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CHINA - HL. STUHL
Aus Nr. 01 - 2007

Der weite Weg und die „belanglosen Zwischenfälle“


Die zahlreichen vatikanischen Gipfel zum Thema China zeugen von der zusehends klaren Vorstellung, die man sich in den letzten 10 Jahren von der Realität Chinas machen konnte. Ein empirisch erlangter „Klarblick“, von dem der angekündigte Brief des Papstes an die Katholiken im ehemaligen Reich der Mitte profitieren kann.


von Gianni Valente


Der Bischof von Shanghai, Aloysius Jin Luxian, legt Joseph Xing Wenzhi bei seiner Bischofsweihe die Hände auf  (28. Juni 2005).

Der Bischof von Shanghai, Aloysius Jin Luxian, legt Joseph Xing Wenzhi bei seiner Bischofsweihe die Hände auf (28. Juni 2005).

In der langen Geschichte der Beziehungen zwischen China und katholischer Kirche wurden bisher viele wichtige Ereignisse von Fakten und Episoden eingeleitet, die sich fast unmerklich ereigneten, ohne großes Aufhebens. So stellte auch die kurze Informationsnote zum Treffen ranghoher Kirchenführer in der Vatikanstadt (19./20. Januar 2007) mit wohl durchdachter „Nonchalance“ zwei Fakten heraus, die durchaus eine neue Epoche im Dialog mit China einleiten könnten. Das nüchterne Kommuniqué berichtet, daß die Teilnehmer (darunter auch der chinesische Kardinal Joseph Zen) der von Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone geleiteten Versammlung mit besonderer Freude feststellten, daß „heute fast alle Bischöfe und Priester in Gemeinschaft mit dem Papst stehen“. Registriert wurde auch das überraschende „zahlenmäßige Anwachsen der kirchlichen Gemeinschaft.“ Zwei Fakten, die bisher aus den vorsichtigen vatikanischen Erklärungen über die Katholiken im ehemaligen Reich der Mitte nicht hervorgingen. Und dabei könnte doch schon allein das den Nebel lichten, den die Trägheit und der Konformismus der westlichen Presse entstehen ließen. Eine Presse, laut der es in China zwei Kirchen gibt – eine Papst-treue und eine staatstreue –, die aber auch zugibt, daß die Zeit der Prüfung in China eine Zeit leisen Wachstums war. Jene schweren Jahre, in denen an eine organisierte Missionsstrategie in China gar nicht zu denken war und jede sichtbare Manifestation der Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri verboten wurde.
Der vatikanische „Summit“ vom Januar war nicht der erste seiner Art und wird auch nicht der letzte sein. Die vorletzte dieser Begegnungen, bei denen „Experten“ und hohe vatikanische Beamte die Situation der chinesischen Katholiken unter die Lupe nehmen, kam 2001 zustande. In Wahrheit aber beschäftigt sich der Hl. Stuhl schon seit fast 30 Jahren mit diesem Thema. Die Reihe der diesbezüglichen vatikanischen Initiativen kann auch als stufenweise erfolgtes „Anvisieren“ des Problems beschrieben werden, das eine zusehends klare Vorstellung von der Realität der katholischen Chinesen ermöglichte. Ein empirisch erlangter „Klarblick“, von dem der Brief profitieren kann, den der Papst an die chinesischen Katholiken zu schreiben gedenkt und dessen Inhalt von Kardinal Zen bereits als „vorsichtig“ definiert wurde.

