Als das Veto des Kaisers zur Wahl eines heiligen Papstes führte
Vor hundert Jahren, am 4. August 1903, wurde Giuseppe Sarto zum Papst gewählt: Pius X. Und das auch dank des Vetos, das der Kaiser von Österreich, Franz Joseph, gegen den sizilianischen Kardinal Mariano Rampolla del Tindaro eingelegt hatte.
von Andrea Tornielli

Franz Joseph, der Kaiser von Österreich
„Politischer“ Papst
oder „pastoraler“ Papst
Der im hohen Alter von 93 Jahren verstorbene Leo XIII. hinterließ nach einer Regierungszeit von einem Viertel Jahrhundert kein leichtes Erbe. Viele Kardinäle erhofften sich eine „pastorale“ Wende, einen Papst, der weder ein „Politiker“ noch ein „Diplomat“ war. Der Kandidat mit den größten Chancen war daher auch ein Kardinal, der die andere Linie vertrat, die der direkten Kontinuität mit Leo XIII. Es handelte sich dabei um einen frommen sizilianischen Adeligen, Mariano Rampolla del Tindaro, den damaligen Staatssekretär. Er hatte den Großteil der französischen Kardinäle auf seiner Seite. Nicht aber Österreich – wegen seiner Sympathie für die Slawen, die auf dem Balkan für Unruhe sorgten. Der Kaiser von Österreich beschloß, von einem alten, den großen katholischen Monarchien zustehenden Veto-Recht Gebrauch zu machen, um die Wahl Rampollas zu verhindern.
Der Bischof von Krakau, Jan Puzyna de Kozielsko (ein Vorgänger von Karol Wojtyla), wurde von dem Veto in Kenntnis gesetzt. Es ging auch das Gerücht um, daß er selbst auf den schon reichlich betagten Franz Joseph eingewirkt haben soll. Die Kardinäle Österreich-Ungarns beschlossen, nachdem sie von dem „Ausschluß“ erfahren hatten, auf zwei Namen zu setzen: Serafino Vannutelli und Girolamo Maria Gotti, Karmelit und Präfekt von Propaganda Fide. Doch einige Kardinäle, darunter der Erzbischof von Mailand, Andrea Carlo Ferrari, wollten einen Kandidaten mit einem entschieden pastoralen Profil: ihr Mann war der Patriarch von Venedig, Giuseppe Sarto. Doch am Vorabend des Konklaves fehlte sein Name auf der Liste. Eine interessante Randbemerkung: schon vor Beginn des Konklaves galt in den Zeitungen der Sieg von Rampolla del Tindaro als sicher. Und dann, am Abend des 31. Juli zogen 62 Kardinäle in die Klausur des Konklaves ein.
Das Drängen
von Kardinal Ferrari
Am Morgen des 1. August beginnt man mit den Wahlgängen, zwei am Tag, einer am Morgen, ein anderer am Nachmittag. Um gewählt zu werden, benötigt man die Zweidrittelmehrheit, also 42 Stimmen. Im ersten Wahlgang erhält Rampolla 24 Stimmen, Gotti 12, Sarto 5, Vannutelli 4. Am Nachmittag steigt Rampolla auf 29 und Sarto auf 10, Gotti dagegen auf 16. Diese Situation scheint sich für Rampolla wenig günstig zu gestalten, wenn man das Ganze genau betrachtet: von den 38 Wählern, die am Morgen andere Kandidaten gewählt haben, haben sich nur fünf entschlossen, ihm den Vorzug zu geben. Das Konklave gerät also schon ins Stocken, bevor das berühmte Veto verhängt wird. Der Patriarch von Venedig, der inzwischen 10 Stimmen auf sich verbuchen kann, kommentiert: „Volunt iocari supra nomen meum“, da will man sich mit meinem Namen einen Spaß erlauben. Er glaubt nicht, Chancen zu haben.
