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KIRCHE
Aus Nr. 06 - 2003

NACH DEM SYMPOSIUM DES PÄPSTLICHEN RATES ZUR FÖRDERUNG DER EINHEIT DER CHRISTEN

„Wenn wir vom Primat sprechen...


...meinen wir den Primat der Kirche von Rom, der vom Papst ausgeübt wird in seiner Eigenschaft als Bischof dieses Sitzes.“ Interview mit Joannis Zizioulas, orthodoxer Metropolit von Pergamon.


von Gianni Valente


Joannis Zizioulas.

Joannis Zizioulas.

Joannis Zizioulas, Metropolit von Pergamon, ist nach wie vor vor allem für die westliche Welt einer der meist geschätzten Theologen. „Er ist einer der originellsten und tiefsten Theologen unserer Epoche,“ hatte Pater Yves Congar bereits Anfang der Achtzigerjahre über ihn geschrieben. Dieser Mann mit den höflichen, aristokratischen Umgangsformen hat sich sein ganzes Leben mit der tiefgründigen und scharfsinnigen Interpretation der Tradition der griechischen Väter befaßt und konnte so seine Wahrnehmung vertiefen, die die ganze Realität und das Leben der Kirche auf das Sakrament der Eucharistie gründet.
Zizioulas hat bei mehreren Anlässen an der theologischen Debatte über den Primat teilgenommen, den er als „condicio sine qua non der Katholizität der Kirche“ definiert. Bei dem römischen Symposium von Ende Mai war sein Vortrag zu den jüngsten Diskussionen über den Primat unter orthodoxen Theologen einer der umstrittensten und einer von denen, die am meisten Beachtung gefunden haben.
Wie hat sich die Haltung der orthodoxen Theologen zur Frage des Petrusprimats in jüngster Zeit gestaltet?
IOANNIS ZIZIOULAS: Ich kann mich daran erinnern, daß der Primat des Bischofs von Rom, so wie er sich im Laufe der Jahrhunderte herausbildete, in der orthodoxen Kirche als eine Art religiöser Imperialismus angesehen wurde, der nicht der synodalen Tradition der Kirche entspricht, die vorsieht, daß Mitglieder des Episkopats, in ihrer Eigenschaft als Nachfolger der Apostel, das Amt der Autorität kollegial ausüben. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich chances ergeben, die Frage in einer neuen Perspektive erneut zu behandeln. Die von der Communio-Ekklesiologie eröffnete und auch vom II. Vatikanischen Konzil nahegelegten.
Welches sind Ihrer Meinung nach die Züge, die neue Szenarien für die jahrhundertelange querelle über den Primat schaffen können.
ZIZIOULAS: In einer Communio-Ekklesiologie ist jede Ortskirche Kirche im vollen Sinne, kraft der von ihr gemäß dem von Christus den Aposteln und ihren Nachfolgern gegebenen Auftrag gefeierten Eucharistie. Unter diesem Aspekt sind alle Bischöfe gleich: die von ihnen geleiteten Ortskirchen sind Kirchen in vollem Sinn, unabhängig von ihrem Ausmaß oder der Zahl ihrer Gläubigen. Daher dürfte keine Institution, wie die Synoden, die Konzilien oder der Primat, so funktionieren, daß die Fülle der Ortskirche beeinträchtigt oder ausgelöscht wird.
Auf welche Weise und innerhalb welcher Grenzen könnten die orthodoxen Kirchen die Ausübung eines universalen Primats anerkennen?
ZIZIOULAS: Nach der Tradition ist der Bischof von Rom der erste Bischof der gesamten Kirche. Die Schwierigkeit bezüglich des Petrusprimats besteht in der Tatsache, daß er eine universale Jurisdiktion beinhaltet, nach der der Papst in die Ortskirche eingreifen kann. Aber wenn wir einen Weg finden können, den universalen Primat des Papstes so zu verstehen, daß er der Fülle der Ortskirche keinen Schaden zufügt, könnten wir das akzeptieren.
Wenn die orthodoxe Kirche die universale Jurisdiktion des Bischofs von Rom nicht anerkennen kann, was wären dann die konkreten Inhalte der Anerkennung seines Primats von orthodoxer Seite?
ZIZIOULAS: Das muß noch abgewogen werden. Von meiner Sicht aus dürfte der Bischof von Rom zunächst einmal nichts ohne die anderen Bischöfe tun. Er müßte sie immer konsultieren. Darüber hinaus dürfte er nicht in das normale Leben der anderen Diözesen und der anderen Kirchen eingreifen. Er ist der Bischof seiner Kirche. Er kann einen moralischen Einfluß und kanonisch die Macht haben, Synoden einzuberufen und als Sprecher der gemeinsamen Stimme der Kirche aufzutreten. Aber er kann nichts im Alleingang tun. Er repräsentiert die gesamte Kirche nicht als Individuum. Er kann das depositum fidei nur in Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen bewahren.
Von welchen Kriterien müßten die Beziehungen zwischen dem Papst und den anderen Bischöfen geleitet sein?
