RUSSLAND. Putin wegen seines Kampfes gegen die Oligarchen als Antidemokrat abgestempelt.
Wer hat Angst vor dem russischen Bären?
Interview mit Maurizio Blondet, Verfasser von Stare con Putin? [Auf Putins Seite sein]. „Der russisch-europäischeIntegrationsprozess ist eine Tatsache. Es geht jetzt nur noch darum, ihn zu begleiten und zu verhindern, dass er von denen zerstört wird, die ihre eigenen Interessen verfolgen.“
Interview mit Maurizio Blondet von Davide Malacaria
„Russland und Europa können sich nur weiter
integrieren, das ist eine Art Schicksal.“ Worte von Maurizio Blondet,
langjähriger Editoralist von Avvenire, der Zeitung der italienischen Bischofskonferenz. Für
die katholische Tageszeitung schreibt Blondet schon lange nicht mehr. Heute
widmet er sich einer online-Zeitung, Effeundieffe.com, die kein Blatt vor den Mund nimmt, aber sehr interessant
und überaus gut informiert ist. Vor kurzem ist im Buchhandel Blondets
jüngstes Werk erschienen, Stare con Putin? [Auf Putins Seite sein]. Und genau hier setzt unser Interview
an. Wir haben ihn vor dem ersten informalen Treffen zwischen
US-Präsident Bush und dem Präsidenten der Russischen
Föderation, Wladimir Putin, getroffen, das Anfang Juli in der Residenz
von Bush senior in Maine stattfand. Eine Begegnung, die Hoffnungen weckte.
Berechtigte?

Warum soll man auf Putins Seite sein?
Maurizio Blondet: Ich glaube, dass der russische Präsident nach dem 11. September und dem Beginn des so genannten Kriegs gegen den Terrorismus in der Welt eine gewisse Stabilität, eine Art Gleichgewicht repräsentiert hat. Und Europa kann schließlich von einer Integration mit Russland nur profitieren. Verschiedene Bürokraten in Brüssel, Leute wie Barroso und Solana, sind leider dagegen. Leute, die Europa leiten ohne irgendeine Volksinvestitur, und die nichts anderes tun als diese Integration zu erschweren. Vielleicht müssen sie selbst wiederum anderen gehorchen – Personen, die keinerlei Interesse an diesem Prozess haben.
Wen meinen Sie damit?
Blondet: Vor allem die USA. Manch einer würde Russland gerne ins Abseits drängen, es zu einer unbedeutenden asiatischen Macht machen.
Das hört sich ja fast nach einem Komplott an…
Blondet: Von wegen! Ich lese Ihnen einen Auszug aus einem Artikel von 1997 von Zbigniew Brzezinski vor, der Carters Sicherheitsberater war: „Ein neuer und wichtiger Raum auf dem euroasiatischen Schachbrett ist die Ukraine, ein geopolitischer Pfeiler, weil ihre Existenz als unabhängiges Land eine Umwandlung Russlands ermöglicht. Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein euroasiatisches Imperium zu sein. Ohne die Ukraine kann Russland noch für seinen imperialen Status kämpfen, wird aber doch ein hauptsächlich asiatisches Land sein, das wahrscheinlich in Konflikte mit den Völkern Mittelasiens hineingezogen wird, die von den islamischen Staaten, dessen Freunden im Süden, angeheizt werden. [...] Die Staaten, die die größte geopolitische Unterstützung der USA verdienen, sind Aserbaidschan, Usbekistan und (außerhalb dieses Gebiets) die Ukraine, die alle drei geopolitische Pfeiler sind. Die Ukraine ist der wesentlichste Staat, da sie auf die zukünftige Entwicklung Russlands Einfluss nehmen wird.“ Ein wichtiger Interpretationsschlüssel für das, was in den letzten Jahren passiert ist. Schon viele Jahre zuvor wurde geschrieben, dass die „farbigen Revolutionen“ ausbrechen werden.
Farbige Revolutionen...
