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AFRIKA
Aus Nr. 07 - 2003

Analyse einer paradoxen Tragödie

Blutbefleckte Ressourcen und weit entfernte Kriege


Im Gegensatz zu dem, was man meinen sollte, bedeutet Reichtum an Naturschätzen – Diamanten, Holz, Coltan, Erdöl, Erdgas, Wasser –in armen Ländern nicht eine Gelegenheit der Entwicklung, sondern einen Grund für Instabilität, Ungleichheit und, nicht selten, Militarisierung und systematische Gewaltausübung.


von Francesco Martone und Clarissa Ruggeri


Rebellen in Liberia

Rebellen in Liberia

Es ist schon paradox: der Reichtum an Naturschätzen – Diamanten, Holz, Coltan, Erdöl, Erdgas, Wasser – bedeutet in armen Ländern nicht, wie man meinen sollte, eine Gelegenheit der Entwicklung, sondern einen Grund für Instabilität, Ungleichheit und, nicht selten, Militarisierung und systematische Gewaltausübung. Das Vorhandensein von beträchtlichen Bodenschätzen stellt daher eine wahren Falle dar, in der sich verschiedene Interessen verflechten und ein dichtes Gewebe von Beziehungen am Rande der Legalität schaffen. Das Ergebnis sind unausweichliche zivile Konflikte. Und das alles im Interesse der transnationalen Unternehmen, der wirtschaftlichen und politischen Lobbies, der bewaffneten Rebellen-Gruppen und der paramilitärischen Kontingente.
Michael Renner bekräftigt in seinem im State of the World 2002 veröffentlichten „Breaking the link between resources and repression“, daß wenigstens ein Viertel der Kriege und bewaffneten Konflikte des Jahres 2000 mit den Naturschätzen zusammenhing, insofern als die illegale oder legale Ausbeutung derselben zu gewalttätigen Konflikten beigetragen, diese verschlimmert oder deren Fortführung finanziell erst ermöglicht hat.
In der Tat waren die letzten 20 Jahre des 20. Jahrhunderts von einer radikalen Veränderung der Konflikte geprägt, deren Ursache die tiefgreifenden Veränderungen in der geopolitischen und sozioökonomischen Struktur der Welt waren, vor allem das Ende der Kalten Krieges (mit seinen unterschwelligen Finanzierungsmechanismen von Rebellen-Ländern oder „Freunden“ derselben), aber auch die allmähliche Untergrabung der nationalen Regierungen, und die sozioökonomische Globalisierung, die mit der Freihandelspolitik einhergegangen, ja, von dieser erst möglich gemacht worden war.
Die „neuen Konflikte“ haben mehr oder weniger eine subnationale Tragweite, sind im Wesentlichen von einer zunehmenden Privatisierung der Gewalt geprägt, von der Wahrung privater Interessen. Es handelt sich um Kriege, bei denen die Ausschlachtung und der illegale Handel mit Naturschätzen zur hauptsächlichen Finanzquelle und, in so manchem Fall, sogar zum Endzweck der Kriege werden, an denen sich einzelne Leaders bereichern, die den Kriegszustand – und die Kriegswirtschaft – ausnutzen. So kann beispielsweise nicht bestritten werden, welch entscheidende Rolle die Diamanten in der zentralafrikanischen Republik gespielt haben, und zwar nicht nur für die Finanzierung des Landesheeres, sondern auch für die Rebellen-Opposition. Oder in Sierra Leone, wo der länger als 10 Jahre dauernde Bürgerkrieg erst durch den Handel mit