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GEOPOLITIK
Aus Nr. 11 - 2007

ANALYSE. Die Verflechtung von Kriegen und Interessen der Waffenindustrie.

Die Macht der Waffen


Schon in den sechziger Jahren machte Präsident Eisenhower die Vereinigten Staaten auf die Gefahren der Kriegsindustrie aufmerksam. Interview mit Professor Maurizio Simoncelli vom Archiv zum Thema Abrüstung.


Interview mit Maurizio Simoncelli von Davide Malacaria


Amerikanische Militärkonvois in der Wüste an der Grenze zum Irak.

Amerikanische Militärkonvois in der Wüste an der Grenze zum Irak.

„Bei den Parlamentsversammlungen müssen wir uns vor dem – mehr oder weniger offensichtlich – wachsenden Einfluss des Kriegsindustriekomplexes hüten. Die Gefahr, dass eine von den falschen Leuten geleitete Macht katastrophale Ausmaße annimmt besteht und wird auch in Zukunft bestehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Machtvermischung unsere Freiheit oder die Demokratieprozesse gefährdet. Und wir dürfen nichts als selbstverständlich erachten: nur wachsame und gut informierte Bürger können ein entsprechendes Gleichgewicht zwischen dem enormen Kriegsindustrie-Apparat und unseren friedlichen Methoden und Zielen vorantreiben und garantieren, dass Sicherheit und Freiheit gedeihen können.“ Man schrieb den 17. Januar 1961, als Dwight David Eisenhower, 34. Präsident der Vereinigten Staaten, am Ende seines Mandats diese Ansprache hielt. Zum ersten Mal wurde der Ausdruck „Kriegsindustriekomplex“ gebraucht: gemeint war damit ein Interessenaggregat, das sich auf Innen- und Außenpolitik der Vereinigten Staaten auswirken kann. Jahrzehnte sind inzwischen vergangen, aber diese Worte scheinen aktueller denn je. Man denke nur an Afghanistan und an den Irak – oder an die Bedrohung, die vom Iran ausgeht... Der ein oder andere fragt sich, ob dieses Muskelspiel der USA nicht vielleicht gerade auf die Interessen des Kriegsindustriekomplexes zurückzuführen sei: Mehr Krieg, mehr Geschäft. Wie schon Alberto Sordi sagte: solange es Krieg gibt, gibt es Hoffnung. Wir haben Maurizio Simoncelli um Stellungnahme gebeten, den ehemaligen Dozenten für Kriegsgeopolitik an der römischen Universität Tre und leitendes Mitglied des internationalen Forschungsinstituts, das sich mit Themen wie Waffenkontrolle, Industrieumstellung und Konfliktvermeidung befasst. Er machte uns auch auf oben zitierte Ansprache Eisenhowers aufmerksam, die zeigt, dass die Furcht vor dem Einfluss des amerikanischen Kriegsindustriekomplexes weder in antiamerikanischen, noch in pazifistischen Kreisen entstanden ist. Vielmehr hebt Simoncelli hervor, dass der Präsident in der Vergangenheit General der U.S. Army war und sich somit wohl höchstpersönlich dieser Gefahr bewusst werden konnte...

