„Ich bin kein Mystiker“
„Von Kontemplation verstehe ich nichts. Mir reicht das einfache Gebet, das demütige Beten der einfachen Seelen. Wieviele einfache Leute haben nicht gelernt, zu meditieren, sprechen aber ordentlich ihre Gebete. Mit dem Herzen, die gesprochenen Gebete. Die hl. Bernadette ist nur deshalb heilig geworden. Sie betete ordentlich den Rosenkranz, gehorchte ihrer Mutter.“
von Albino Luciani
Der Herr legt uns im Evangelium oft das Gebet ans Herz. Die Beharrlichkeit. Es reicht nicht, einmal zu bitten. Es ist nicht wie beim Klavierspielen: du drückst auf eine Taste, und da kommt ein Ton heraus. „Herr, gib mir diese Gnade.“ Und schwupps, da ist sie! Wie das Schlagen der Trommel. Nein, so geht das nicht. Der Herr selbst hat gesagt, daß es so nicht geht. Er hat auch ein Gleichnis erzählt. Es gab da einmal in einer Stadt einen ungerechten Richter. Der scherte sich nichts um Gott, und auch nicht um die armen Sterblichen. Eine arme Witwe ging jeden Tag zu ihm und flehte ihn an: „Verschaff’ mir Gerechtigkeit, verschaff’ mir Gerechtigkeit!“. „Verschwinde, ich habe keine Zeit, laß mich in Ruhe!“. Aber die Alte kam immer wieder. Und eines Tages sagte der Richter zu sich selbst: „Auch wenn ich Gott nicht fürchte, für die Menschen nichts übrig habe, so will ich doch dieser Witwe, die mich nicht in Ruhe lassen will, die immer wieder kommt, Gerechtigkeit verschaffen, damit ich endlich wieder meine Ruhe habe!“. Schlußfolgerung Jesu Christi: das tut ein ungerechter Richter, und er tut es aus egoistischen Motiven – und euer Vater, wenn ihr ihn beharrlich, immer wieder darum bittet, euch Gerechtigkeit zu verschaffen, euer Vater im Himmel, der euch liebt, wird das nicht tun? Und schließlich hat uns doch auch bereits das Konzil gesagt: wir sollen immer beten: beten ohne Unterlaß.
Unsere erste Pflicht ist es, den Leuten das Beten beizubringen; wenn wir ihnen nämlich dieses mächtige Mittel in die Hand gegeben haben, werden auch sie es schaffen, die Gnade des Herrn zu erhalten. Ich kann kein Traktat über das Gebet schreiben, und das auch schon allein deshalb, weil ihr vielleicht mehr darüber wißt als ich. Ich will nur einige Hinweise geben. Vielleicht legen wir einen starken Akzent auf das Bittgebet: „Herr, vergiß nicht auf mich; Herr, verzeih mir!“. Ist das nicht wunderschön? Aber als uns Jesus das Vaterunser lehrte, hat er gesagt: „So sollt ihr beten“, und dann hat er sein Gebet in zwei Teile geteilt. Der erste: „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe.“ Das ist der Teil, der unsere Beziehung zu Gott betrifft. Erst dann kommt man zum zweiten: „Unser tägliches Brot gib uns heute, usw.“ Auch bei unseren eigenen Gebeten müssen wir nach dieser Methode verfahren: zuerst kommt die Anbetung, das Lob und der Dank, dann erst die Bitte. In den Paulusbriefen heißt es: „Gratias agamus, Deo gratias, Deo autem gratias...