Diamanten finanziert werden konnte. Ein Krieg, der 120.000 Opfer forderte, eine halbe Million Flüchtlinge hervorbrachte und zwei Millionen Vertriebene. Es ist auch ein unleugbarer Umstand, daß die liberianische Holzindustrie die Instabilität in Sierra Leone und der gesamten Region subventioniert hat und immer noch subventioniert. So soll Präsident Charles Taylor, der die absolute Kontrolle über das Holz in Liberia (wie auch den Diamantenschmuggel) hat, einen Großteil der Einnahmen aus Verkauf und Export dafür verwenden, die Revolutionary United Front zu unterstützen. In Angola hat Jonas Savimbi – Leader der Rebellen-Gruppe Unita und Repräsentant der zahlenreichsten angolanischen Ethnie, den Ovimbundu – in dem Moment, als er die Resultate der Landeswahlen von 1992 ablehnte und den Krieg wiederaufflammen ließ – sofort zugesehen, die Kontrolle über das Cuango-Tal und die anderen Gebiete zu bekommen, um sich die Erzlager und Diamanten unter den Nagel zu reissen.
Derzeit sind in Afrika ca. 30 Millionen leichte Waffen und Waffen kleinen Kalibers im Umlauf. Laut UNO-Schätzungen war der Gebrauch von leichten Waffen im vergangenen Jahrzehnt für den Tod von 20.000 Menschen allein auf dem afrikanischen Kontinent verantwortlich: 80% davon Frauen und Kinder. Mehr als 300.000 Kindersoldaten sind derzeit bei den verschiedenen paramilitärischen Milizen „rekrutiert.“
Während mit immer größerem Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Stärkung des Weltregierungssystems verwiesen wird, einer Umstrukturierung und Rationalisierung der internationalen institutionellen Architektur, die transparenter gestaltetet werden, eine größere Beteiligung und Kontrolle ermöglichen soll, ist es offensichtlich, wie wenig multilaterale Abkommen auch tatsächlich umgesetzt werden, und das trotz Einführung von effektiven Sanktionssystemen.
Bereits beim Gipfel der G8 in Kananaskis stellten die Industriestaaten einen Aktionsplan für Afrika vor, der den Zusammenhang zwischen Bodenschätzen und Kriegen herausstellt und eine Reihe von politischen Initiativen nahelegt, mit denen man den Teufelskreis durchbrechen kann, in dem der illegale Handel mit Kleinwaffen, Diamanten und Holz miteinander verflochten sind, der Einsatz von Kindersoldaten und Söldnerkräften. Einen Plan, der auch den systematischen Verstoß gegen die Menschenrechte und den schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Verfall ganzer Regionen anklagt, die nur eine „Schuld“ haben: ihren Reichtum an Naturschätzen, wie Diamanten, wertvollem Holz oder Coltan – letzteres hat sich in der letzten Zeit in der Elektronik-Industrie High-tech als strategische Ressource erwiesen.
Trotz allem ist es bisher bei einem Plan geblieben – und die „Blut“- oder „Kriegs“-Diamanten werden auch weiterhin von Rebellen und Regierungen dazu benutzt, Kriege zu finanzieren und systematisch die Menschenrechte zu verletzen. Angola, Sierra Leone, Liberia und die Demokratische Republik Kongo haben lange Bürgerkriege erlebt, die mit Hilfe der Diamanten – mit denen sich ihre Leaders persönlich bereichert haben – finanziert wurden. Laut Alex Yaersley von Global Witness erfolgt der Handel mit den Diamanten in 20% der Fälle illegal (die Diamantenindustrie dagegen behauptet, daß nur 2% der Diamanten aus Kriegsgebieten stammen). In einigen Fällen trägt das zur Finanzierung von Konflikten bei, beispielsweise beim Ankauf von Waffen durch die Rebellen-Gruppen in Afrika. Bis heute mußten ca. drei Millionen Menschen ihr Leben lassen in Kriegen, die vom Handel mit Diamanten finanziert wurden.
