Interview mit einem der namhaftesten Leader der schiitischen Gemeinschaft.
Der „goldene Mittelweg“ zum Dialog
Begegnung mit dem iranischen Ayatollah Muhammad Ali Taskhiri, Vorsitzender des Aal al-Bayt Instituts für Islamisches Denken, einem der Unterzeichner des offenen Briefes, den 38 muslimische Leader als Antwort auf die Regensburger lectio magistralis an den Papst schrieben.
Interview mit Mohammad Ali Taskhiri von Pierluca Azzaro
Muhammad Ali Taskhiri.
Ayatollah Taskhiri, in Ihrer Ansprache bei der Eröffnungskonferenz des Meetings von Rodi haben Sie die berühmte Passage des Regensburger Papst-Vortrags angesprochen. Können Sie Ihre Ausführungen kurz zusammenfassen?
Muhammad Ali Taskhiri: Ich habe lediglich gesagt, daß Benedikt XVI. diese Passage kurz, auch aus dem Stehgreif, hätte kommentieren sollen. So wie er es beim Angelusgebet in Castel Gandolfo getan hat. Die Muslime haben nicht sofort verstanden, daß die Meinung des Kaisers nicht die Meinung des Papstes war. Wenn man meint, daß die Worte des byzantinischen Kaisers besagen, daß der Islam einzig und allein Krieg und Gewalt ist, dann ist das keine wahre Darstellung des Islam und seiner Sendung. Und genau diese Interpretation des Islam, dieses Stereotyp, hat die Muslime verletzt. Darüber hinaus bekräftigt Manuel II. Paleologos, daß der Islam nichts mit Wissen und Vernunft zu tun hat, und das stimmt nicht. Der Islam ist durchdrungen von Wissen und Vernunft. Wie bereits gesagt, hat der Papst die Passage dann aber kommentiert und klargestellt, daß sie nicht seinem Denken entspricht.
Sie sprechen davon, daß für den Dialog ein „goldener Mittelweg“ eingeschlagen werden müsse. Können Sie das näher erklären?
Taskhiri: Es gibt einige Dinge, die den Menschen vom Tier unterscheiden: das Denken, die Konversation, die Vernunft, das Treffen von Entscheidungen aufgrund der Vernunft, den Dialog. Dann noch die Akzeptanz gewisser ethischer Prinzipien: Gerechtigkeit, Moral, Mitleid. In sehr pragmatischer Weise würde ich sagen, daß der Weg, der für ein friedliches und harmonisches Zusammenleben unter den Menschen eingeschlagen werden muß bedeutet, diese Prinzipien auch umzusetzen, und mit ihnen das Motto: „Leben und leben lassen.“ Das ist der rechte, der wahre Weg, dem man folgen muß. Aber es gibt auch einen Weg der Falschheit, des Extremismus, des Konflikts, der Gewalt. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Nazismus, Faschismus, Apartheit sind Abweichungen vom Weg der Gerechtigkeit. Auch der Zionismus ist ein Abkommen vom Weg der Gerechtigkeit.
Benedikt XVI. bei der Audienz für die beim Hl. Stuhl akkreditierten Botschafter muslimischer Länder (25. September 2006, Castel Gandolfo).
Taskhiri: Die Gerechtigkeit muß beständig sein, und alles, was Gerechtigkeit und Menschenwürde nicht respektiert, muß abgelehnt werden, weil es im Gegensatz zu den authentischen menschlichen Werten steht. Friede, Wahrheit, Ehrlichkeit, sich mit aller Kraft für die rechte Sache einsetzen, den Leidenden und Bedürftigen helfen. All das sind Beispiele für Gerechtigkeit und Gerechtigkeitsliebe. Wenn man gegen die Gerechtigkeit arbeitet, leidet die Welt und wird noch mehr leiden. Aber die Gerechtigkeit hat zwei Aspekte. Der erste betrifft das, was unser Gewissen ablehnt; das, was bewirkt, daß wir uns schuldig fühlen, wenn wir Böses tun: Frauen, Kinder und Wehrlose zu ermorden ist etwas Böses. Frauen und Kindern zu helfen ist recht; es ist recht, den Schwachen zu helfen. Es ist recht, die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen: Nahrung und Wasser zu beschaffen, die Gabe Gottes sind; eine Wohnung, Freiheit. Wenn man diese Bedürfnisse nicht erfüllt, ist man ungerecht. Der zweite Aspekt der Gerechtigkeit betrifft Ereignisse unseres Lebens oder allgemeine Vorfälle, die wir einfach nicht als gerecht empfinden können. Hier müssen wir uns an Gott wenden, ihm zurufen, der Quelle der Gerechtigkeit ist, und ihn bitten, uns verstehen zu helfen, warum der ein oder andere Vorfall recht ist.
Sie sprechen oft auch von einem goldenen Mittelweg zwischen uferlosem Kapitalismus und Sozialismus. Was meinen Sie damit?
Taskhiri: Ich bin Muslim, und laut meiner Religion gibt es zweifelsohne die unternehmerische Freiheit, die Freiheit, Geschäfte zu machen. Gleichzeitig gibt es aber auch die Notwendigkeit, die menschlichen Grundbedürfnisse der Person zu befriedigen, wie beispielsweise Wohnung und Arbeit. Der Sozialismus, den wir kennengelernt haben, wollte allen diese Güter sichern, leugnete aber die Freiheit. Der Islam versucht, die unternehmerische Freiheit zu geben, will aber auch die Grundbedürfnisse der Person befriedigen. Ich bin sicher, daß alle monotheistischen Religionen in diesem Sinne präzise Empfehlungen zu machen haben.
Und doch erscheint das Bild, wenn wir an die heutige Situation denken, sehr düster. In Regensburg sprach der Papst von einem reichen, technisch fortschrittlichen Westen, der aber „von einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt“ durchdrungen ist. Er sagte auch, daß gerade dieser Aspekt die Völker Asiens erschreckt: teilen Sie diese Ansicht?
Taskhiri: Unbedingt. In unserer Zeit des Konsumdenkens und des uferlosen Kapitalismus sind viele Menschen so sehr in sich selbst verliebt, daß sie Gott ablehnen und geringschätzen. Das ist die Tragödie unserer Zeit.
Eine letzte Frage, Exzellenz: wie sehen Sie die Zukunft; was erwarten Sie sich von der Zukunft?
Taskhiri: Ich bin Muslim, komme aus dem Iran und lese jeden Tag im Koran. Der Koran ist ein Buch der Inspiration und Hoffnung für die Zukunft. Ich glaube, daß Imam Mahdi und Jesus von Nazareth eines Tages auf diese Welt kommen und Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verbreiten werden. Und genau aus diesem Grund blicke ich zuversichtlich in die Zukunft.