“. Diese Ausdrücke – nicht ich habe sie gezählt – werden mehr als hundertmal wiederholt. Paulus sagt unablässig Dank. Aber seht euch auch die anderen Gebete an: „Ave Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir!“. Und danach kommt die Bitte: „Bitte für uns Sünder.“ Doch zuerst wird der Muttergottes ein schönes Kompliment gemacht. Man muß diplomatisch sein: vor der Bitte kommt das Lob. Auch am Beginn der antiken, nicht der modernen, oremus, kommt zuerst das Lob, das Kompliment. „Deus qui corda fidelium Sancti Spiritus illustratione docuisti...“, lautet das schöne Lob: „da nobis quaesumus...,“ kommt dann die Bitte. „Concede nobis, famulis tuis...“ dagegen ist ein modernes oremus; es beginnt sofort damit, um etwas zu bitten. Wer das verfaßt hat, hat wirklich überhaupt nichts verstanden. Und auch die Marienlitaneien: „Mater purissima“; das Lob „ora pro nobis“, die Bitte; so ist das alles. Diese Methode müssen wir auf unsere Gebete anwenden. Uns auch ein wenig Mühe machend... Was der Herr ganz sicher nicht braucht, sind unsere Mühen, aber es macht ihm sicher Freude, wenn wir ihm ein wenig Zeit widmen. Es gibt da ein wunderschönes Buch von Pater Faber: Tutto per Gesù; nichts „Erhabenes“, schlichte Dinge; und darin heißt es eben, daß man sich um die Interessen Gottes sorgen muß; und zwar vor den eigenen Interessen. Wie habe ich wieder gesagt: Anbetung. „Du bist dort oben, oh großer, allmächtiger Gott, und ich bin hier, winzig klein, oh Herr“, dieser Sinn der Anbetung, des Staunens vor Gott. „Dir verdanke ich alles, oh Herr!“. Die Danksagung. Das Sich-Klein-, Armselig-Fühlen vor Gott. Den Gläubigen muß geholfen werden, den Herrn anzubeten, ihm zu danken. Niemand ist groß vor Gott. Auch die Muttergottes hat den Blick Gottes auf sich gespürt, ist sich klein vorgekommen. Es ist wichtig, den Blick Gottes auf uns zu spüren. Sich als Objekt der Liebe zu fühlen, die uns Gott entgegenbringt. Der hl. Bernhard ist einmal, als er noch ein Kind war, an einem Weihnachtsabend, in der Kirche eingeschlafen und hat geträumt. Es meinte, das Jesuskind zu sehen, das mit dem Finger auf ihn zeigte und zu ihm sagte: „Da ist er ja, mein kleiner Bernhard, mein großer Freund.“ Und da ist er aufgewacht, aber diese Nacht hat er nie vergessen, sie hat sein ganzes Leben geprägt. Wir sollten uns klein fühlen, denn wir sind klein. Wenn wir uns nicht klein fühlen, ist der Glaube unmöglich. Wer allzu hoch hinaus will, sich allzu sehr rühmt, hat kein Vertrauen zu Gott. Groß bist du, oh Herr, und ich bin winzig klein vor Dir. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Und werde mit Freuden alles tun, was Du von mir verlangst. Umso mehr als Du nicht bittest, um zu nehmen, sondern um zu geben. Nicht zu deinem Vorteil bittest du, sondern in meinem Interesse! Manzoni sagt: „Der Mensch ist niemals groß, wenn er nicht vor Gott das Knie beugt.“ In den Gebeten, die man so betet, fehlt immer mehr der Sinn der Anbetung. Und dabei ist es doch eine der grundlegenden Haltungen der christlichen Religion.
