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BUCHBESPRECHUNG
Aus Nr. 08 - 2007

Was bleibt an Wesentlichem und Grundlegendem in der Kirche?


Die Ansprache von Pius XI. an die italienischen Bischöfe, die er zum 10. Jahrestag der Unterzeichnung der Lateranverträge in den Vatikan zitiert hatte. Eine Ansprache, die der Papst nicht mehr halten konnte: er starb am 10. Februar 1939, einen Tag davor.


Die Ansprache, die Pius XI. nicht mehr halten konnte


Pius XI.

Pius XI.

Verehrte Brüder,
zehn Jahre Aussöhnung – 17, und nun schon 18 Jahre Pontifikat – 20 Jahre Bischofsamt – 60 Jahre Priestertum: das sind die großen Stimmen, die sich im hellen Wunderglanz von Lourdes im Chor vereinen, um Sie einzuladen, mit Ihrer geschätzten und erwünschten Anwesenheit dem alten Pontifex, dem alten Papst, Freude und Trost zu schenken.
Wie viele Dinge sagt Ihre geschätzte Anwesenheit der Kirche und den Gläubigen in der ganzen Welt, wie viel sagt sie besonders Uns, wie viel suggeriert sie Uns, wie viel lädt sie Uns Ihnen zu sagen ein!
Die wenige, Uns zur Verfügung stehenden Zeit zwingt Uns, die Themen sorgfältig auszuwählen und knapp zu behandeln, was Uns mit Gottes Hilfe und nicht zuletzt auch Ihrer Güte und Geduld hoffentlich gelingen mag.
Gewiss, das wichtigste Thema, jenes, das am besten bedacht und am gründlichsten überlegt sein will, ist das der Versöhnung: ein Thema von kollektiver, ja (wir können sagen) universaler Wichtigkeit, nicht nur für Italien. Wenn wir daran denken, können, ja, müssen wir uns vom Apostel gebieten lassen: et grati estote (Kol 3, 15).
Genau auf dieses große Thema werden wir morgen eingehen, nachdem wir dem Herrn in der Majestät der uns so hell erstrahlenden Basilika unseren Lobpreis und Dank dargebracht haben.
Wir wollen nun kurze (das dürfen Sie Uns glauben), aber wichtige Reflexionen zu diesen bedeutsamen Zahlen des Priestertums und Bischofsamtes darlegen. Und es sind nicht nur Unsere armen Zahlen, die sich hier aufdrängen, sondern noch viel mehr die Ihren.
Wie viele sind Sie? Wie viele Jahre erfüllten Priestertums und Bischofsamtes bringen Sie Uns dar? Wie groß und wunderbar die Summe, der wahrlich unermessliche Schatz göttlicher Gnaden – Gnaden, die erhalten und an so viele Seelen weiter gegeben wurden –, Schatz des Gehorsams, der Heiligung, des Apostolats, der Verdienste vor Gott und vor den Menschen!
Mehr als diese und andere nahe liegende Reflexionen möchten Wir Ihnen jedoch besonders eine ans Herz legen – schon wegen dieser letzten Lektion, die Wir in dem Uns noch verbleibenden Leben in der Kongregation lernen, deren Präfektenamt Wir übernommen haben –, die Unserer Meinung nach nicht nur die praktischste ist, sondern auch die viel versprechendste und jene, die die wertvollsten Früchte tragen kann.
Wo liegt die Quelle des Priestertums und des Bischofsamtes?
In den Seminaren.
Gewiss, über allem und über jedem steht und wirkt die Gnade Gottes: die Gnade der Wahl und der Berufung, die Gnade der Heiligung und Weihe. Aber all diese Gnaden werden in den Seminaren gesammelt, gepflegt und vervollkommnet. Aus diesen, und (in der Regel) nur aus diesen, wird die Hoffnung geboren und – wie Wir zu sagen wagen – die Möglichkeit, gute und gut ausgebildete Priester zu haben. Und aus dem Priestertum erwächst wiederum die Möglichkeit des Bischofsamtes. Was sonst bleibt an Wesentlichem und Grundlegendem in der Kirche?
Die Folgerungen, die sich an diesem Punkt all jenen aufdrängen, die im Bereich der Seminare Verantwortung tragen, sind zugleich tröstlich und erschreckend; besonders für Uns, dem die Göttliche Vorsehung die Verantwortung so vieler Jahre Priestertum, Bischofsamt und Pontifikat beschert hat, mit so vielen Jahren Seminar, wie es – wie wir sehen – nur wenigen gegönnt ist: 12 Jahre in Mailand, drei Jahre hier in unserem Rom.