Die „Sonderbefugnisse“ der Achtzigerjahre
Als China Ende der Siebzigerjahre unter der Leitung des „kleinen Steuermanns“ Deng Xiaoping den Alptraum der Kulturrevolution hinter sich lassen konnte, schien auch für die chinesischen Katholiken eine neue, ungewisse Phase anzubrechen. Kirchen und Diözesankurien öffneten wieder ihre Pforten. Bischöfe, Priester und Gläubige konnten endlich die Laogai [Umerziehungsarbeitslager, Anm.d.Red.] verlassen. Die Regierung forderte die Chinesen auf, ihr gewohntes Leben wiederaufzunehmen und setzte die auf die „Drei Autonomien“ gegründete Religionspolitik, die in den schrecklichen Jahren des Revolutionsterrors hinweggefegt worden war, offiziell wieder in Kraft. Um in der neuen sozialistischen Ordnung ihre Legitimität wiederzuerlangen, mußte sich jede Kirche und religiöse Konfession auf chinesischem Territorium neu organisieren. Stets im Respekt der Regeln der Selbstregierung (gegen jede Form von hierarchischer Unterwerfung unter ausländische Zentralen und Autoritäten), der Selbstfinanzierung und der Selbstpropaganda (gegen jegliche formale Abhängigkeit von der Aktivität ausländischer Missionare). In der Zwischenzeit begann auch für die katholische Kirche eine neue Epoche. 1978 wurde Karol Wojtyla zum Papst gewählt. Ein Pole, der im von den Nazis besetzten Krakau dem illegalen Seminar von Erzbischof Sapieha beigetreten war und die Niederschlagung der kommunistischen Regime des Ostens zu den geopolitischen Prioritäten seines Pontifikats machen sollte.
Papst Benedikt XVI. mit Chinesen aus Peking (25. Mai 2005).

Papst Benedikt XVI. mit Chinesen aus Peking (25. Mai 2005).

Die Jahre der Kulturrevolution bescherten dem Vatikan ein fast totales Informations-Blackout hinsichtlich der Lage der Christen in China. Als im ehemaligen Reich der Mitte wieder vom Hl. Stuhl nicht genehmigte Bischofsweihen vorgenommen wurden, erhärtete sich der Verdacht, daß die neue, vom Regime auferlegte Unabhängigkeits-Linie von einem großen Teil der chinesischen Kirchenmänner übernommen wurde. Vielleicht aufgrund ideologischer Schwärmerei, politischem Opportunismus’ oder einfach nur aus Angst.
Jene, die aus den Umerziehungslagern zurückkamen, schlugen manchmal auch neue Wege ein. In der Provinz Hebei, traditionelle „Hochburg“ des chinesischen Katholizismus, weigerten sich viele Gemeinschaften, den Untergrund zu verlassen, in dem sie zur Zeit der Kulturrevolution gelebt hatten. Sie waren der Meinung, daß man mit einem Regime, das der Kirche bestenfalls eine Nebenrolle als „Religionsabteilung“ des Staatsapparats zuzudenken schien, ohnehin auf keinen gemeinsamen Nenner kommen könnte. Vor diesem Hintergrund begann der Bischof von Baoding, Joseph Fan Xueyan, nach langer Haft endlich wieder auf freiem Fuß, junge Männer auf den Priesterdienst vorzubereiten. 1981 weihte er ohne Mandat des Hl. Stuhls und außerhalb der Kontrolle der Patriotischen Vereinigung drei neue Bischöfe.