Welches Gebet und nach welcher Methode? Ihr seid Lehrer in Israel; ihr wißt, daß das schönste Gebet das passive ist, jenes, in dem man sich ganz dem Wirken der Gnade ausliefert. Und so ist es das der ein oder anderen Seele, die von Gott gefangengenommen wird, die er bearbeitet, dominiert, heiligt. Es ist das sogenannte mystische Gebet, derer, die sich der Kontemplation hingeben. Und darüber kann ich euch gar nichts sagen, denn, ehrlich gesagt: ich bin kein Mystiker. Tut mir leid. Ich habe es auch in der Schule gelehrt, habe die verschiedenen Systeme studiert, die verschiedenen Tendenzen, hier die Karmeliten, dort die Jesuiten... Doch die hl. Theresia war eine sehr erfahrene Frau, die sagt: „Ich habe Heilige, wirkliche Heilige kennengelernt, die keine Kontemplativen waren, und ich habe Kontemplative kennengelernt, die Gnaden höheren Gebets besaßen, aber keine Heiligen waren.“ Was bedeutet, daß „salvo meliore iudicio“ die Kontemplation nicht notwendig ist für die Heiligkeit. Ich kann euch also hier nichts über die Kontemplation sagen, denn davon verstehe ich ehrlich gesagt nichts, auch wenn ich das eine oder andere Buch darüber gelesen habe. Mir reicht das einfache Gebet, das schlichte Beten der einfachen Seelen. Ich pflege mich normalerweise mit einem sehr einfachen, praktischen Beispiel auszudrücken. Wie dem: der Vater hat Namenstag; und zuhause hat man eine kleine Feier für ihn organisiert. Der Moment ist gekommen, er weiß, was gespielt wird und sagt: „Schauen wir mal, was sie mir Schönes schenken!“. Als erstes kommt sein jüngstes Kind zu ihm und sagt das Gedicht auf, das es für diesen Anlaß auswendig gelernt hat. Der arme Kleine! Da steht er nun vor seinem Vater und sagt ganz aufgeregt sein Gedicht herunter. „Bravo!“ ruft der Vater aus. „Da hast du mir eine große Freude bereitet, das hast du gut gemacht, danke, mein Sohn!“. Der Kleine geht, und der zweite Sohn tritt vor den Vater. Er geht bereits in die Mittelstufe. Er hat sich sicher nicht darauf beschränkt, nur ein Gedicht auswendig zu lernen; er hat eine Ansprache vorbereitet, ganz allein, ohne jede Hilfe. Eine kurze zwar, aber doch vorgetragen in echter Redner-Manier. „Ich hätte nie gedacht, daß du so gut Reden halten kannst, mein Sohn!“ ruft der Vater aus. Er kann mehr als zufrieden sein, der Vater: was für nette Aufmerksamkeiten!... Zwar keine Meisterwerke, aber... Als drittes Kind tritt die kleine Tochter vor den Vater. Sie hat lediglich einen Strauß roter Nelken in der Hand. Sie sagt kein Wort. Tritt vor den Vater, ohne ein Wort: aber sie ist sichtlich aufgeregt; ihr Gesicht ist so rot, daß schwer zu sagen ist, wer röter ist: sie oder die Nelken die sie in der Hand hält. Und der Vater sagt: „Man sieht, daß du mich lieb hast, du bist ja ganz aufgeregt!“. Aber eben kein Wort. Doch der Vater freut sich über die Blumen, denn er sieht, wie aufgeregt seine kleine Tochter ist; wie sie so vor ihm steht, fast überfließend vor Liebe. Dann ist da noch die Mutter, seine Frau. Sie hat kein Geschenk. Sie schaut ihren Mann an, und er schaut sie an: einfach nur ein Blick. Doch dieser Blick beschwört die ganze Vergangenheit herauf, ein ganzes Leben. Das Gute, das Böse, die Freuden, den Schmerz, den die Familie geteilt hat. Das ist alles. Hier haben wir vier Arten von Gebet. Das erste ist das gesprochene Gebet: wenn ich aufmerksam den Rosenkranz bete, wenn ich das aterunser sage, das Ave Maria; dann sind wir Kinder. Das zweite, die kleine Rede, ist die Meditation. Mein Gespräch mit dem Herrn denke ich mir selbst aus, mache es selbst: schöne Gedanken und tiefe Gefühle, versteht sich. Das dritte, der Blumenstrauß, ist das Gebet mit dem Herzen. Das so aufgeregte, vor Zuneigung überfließende kleine Mädchen. Hier braucht es nicht vieler Gedanken, man muß nur das Herz sprechen lassen. „Mein Gott, ich liebe dich.“ An nur fünf Minuten Gebet mit dem Herzen ist besser getan als an der Meditation. Viertens, die Ehefrau: sie steht für das Gebet der Einfachheit oder des einfachen Blickes, wie man sagt. Ich stelle mich vor den Herrn, und sage nichts. Ich schaue ihn einfach nur an. Es scheint, als wäre dieses Gebet nicht viel wert, aber das stimmt nicht: es kann mehr wert sein als die anderen. Denkt einmal über eine jede dieser Formen des Gebetes nach. Auch die erste. Man sagt: er ist ein Kind, hat gerade erst angefangen. Aber die hl. Theresia schreibt: man kann heilig werden mit dem ersten Gebet. Wieviele einfache Leute haben nicht gelernt, zu meditieren, sprechen aber ordentlich ihre Gebete, mit dem Herzen, die gesprochenen Gebete. Die hl. Bernadette ist nur deshalb heilig geworden. Sie betete ordentlich den Rosenkranz, gehorchte ihrer Mutter. Und ist heilig geworden.