Blondet: Die orange Revolution in der Ukraine, geopolitisch gesehen die wichtigste, die rosa Revolution in Georgien, und dann noch die der baltischen und der asiatischen Länder, wie Usbekistan, Kirgisistan. Sie alle wurden von den Vereinigten Staaten finanziert durch Nichtregierungsorganisationen, die in diesen Staaten wie Pilze aus dem Boden schossen. Obwohl es in den USA Gesetze gibt, die es verbieten, in die Regierungen anderer Länder einzugreifen. In meinem Buch berichte ich auch von dem wichtigsten Mann der kirgisischen Revolution, dem Amerikaner Mike Stone, der während der Unruhen eine Zeitung ins Leben rief, in der den Leuten erläutert wird, wie man einen Hungerstreik macht, Demonstrationen organisiert und passiven Widerstand leistet... Und als ihm die Behörden den Strom abstellten, konnte er dank der von der US-Botschaft in Kirgisistan freundlicherweise zur Verfügung gestellten Stromgeneratoren dennoch weiter drucken. Einzigartig war auch die Figur von Kateryna Chumachenko, Gattin von Viktor Yushenko, Leader der orangen Revolution und derzeitiger Präsident der Ukraine. Sie wurde in Chicago geboren und war unter Ronald Reagan Beamtin im Weißen Haus, danach im Schatzamt. Im Weißen Haus war sie Mitglied des Public Liaison Office. Sie war darauf spezialisiert, die antikommunistischen Gruppen Osteuropas, besonders die dissidenten Ukrainer, für die Reagansche Politik zu gewinnen. Und das sind nur einige Beispiele.
Sie haben von den Revolutionen in den Ländern des asiatischen Russland gesprochen...
Blondet: Es handelt sich um die kaukasischen Länder und die im Süden, die vom Kaspischen Meer bis China reichen und Russland vom Iran, Afghanistan und Pakistan trennen. Überaus wichtige Staaten von einem geopolitischen Standpunkt aus, da sie Russland mit dem Kaspischen Meer verbinden, das außerdem über große Naturgas- und Ölreserven verfügt. Vor allem aber führen hier die russischen Pipelines vorbei. Die USA werben inzwischen auch in Georgien Marines an: sie haben keine amerikanischen Freiwilligen mehr, weil sich diese den privaten Firmen anbieten, die besser zahlen und sind jetzt gezwungen, die Reihen ihrer Streitkräfte in Ländern wie diesem aufzufüllen... Aber nicht alles ist so gelaufen, wie das die neocon-Strategen erhofft haben: nach einer Zeit der Unterwerfung unter die neuen westlichen Herren haben die Politiker in einigen dieser Staaten begonnen, neue Beziehungen zu Moskau anzuknüpfen. Außerdem liegt Russland viel näher bei ihnen als die USA, und das kann man unmöglich ignorieren.
Dabei sah es nach dem 11. September doch so aus, als wären die USA und Russland gemeinsame Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus.
Blondet: Die USA meinten damals, Russland dirigieren zu können. Kompliziert ist es dann geworden, als Putin begonnen hat, das Land aus dem organisierten Chaos hinauszuführen, in das es unter Jeltsin gestürzt war. Und das auch dank der Öl- und Erdgaseinnahmen. Der Krieg im Irak, der in den Köpfen der amerikanischen Strategen einen Schritt in Richtung Welthegemonie bedeutete, ließ die Ölpreise in die Höhe schießen und hatte so die – von ihnen sicherlich nicht erwünschte – Nebenwirkung, dem Aufschwung Russlands dienlich zu sein... Putin hat das Öl dazu benutzt, dem Land wieder auf die Sprünge zu helfen, und nicht wenigen Oligarchen die Taschen zu füllen, wie das unter Jeltsin der Fall gewesen war. Damals war es einigen skrupellosen Magnaten dank ihrer Beziehungen zu Jeltsin gelungen, die enormen russischen Reichtümer sozusagen zum Schleuderpreis an sich zu reissen.
Ja, die Oligarchen... für Putin ein rotes Tuch...
Blondet: Genau deshalb hat der russische Präsident ja auch so viele Angriffe seitens des Westens über sich ergehen lassen müssen. Bis zur Verhaftung des Magnaten Mikhail Khodorkovski im Oktober 2003 waren die Beziehungen zum Westen gut. Danach haben sie sich zusehends verschlechtert: seit damals wird Putin bezichtigt, die Demokratie untergraben zu wollen, und noch vieles mehr... Die Verhaftung Khodorkovskis hat in der Tat einen Kurswechsel gezeigt. Es wurde klar, dass die fetten Jahre für die Oligarchen vorbei sind und der neue Kreml-Chef nicht gewillt ist, Herren zu unterstützen, die im Dienst internationaler Finanzkreise stehen. Khodorkovski beispielsweise war Chef der größten russischen Ölfirma geworden, der Yukos, hatte für 78% der Aktionen 309 Millionen Dollar locker gemacht ... Am Tag darauf zeigte die Firma bei der russischen Börse, wie viel sie wirklich wert ist: 6 Milliarden Dollar. Natürlich war es nicht sein Geld, aber es war ihm von einschlägig bekannten westlichen Finanziers zur Verfügung gestellt worden, denen er die Firma vor seiner Verhaftung dann schnell wieder zurückverkauft hat.