Um aber diesem so wichtigen Thema gerecht werden und von der Lektion dieser letzten, eben angesprochenen Erfahrung profitieren zu können, kommen Wir nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass es Seminare und Seminare gibt: diözesane Seminare und interdiözesane Seminare, und gerade auch mit einer Steigerung nach großer und noch größerer Wichtigkeit.
Sie müssen nun aber nicht meinen, dass Wir vorhaben, auf die vielen damit zusammen hängenden Details einzugehen, die sich leicht dem Geist dartun, besonders so wachen und erfahrenen, erleuchteten Geistern wie den Ihren. Frömmigkeit und Studium, geistliche Führung und äußere Kontrolle, Disziplin und Hygiene, Wirtschaft und Verwaltung, Bibliothek und Küche, Leitungsgremium und Lehrkörper, Dienstpersonal, usw., von den großen bis zu den kleinen Dingen: ja, auch diese, denn unser tägliches Leben ist aus kleinen Dingen gemacht, die großen sind selten. Das ist die Lehre unseres Vaters im Himmel, der die Welten lenkt und um das Vöglein weiß, das im Wald stirbt und um das Haar, das von unserem Haupte fällt (Mt 6, 26; Lk 21, 18).
Aber lassen wir es mit diesen wenigen Worten über so wichtige und zahlreiche Dinge genug sein. Wenn Wir Ihre Aufmerksamkeit nämlich auf die diözesanen und interdiözesanen Seminare lenken wollten, dann einzig, um Sie zu bitten, wie Wir das nun von ganzem Herzen tun, Uns stets in deren Namen Hilfe leisten zu wollen, indem Sie die Richtlinien und Sorgen Unserer – ja, was sage ich: Ihrer – Kongregation unterstützen, die ganz den Seminaren geweiht ist, die ja Ihnen unterstellt sind. Indem Sie praktisch nicht nur die diözesanen Seminare als die Ihren betrachten, sondern auch die interdiözesanen, die in der Tat für alle Seminare da sind und wirken, die unter ihre Zuständigkeit fallen. Indem Sie manchmal auch corde magno et animo volenti das Opfer einer für die Diözese besonders nützlichen Person bringen, im Gedenken, dass es für einen höheren Zweck und als besondere Geste der Liebe für den Papst ist. Und wir bitten Sie, Hilfe zu leisten, indem die Rektoren in ihrer Strenge der Zulassungen und Promotionen unterstützt werden, weil auf ihren Schultern bekanntlich eine besondere, faszinierende Verantwortung lastet, für die sie den Beistand besonderer Gnaden und Hilfen empfangen.
Dabei wollen Wir es nun belassen, obwohl es hierzu noch einiges zu sagen und überlegen gäbe. Abschließen wollen Wir mit zwei persönlichen Erinnerungen aus Unserer Jugendzeit, die Uns besonders lehrreich scheinen. Die erste hängt mit Unserem verehrten Erzbischof zusammen, der Uns im Knabenseminar die Erste Kommunion spendete. Er war ein Mann erprobter Erfahrung und vielen Gebets, und hatte als Großrektor der Seminare einen Mann, der unter vielerlei Aspekten ein ganz außergewöhnlicher Mensch war. Er war recht schroff und autoritär, und er war auch unser Rektor. Der Erzbischof sagte zu einem heiligen Priester, Unserem Onkel väterlicherseits und fast schon zweitem Vater: „Ich halte mich letztendlich bei Zulassungen und Promotionen immer an sein Urteil; und das einzige Mal, als ich geglaubt hatte, ich hätte Recht, musste ich schon bald einsehen, dass er auch dieses Mal Recht gehabt hatte.“
Die andere Erinnerung rankt sich um die große und leuchtende Gestalt Kardinal Agostino Riboldis, der einst Unser Physiklehrer war, dann der eifrige Bischof von Pavia, und schließlich der erinnerungswürdige Kardinal Erzbischof von Ravenna. Als man ihm eines Tages sagte: „Bei dieser Großzügigkeit, Mitarbeiter freizustellen und dieser Strenge bei der Rekrutierung, werden wir bald Pfarreien ohne Pfarrer haben“, antwortete er: „Wenn es keine heilige Messe gibt, werden die Gläubigen dispensiert sein, sie zu besuchen.“ Nur selten haben Diözesen eifrigere und an pastoralen Früchten reichere Bischöfe gehabt.
Und bei den Seminaren wollen wir es jetzt belassen; aber wir müssen noch eines anfügen, das Ihre Anwesenheit suggeriert, ja fast schon erfordert.
Es ist Urteil der Apostel (Apg 6, 4), dass der Dienst am Wort – ministerium verbi – es ist, der den Aposteln am meisten zugehört, und damit Ihnen, die Sie ihre Nachfolger sind.