Und jetzt laßt mich euch die Marienverehrung ans Herz legen. Ich möchte den Rosenkranz ansprechen, der zum Teil ein gesprochenes Gebet ist. Der Rosenkranz ist auch die Bibel der Armen. Er darf nie vernachlässigt, muß stets gut gebetet werden. Ich mache mir große Sorgen um meine Gläubigen: es gibt immer noch solche, die zuhause beten, aber nicht mehr den Rosenkranz. Wenn die Kinder sehen, wie der Vater betet, mit allen gemeinsam betet, dann hat das eine Auswirkung auf die Erziehung, die unsere Predigten nie haben können – darauf könnt ihr Gift nehmen. Daher stelle ich bei meinen Pastoralvisiten auch diese Frage: „Beten Sie zuhause?“. Sie beten leider wenig. Schade! Und so sage ich in der Kirche: „Nun hört aber mal zu! Ich kann ja verstehen, daß ihr fernsehen wollt, aber wenn ihr schon nicht den Rosenkranz beten, alle fünf Gesätze sagen könnt, so sagt wenigstens eines, zehn Ave Maria, ein einziges Geheimnis. Das will ich euch doch wirklich mit Nachdruck ans Herz legen, wenigstens das. Und vergeßt nicht auf die Marienverehrung. Einmal haben sie mich gefragt – sie sind nämlich wißbegierig, diese frommen Seelen: „Welche Madonna ziehen Sie vor? Die vom Karmel? Sie müssen nämlich wissen, daß ich eine Verehrerin der Madonna vom Karmel bin!“. Und da man sich bei diesen Leuten kein Blatt vor den Mund nehmen muß, habe ich geantwortet: „Wenn Sie mir einen Rat erlauben: ich würde Ihnen die Madonna der Teller, der Schüsseln und der Suppen vorschlagen!“. Denn seht: die Muttergottes ist ganz ohne Visionen, ohne Ekstasen, heilig geworden, mit diesen alltäglichen, einfachen Alltagsdingen. Ich will damit sagen: es kann nie genug Marienverehrung geben. Ja zum Rosenkranz, zum Vertrauen auf sie, aber auch zur Nachahmung ihrer Tugenden. Werdet also nie müde, den Menschen die Marienverehrung ans Herz zu legen.