Das Problem des illegalen Handels mit Rohdiamanten zur Finanzierung von Kriegen ist zu einem vorrangigen Thema auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen geworden, der Regierungen, wie auch der bürgerlichen Gesellschaft und der Unternehmerwelt. Im Anschluß an die Annahme der „Resolution zur Rolle der Diamanten bei bewaffneten Konflikten“, in der sie ihren Willen erklärten, die Beziehung zwischen Diamanten und Kriegen zu brechen, haben die Vereinten Nationen verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Diamantenmarkt zu kontrollieren und den Import von Waffen seitens kriegführender Länder zu unterbinden.
Die Schaffung eines internationalen Regel-Systems für die transparente Handhabung der Produktion, der Herstellung und des Handels mit Diamanten erscheint daher als notwendiger Schritt im Kampf gegen den Handel mit „Blut-Diamanten“. In diesem Sinne sieht der Kimberley Process zur Entwicklung eines internationalen Systems, dank dessen die internationalen Mindest-Standards zertifiziert werden können, die bei der Kontrolle des Handels mit Rohdiamanten gelten müssen, eine Reglementierung auf freiwilliger Basis vor, nach der jeder in den internationalen Diamantenhandel Verwickelte über eigene „Gutachter“ verfügen soll, die überprüfen, ob das Garantiesystem im Rahmen der normalen Aktivitäten auch tatsächlich angewandt und respektiert worden ist. Diese Zertifizierung wird der Überprüfung durch die Regierungen unterworfen sein.
Aber die privaten Kriege in Afrika werden nicht nur von dem illegalen Handel mit Diamanten genährt. Auch das „Blut-Holz“, das in der Hand von bewaffneten Gruppen von Rebellenhorden, regulären Milizen oder von der zivilen Administration und ihren Repräsentanten liegt, die den Zweck verfolgen, den Konflikt zu schüren oder Vorteile daraus zu ziehen, ist verantwortlich für all die Folgen, die sich automatisch aus der Illegalität des Handels ergeben (Einbußen im Staatshaushalt, Zerstörung des natürlichen Bestands an Bodenschätzen, Korruption, Beeinträchtigung der Landwirtschaft, Menschenrechtsverletzungen). Dazu kommen noch die sich aus dem Umstand ergebenden Folgen, daß das mit dem Schmuggel verdiente Geld die Hauptfinanzierungsquelle für die Kriege darstellt. Wir haben es hier also mit der Verflechtung eines perversen Mechanismus zu tun, in dem die mit Gewalt erreichte Besatzung der reichsten Gebiete und die unkontrollierte Ausschlachtung der Ressourcen miteinander Hand in Hand gehen. Der Konflikt schafft die Nachfrage nach Holz, das wiederum den Konflikt nährt: in einem Teufelskreis, der sich selbst in Schwung bringt – bis die Naturschätze vollkommen aufgebraucht sind.
Arbeiter in einer Diamantmine im Bezirk Kono in Sierra Leone

