einer Lösung der Kontroverse eine Gefechtspause zu
erreichen. In Wahrheit kommt mir das alles reichlich simplifizierend vor.
Wir haben es hier nämlich keineswegs mit dem sogenannten klassischen
Konflikt zwischen zwei Staaten zu tun. Man scheint nach wie vor zu
vergessen, was das eigentliche Problem ist: die Tragödie der
Palästinenser, die seit mehr als einem halben Jahrhundert auf
libanesischem Territorium zusammengepfercht sind, ohne die geringste
Aussicht auf eine Verbesserung ihres unzumutbaren status quo. Zwar mag es wohl den ein
oder anderen geben, der diese Tragödie benutzt, um Staub aufzuwirbeln,
es stimmt aber auch, dass ohne einen konkreten Hilfsplan für diese
Massen von Enterbten – Schätzungen zufolge sollte es eine knappe
halbe Million sein; bald aber wohl schon doppelt so viele – kein Ende
der Auseinandersetzungen in Sicht ist und auch den Palästinensern
anderer Gebiete, die den Glauben an eine Lösung auf dem
Verhandlungswege noch nicht aufgegeben haben, wenig Hoffnung gelassen wird.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan machte erst jüngst in Rom einen fast schon resignierten Eindruck angesichts der palästinensischen Forderung nach einer „gerechten Rückkehr“.
Welche Lösungen sollte man also in Betracht ziehen? Vor allem einmal die, zu überprüfen, ob es Zonen gibt, in denen eine überwachte Ansiedlung von Palästinensern möglich und erwünscht ist.
Ich habe daran erinnert, daß der Begründer
des Zionismus, Theodor Herzl, für den ersten Plan der Schaffung eines
jüdischen Staates Uganda vorgesehen hatte. Vielleicht haben ihm das
die Engländer eingeredet, die einen Machtverlust in Palästina
befürchteten. Nach dem Tode Herzls war davon jedoch keine Rede mehr
und man konzentrierte sich nun ganz auf Jerusalem und Umgebung.
Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und die von den Israelis verübten Attentate bewegten London zum Rückzug. Ich kann mich noch erinnern, wie überrascht wir waren, als uns Minister Sforza die von Premierminister Bevin erhaltene Nachricht mitteilte.
Italien war noch nicht in der UNO (wir wurden erst 1955 aufgenommen) und daher waren wir auch nicht über die in New York getroffenen Entscheidungen unterrichtet. Daß der Entschluß der gleichzeitigen Schaffung eines israelischen und eines arabischen Staates (wobei letzterer nicht in unmissverständlicher Weise definiert wurde) wohl etwas voreilig war, kann man nicht vollkommen von der Hand weisen, vielleicht war es – beim gegenwärtigen Stand der Dinge – sogar kühn. Natürlich haben die Palästinenser, als sie ihrer Feindseligkeit gegen Israel durch unüberlegte Reaktionen Luft machten, eine Spirale von Gewalt ausgelöst, deren Auswirkungen noch nicht absehbar sind.
Ich war bei mehreren ad-hoc-Versammlungen zugegen, u.a. auch bei zwei Dreiergesprächen ehemaliger israelischer, palästinensischer und jordanischer Kriegsparteien. Die Sorge, eine Lösung zu finden, ist überall spürbar, aber leider ist da noch immer viel zuviel Misstrauen und Konfusion.
Selbst Scharon, dem sicher niemand Sympathien für die Palästinenser unterstellen wird, weckte mit den mutigen Beschlüssen hinsichtlich der Siedler von Gaza große Hoffnungen, sprach sich dann aber auch für das „Mauerprojekt“ aus, das man wohl unweigerlich mit dem negativen Bild der Ghettos verbindet.
In den letzten Wochen konnte man in den Schlagzeilen der traurigen Kriegschronik immer wieder Namen von Städten lesen, die der christlichen Tradition besonders teuer sind, Namen wie Nazareth und Kana.
Die Stadt Mariens, die erst vor ein paar Jahren Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen war – auch die Basilika wurde nicht verschont – wurde nun von zerstörerischen Bomben attackiert. In Kana dagegen – der Stadt, in der Jesus für ein junges Brautpaar sein erstes Wunder wirkte – hat sich durch die jüngsten Bombardierungen sozusagen der Kindermord wiederholt.