Unsere erste Pflicht ist es, den Leuten das Beten beizubringen; wenn wir ihnen nämlich dieses mächtige Mittel in die Hand gegeben haben, werden auch sie es schaffen, die Gnade des Herrn zu erhalten. Ich kann kein Traktat über das Gebet schreiben, und das auch schon allein deshalb, weil ihr vielleicht mehr darüber wißt als ich. Ich will nur einige Hinweise geben. Vielleicht legen wir einen starken Akzent auf das Bittgebet: „Herr, vergiß nicht auf mich; Herr, verzeih mir!“. Ist das nicht wunderschön? Aber als uns Jesus das Vaterunser lehrte, hat er gesagt: „So sollt ihr beten“, und dann hat er sein Gebet in zwei Teile geteilt. Der erste: „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe.“ Das ist der Teil, der unsere Beziehung zu Gott betrifft. Erst dann kommt man zum zweiten: „Unser tägliches Brot gib uns heute, usw.“ Auch bei unseren eigenen Gebeten müssen wir nach dieser Methode verfahren: zuerst kommt die Anbetung, das Lob und der Dank, dann erst die Bitte. In den Paulusbriefen heißt es: „Gratias agamus, Deo gratias, Deo autem gratias...“. Diese Ausdrücke – nicht ich habe sie gezählt – werden mehr als hundertmal wiederholt. Paulus sagt unablässig Dank. Aber seht euch auch die anderen Gebete an: „Ave Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir!“. Und danach kommt die Bitte: „Bitte für uns Sünder.“ Doch zuerst wird der Muttergottes ein schönes Kompliment gemacht. Man muß diplomatisch sein: vor der Bitte kommt das Lob. Auch am Beginn der antiken, nicht der modernen, oremus, kommt zuerst das Lob, das Kompliment. „Deus qui corda fidelium Sancti Spiritus illustratione docuisti...“, lautet das schöne Lob: „da nobis quaesumus...,“ kommt dann die Bitte. „Concede nobis, famulis tuis...“ dagegen ist ein modernes oremus; es beginnt sofort damit, um etwas zu bitten. Wer das verfaßt hat, hat wirklich überhaupt nichts verstanden. Und auch die Marienlitaneien: „Mater purissima“; das Lob „ora pro nobis“, die Bitte; so ist das alles. Diese Methode müssen wir auf unsere Gebete anwenden. Uns auch ein wenig Mühe machend... Was der Herr ganz sicher nicht braucht, sind unsere Mühen, aber es macht ihm sicher Freude, wenn wir ihm ein wenig Zeit widmen. Es gibt da ein wunderschönes Buch von Pater Faber: Tutto per Gesù; nichts „Erhabenes“, schlichte Dinge; und darin heißt es eben, daß man sich um die Interessen Gottes sorgen muß; und zwar vor den eigenen Interessen. Wie habe ich wieder gesagt: Anbetung. „Du bist dort oben, oh großer, allmächtiger Gott, und ich bin hier, winzig klein, oh Herr“, dieser Sinn der Anbetung, des Staunens vor Gott. „Dir verdanke ich alles, oh Herr!“. Die Danksagung. Das Sich-Klein-, Armselig-Fühlen vor Gott. Den Gläubigen muß geholfen werden, den Herrn anzubeten, ihm zu danken. Niemand ist groß vor Gott. Auch die Muttergottes hat den Blick Gottes auf sich gespürt, ist sich klein vorgekommen. Es ist wichtig, den Blick Gottes auf uns zu spüren. Sich als Objekt der Liebe zu fühlen, die uns Gott entgegenbringt. Der hl. Bernhard ist einmal, als er noch ein Kind war, an einem Weihnachtsabend, in der Kirche eingeschlafen und hat geträumt. Es meinte, das Jesuskind zu sehen, das mit dem Finger auf ihn zeigte und zu ihm sagte: „Da ist er ja, mein kleiner Bernhard, mein großer Freund.“ Und da ist er aufgewacht, aber diese Nacht hat er nie vergessen, sie hat sein ganzes Leben geprägt. Wir sollten uns klein fühlen, denn wir sind klein. Wenn wir uns nicht klein fühlen, ist der Glaube unmöglich. Wer allzu hoch hinaus will, sich allzu sehr rühmt, hat kein Vertrauen zu Gott. Groß bist du, oh Herr, und ich bin winzig klein vor Dir. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Und werde mit Freuden alles tun, was Du von mir verlangst. Umso mehr als Du nicht bittest, um zu nehmen, sondern um zu geben. Nicht zu deinem Vorteil bittest du, sondern in meinem Interesse! Manzoni sagt: „Der Mensch ist niemals groß, wenn er nicht vor Gott das Knie beugt.“ In den Gebeten, die man so betet, fehlt immer mehr der Sinn der Anbetung. Und dabei ist es doch eine der grundlegenden Haltungen der christlichen Religion.