Arbeiter in einer Diamantmine im Bezirk Kono in Sierra Leone

Hier darf man nicht vergessen, daß im Zusammenhang mit dem illegalen „Kriegs-Holz“ (wenn es hierzu auch verschiedene Abkommen gibt – wie die OSZE-Konvention gegen die Korruption, die Konvention über den internationalen Handel mit vom Aussterben bedrohten Spezies [Cites], oder auch die von der Welthandelsorganisation und verschiedenen internationalen Organisationen wie dem Wälderforum der Vereinten Nationen, der International Tropical Timber Organisation unterzeichneten Abkommen) kein spezifisches Abkommen gibt, mit dem man dagegen vorzugehen versucht.
Das einzige Mittel, mit dem die Vereinten Nationen derzeit versuchen, den Handel mit „blutbeflecktem“ Holz zu verhindern, sind Sanktionen. Außerdem gibt es auf weltweiter Ebene viele vom Privatsektor aufgestellte Programme dazu, wie die Wälderfrage gehandhabt werden kann. Die besten Ergebnisse konnte, inoffiziell, der auf Initiative der Holzindustrie und der NGOs vorangetriebene Forest Stewardship Council erzielen. Er hat auf die Regierung nachdrücklich eingewirkt, damit diese endlich die gebotenen Maßnahmen ergreift. Laut WWF gehören ca. 700 Unternehmen, die Holz produzieren und gebrauchen dem Global Forest and Trade Network an, das ein tragbares Zertifizierungssystem vorantreiben will, und das heute 20 Millionen Hektar von Wäldern in 35 Ländern zertifiziert hat. Das ist allerdings ein noch wenig einschneidendes Resultat, wenn man bedenkt, daß es nicht mehr als 3% des weltweiten Waldbestands betrifft. Auch die NGOs, die sich mit Wälderpolitik befassen, sind dabei, ihren Einfluß geltend zu machen und auf die Regierungen Druck auszuüben. Abgesehen von einigen spezifischen Fällen befassen sich die von den NGOs vorangetriebenen Initiativen jedoch nicht ausdrücklich mit dem Problem des „Blut-Holzes“, sondern beschränken sich auf den weitreichenderen Bereich des illegalen Holzhandels – ein Aspekt, der als direkt mit der Effektivität der Initiativen für eine tragbare Handhabung der Wälder zusammenhängend betrachtet wird. Eine solche Initiative der NGOs und des privaten Sektors zum Kampf gegen das „Blut-Holz“ stellt daher sozusagen Neuland dar.
Trotz allem gibt es sowohl die Voraussetzungen für ein harmonisches Handeln – woran die direkt Interessierten beteiligt sind und im Einklang mit den Gesetzen des Marktes – als auch nachahmenswerte Vorbilder, wie beispielsweise das „Kimberley Process Certification Scheme“ für „blutbefleckte“ Diamanten.
Die notwendigen Maßnahmen zur Unterbindung des direkten Bezugs zwischen Naturschätzen und Konfikten müssen aus dem bisher ignorierten normativen Raum kommen, der vor allem den internationalen Handel, die Entwicklungshilfe und die Sicherheit betrifft. In der Tat laufen diese drei policy-Sphären, die zwar alle direkt mit dem Problem zu tun haben, derzeit noch auf verschiedenen Gleisen, ohne aus den möglichen Synergien Vorteil zu ziehen. Besonders die beiden Bereiche internationaler Handel und Sicherheit bergen die Möglichkeit der Ergreifung von Maßnahmen, die ausschlaggebend dabei sein können, den Finanzierungen von Konflikten durch den Schmuggel mit Naturschätzen einen Riegel vorzuschieben.
Das derzeitige System der governance der globalen Umweltfragen ist vollkommen unzulänglich und keineswegs in der Lage, das Problem der Finanzierung von Kriegen durch die Ausbeutung von Naturschätzen auf effiziente und koordinierte Weise in den Griff zu bekommen. Die Ausarbeitung einer spezifischen Norm zur Regelung des internationalen Handels im Bereich der Sicherheit, eine Initiative, die die Artikel XX(a) und XXI(c) „Conflict Exclusion“ des GATT (General agreement on tariffs and trade) ermöglichen, könnte ein interessantes Terrain für die Ausarbeitung neuer Vorschläge bieten. Die neue zentrale Rolle, die die Welthandelsorganisation beim Kampf gegen die Finanzierung von Kriegen durch die Ausbeutung von Bodenschätzen spielen muß – in Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Institutionen – ist von allergrößter Dringlichkeit.
Abschließend ist festzuhalten, daß die Begegnung der Welthandelsorganisation auf Ministerebene im kommenden September (in Cancun, Mexiko) eine wichtige Gelegenheit dafür darstellen kann, mit der Aufstellung einer Arbeitsgruppe mit den Vereinten Nationen zu beginnen. Eine Arbeitsgruppe, die einen Weg finden muß, den illegalen Handel mit blutbefleckten Naturschätzen unter Kontrolle zu bekommen und zu verhüten. Einherzugehen hat das mit der Ankurbelung einer internationalen Kooperationspolitik und der Schaffung von Modellen für die Leitung von Wirtschaft und Finanz. Auch hierbei wird ausschlaggebend sein, ob die Regierungen und die internationalen Organe auch wirklich den Willen haben, die Ursachen, die Wurzel des Übels der vergessenen Kriege, zu beseitigen, für die eindeutig und unwiderruflich, wenn auch vielleicht indirekt und oft unbewußt, die Unternehmen und Konsumenten der reichen Länder verantwortlich sind.






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