Am 12. Dezember jenes Jahres schien eine vatikanische Depesche dem von Fan Xueyan eingeschlagenen Weg das päpstliche placet zu verleihen. Am selben Tag schrieb der brasilianische Kardinal Agnelo Rossi, Präfekt der vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker, auch einen Brief an Mons. Paolo Giglio, „Geschäftsträger“ der apostolischen Nuntiatur in Taiwan. Darin bat er ihn, „den rechtmäßigen Bischöfen Kontinentalchinas den Inhalt des vatikanischen Schreibens diskret mitzuteilen, allerdings nur denen, an deren bedingungsloser Treue kein Zweifel bestehen kann.“ In dem Brief (registriert bei den Büros der Kongregation für die Evangelisierung der Völker unter Protokoll-Nr. 5442/81) heißt es, daß der Papst, um die „leidgeplagten Christen“ Chinas „nicht weiter ohne rechtmäßige Hirten zu lassen“ und „in Anbetracht der Tatsache, daß es dem Hl. Stuhl nicht möglich ist, direkt tätig zu werden“ beschlossen hat „rechtmäßige, dem Hl. Stuhl treue Bischöfe zu autorisieren, die für das geistliche Wohl der Katholiken und die gesamte Kirche in der Republik China notwendigen Initiativen zu ergreifen“. Zu diesem Zwecke wurden den chinesischen Bischöfen „Sonderbefugnisse“ zugestanden, einschließlich der, „ihre eigenen [Bischofs-]Koadjutoren“ oder die Bischöfe der angrenzenden Diözesen zu wählen und zu weihen, die ohne legitimen Bischof waren. Sollte es Kommunikationsschwierigkeiten geben oder ein dringender Fall vorliegen, könnten diese Weihen auch erfolgen, ohne den Hl. Stuhl vorher davon zu unterrichten. Der Brief riet, diese Sonderbefugnisse mit Umsicht, Diskretion und in der allergrößten Verantwortlichkeit zu handhaben. Und doch sollte er eine wahrhaft „explosive“ Wirkung auf die Belange der chinesischen Kirche haben.
Eigentlich kann man also erst seit jenem Moment, in dem der Vatikan sozusagen „grünes Licht“ gab, vom Beginn und der nachfolgenden raschen Verbreitung einer kirchlichen „Untergrund“-Struktur mit kanonischer Approbation in ganz China sprechen. Zur Zeit von Solidarnosc, als die kommunistischen Regime Osteuropas erste Risse zeigten, fürchteten die Pekinger Bürokraten, daß in China ein „antagonistischer“, der Kontrolle der nationalen Religionspolitik entzogener Kirchenbereich entstehen könnte. Schon 1982 forderte das Zentralkomitee der kommunistischen Partei in seinem offiziellen Dokument zur Religionsfrage dazu auf, die Untergrundgemeinschaften, die „unter dem Vorwand der Religion ein zerstörerisches Spionagewerk betreiben, erbarmungslos niederzuschlagen.“ Auch Bischof Fan landete bald danach wieder hinter Gefängnismauern. Zehn Jahre später, 1992, nach neuerlicher, langer Haft, konnte die Polizei seinen Familienangehörigen in einem Plastiksack nur noch seinen Leichnam übergeben.