Und gerade über das Wort des Bischofs wollen wir uns nun noch kurz unterhalten, so wie es ein alter Vater mit seinen Kindern tut. Öffentliches und privates Wort: privates Wort an private Person oder an Person in einem öffentlichem Amt; gesprochenes, geschriebenes oder gedrucktes öffentliches Wort; am Telefon gesprochenes Wort...
Ich habe davon gesprochen, uns miteinander zu unterhalten, weil auch der Papst Bischof ist, Bischof von Rom und der katholischen Kirche – so unterzeichnete schon Papst Eugen beim Konzil von Florenz –, womit Wir auch dieses großen Mannes gedenken, an diesen so erinnerungsträchtigen Tagen.
Was Wir nun also zu Ihnen und über Sie sagen wollen, das müssen Wir in erster Linie zu Uns selbst und über Uns selbst sagen. Liebe, verehrte Brüder: Sie wissen ja, wie es dem Wort des Papstes oft ergeht. Man beschäftigt sich, nicht nur in Italien, mit Unseren Predigten, Unseren Audienzen, zumeist, um sie in ihrem Sinn zu verfälschen. Ja, manchmal Uns durch pure Erfindungen mancherlei Dummheit und Absurdität in den Mund zu legen. Da gibt es eine Presse, die alles gegen Uns und Uns betreffende Dinge sagen kann, auch indem sie die jüngere und fernere Geschichte der Kirche in einem falschen und verzerrten Sinn darstellt und interpretiert, was sogar so weit gehen kann, eine Verfolgung in Deutschland hartnäckig zu leugnen und mit dem falschen und verleumderischen Vorwurf, Politik zu betreiben, einher geht – genauso wie sich einst die Verfolgung des Kaisers Nero mit der Anschuldigung der Brandstiftung in Rom verband. Das kann bis zu regelrechten Beleidigungen gehen und unsere Presse kann es weder verhindern noch korrigieren.
Sie können nun nicht erwarten, dass man Ihr Wort besser behandelt, auch wenn es das Wort heiliger, von Gott eingesetzter Hirten ist. Ein Wort, gepredigt, geschrieben oder gedruckt, um zu erleuchten, zu ermahnen, Seelen zu retten.
Seien Sie auf der Hut, liebe Brüder in Christus, und vergessen Sie nicht, dass es oft Beobachter oder Informanten (Spione, um sie bei ihrem wahren Namen zu nennen) gibt, die Ihnen aus persönlichem Eifer oder auf ihnen gegebene Anordnungen nur zuhören, um Sie zu denunzieren, nachdem sie, das ist klar, rein gar nichts verstanden haben, ja, wenn notwendig, das Gegenteil. Zu ihren Gunsten (wie es der Herr bei jenen getan hat, die ihn ans Kreuz schlugen) haben sie nur die große, mächtige Entschuldigung der Unwissenheit.
Seien Sie auf der Hut, liebe Brüder in Christus, und vergessen Sie nicht, dass es oft Beobachter oder Informanten (Spione, um sie bei ihrem wahren Namen zu nennen) gibt, die Ihnen aus persönlichem Eifer oder auf ihnen gegebene Anordnungen nur zuhören, um Sie zu denunzieren, nachdem sie, das ist klar, rein gar nichts verstanden haben, ja, wenn notwendig, das Gegenteil. Zu ihren Gunsten (wie es der Herr bei jenen getan hat, die ihn ans Kreuz schlugen) haben sie nur die große, mächtige Entschuldigung der Unwissenheit. Schlimmer noch, wenn diese Entschuldigung Platz macht für den erschwerenden Umstand der törichten Anmaßung dessen, der glaubt und sagt, alles zu wissen, während er offensichtlich nicht einmal weiß, was die Kirche ist, was der Papst ist, was ein Bischof ist, was jenes Band des Glaubens und der Nächstenliebe ist, das uns alle in Liebe und im Dienst Jesu, unseres Herrn und Königs, verbindet. Es gibt leider Pseudokatholiken, die glücklich zu sein scheinen, wenn sie meinen, auf ihre Weise (versteht sich), einen Unterschied, eine Diskrepanz zwischen einem Bischof und einem anderen feststellen zu können, und mehr noch zwischen einem Bischof und dem Papst.