Welches Gebet und nach welcher Methode? Ihr seid Lehrer in Israel; ihr wißt, daß das schönste Gebet das passive ist, jenes, in dem man sich ganz dem Wirken der Gnade ausliefert. Und so ist es das der ein oder anderen Seele, die von Gott gefangengenommen wird, die er bearbeitet, dominiert, heiligt. Es ist das sogenannte mystische Gebet, derer, die sich der Kontemplation hingeben. Und darüber kann ich euch gar nichts sagen, denn, ehrlich gesagt: ich bin kein Mystiker. Tut mir leid. Ich habe es auch in der Schule gelehrt, habe die verschiedenen Systeme studiert, die verschiedenen Tendenzen, hier die Karmeliten, dort die Jesuiten... Doch die hl. Theresia war eine sehr erfahrene Frau, die sagt: „Ich habe Heilige, wirkliche Heilige kennengelernt, die keine Kontemplativen waren, und ich habe Kontemplative kennengelernt, die Gnaden höheren Gebets besaßen, aber keine Heiligen waren.“ Was bedeutet, daß „salvo meliore iudicio“ die Kontemplation nicht notwendig ist für die Heiligkeit. Ich kann euch also hier nichts über die Kontemplation sagen, denn davon verstehe ich ehrlich gesagt nichts, auch wenn ich das eine oder andere Buch darüber gelesen habe. Mir reicht das einfache Gebet, das schlichte Beten der einfachen Seelen. Ich pflege mich normalerweise mit einem sehr einfachen, praktischen Beispiel auszudrücken. Wie dem: der Vater hat Namenstag; und zuhause hat man eine kleine Feier für ihn organisiert. Der Moment ist gekommen, er weiß, was gespielt wird und sagt: „Schauen wir mal, was sie mir Schönes schenken!“. Als erstes kommt sein jüngstes Kind zu ihm und sagt das Gedicht auf, das es für diesen Anlaß auswendig gelernt hat. Der arme Kleine! Da steht er nun vor seinem Vater und sagt ganz aufgeregt sein Gedicht herunter. „Bravo!“ ruft der Vater aus. „Da hast du mir eine große Freude bereitet, das hast du gut gemacht, danke, mein Sohn!“. Der Kleine geht, und der zweite Sohn tritt vor den Vater. Er geht bereits in die Mittelstufe. Er hat sich sicher nicht darauf beschränkt, nur ein Gedicht auswendig zu lernen; er hat eine Ansprache vorbereitet, ganz allein, ohne jede Hilfe. Eine kurze zwar, aber doch vorgetragen in echter Redner-Manier. „Ich hätte nie gedacht, daß du so gut Reden halten kannst, mein Sohn!“ ruft der Vater aus. Er kann mehr als zufrieden sein, der Vater: was für nette Aufmerksamkeiten!... Zwar keine Meisterwerke, aber... Als drittes Kind tritt die kleine Tochter vor den Vater. Sie hat lediglich einen Strauß roter Nelken in der Hand. Sie sagt kein Wort. Tritt vor den Vater, ohne ein Wort: aber sie ist sichtlich aufgeregt; ihr Gesicht ist so rot, daß schwer zu sagen ist, wer röter ist: sie oder die Nelken die sie in der Hand hält. Und der Vater sagt: „Man sieht, daß du mich lieb hast, du bist ja ganz aufgeregt!“. Aber eben kein Wort. Doch der Vater freut sich über die Blumen, denn er sieht, wie aufgeregt seine kleine Tochter ist; wie sie so vor ihm steht, fast überfließend vor Liebe. Dann ist da noch die Mutter, seine Frau. Sie hat kein Geschenk. Sie schaut ihren Mann an, und er schaut sie an: einfach nur ein Blick. Doch dieser Blick beschwört die ganze Vergangenheit herauf, ein ganzes Leben. Das Gute, das Böse, die Freuden, den Schmerz, den die Familie geteilt hat. Das ist alles. Hier haben