Am Morgen des 2. August, nachdem er zunächst Rampolla informiert hat, verliest Puzyna den lateinischen Text des „Vetos“, mit dem der Kämmerer ersucht wird, „zu Ihrer eigenen Information davon Kenntnis zu nehmen und bekanntzugeben und auf offiziöse Weise zu erklären, im Namen und mit Autorität Seiner apostolischen Majestät Franz Joseph, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, daß Seine Majestät von einem alten Recht und Privilieg Gebrauch machen möchte und das Ausschlußveto gegen den eminentesten Herrn Kardinal Mariano Rampolla del Tindaro aussprechen möchte.“ Mehr als ein Veto schien es jedoch Ausdruck eines „auf offiziösem Wege“ erklärten Wunsches zu sein. Sofort danach protestieren sowohl der Kämmerer als auch Rampolla selbst. Alle sind sich einig, daß es sich dabei um eine absurde und unangebrachte Einmischung handelt. Trotz allem kann der ehemalige Staatssekretär von Leo XIII. an jenem Morgen nicht eine Stimme mehr auf sich verbuchen als die 29 vom Abend zuvor. Sartos Stimmenzahl dagegen steigt auf 21, Gottis auf 9. Ein unmißverständliches Zeichen dafür, daß sich das Konklave geteilt hat.
Der letzte heilige Papst:
Am kommenden 4. August jährt sich der 100. Jahrestag der Wahl von Pius X., der letzte Papst, der von der Kirche heiliggesprochen wurde. Allen voran bei den Feierlichkeiten stehen natürlich die Gemeinde, die Pfarrei und der Touristenverein Pius X. von Riese, Provinz Treviso, Geburtsort des Papstes. Die erste Feier dieses Jahrestages fand am 2. Juni statt, mit einer Studientagung zur Aktualität von Pius X. und einem Konzert, bei dem die bisher unveröffentlichten Musikstücke von Lorenzo Perosi zu Ehren von Papst Sarto zum Besten gegeben wurden. Bei der Studientagung sprach Dottor Alejandro M. Diéguez, vom vatikanischen Geheimarchiv, über die von ihm eingesehenen Unterlagen zur sogenannten „segreteriola“, dem Privatsekretariat, das der Papst gewollt hatte, um die Beantwortung der Hunderten von Briefen schneller und persönlicher zu gestalten. Professor Danilo Veneruso dagegen sprach über die Gestalt Sartos, in seinem historischen Kontext .
Am Nachmittag beschließen die über die Niederlage Rampollas sichtlich irritierten französischen Kardinäle, gegen das Veto Protest einzuliegen. Ein Versuch, Stimmen für den ehemaligen Staatssekretär zu gewinnen. Und an dieser Stelle ergreift Kardinal Sarto das Wort: „Ich werde das Papstamt, dessen ich mich unwürdig fühle, sicher niemals annehmen. Ich bitte die Eminentesten daher, meinen Namen zu vergessen.“ Beim folgenden Wahlgang kann Rampolla nur eine Stimme mehr auf sich verbuchen, Sartos Stimmenzahl steigt von 21 auf 24, Gottis sinkt auf 3.Kardinal Ferrari versucht angesichts dieser ins Stocken geratenen Situation, Sarto zu überreden, doch dieser lässt sich nicht erweichen: „Ich fühle mich einer solch großen Verantwortung nicht gewachsen. Ich kann mich unmöglich darauf einlassen... Meine ersten Feinde werden die sein, die mir am nächsten stehen; die, die mich unterstützen, kenne ich gut, sie können mir unmöglich wohlgesonnen sein...“ Ferrari will nicht klein beigeben: „Eine Weigerung könnten Sie Ihr Leben lang bereuen... Denken Sie nur an die Verantwortung und den Schaden, der sich für die heilige Kirche ergeben könnte, wenn es zu einer Wahl kommen sollte, die in Italien oder außerhalb der Landesgrenzen nicht gutgeheißen wird, oder wenn sich das Konklave untragbar lang hinziehen könnte – Tage, Wochen oder gar Monate!“.