In Ihrem Buch erwähnen Sie auch die Beziehungen
zwischen Oligarchen und tschetschenischen Terroristen.
Blondet: Es ist kein Geheimnis, dass Shamil Basayev [der Terrorist, der für das Blutbad von Beslan verantwortlich zeichnet, bei dem 394 Menschen starben, 156 davon Kinder] Chef der Leibwache von Boris Abramovich Berezovzky war. Berezovzky, einer der mächtigsten Oligarchen, befindet sich derzeit in London im „Exil“. Auch Aslan Maskhadov, ein anderer Leiter der tschetschenischen Guerilla, der ebenfalls mit Beslan zu tun hatte, war einer der Leibwächter von Berezovsky... Aber das mit der tschetschenischen Guerilla ist eine eigene Geschichte. Als die russischen Truppen bei einer Schießerei Rizvan Chitigov getötet hatten – damals die Nummer drei der Guerilla – fand man bei ihm das metallene Identifizierungsabzeichen der Marines; in der Hosentasche hatte er eine greencard, was bekanntlich einer ständigen Aufenthaltsgenehmigung in den USA gleichkommt. Das nur, um zu erklären, dass auch die USA jedes Interesse daran haben, die Wunde des tschetschenischen Krieges nicht verheilen zu lassen – für Russland eine wahre Achillesferse ...
Die russischen Oligarchen haben inzwischen fast alle im Ausland Zuflucht gefunden ...
Blondet: Im Innern Russlands haben sie aber noch immer Helfershelfer. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Leute eine Vergangenheit haben. Sie kommen aus der sowjetischen Nomenklatura, haben einen guten Draht zur Polizei und zu den Geheimdiensten. Sie sind Putin zwar ein Dorn im Auge, aber er ist gezwungen, Kompromisse einzugehen. Zwar hat er alle Schlüsselpositionen mit seinen eigenen Leuten besetzt, aber er kann nicht alles kontrollieren, was in Russland vor sich geht.
Im Oktober vergangenen Jahres wurde Anna Politkovskaja ermordet, eine Journalistin, die Putin kritisiert hat. Ein Mord, der ein schlechtes Licht auf den russischen Präsidenten warf.
Blondet: Meiner Meinung nach war genau das die Absicht der Mörder. Es ist offensichtlich, dass der einzige, der kein Interesse an diesem Mord hatte, Putin war. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Journalistin auf dem Altar des russischen Anti-Imperialismus geopfert wurde. Gewisse Kreise waren der Meinung, dass sie tot nützlicher wäre als lebendig. Ich muss aber betonen, dass das internationale Aufhebens, das um diesen Mord gemacht wurde, übertrieben war. Da war nämlich noch ein Mord an einer prominenten Persönlichkeit, der die Massenmedien dagegen herzlich wenig interessierte: kurz vor der Journalistin hatte man Andreij Kozlov ermordet, den Vizepräsidenten der russischen Zentralbank, eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Russischen Föderation. Kozlov hatte Ermittlungen zu Geldwäschen eingeleitet und stand kurz davor, einige Banklizenzen einzuziehen. Was für gewisse Finanzkreise katastrophale Folgen gehabt hätte. Kozlov arbeitete aber sicher nicht gegen Putin, und deshalb schenkte man diesem Mord im Westen auch so gut wie gar keine Beachtung.
Und was ist mit dem Mord an Aleksandr Litvinenko im November 2006? Auch hier wird Putin verdächtigt...