ZIZIOULAS: Vor allem ist der Papst selbst ein Bischof, und alle Bischöfe sind ihm vom Sakrament her gleich, haben dieselbe Gnade empfangen. Als Bischof ist er selbst Haupt einer Ortskirche. Der Primat selbst gehört nicht ihm, sondern seiner Kirche. Wenn wir vom Primat sprechen, meinen wir den Primat der Kirche von Rom, der vom Papst in seiner Eigenschaft als Bischof dieses Sitzes ausgeübt wird.
Der Bischof von Rom gründet seinen Primat darauf, der Nachfolger des Apostels Petrus zu sein...
ZIZIOULAS: In den Kirchen des Ostens können alle anerkennen, daß gemäß der Tradition der Kirche der Bischof von Rom der erste Bischof ist. Aber seinen Primat auf die Sukzession des Petrus zu gründen, wirft bereits Probleme auf. Die Anerkennung dieser Primatsstellung in den ersten Jahrhunderten war eine Tatsache, eine Tradition, die auch mit der politischen Bedeutung der Stadt Rom zu tun haben konnte. Offensichtlicherweise waren die Bischöfe von Rom immer der Meinung, daß ihre Rolle in der Kirche mit der Nachfolge Petri zusammenhing. In der byzantinischen Kirche dagegen war das nicht der Grund, weshalb der Papst als der erste unter den Bischöfen angesehen wurde. Es gab eine taxis, eine festgesetzte Ordnung, nach der der erste Sitz Rom war, der zweite Alexandrien, der dritte Antiochien. Dann war da noch Konstantinopel, das zweiter Sitz wurde, oder gar als Rom gleichrangig betrachtet wurde, je nach den Bestimmungen der ökumenischen Konzilien. Das wurde jedenfalls als Tatsache anerkannt, ohne daß es eine klar definierte Theorie bezüglich der Nachfolge Petri gegeben hätte.
1976, bei der berühmten Konferenz von Graz, hat der damalige Professor Joseph Ratzinger bekräftigt, daß das, was ein Jahrtausend lang möglich war, heute von einem christlichen Gesichtspunkt aus nicht unmöglich sein könnte, und daß, im Bezug auf die Lehre über den Primat Rom nicht vom Osten mehr verlangen könnte, als was im ersten Jahrtausend formuliert und praktiziert worden wäre. Haben Sie den Eindruck, daß die katholische Sichtweise dieser Thematik heute noch mit dieser berühmten „Ratzinger-Formel“ im Einklang steht?
ZIZIOULAS: Ich glaube, daß die Kirche von Rom dieser Formel derzeit nicht Rechnung trägt. Bei den Dialogs-Begegnungen mit den Orthodoxen neigen die katholischen Repräsentanten dazu, die von der Erfahrung der Einheit des ersten Jahrtausends gezeigte Perspektive beiseite zu schieben. Und das ist natürlich sehr schade. Aber wir müssen jetzt einen Weg finden, einander auf anderen Grundlagen zu begegnen, und diese können von der Communio-Ekklesiologie angegeben werden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der offizielle theologische Dialog um die querelle über den Uniatismus festgefahren. Wie kann man angesichts dieser ins Stocken geratenen Situation hoffen, in einer so wichtigen Frage wie der des Primats auf einen Nenner kommen zu können?
ZIZIOULAS: Aber auch das Problem des Uniatismus hängt eng mit dem des Primats zusammen, daran besteht kein Zweifel. Ich hoffe im Gegenteil, daß der theologische Dialog gerade durch die Auseinandersetzung mit dem Problem des Primats wieder in Gang kommt. Vor diesem Hintergrund, und in diesem Zusammenhang, könnte es vielleicht auch in der ins Stocken geratenen Diskussion über den Uniatismus neue Entwicklungen geben. Auch diese Frage darf nicht als eigenständiges Problem behandelt werden, wie das in den letzten 10 Jahren der Fall war, sondern als Teil des gesamten Dialogs um die Ekklesiologie.
Man hat manchmal den Eindruck, daß die ganze Kirche in der kollektiven Vorstellung, nicht zuletzt auch durch den Einfluß der Massenmedien, mit dem Papst und seinen Initiativen identifiziert wird.
ZIZIOULAS: Das kann eine Gefahr bergen. Es könnte nämlich der Eindruck entstehen, daß es im gesamten Universum nur eine Diözese gibt, mit einem einzigen universalen Bischof, und das würde dieser Communio-Ekklesiologie sicher nicht dabei helfen, die Basis für eine mögliche Anerkennung des Primats der Kirche von Rom seitens der Kirchen des Ostens zu werden. Man kann auch den Eindruck entstehen lassen, daß die Kirche nicht eine gottgegebene Wirklichkeit ist, sondern eine von den Kirchenmännern gemachte. Wä¾rend wir, wenn wir die Eucharistie als Grundlage unserer Ekklesiologie anerkennen, anerkennen, daß die Kirche wie eine Gabe von Gott kommt. Und nicht wir sie machen.



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