Ein Mädchen beichtet in der Kathedrale von Beitang in Peking.

Ein Mädchen beichtet in der Kathedrale von Beitang in Peking.

Die gespaltene Kirche
Aber schon bald mußte der Hl. Stuhl einem neuen Phänomen Rechnung tragen.
Anfang der Achtzigerjahre nutzten zahlreiche illegal geweihte Bischöfe die wieder aufgenommenen Kontakte zu ausländischen Missionaren und Priestern, um Rom Briefe zukommen zu lassen, in denen sie die volle Gemeinschaft mit dem Papst und den Wunsch zum Ausdruck brachten, als rechtmäßige Bischöfe anerkannt zu werden. Während sich das im Untergrund gespannte Netz also kraft seiner erklärten Treue zum Nachfolger Petri entwickeln konnte, setzten die der politischen Kontrolle der Patriotischen Vereinigung unterstehenden Bischöfe auf die kanonische sanatio, um ebenfalls ihre Gemeinschaft mit dem Papst zu bekräftigen. Eine Gemeinschaft, zu der sie sich aufgrund der äußeren Umstände nicht offen bekennen konnten, die sie tief in ihren Herzen jedoch nie geleugnet hatten.
In jenen Jahren wurde die zerreißende Spaltung der beiden Bereiche der chinesischen Katholizität immer deutlicher. Ende 1987 war ein Dokument in Frage-Antwort-Form in Umlauf, das 13 Punkte enthielt. Der Text wurde Bischof Fan zugeschrieben, ist aber in Wahrheit Werk seines umstrittenen Beraters: Zhang Dapeng, ehemaliges Mitglied der nationalistischen Partei, der später zu einem eingefleischten militanten Kommunisten wurde, frequentierte am Ende die katholische Untergrund-Gemeinschaft und brachte sie dazu, einen radikalen Kurs einzuschlagen. In dem Dokument heißt es u.a., daß die Katholiken nicht die Sakramente empfangen oder an Messen teilnehmen dürfen, die von Priestern zelebriert werden, die bei der Patriotischen Vereinigung eingetragen sind. „Wenn sie es tun, begehen sie eine Sünde. Wenn sie bei diesen Priestern beichten, erlangen sie nicht etwa Vergebung, sondern begehen eine weitere Sünde.“
Angesichts einer derart instabilen Situation, über die es nach wie vor keine ausreichenden Informationen gab, war es für die vatikanischen Dikasterien schwierig, Richtlinien zu geben, die allen Faktoren Rechnung tragen konnten. Das Ergebnis waren Verfügungen und Weisungen, die wenig homogen schienen.
1983 befaßte sich die Kongregation für die Glaubenslehre mit den illegitimen Weihen chinesischer Bischöfe, deren volle Gültigkeit – und damit auch die der von ihnen gespendeten Sakramente – 1985 bestätigt wurde (vgl. 30Tage, Nr. 5, Mai 2004, SS. 10-17).
Trotzdem zeugten einige Verordnungen der Kongregation für die Evangelisierung der Völker ein paar Jahre später von anhaltendem Mißtrauen jenem kirchlichen Sektor gegenüber, der den Regierungsorganen unterstellt ist. 1988 approbierte Johannes Paul II. die sogenannten „acht Tomko Punkte“ – benannt nach dem slowakischen Kardinal, der damals das vatikanische Dikasterium für die Missionen leitete. Unter Punkt 4 wird bekräftigt, daß die Gültigkeit der Sakramente, die von Priestern gespendet werden, die von unrechtmäßigen Bischöfen geweiht wurden, nur „auf Mutmaßung beruht.“ Für den Sakramentenempfang müßten sich die Katholiken „an treue Priester wenden, also Priester in Gemeinschaft mit dem Papst. Wenn es ihr geistliches Wohl jedoch erforderlich macht, dürfen sie sich auch an andere Priester wenden.“ Unter Punkt 5 wird bekräftigt, daß „jegliche communicatio in sacris mit Bischöfen und Kirchenmännern“ vermieden werden muß, „die der Patriotischen Vereinigung angehören. Im Falle von Besuchen im Ausland, also außerhalb Kontinentalchinas, ist zu sagen, daß man nicht zulassen darf, daß sie in Kirchen oder katholischen Einrichtungen liturgische Handlungen vornehmen, und sie auch nicht dazu auffordern soll. Dieselben Verhaltensregeln gelten für Bischöfe und Kirchenmänner, die nach Kontinentalchina reisen.“
Aber auch die Initiativen einiger Leader der Untergrundgemeinschaften fanden im Vatikan nicht immer Zustimmung. Im Februar 1989 schrieben einige Untergrund-Bischöfe einen Brief nach Rom, in dem sie ihre Absicht kundtaten, eine reguläre Bischofskonferenz einzurichten. Im September des darauffolgenden Jahres schrieb Kardinal Tomko an Mons. Adriano Bernardini, Geschäftsträger der vatikanischen Nuntiatur in Taiwan, und bat ihn, die Untergrund-Bischöfe, die die Initiative unterstützten, vom Inhalt seines Briefes zu unterrichten. Im Hauptteil wird bekräftigt, daß die Kongregation Propaganda Fide – „wenn die Gründe, die die Betroffenen dazu bewegt haben, obige Vorschläge zu formulieren, auch durchaus verständlich sind –, dennoch meint, daß derzeit nicht der richtige Moment ist, diese auch umzusetzen.“ Trotz des vatikanischen non placet versammelten sich am 21. November 1989 mehrere zwanzig Verantwortliche von Untergrund-Gemeinschaften in einem kleinen Dorf der Provinz Shaanxi und gründeten die Bischofskonferenz der chinesischen Katholiken. In den nachfolgenden Monaten wurde der Großteil der Teilnehmer an der Versammlung kurzzeitig inhaftiert. Vom Hl. Stuhl kam keine öffentliche Exkommunizierung, aber auch keine förmliche Anerkennung der Bischofskonferenz.