Blondet: Über das Polonium, die radioaktive Substanz, mit der er vergiftet wurde, wurde viel geschrieben... Aber soll man wirklich glauben können, dass Putin einen Mord angeordnet hat, für den man sich einer Substanz bediente, die überall Spuren hinterlässt? Meiner Meinung nach wurde auch Litvinenko geopfert, um den russischen Präsidenten zu verunglimpfen. Obwohl es hier einen Szenenwechsel gegeben hat: Der arme Litvinenko ist nicht sofort gestorben, hat während seines langen Todeskampfes noch Interviews gegeben, in denen er russische Regierungskreise anklagte (und auch das ist lächerlich: welcher Auftraggeber würde seinem Opfer Zeit genug lassen, auszupacken?... Da gibt es weitaus schnellere Tötungsmethoden!). Merkwürdig ist, dass – angesichts der Situation – niemand zu ihm gelangen konnte. All seine Worte wurden von der einzigen Person gesammelt, die die Erlaubnis hatte, zu dem Sterbenden zu gehen. Einem gewissen Alex Goldfarb, der als eine Art Sprachrohr des Kranken fungierte. Er bringt die Worte Litvinenkos an die Öffentlichkeit, ins Ausland; er erläutert, klagt an... In meinem Buch mache ich darauf aufmerksam, dass auch in den Büros Berezovskys Polonium-Spuren entdeckt wurden. Dieses Detail müsste meiner Meinung nach genauer untersucht werden.
Vor kurzem hat das Weiße Haus angekündigt, in Polen einen neuen Raketenabwehrschirm stationieren zu wollen – angeblich gegen die vom Iran ausgehende Bedrohung. In Moskau war man davon wenig begeistert.
Blondet: Das ist ja wohl nur verständlich! Wie sollte Russland das auch nicht als Bedrohung empfinden? Und der Vorschlag Putins, eine russisch-amerikanische Zusammenarbeit zu schaffen und den Raketenabwehrschirm in einen asiatischen Staat zu verlegen, hat die neocons vollkommen aus dem Konzept gebracht. Sie können nicht nein sagen, weil es sich um einen mehr als vernünftigen Vorschlag handelt. Was Polen mit dem Iran zu tun haben soll, kann man nämlich wirklich nicht verstehen. Man wird aber sicher versuchen, diesen Vorschlag Putins scheitern zu lassen. Wir werden ja sehen…

Sind auch Sie der Meinung, dass der Iran eine ernst zu
nehmende internationale Bedrohung darstellt?
Blondet: Als Bush vor kurzem nach Indien reiste, hat er dem Land Kollaboration bei der Entwicklung seiner Atomtechnik angeboten. Genau das, was er dem Iran verbieten will. Der Angriff auf den Iran ist inzwischen für die neocons zu einer wahren Besessenheit geworden. Vor ein paar Monaten hat Brzezinski vor dem US-Kongress gesagt, dass die derzeitige US-Administration nicht davor zurückschrecken würde, ein Attentat auf amerikanischem Boden zu inszinieren, das man den Islamisten anhängen kann, nur um einen Vorwand für einen Angriff auf den Iran zu haben...
Aber haben Sie vorhin nicht gesagt, Brzezinski wäre der Drahtzieher einer aggressiven Politik seitens der USA?
Blondet: Brzezinski ist, wie Kissinger auch, ein politischer Stratege, der sich zu Recht um das Schicksal seines Volkes sorgt und dessen Wohlstand will, wenn auch manchmal mit recht zweifelhaften Methoden. Es handelt sich aber hier um Personen, die in Sachen Politik und Diplomatie mit allen Wassern gewaschen sind. Weit entfernt von dem Wahnsinn der neocons, die den Präventivkrieg verfechten, den Demokratieexport mit Kanonendonner, für eine Neuordnung des Nahen Ostens nach den Richtlinien der israelischen Rechten sind... Ein Wahnsinn, der sich in die Vorzimmer der alten US-Politik einschleichen konnte, diese vollkommen verzerrt hat.
Kommen wir wieder auf Putin zurück. Sie haben gesagt, dass die Integration zwischen Russland und Europa...
Blondet: ... nur Vorteile bringen würde. In Wahrheit ist diese Integration bereits dabei, Tag für Tag zu wachsen. Derzeit ist ein Hochgeschwindigkeitszugnetz zwischen Deutschland und Russland geplant, dem dann noch eine Linie zwischen Russland und China angeschlossen wird. Auf diese Weise können die chinesischen Waren – die, die einen gewissen Wert haben natürlich – auf dem Landweg nach Europa gebracht werden. Lange und kostspielige Transportwege werden damit überflüssig. In diese Perspektive fügt sich auch der Bau einer Gasleitung unter dem Baltischen Meer ein, die an Polen vorbeiführen und Europa beliefern wird. Die kostbare Ressource muss so nicht länger die Territorien der Demokratien des Ostens durchqueren, die den USA ergeben sind. Kurzum: die Integration ist eine Tatsache. Es geht jetzt nur noch darum, sie zu begleiten und zu verhindern, dass sie von denen zerstört wird, die ihre eigenen Interessen verfolgen.