Die Demut eines Patriarchen
Am Morgen des 3. August 1903 unternahm Kardinal Ferrari noch einmal den Versuch, auf Sarto einzuwirken – umsonst. Der erste Wahlgang ergab 27 Stimmen für Sarto, für Rampolla dagegen deutlich weniger als zuvor: nur 24. Der Patriarch von Venedig ergriff noch einmal das Wort: „Ich muß darauf bestehen, daß Sie meinen Namen vergessen. Vor meinem Gewissen und vor Gott kann ich Ihre Stimmen unmöglich akzeptieren.“ Diese Worte waren für seine Befürworter wie eine kalte Dusche – schließlich hatten sie keineswegs die Absicht, ihn zu wählen, nur um dann zu hören, daß er die Wahl nicht annimmt. In der Zwischenzeit legten die französischen Kardinäle Rampolla die Möglichkeit nahe, seine Stimmen auf einen anderen, von ihm gutgeheißenen Kandidaten zu übertragen. Aber der wollte davon nichts wissen: „Die Unabhängigkeit des Kardinalskollegiums muß gewahrt und verteidigt werden!“ meinte er, „und die Freiheit in der Wahl des Papstes. Daher halte ich es für meine Pflicht, mich nicht aus dem Kampf zurückzuziehen.“ In Wahrheit war das österreichische Veto in diesem Fall nicht so sehr ein entschiedenes Verbot der Wahl Rampollas, sondern schien für ihn fast einen Vorwand darzustellen, hartnäckig weiterzumachen – dem Umstand zum Trotz, daß das Konklave schon vor dem kaiserlichen Veto ins Stocken geraten war.
Entscheidend in diesen Stunden ist das Eingreifen von Kardinal Francesco Satolli, der auf Sarto trifft, als dieser aus der Zelle kommt, und ihm Vorwürfe macht: „Eminenz, Ihr wollt euch dem vom Kardinalskollegium so deutlich gezeigten Willen Gottes widersetzen...“ Und an diesem Punkt kapituliert Sarto schließlich doch noch. Resigniert hebt er die Hände, und meint: „Der Wille Gottes geschehe.“ Die Nachricht verbreitet sich in Windeseile. Am Nachmittag steigen die Stimmen für den Patriarchen von Venedig auf 35, die für Rampolla sinken auf 16.
Der amerikanische Kardinal James Gibbons kommentierte: „Bei jedem Wahlgang, bei dem er mehr Stimmen auf sich verbuchen konnte, ergriff Kardinal Sarto das Wort, und beschwörte das Kardinalskollegium, davon Abstand zu nehmen, ihn wählen zu wollen. Und jedes Mal mit zitternder Stimme, glühendem Gesicht und Tränen in den Augen. Jedes Mal versuchte er, genau darzulegen, warum ihm die Voraussetzungen für das Papstamt fehlten. Doch wissen Sie, was? Gerade diese Ansprachen waren es, so voller Demut und Weisheit, die all sein Flehen vergebens machten.“
„Ich werde
den Namen Pius annehmen“
Am Morgen des nachfolgenden Tages liefen die französischen Kardinäle, sichtlich irritiert darüber, daß sich Rampolla einfach nicht geschlagen geben wollte, zu Sarto über, der es nicht zuletzt ihnen zu verdanken hatte, wenn er 50 Stimmen auf sich verbuchen konnte (notwendig waren 42), Rampolla 10 und Gotti 2. Der Gewählte antwortet auf die rituelle Frage: „Quoniam calix non potest transire, fiat voluntas Dei [Da der Kelch nicht vorübergehen kann, erfülle sich der Wille des Herrn]. Im Vertrauen auf den Schutz Gottes und der heiligen Apostel Petrus und Paulus und der heiligen Päpste, die den Namen Pius trugen, besonders denen, die im vergangenen Jahrhundert gegen die Sekten und die sich ausbreitenden Irrtümer kämpften, werde ich den Namen Pius annehmen.“