Startseite > Archiv > 03 - 2007 > „Ich, aber nicht mehr ich“
DIE...
Aus Nr. 03 - 2007

„Ich, aber nicht mehr ich“



von Kardinal Angelo Scola



Im Dialog mit den Jugendlichen seiner Diözese Rom, beim 21. Weltjugendtag am 6. April 2006, beantwortete der Papst mit entwaffnender Offenheit die Frage nach seiner wahren Physiognomie.Eine Frage, die sich nach seiner Wahl zum Nachfolger Petri mehr oder weniger explizit viele gestellt haben. Als Mensch von theoretischer und nicht praktischer Bildung hätte er – wie er sagte – gewusst, dass es nicht genüge, die Theologie zu lieben, um ein guter Priester zu sein. Man müsse auch disponibel sein für die junge Generation, die alten Menschen, die Kranken, die Armen. Er hätte sich dann gefragt, ob er all das auch wirklich sein könne und nicht Gefahr laufe, einseitig, nur ein Theologe zu sein, usw. Dann aber hätte ihm der Herr geholfen, vor allem aber die Gesellschaft der Freunde, guter Priester und Lehrmeister.
Dort, beim Weltjugendtag, wollte er mit den Jugendlichen und mit uns seinen persönlichen Weg des Glaubens teilen. Einen Weg fruchtbarer Demut, den er dank der Gnade und der Freiheit gehen konnte, der Gewissheit und der realistischen Furcht, des Elans und der Hingabe.
Und der Heilige Vater wollte auch die Meilensteine dieses Weges aufzeigen.
Vor allen Dingen die Gnade, die der Herr Jesus selbst ist. Auf den Primat Christi, der menschgewordenen Liebe Gottes im Leben der Christen, wurde mit der Enzyklika Deus caritas est nachdrücklich verwiesen. Angelpunkt der Lehre des Papstes ist folgende schöne Passage des ersten Absatzes: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“
Von hier ausgehend zieht sich der Faden auf fast schon natürliche Weise auch durch die Ansprache von Verona: Ich, aber nicht mehr ich: das ist die Formel des christlichen Lebens, das auf die Taufe gegründet ist –heißt es dort –;die Formel der Auferstehung in der Zeit; die Formel der christlichen Neuheit, die gerufen ist, die Welt umzuwandeln. Eine Neuheit, die Frucht der Gabe des Geistes ist und daher nicht von uns hervorgebracht werden kann. Das ist eine Tatsache, der wir uns bewusst sein müssen. Wie für den Papst des Totus tuus ist auch für Benedikt XVI., der als Junge mit glänzenden Augen und frohen Herzens zum Marienheiligtum von Altötting pilgerte, die Jungfrau Maria immer die vollendete Gestalt seiner Persönlichkeit und seines Daseins gewesen. In der Verkündigung spricht die Unbefleckte jenes fiat, das seine ganze Kraft im stabat von Golgota entfalten und im Geheimnis der Aufnahme in den Himmel Erfüllung finden wird. In der Tat sagt Maria, was es bedeutet, mit freier Zustimmung mitzuwirken, wie es in Kan. 4 des Dekrets über die Rechtfertigung des Konzils von Trient heißt. Das ist der Horizont des sensus fidei des katholischen Volkes, der in der bayerischen Kirche einen so reinen Ausdruck findet. In der bewussten Zugehörigkeit zu diesem bedeutenden Teil eines heiligen Gottesvolkes konnten Berufung und Sendung von Papst Ratzinger reifen.
Aber der Papst gibt uns noch einen zweiten Hinweis. Einen überaus wertvollen, weil er die Art und Weise erleuchtet, wie die sakramentale Gnade zur überzeugenden und faszinierenden Begegnung für die Freiheit von uns Menschen wird: die Gesellschaft der Freunde, guter Priester und Lehrmeister hat geholfen. Das Leben der christlichen Gemeinschaft ist nämlich Garantie für den Weg. Eine Gesellschaft, die das Gesicht der Kirche zeigt und alle Bereiche umfaßt, in denen die menschliche Erfahrung geschieht (vgl. Ansprache in Verona).
Die Tiefe, mit der der Heilige Vater im vergangenen Jahr auf die Frage antworten wollte, die heute bedeutender ist denn je, hat uns alle beeindruckt. Sein großer Freund Hans Urs von Balthasar stellte sie, indem er frage:Wer ist die Kirche? Papst Benedikt vollzieht die menschliche und christliche Erfahrung der Apostel und Jünger des Herrn nach. Petrus, Johannes, Matthäus, Paulus, Stephanus, die Frauen… Die ersten Glieder einer ununterbrochenen, historisch gut dokumentierbaren Kette von Zeugen, die bis zu uns reicht und auch uns miteinbezieht. In ihr kommt die sakramentale Natur der traditio der Kirche zum Ausdruck.
Die Gnade, die Jesus Christus ist, gelebt in der Gesellschaft der Kirche: das sind die Gaben, die der Papst unermüdlich unserer Freiheit bezeugt.


Italiano Español English Français Português