In den letzten Jahren fand laut vieler Analysten eine Annäherung zwischen Russland und China statt.
Blondet: Die beiden asiatischen Giganten haben einander stets mit Mißtrauen betrachtet. Die aggressive Politik der USA bewirkte jedoch, das anzunähern, was immer voneinander entfernt war. Zwischen China und Russland konnten sich militärische, wirtschaftliche und den Handel betreffende Gemeinsamkeiten herauskristallisieren, aber es ist nicht gesagt, dass es hierbei keine Überraschungen geben könnte. China hat ein asiatisches, Russland ein europäisches Schicksal. Das darf man nicht vergessen.

Maurizio Blondet.
Maurizio Blondet: Ich glaube, dass der russische Präsident nach dem 11. September und dem Beginn des so genannten Kriegs gegen den Terrorismus in der Welt eine gewisse Stabilität, eine Art Gleichgewicht repräsentiert hat. Und Europa kann schließlich von einer Integration mit Russland nur profitieren. Verschiedene Bürokraten in Brüssel, Leute wie Barroso und Solana, sind leider dagegen. Leute, die Europa leiten ohne irgendeine Volksinvestitur, und die nichts anderes tun als diese Integration zu erschweren. Vielleicht müssen sie selbst wiederum anderen gehorchen – Personen, die keinerlei Interesse an diesem Prozess haben.
Wen meinen Sie damit?
Blondet: Vor allem die USA. Manch einer würde Russland gerne ins Abseits drängen, es zu einer unbedeutenden asiatischen Macht machen.
Das hört sich ja fast nach einem Komplott an…
Blondet: Von wegen! Ich lese Ihnen einen Auszug aus einem Artikel von 1997 von Zbigniew Brzezinski vor, der Carters Sicherheitsberater war: „Ein neuer und wichtiger Raum auf dem euroasiatischen Schachbrett ist die Ukraine, ein geopolitischer Pfeiler, weil ihre Existenz als unabhängiges Land eine Umwandlung Russlands ermöglicht. Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein euroasiatisches Imperium zu sein. Ohne die Ukraine kann Russland noch für seinen imperialen Status kämpfen, wird aber doch ein hauptsächlich asiatisches Land sein, das wahrscheinlich in Konflikte mit den Völkern Mittelasiens hineingezogen wird, die von den islamischen Staaten, dessen Freunden im Süden, angeheizt werden. [...] Die Staaten, die die größte geopolitische Unterstützung der USA verdienen, sind Aserbaidschan, Usbekistan und (außerhalb dieses Gebiets) die Ukraine, die alle drei geopolitische Pfeiler sind. Die Ukraine ist der wesentlichste Staat, da sie auf die zukünftige Entwicklung Russlands Einfluss nehmen wird.“ Ein wichtiger Interpretationsschlüssel für das, was in den letzten Jahren passiert ist. Schon viele Jahre zuvor wurde geschrieben, dass die „farbigen Revolutionen“ ausbrechen werden.
Farbige Revolutionen...
Blondet: Die orange Revolution in der Ukraine, geopolitisch gesehen die wichtigste, die rosa Revolution in Georgien, und dann noch die der baltischen und der asiatischen Länder, wie Usbekistan, Kirgisistan. Sie alle wurden von den Vereinigten Staaten finanziert durch Nichtregierungsorganisationen, die in diesen Staaten wie Pilze aus dem Boden schossen. Obwohl es in den USA Gesetze gibt, die es verbieten, in die Regierungen anderer Länder einzugreifen. In meinem Buch berichte ich auch von dem wichtigsten Mann der kirgisischen Revolution, dem Amerikaner Mike Stone, der während der Unruhen eine Zeitung ins Leben rief, in der den Leuten erläutert wird, wie man einen Hungerstreik macht, Demonstrationen organisiert und passiven Widerstand leistet... Und als ihm die Behörden den Strom abstellten, konnte er dank der von der US-Botschaft in Kirgisistan freundlicherweise zur Verfügung gestellten Stromgeneratoren dennoch weiter drucken. Einzigartig war auch die Figur von Kateryna Chumachenko, Gattin von Viktor Yushenko, Leader der orangen Revolution und derzeitiger Präsident der Ukraine. Sie wurde in Chicago geboren und war unter Ronald Reagan Beamtin im Weißen Haus, danach im Schatzamt. Im Weißen Haus war sie Mitglied des Public Liaison Office. Sie war darauf spezialisiert, die antikommunistischen Gruppen Osteuropas, besonders die dissidenten Ukrainer, für die Reagansche Politik zu gewinnen. Und das sind nur einige Beispiele.