Was versteht man unter Kriegsindustriekomplex?
MAURIZIO SIMONCELLI: Eine Vermischung der Interessen der Industrie, der führenden Schichten der Streitkräfte und der politischen Klasse. Was sich hier herauskristallisiert, ist eine immer engere Verflechtung zwischen der Maschinerie der Militärsektorindustrie und dem Pentagon. Und das nicht nur durch Verbindungsmänner, sondern auch durch ständige Büros des Pentagon in den Waffenfabriken. In diesen Privatfirmen sind Hunderte von Angestellten beschäftigt, die nicht vom Unternehmer, sondern vom Verteidigungsministerium abhängen. Diese Verflechtung zeigt sich auch in einem intensiven Austausch von Rollen und Positionen: hochrangige, ehemalige Militärs, die im Verwaltungsrat von Firmen des Militärsektors sitzen und in der Kriegsindustrie tätige Unternehmer, die im Kongress landen... Diese Lobby hat nicht nur einen erheblichen Einfluss auf die wirtschaftlichen Beschlüsse des Landes, sondern auch auf die Finanzprioritäten und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Noch beunruhigender aber ist das, was in der am besten (auf-)gerüsteten Macht der Welt passiert.
Beeinflusst die Tatsache, dass die Waffenindustrie auf alle Wahlkreise verteilt ist, die Politiker?
SIMONCELLI: Die Waffenindustrien sind auf das gesamte nationale Territorium verteilt. Jeder Abgeordnete oder Senator muss sich dessen bewusst sein, und zwar sowohl im Moment der Wahl als auch während seines Mandats. Man muss sich auch im Klaren darüber sein, dass die Militärs – wir sprechen von drei Millionen Männern und Frauen – 1,5% der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, also einen nicht unerheblichen Teil der Wählerschaft.
Wie sehr wirkt sich die Kriegsindustrie auf die Wirtschaft der USA aus?
SIMONCELLI: Laut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) haben die USA 2006 528,7 Milliarden Dollar in den Verteidigungssektor investiert, 46% der weltweiten Ausgaben in diesem Bereich. Der Staat mit den zweitgrößten Ausgaben im Verteidigungsbereich war Großbritannien mit 59 Milliarden, gefolgt von Frankreich mit 53 Milliarden, China mit 49 Milliarden, und Russland mit 34,7 Milliarden. Die russischen Ausgaben sind im Steigen begriffen – wenn auch weit von denen während des Kalten Krieges entfernt; inzwischen gibt es nun einmal nur noch eine Supermacht auf der Welt... In den letzten Jahren erlebten die Vereinigten Staaten einen wahren Boom in Sachen Militärausgaben: aus den 345 Milliarden Dollar des Jahres 2001 sind 2006 528,7 geworden, mit einem Wachstum von ca. 180 Milliarden im Laufe von fünf Jahren. Ein anderes bedeutungsvolles Faktum, das das Wachstum dieser Branche zeigt, sind die Exportausgaben. Im Jahr 2006 haben die USA Waffensysteme im Wert von 7,929 Milliarden Dollar exportiert (gemeint sind hauptsächlich Flugzeuge, Schiffe, Panzer, U-Boote, usw.: der Handel mit leichten Waffen ist zwar intensiv, aber doch sehr viel weniger lukrativ). Sechs von den 10 führenden Firmen dieser Branche sind in Amerika ansässig; wenn man die ersten 12 nimmt, sind es sogar sieben. Früher gab es zwischen dem Export der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion keinen Unterschied, heute exportiert Russland zwar ähnliche Mengen, aber mit einem weniger hohen Technologiestandard, und für einen bescheideneren Markt, hauptsächlich den der Dritten Welt. Die USA wenden ca. 3,04% ihres BIP für den Verteidigungssektor auf, verglichen mit den 5,06% für den Bildungssektor und den 6,06% für das Gesundheitswesen. Andere westliche Länder, beispielsweise Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada wenden weniger ihres BIP für den Verteidigungssektor auf (jeweils 2,4%, 2,5%, 2,1% und 1,02%). Dasselbe gilt für China (2,05%). Und Russland hat mit seiner Aufrüstung den amerikanischen Prozentsatz (4%) längst überflügelt.
Dwight David Eisenhower.

Dwight David Eisenhower.