Die Versammlung von 1993
Die erste Hälfte der Neunzigerjahre war entscheidend für eine allmähliche bessere Kenntnis der realen Situation der chinesischen Kirche. Mit Sorge hörte man von den zeitweiligen Unterdrückungskampagnen, unter denen vor allem die „Untergrund“-Gemeinschaften zu leiden hatten. Aber man nahm auch zur Kenntnis, daß es nicht selten vorkam, daß „Untergrund“-Priester und Bischöfe durch Stadt und Land zogen, ohne jegliche Kontrolle Bischöfe weihten, und darauf beharrten, die in „offenen“ Kirchen gefeierten Liturgien für „ungültig“ zu erklären. Gerade als es für Millionen von Katholiken, die endlich die Zeit der Verfolgung überstanden hatten, leichter geworden war zu beten, die Messe zu besuchen und die Sakramente zu empfangen, ließen derartige ideologische Rigorismen donatistischer Prägung Zweifel an der sakramentalen Gnade wach werden, die durch solche Heilsmittel wirkt. Die Kontraste unter den Christen liefen Gefahr, das aus den Augen zu verlieren, was oberstes Gesetz der Präsenz der Kirche in der Welt ist: das Seelenheil.
Ein Priester zelebriert zu Ostern die heilige Messe in der Kirche Santa Teresa in Shanghai.

Ein Priester zelebriert zu Ostern die heilige Messe in der Kirche Santa Teresa in Shanghai.