Sie haben von den Revolutionen in den Ländern des asiatischen Russland gesprochen...
Blondet: Es handelt sich um die kaukasischen Länder und die im Süden, die vom Kaspischen Meer bis China reichen und Russland vom Iran, Afghanistan und Pakistan trennen. Überaus wichtige Staaten von einem geopolitischen Standpunkt aus, da sie Russland mit dem Kaspischen Meer verbinden, das außerdem über große Naturgas- und Ölreserven verfügt. Vor allem aber führen hier die russischen Pipelines vorbei. Die USA werben inzwischen auch in Georgien Marines an: sie haben keine amerikanischen Freiwilligen mehr, weil sich diese den privaten Firmen anbieten, die besser zahlen und sind jetzt gezwungen, die Reihen ihrer Streitkräfte in Ländern wie diesem aufzufüllen... Aber nicht alles ist so gelaufen, wie das die neocon-Strategen erhofft haben: nach einer Zeit der Unterwerfung unter die neuen westlichen Herren haben die Politiker in einigen dieser Staaten begonnen, neue Beziehungen zu Moskau anzuknüpfen. Außerdem liegt Russland viel näher bei ihnen als die USA, und das kann man unmöglich ignorieren.
Dabei sah es nach dem 11. September doch so aus, als wären die USA und Russland gemeinsame Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus.
Blondet: Die USA meinten damals, Russland dirigieren zu können. Kompliziert ist es dann geworden, als Putin begonnen hat, das Land aus dem organisierten Chaos hinauszuführen, in das es unter Jeltsin gestürzt war. Und das auch dank der Öl- und Erdgaseinnahmen. Der Krieg im Irak, der in den Köpfen der amerikanischen Strategen einen Schritt in Richtung Welthegemonie bedeutete, ließ die Ölpreise in die Höhe schießen und hatte so die – von ihnen sicherlich nicht erwünschte – Nebenwirkung, dem Aufschwung Russlands dienlich zu sein... Putin hat das Öl dazu benutzt, dem Land wieder auf die Sprünge zu helfen, und nicht wenigen Oligarchen die Taschen zu füllen, wie das unter Jeltsin der Fall gewesen war. Damals war es einigen skrupellosen Magnaten dank ihrer Beziehungen zu Jeltsin gelungen, die enormen russischen Reichtümer sozusagen zum Schleuderpreis an sich zu reissen.
Ja, die Oligarchen... für Putin ein rotes Tuch...
Blondet: Genau deshalb hat der russische Präsident ja auch so viele Angriffe seitens des Westens über sich ergehen lassen müssen. Bis zur Verhaftung des Magnaten Mikhail Khodorkovski im Oktober 2003 waren die Beziehungen zum Westen gut. Danach haben sie sich zusehends verschlechtert: seit damals wird Putin bezichtigt, die Demokratie untergraben zu wollen, und noch vieles mehr... Die Verhaftung Khodorkovskis hat in der Tat einen Kurswechsel gezeigt. Es wurde klar, dass die fetten Jahre für die Oligarchen vorbei sind und der neue Kreml-Chef nicht gewillt ist, Herren zu unterstützen, die im Dienst internationaler Finanzkreise stehen. Khodorkovski beispielsweise war Chef der größten russischen Ölfirma geworden, der Yukos, hatte für 78% der Aktionen 309 Millionen Dollar locker gemacht ... Am Tag darauf zeigte die Firma bei der russischen Börse, wie viel sie wirklich wert ist: 6 Milliarden Dollar. Natürlich war es nicht sein Geld, aber es war ihm von einschlägig bekannten westlichen Finanziers zur Verfügung gestellt worden, denen er die Firma vor seiner Verhaftung dann schnell wieder zurückverkauft hat.

Wladimir Putin bei dem informalen Gipfel mit US-Präsident George W. Bush in der Residenz von Bush senior (Maine, 2. Juli 2007).