Haben die Kriege im Irak und in Afghanistan der amerikanischen Kriegsindustrie Aufschwung gegeben? Gibt es diesbezügliche Daten?
SIMONCELLI: Durch diese Kriege wurde nicht nur die Belieferung des Landesheeres intensiviert, sondern auch die der alliierten Streitkräfte, von Saudi-Arabien bis Pakistan. Alle amerikanischen Waffenfabriken konnten von diesem Boom profitieren. Im Sektor der Militärfahrzeuge ist festzustellen, dass die Umsätze von Am General, Armor Holdings und Oshkosh Truck im Zeitraum von 2004 und 2005 von jeweils 690 Millionen Dollar auf 1.050, von 610 auf 1.190 und von 770 auf 1.060 gestiegen sind. Im Bereich der Hubschrauber konnte L-3 Communications von 5.970 Millionen Dollar auf 8.970 steigen. Northrop Grumman macht statt 25.970 nun 27.590 Millionen Dollar Umsatz. Ein nahezu unglaubliches Wachstum, wenn man bedenkt, dass sich das alles im Zeitraum von nur 12 Monaten ereignet hat und im zivilen Sektor kein derartiges Wachstum zu verzeichnen ist. Außerdem hat man vor ein paar Jahren mit der Privatisierung verschiedener, bisher der Armee obliegender Aufgaben begonnen: der Einrichtung von Lagern, der Garantie ihrer Sicherheit, Bereitstellung von Proviant, usw. Militärische Aufgaben wurden sogar den privaten Sicherheitsdienstleistern übertragen, den so genannten private contractors. So konnte sich also um den Militärsektor eine richtig gehende, bisher nicht existierende Industrie entwickeln, die Milliarden Dollar Umsatz macht.
Stimmt es, dass der technologische Fortschritt in den USA größtenteils der Kriegsindustrie zu verdanken ist – und nicht so sehr den zivilen Industriezweigen? 1%... Auch kraft dieser Daten kann man sagen, dass der technologische und wissenschaftliche Fortschritt in den USA sogar in doppelter Hinsicht an die Waffenbranche gebunden ist. Sehr viele zivil genutzte Produkte waren ursprünglich für militärische Zwecke vorgesehen: man denke nur an die heutigen Satellitennavigatoren, die eine extreme Vereinfachung der Raketen-Steuerungssysteme darstellen; oder auch nur ans Internet, das eigentlich entstanden war als „intranet“ der US-Verteidigung. In Anbetracht dieses Entwicklungsmodells hat Seymour Melman, der größte amerikanische Kriegsindustrieexperte, die amerikanische Wirtschaft als Kriegswirtschaft definiert – genauer gesagt als Wirtschaft eines permanenten Krieges.
Kriege sind eine gute Gelegenheit, neue Waffen zu testen, machen es möglich, qualitativ hochwertige Produkte auf den Markt zu bringen...
SIMONCELLI: Ja, das stimmt. Schießplätze reichen nicht aus, um Waffensysteme zu testen. Ihre Zuverlässigkeit muss in extremen Situationen getestet werden, durch Einsatz am Kriegsschauplatz. Hier könnte man die intelligenten Bomben des ersten Irakkriegs nennen, oder die Drohnen, die im zweiten Irak-Krieg und in Afghanistan zum Einsatz kamen. Aber nicht nur das. Einige Waffen können von ihrer Beschaffenheit her nicht auf Schießplätzen getestet werden – beispielsweise Kugeln aus abgereichertem Uran: noch heute weiß man nicht genau, welche Auswirkungen ihre radioaktiven Strahlungen auf Zivilisten und Militärs haben. Solche Waffen werden nicht auf Schießplätzen getestet...
Die Industrieentwicklung der USA soll eng mit den von den Amerikanern geführten Kriegen zusammen hängen...
SIMONCELLI: Ja, einige dafür sprechende Daten sind nicht zu übersehen: die Wirtschaftskrise von 1929 endete mit dem Zweiten Weltkrieg. Sofort nach Ende des Krieges verzeichnete die Wirtschaftsentwicklung der USA einen Stillstand – bis zu den Jahren 1947 und 1948, also dem Beginn des Kalten Krieges. Das Jahr 1989, das Ende des Kalten Krieges, brachte eine gravierende Veränderung mit sich. Die Kriegsindustrie machte eine Zeit der Krise durch: es kam zu Massenentlassungen, einige Fabriken mussten sogar ganz schließen: vor allem aber konnte man eine Umstrukturierung beobachten, bei der es zur Fusion verschiedener Unternehmen kam. Ein Prozess, dem die heutigen Kolosse dieser Branche ihre Entstehung zu verdanken haben. Zu einem neuerlichen Aufschwung des Militärsektors sollte es erst 2001 kommen...
Es stimmt also, dass es vom Krieg zum Terrorismus nur ein kurzer Weg ist?
SIMONCELLI: In einem gewissen Sinne. Diese Verflechtung zwischen Krieg und globaler Entwicklung ist keineswegs etwas Automatisches. Und zwar schon allein deshalb, weil die Kriegsindustrie eine ganz andere Dynamik hat als die zivile Industrie. Die Kriegsindustrie kann nur dann ein beträchtliches Wachstum verzeichnen, wenn es einen Krieg gibt. Die Umsatz-Statistiken einer Militärfabrik zeigen keine Kurven wie dagegen die zivilen Industrien. In einer Grafik über den wirtschaftlichen Verlauf einer Kriegsindustrie lassen sich Höchst- und Tiefpunkte feststellen, je nachdem, ob es sich um Kriegs- oder Friedenszeiten handelt. Eine „branchenbedingte“ Instabilität also. Dazu kommt noch ein gewisses globales Ungleichgewicht: die Produkte dieser Branche bewegen sich entgegen jeglicher Logik des Marktes. Wenn man im zivilen Bereich ein Produkt verkaufen will, muss sich der Preis in Grenzen halten – im militärischen Bereich dagegen ist es aus Gründen der nationalen Sicherheit vorrangig, dass das Produkt absolut zuverlässig ist, auch wenn der Käufer – also im allgemeinen der Staat – einen hohen Preis dafür bezahlen muss. Und natürlich schlagen sich überzogene Militärausgaben in den öffentlichen Ausgaben nieder, führen zu einem Ungleichgewicht in der nationalen Wirtschaft.
Ein bosnischer Soldat durchschreitet Tonnen von Munition, die zerstört werden sollen (Doboj, bei Sarajevo, November 2006).