Damals konnten die weitblickenderen unter den vatikanischen „China-Experten“ immer deutlicher eine große Treue zum depositum fidei erkennen. Und zwar beim Großteil der Bischöfe, Priester und Seminaristen, die in den im Schatten der Regierungskontrolle wiedergeborenen kirchlichen Strukturen tätig waren. Mit Ausnahme einiger Einzelfälle schien es offensichtlich, daß niemand wirklich eine „autarke“ Nationalkirche anstrebte. Auch im von der Regierung anerkannten sogenannten Bischofskollegium wuchs die Zahl der Bischöfe in voller kanonischer Gemeinschaft mit Rom. Namhaftester Vertreter dieser „Legitimierten“war der Bischof von Xian, Anthony Li Duan.
Angesichts dieser langsamen, aber deutlichen Entwicklung versuchten die konservativeren Sektoren des chinesischen Bürokratieapparats Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im September 1992, bei der 5. nationalen Konferenz der Repräsentanten der chinesischen Katholiken (jenem leicht „manipulierbaren“, nicht kirchlichen Organ, in dem die Bischöfe in der Minderheit sind), wurden die neuen Statuten des Bischofskollegiums approbiert. Zum ersten Mal wurden in einem von den Bischöfen unterzeichneten Dokument auch die berüchtigten „Prinzipien der Unabhängigkeit und Selbstregierung, die der Situation in China angepaßt werden“ genannt. Darüber hinaus schienen einige Formulierungen eine Unterwerfung des Bischofskollegiums unter die nationale Konferenz der katholischen Repräsentanten anzudeuten. Auch die Regeln für die Ernennung und die „demokratische“ Wahl der Bischöfe garantierten den patriotischen Organen ausreichende Kontrolle. Und beim Weiheritus schien anstelle des päpstlichen apostolischen Mandats noch immer der Konsens des chinesischen Bischofskollegiums zu zählen.
In der Zwischenzeit fragte man sich im Vatikan, ob es nicht angebracht sei, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und die Anfragen um kanonische Legitimierung anzunehmen, die von Bischöfen kamen, die nach den von der Regierung auferlegten „demokratischen“ Prozeduren geweiht waren. Man erwog die Möglichkeit, zu einer härteren Linie überzugehen, die Bischöfe aufzurufen, ihre Treue zum Papst zu erklären und sich nicht länger der Patriotischen Vereinigung zu unterwerfen, also beispielsweise aus dem „patriotischen“ Bischofskollegium auszutreten. Vor allem Kardinal Tomko war ausgesprochen beunruhigt darüber, daß die „Katholiken und die Kirche vollkommen auf die Parteipolitik ausgerichtet“ zu sein scheinen, wie er am 3. April 1993 an Mons. Fernando Filoni schrieb. Der heutige Nuntius in den Philippinen war damals Verantwortlicher des Studienzentrums des Hl. Stuhls in Hongkong (eine Art „inoffizielle Nuntiatur“, die der Vatikan noch immer in der ehemaligen britischen Kolonie hat und die derzeit von Mons. Eugène Nugent geleitet wird).
Bei einer Versammlung vom 26. September 1993 besprachen die mit China befaßten vatikanischen Beamten von Propaganda Fide und des Staatssekretariats alle diesbezüglichen kontroversen Fragen. Das Ergebnis waren konkrete Richtlinien sowohl für die „Untergrund“-Gemeinschaften als auch für die „offenen.“ Man legte fest, daß von nun an jede Bischofswahl die vorherige Zustimmung des Apostolischen Stuhls erfordere. Nur dann könne sie als legitim gelten. Die 1981 gewährten Sonderbefugnisse, die zur Entwicklung eines im Untergrund tätigen Netzes von Bischöfen geführt hatte, wurden nicht aufgehoben, sondern lediglich „suspendiert“ (tatsächlich sind seit der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre aus Rom keine nihil obstat zum Vollzug von „Untergrund“-Weihen mehr eingegangen). „Angesichts der derzeit bestehenden, deutlich verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten“ mußten nun auch die Bischöfe, die akzeptiert hatten nach den Prozeduren der Patriotischen Vereinigung geweiht zu werden, um Approbierung durch den Hl. Stuhl ansuchen und sich darum bemühen, diese auch zu erhalten. Für die Weihe war es wichtig, sich an rechtmäßige Bischöfe zu wenden, da „die aktive Teilnahme von unrechtmäßigen Bischöfen unweigerlich zur Folge hat, daß einem nachfolgenden Gesuch nach Regulierung nicht stattgegeben werden kann.“ Außerdem sollten die Betroffenen „in der Zeit und Weise, die ihnen angemessen und möglich erscheint“ „dafür Sorge tragen, daß die Zustimmung des Hl. Stuhls (im Falle unrechtmäßiger Bischofsweihen) und die Regulierung der Situation des Betroffenen (im Falle der Legitimierung unrechtmäßiger Bischöfe) öffentlich gemacht werden.“ Die von der Regierung anerkannten Bischöfe wurden auch angehalten, noch mutiger für „die Rechte der Kirche und die Gemeinschaft mit dem Papst von Rom“ einzutreten. So kam es, daß die Bischöfe bei der Versammlung der katholischen Repräsentanten vom Januar 1998 mit Nachdruck die effektive Führung der kirchlichen Gemeinschaft forderten.