Die italienische Außenpolitik der Nachkriegszeit hat den Konflikt in Nahost nie als eine Auseinandersetzung zwischen „Engeln“ und „Teufeln“ sehen, keine Schwarzmalerei betreiben wollen. Es handelt sich um zwei Völker, die – mag man es nun aussprechen oder nicht – verzweifelt versuchen, auf einen gemeinsamen Punkt zu kommen, was letzten Endes unvermeidlich sein wird. Und dann wird man diesem ganzen, nicht enden wollenden sinnlosen Blutvergießen Rechnung tragen müssen.
Angriff der Hisbollah auf die Stadt Nazareth (19. Juli 2006)
UNO-Generalsekretär Kofi Annan machte erst jüngst in Rom einen fast schon resignierten Eindruck angesichts der palästinensischen Forderung nach einer „gerechten Rückkehr“.
Welche Lösungen sollte man also in Betracht ziehen? Vor allem einmal die, zu überprüfen, ob es Zonen gibt, in denen eine überwachte Ansiedlung von Palästinensern möglich und erwünscht ist.
Eines der Opfer des Blutbades von Kana, wo eine israelische Rakete ein gesamtes Wohnhaus zerstörte. 60 Menschen kamen dabei ums Leben, 37 davon Kinder (30. Juli 2006)
Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und die von den Israelis verübten Attentate bewegten London zum Rückzug. Ich kann mich noch erinnern, wie überrascht wir waren, als uns Minister Sforza die von Premierminister Bevin erhaltene Nachricht mitteilte.
Italien war noch nicht in der UNO (wir wurden erst 1955 aufgenommen) und daher waren wir auch nicht über die in New York getroffenen Entscheidungen unterrichtet. Daß der Entschluß der gleichzeitigen Schaffung eines israelischen und eines arabischen Staates (wobei letzterer nicht in unmissverständlicher Weise definiert wurde) wohl etwas voreilig war, kann man nicht vollkommen von der Hand weisen, vielleicht war es – beim gegenwärtigen Stand der Dinge – sogar kühn. Natürlich haben die Palästinenser, als sie ihrer Feindseligkeit gegen Israel durch unüberlegte Reaktionen Luft machten, eine Spirale von Gewalt ausgelöst, deren Auswirkungen noch nicht absehbar sind.
Ich war bei mehreren ad-hoc-Versammlungen zugegen, u.a. auch bei zwei Dreiergesprächen ehemaliger israelischer, palästinensischer und jordanischer Kriegsparteien. Die Sorge, eine Lösung zu finden, ist überall spürbar, aber leider ist da noch immer viel zuviel Misstrauen und Konfusion.
Selbst Scharon, dem sicher niemand Sympathien für die Palästinenser unterstellen wird, weckte mit den mutigen Beschlüssen hinsichtlich der Siedler von Gaza große Hoffnungen, sprach sich dann aber auch für das „Mauerprojekt“ aus, das man wohl unweigerlich mit dem negativen Bild der Ghettos verbindet.
In den letzten Wochen konnte man in den Schlagzeilen der traurigen Kriegschronik immer wieder Namen von Städten lesen, die der christlichen Tradition besonders teuer sind, Namen wie Nazareth und Kana.
Die Stadt Mariens, die erst vor ein paar Jahren Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen war – auch die Basilika wurde nicht verschont – wurde nun von zerstörerischen Bomben attackiert. In Kana dagegen – der Stadt, in der Jesus für ein junges Brautpaar sein erstes Wunder wirkte – hat sich durch die jüngsten Bombardierungen sozusagen der Kindermord wiederholt.
Die italienische Außenpolitik der Nachkriegszeit hat den Konflikt in Nahost nie als eine Auseinandersetzung zwischen „Engeln“ und „Teufeln“ sehen, keine Schwarzmalerei betreiben wollen. Es handelt sich um zwei Völker, die – mag man es nun aussprechen oder nicht – verzweifelt versuchen, auf einen gemeinsamen Punkt zu kommen, was letzten Endes unvermeidlich sein wird. Und dann wird man diesem ganzen, nicht enden wollenden sinnlosen Blutvergießen Rechnung tragen müssen.