Blondet: Es ist kein Geheimnis, dass Shamil Basayev [der Terrorist, der für das Blutbad von Beslan verantwortlich zeichnet, bei dem 394 Menschen starben, 156 davon Kinder] Chef der Leibwache von Boris Abramovich Berezovzky war. Berezovzky, einer der mächtigsten Oligarchen, befindet sich derzeit in London im „Exil“. Auch Aslan Maskhadov, ein anderer Leiter der tschetschenischen Guerilla, der ebenfalls mit Beslan zu tun hatte, war einer der Leibwächter von Berezovsky... Aber das mit der tschetschenischen Guerilla ist eine eigene Geschichte. Als die russischen Truppen bei einer Schießerei Rizvan Chitigov getötet hatten – damals die Nummer drei der Guerilla – fand man bei ihm das metallene Identifizierungsabzeichen der Marines; in der Hosentasche hatte er eine greencard, was bekanntlich einer ständigen Aufenthaltsgenehmigung in den USA gleichkommt. Das nur, um zu erklären, dass auch die USA jedes Interesse daran haben, die Wunde des tschetschenischen Krieges nicht verheilen zu lassen – für Russland eine wahre Achillesferse ...
Die russischen Oligarchen haben inzwischen fast alle im Ausland Zuflucht gefunden ...
Blondet: Im Innern Russlands haben sie aber noch immer Helfershelfer. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Leute eine Vergangenheit haben. Sie kommen aus der sowjetischen Nomenklatura, haben einen guten Draht zur Polizei und zu den Geheimdiensten. Sie sind Putin zwar ein Dorn im Auge, aber er ist gezwungen, Kompromisse einzugehen. Zwar hat er alle Schlüsselpositionen mit seinen eigenen Leuten besetzt, aber er kann nicht alles kontrollieren, was in Russland vor sich geht.
Im Oktober vergangenen Jahres wurde Anna Politkovskaja ermordet, eine Journalistin, die Putin kritisiert hat. Ein Mord, der ein schlechtes Licht auf den russischen Präsidenten warf.
Blondet: Meiner Meinung nach war genau das die Absicht der Mörder. Es ist offensichtlich, dass der einzige, der kein Interesse an diesem Mord hatte, Putin war. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Journalistin auf dem Altar des russischen Anti-Imperialismus geopfert wurde. Gewisse Kreise waren der Meinung, dass sie tot nützlicher wäre als lebendig. Ich muss aber betonen, dass das internationale Aufhebens, das um diesen Mord gemacht wurde, übertrieben war. Da war nämlich noch ein Mord an einer prominenten Persönlichkeit, der die Massenmedien dagegen herzlich wenig interessierte: kurz vor der Journalistin hatte man Andreij Kozlov ermordet, den Vizepräsidenten der russischen Zentralbank, eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Russischen Föderation. Kozlov hatte Ermittlungen zu Geldwäschen eingeleitet und stand kurz davor, einige Banklizenzen einzuziehen. Was für gewisse Finanzkreise katastrophale Folgen gehabt hätte. Kozlov arbeitete aber sicher nicht gegen Putin, und deshalb schenkte man diesem Mord im Westen auch so gut wie gar keine Beachtung.
Und was ist mit dem Mord an Aleksandr Litvinenko im November 2006? Auch hier wird Putin verdächtigt...
Blondet: Über das Polonium, die radioaktive Substanz, mit der er vergiftet wurde, wurde viel geschrieben... Aber soll man wirklich glauben können, dass Putin einen Mord angeordnet hat, für den man sich einer Substanz bediente, die überall Spuren hinterlässt? Meiner Meinung nach wurde auch Litvinenko geopfert, um den russischen Präsidenten zu verunglimpfen. Obwohl es hier einen Szenenwechsel gegeben hat: Der arme Litvinenko ist nicht sofort gestorben, hat während seines langen Todeskampfes noch Interviews gegeben, in denen er russische Regierungskreise anklagte (und auch das ist lächerlich: welcher Auftraggeber würde seinem Opfer Zeit genug lassen, auszupacken?... Da gibt es weitaus schnellere Tötungsmethoden!). Merkwürdig ist, dass – angesichts der Situation – niemand zu ihm gelangen konnte. All seine Worte wurden von der einzigen Person gesammelt, die die Erlaubnis hatte, zu dem Sterbenden zu gehen. Einem gewissen Alex Goldfarb, der als eine Art Sprachrohr des Kranken fungierte. Er bringt die Worte Litvinenkos an die Öffentlichkeit, ins Ausland; er erläutert, klagt an... In meinem Buch mache ich darauf aufmerksam, dass auch in den Büros Berezovskys Polonium-Spuren entdeckt wurden. Dieses Detail müsste meiner Meinung nach genauer untersucht werden.