Auf dem vatikanischen „Summit“ von 1993 wurde festgelegt, daß für eine gültige Bischofswahl die vorherige Genehmigung des Hl. Stuhls vorliegen muß. Die 1981 zugestandenen Sonderbefugnisse, die die Entstehung des Untergrundnetzes begünstigt hatten, wurden sozusagen suspendiert.
Jenseits der Chinesischen Mauer
Die chinesischen Seminaristen und Priester leisteten damals einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung des Mißtrauens. Immer mehr dieser in den „offiziellen“ Seminaren ausgebildeten Männer verließen China, um ihre Ausbildung in den katholischen akademischen Institutionen zu vervollkommnen. Auch an den Päpstlichen Universitäten der Ewigen Stadt. So kam es, daß sich in der Haltung ihnen gegenüber eine allmähliche „Vertrautheit“ herauskristallisieren konnte. Die von Kardinal Tomko geleitete Kongregation Propaganda Fide legte fest, daß alle chinesischen Priester aus Diözesen mit illegalem Bischof, die eine volle communicatio in sacris mit ihren ausländischen Kollegen anstrebten, ein Glaubensbekenntnis unterschreiben müßten. Das geschah anfänglich in der Absicht, Mißtrauen gar nicht erst aufkommen zu lassen und eventuelle Mißverständnisse zu vermeiden. Eine Verfügung, die auch die Kirchenmänner des Staatssekretariats, die sich mit der chinesischen Frage befaßten, befremdete. Im Dezember 1993 schrieb das vatikanische „factotum“ in Hongkong, Fernando Filoni, einen Brief an Kardinal Tomko. Mit derselben scharfsichtigen Direktheit, die der spätere Nuntius Filoni auch in der dramatischen Situation im Irak an den Tag legen sollte, machte er darin aus seinen Zweifeln an der Angemessenheit dieser Maßnahme keinen Hehl. Einer Maßnahme, die er, „nicht nur wegen der Auswirkungen“ ablehnte, „die das auf den chinesischen Klerus haben könnte, sondern auch, weil ich glaube, daß die Priester, die heute in China geweiht werden, denselben Glauben bekennen wie die katholische Kirche.“ Ein paar Monate später, im März 1994, bat Filoni Kardinal Tomko in einem anderen Schreiben, diese Norm „abzuschwächen“, die die volle sakramentale Gemeinschaft mit bei der Patriotischen Vereinigung registrierten Priestern und Bischöfen verbietet. „Der Glaube in China ist der Glaube der universalen Kirche,“ schrieb er, „auch wenn er derzeit in unterschiedlichem Ausmaß zum Ausdruck gebracht wird. An der Gültigkeit der Sakramente kann kein Zweifel bestehen.“ Abschließend gemahnte er daran, daß „wir in dem Bemühen, die Beziehungen zwischen der chinesischen und der universalen Kirche step by step wiederaufzubauen, aufeinander zugehen müssen und uns nicht voneinander entfernen dürfen.“ Dennoch kam es noch zwei Jahre später, beim Weltjugendtag 1995, zu einem Zwischenfall: dort war auch eine Gruppe sichtlich ergriffener chinesischer Priester anwesend, die in Begleitung einer wahren Eskorte von „Regierungskontrolleuren“ nach Manila gekommen war, um den Papst zu sehen. Und die vatikanischen Dikasterien hatten ihnen nichts Besseres mitzuteilen als die bürokratische Forderung, ihren vollen katholischen Glauben zu „demonstrieren“: wer mit dem Heiligen Vater konzelebrieren wollte, sollte öffentlich die Formel professionis fidei sprechen. Das Ganze konnte dann aber doch noch zur Zufriedenheit aller gelöst wurde, indem man gemeinsam mit anderen Ordensmännern ein Credo betete.

Stillschweigende Konvergenzen
Nach dem Jahr 2000 konnten dank der flexiblen vatikanischen Disponibilität, die reelle Situation zu berücksichtigen, neue Wege zu provisorischen Lösungen erschlossen werden. Vor allem in der Kernfrage der Bischofsweihen. Seit 2004 wird die Liste der jungen chinesischen Bischöfe immer länger, die nach vorheriger, öffentlicher Ernennung durch den Papst von der Regierung anerkannt und gleichzeitig nach den Regeln der regierungstreuen Organe „gewählt“ wurden. Die letzte dieser „in stillschweigendem Einvernehmen“ erfolgten Ernennungen war die des 42jährigen Gan Junqiu: Die Ernennung des Bischofs der bedeutenden Diözese Guangzhou wurde am 18. Januar von den Spitzen der Patriotischen Vereinigung öffentlich angekündigt, am Vorabend des vatikanischen Summits. Im Licht dieser langen, komplexen Geschichte der Beziehungen zwischen chinesischer Kirche, Pekinger Regierung und Hl. Stuhl könnten das tatsächlich die letzten, ohne apostolisches Mandat erfolgten Bischofsernennungen sein (die Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone als „belanglose Zwischenfälle“ bezeichnete). Eine Art „letztes Aufbäumen“ einer Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will.


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