Aber nicht nur in Sachen Auslegung und Missbrauch Ihres öffentlichen Wortes sollen Sie wachsam sein, meine lieben Brüder, sondern auch, was Ihr privates Wort angeht. Jenes, das Sie vielleicht aus Gutgläubigkeit und väterlichem Vertrauen mit Personen wechseln, die wichtige Ämter in Politik oder in der Partei innehaben, den so genannten gerarchi [hochrangige Faschisten, Anm.d.Red.]. Ihnen muss man, wenn auch mit der gebotenen Wachsamkeit, eine gewisse Nachsicht, ein gewisses Verständnis entgegen bringen. Für sie ist es eine Frage der Karriere, oder besser gesagt: von Brot und Lebensunterhalt. Wie wir wissen, gibt es auch viele gute und tröstliche Ausnahmen: hervorragende Personen, die es verstehen, ihre Ämter in verantwortlicher, edler Weise mit dem katholischen Glauben und der Praxis desselben zu vereinen, zum unschätzbaren Vorteil der Religion, der Seelen, der Gewissen, besonders derer junger Menschen, und folglich ihres Landes. Wie gerne würden wir sie alle persönlich kennen lernen – wie viele von Ihnen es Uns mitgeteilt haben –, um ihnen, einen nach dem anderen, Dank sagen und unseren Segen spenden zu können. Und da ist noch ein Wort, das Ihre ganze Aufmerksamkeit und Wachsamkeit erfordert. Ein Wort, das, wie man glauben möchte, schon von Natur aus geheim, geschützt ist, während es sich doch in Wahrheit noch mehr der Kontrolle anbietet: Ich meine das am Telefon gesprochene Wort... Darüber musste sich Petrus, der erste Papst, nicht den Kopf zerbrechen, sich keine Sorgen machen!
Eines möchten wir Ihnen sofort und unmissverständlich ans Herz legen: vertrauen Sie dem Telefon niemals Dinge an, die Sie für sich behalten wollen. Während Sie nämlich glauben, dass Ihr Wort nur Ihren fernen Gesprächspartner erreicht, kann es doch passieren, dass man darauf aufmerksam wird, ja Ihr Gespräch gar abgehört wird.
Die Gebrüder Behm haben uns ein herrliches System, einen wunderschönen, perfekten Telefonapparat beschert, und Wir freuen uns, ihnen dafür danken zu können. Aber Wir haben nie – ich wiederhole es: nie – von dem Telefon Gebrauch gemacht. In vielen Jahren nicht. Wir freuen uns, Sie alle in osculo et amplexu Christi willkommen heißen zu dürfen, nicht am Telefon, sondern persönlich; Sie, ebenfalls persönlich, auffordern zu dürfen, bei diesem so feierlichen Anlass und zu so großem Nutzen der göttlichen Güte, der feierlichen Ermahnung des Apostels Folge zu leisten: et grati estote (Kol 3, 15). Wie Wir das, so es Gott gefällt, morgen tun werden in der großen Basilika der Apostel, die gewiss frohlocken in ihren glorreichen Gräbern – exultabunt ossa humiliata, wie es im Psalm heißt. Wir können und dürfen sagen: exultabunt ossa glorificata, und wir sagen es aus tiefstem Herzen, wie ein Gebet: frohlockt, o verherrlichte Gebeine dieser Großen unter den Freunden und Aposteln Christi, die dieses Italien mit ihrer Präsenz geehrt und geheilig haben, mit ihrem Werk, mit ihrem glorreichen Martyrium, mit dem Purpur ihres edlen Blutes; frohlockt an diesem Tag, der uns erinnert: Gott ist Italien wieder gegeben, Italien ist Gott wieder gegeben, vorzüglicher Glückwunsch einer gesegneten Zukunft.
Und angesichts dieses Glückwunsches prophezeit auch ihr, o heilige und glorreiche Gebeine, wie die des Altvaters Josef… Prophezeit das Ausharren dieses Italien in dem von ihnen verkündeten und mit ihrem Blut besiegelten Glauben: o heilige Gebeine, prophezeit ein Ausharren in Schicksalsschlägen und Gefahren, die Italien von nah und fern bedrohen und bekämpfen. Prophezeit, o heilige Gebeine, den Frieden, das Wohlergehen, die Würde, vor allem die Würde eines Volkes, das sich seiner Würde, seiner menschlichen und christlichen Verantwortung bewusst ist; prophezeit, o verehrte, teure Gebeine, den Anbruch oder die Rückkehr des wahren Glaubens zu allen Völkern, allen Nationen, allen Geschlechtern, alle vereint und alle blutsverwandt im gemeinsamen Band der großen Menschheitsfamilie; prophezeit, o Gebeine der Apostel, die Ordnung, die Ruhe, den Frieden, Frieden, und nochmals Frieden für die ganze Welt, die zwar vom Wahn einer mörderischen, ja selbstmörderischen Aufrüstung ergriffen scheint, aber dennoch den Frieden will, ihn vom Gott des Friedens erfleht und zu bekommen hofft. So sei es!


(aus „Dokumentarischer Anhang“ des Buches von Emma Fattorini, SS. 240-244, Übersetzung: 30Tage)


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