Vor kurzem hat das Weiße Haus angekündigt, in Polen einen neuen Raketenabwehrschirm stationieren zu wollen – angeblich gegen die vom Iran ausgehende Bedrohung. In Moskau war man davon wenig begeistert.
Blondet: Das ist ja wohl nur verständlich! Wie sollte Russland das auch nicht als Bedrohung empfinden? Und der Vorschlag Putins, eine russisch-amerikanische Zusammenarbeit zu schaffen und den Raketenabwehrschirm in einen asiatischen Staat zu verlegen, hat die neocons vollkommen aus dem Konzept gebracht. Sie können nicht nein sagen, weil es sich um einen mehr als vernünftigen Vorschlag handelt. Was Polen mit dem Iran zu tun haben soll, kann man nämlich wirklich nicht verstehen. Man wird aber sicher versuchen, diesen Vorschlag Putins scheitern zu lassen. Wir werden ja sehen…

Putin und Benedikt XVI. (13. März 2007).
Blondet: Als Bush vor kurzem nach Indien reiste, hat er dem Land Kollaboration bei der Entwicklung seiner Atomtechnik angeboten. Genau das, was er dem Iran verbieten will. Der Angriff auf den Iran ist inzwischen für die neocons zu einer wahren Besessenheit geworden. Vor ein paar Monaten hat Brzezinski vor dem US-Kongress gesagt, dass die derzeitige US-Administration nicht davor zurückschrecken würde, ein Attentat auf amerikanischem Boden zu inszinieren, das man den Islamisten anhängen kann, nur um einen Vorwand für einen Angriff auf den Iran zu haben...
Aber haben Sie vorhin nicht gesagt, Brzezinski wäre der Drahtzieher einer aggressiven Politik seitens der USA?
Blondet: Brzezinski ist, wie Kissinger auch, ein politischer Stratege, der sich zu Recht um das Schicksal seines Volkes sorgt und dessen Wohlstand will, wenn auch manchmal mit recht zweifelhaften Methoden. Es handelt sich aber hier um Personen, die in Sachen Politik und Diplomatie mit allen Wassern gewaschen sind. Weit entfernt von dem Wahnsinn der neocons, die den Präventivkrieg verfechten, den Demokratieexport mit Kanonendonner, für eine Neuordnung des Nahen Ostens nach den Richtlinien der israelischen Rechten sind... Ein Wahnsinn, der sich in die Vorzimmer der alten US-Politik einschleichen konnte, diese vollkommen verzerrt hat.
Kommen wir wieder auf Putin zurück. Sie haben gesagt, dass die Integration zwischen Russland und Europa...
Blondet: ... nur Vorteile bringen würde. In Wahrheit ist diese Integration bereits dabei, Tag für Tag zu wachsen. Derzeit ist ein Hochgeschwindigkeitszugnetz zwischen Deutschland und Russland geplant, dem dann noch eine Linie zwischen Russland und China angeschlossen wird. Auf diese Weise können die chinesischen Waren – die, die einen gewissen Wert haben natürlich – auf dem Landweg nach Europa gebracht werden. Lange und kostspielige Transportwege werden damit überflüssig. In diese Perspektive fügt sich auch der Bau einer Gasleitung unter dem Baltischen Meer ein, die an Polen vorbeiführen und Europa beliefern wird. Die kostbare Ressource muss so nicht länger die Territorien der Demokratien des Ostens durchqueren, die den USA ergeben sind. Kurzum: die Integration ist eine Tatsache. Es geht jetzt nur noch darum, sie zu begleiten und zu verhindern, dass sie von denen zerstört wird, die ihre eigenen Interessen verfolgen.
In den letzten Jahren fand laut vieler Analysten eine Annäherung zwischen Russland und China statt.
Blondet: Die beiden asiatischen Giganten haben einander stets mit Mißtrauen betrachtet. Die aggressive Politik der USA bewirkte jedoch, das anzunähern, was immer voneinander entfernt war. Zwischen China und Russland konnten sich militärische, wirtschaftliche und den Handel betreffende Gemeinsamkeiten herauskristallisieren, aber es ist nicht gesagt, dass es hierbei keine Überraschungen geben könnte. China hat ein asiatisches, Russland ein europäisches Schicksal. Das darf man nicht vergessen.