wir vier Arten von Gebet. Das erste ist das gesprochene Gebet: wenn ich aufmerksam den Rosenkranz bete, wenn ich das aterunser sage, das Ave Maria; dann sind wir Kinder. Das zweite, die kleine Rede, ist die Meditation. Mein Gespräch mit dem Herrn denke ich mir selbst aus, mache es selbst: schöne Gedanken und tiefe Gefühle, versteht sich. Das dritte, der Blumenstrauß, ist das Gebet mit dem Herzen. Das so aufgeregte, vor Zuneigung überfließende kleine Mädchen. Hier braucht es nicht vieler Gedanken, man muß nur das Herz sprechen lassen. „Mein Gott, ich liebe dich.“ An nur fünf Minuten Gebet mit dem Herzen ist besser getan als an der Meditation. Viertens, die Ehefrau: sie steht für das Gebet der Einfachheit oder des einfachen Blickes, wie man sagt. Ich stelle mich vor den Herrn, und sage nichts. Ich schaue ihn einfach nur an. Es scheint, als wäre dieses Gebet nicht viel wert, aber das stimmt nicht: es kann mehr wert sein als die anderen. Denkt einmal über eine jede dieser Formen des Gebetes nach. Auch die erste. Man sagt: er ist ein Kind, hat gerade erst angefangen. Aber die hl. Theresia schreibt: man kann heilig werden mit dem ersten Gebet. Wieviele einfache Leute haben nicht gelernt, zu meditieren, sprechen aber ordentlich ihre Gebete, mit dem Herzen, die gesprochenen Gebete. Die hl. Bernadette ist nur deshalb heilig geworden. Sie betete ordentlich den Rosenkranz, gehorchte ihrer Mutter. Und ist heilig geworden.
Und jetzt laßt mich euch die Marienverehrung ans Herz legen. Ich möchte den Rosenkranz ansprechen, der zum Teil ein gesprochenes Gebet ist. Der Rosenkranz ist auch die Bibel der Armen. Er darf nie vernachlässigt, muß stets gut gebetet werden. Ich mache mir große Sorgen um meine Gläubigen: es gibt immer noch solche, die zuhause beten, aber nicht mehr den Rosenkranz. Wenn die Kinder sehen, wie der Vater betet, mit allen gemeinsam betet, dann hat das eine Auswirkung auf die Erziehung, die unsere Predigten nie haben können – darauf könnt ihr Gift nehmen. Daher stelle ich bei meinen Pastoralvisiten auch diese Frage: „Beten Sie zuhause?“. Sie beten leider wenig. Schade! Und so sage ich in der Kirche: „Nun hört aber mal zu! Ich kann ja verstehen, daß ihr fernsehen wollt, aber wenn ihr schon nicht den Rosenkranz beten, alle fünf Gesätze sagen könnt, so sagt wenigstens eines, zehn Ave Maria, ein einziges Geheimnis. Das will ich euch doch wirklich mit Nachdruck ans Herz legen, wenigstens das. Und vergeßt nicht auf die Marienverehrung. Einmal haben sie mich gefragt – sie sind nämlich wißbegierig, diese frommen Seelen: „Welche Madonna ziehen Sie vor? Die vom Karmel? Sie müssen nämlich wissen, daß ich eine Verehrerin der Madonna vom Karmel bin!“. Und da man sich bei diesen Leuten kein Blatt vor den Mund nehmen muß, habe ich geantwortet: „Wenn Sie mir einen Rat erlauben: ich würde Ihnen die Madonna der Teller, der Schüsseln und der Suppen vorschlagen!“. Denn seht: die Muttergottes ist ganz ohne Visionen, ohne Ekstasen, heilig geworden, mit diesen alltäglichen, einfachen Alltagsdingen. Ich will damit sagen: es kann nie genug Marienverehrung geben. Ja zum Rosenkranz, zum Vertrauen auf sie, aber auch zur Nachahmung ihrer Tugenden. Werdet also nie müde, den Menschen die Marienverehrung ans Herz zu legen.