Ein bosnischer Soldat durchschreitet Tonnen von Munition, die zerstört werden sollen (Doboj, bei Sarajevo, November 2006).

Das mag ja stimmen, aber in der Vergangenheit haben die Kriege den zivilen Industriezweigen Aufschwung gegeben.
SIMONCELLI: Hohe Militärausgaben garantieren im industriellen Zweig des Verteidigungssektors Arbeitsplätze und Umsätze. Das hat – in der einen oder anderen Weise – positive Auswirkungen auf die gesamte heimische Wirtschaft, aber die technisch immer höher entwickelten Waffensysteme wirken sich zunehmend nachteilig auf den zivilen Industriebereich aus. Ein einfaches Beispiel: der teure, auf Radarschirmen nahezu unsichtbare Jagdbomber Stealth hat ganz andere Merkmale als ein ziviles Flugzeug, das billig und vom Kontrollturm aus leicht auszumachen sein muss. Und das bewirkt, dass verschiedene amerikanische Industriezweige auf der Stelle treten und das Wirtschaftsdefizit – verstärkt noch durch den steigenden Ölpreis und die chinesische Konkurrenz – negative Auswirkungen auf die US-Wirtschaft hat. So geht aus OSZE-Daten hervor, dass China im Jahr 2004 ICT-Güter (Information and Communication Technology) im Wert von 180 Milliarden Dollar exportiert hat – die USA dagegen, die noch ein Jahr zuvor auf dem Weltmarkt führend waren, im Wert von 149 Milliarden Dollar. Die Schwierigkeiten, die die US-Industrie in Sachen Importen aus dem Ausland hat, zeigen sich auch in der Schwäche des Dollars, dessen Kurs niedrig gehalten wird, um die amerikanische Industrie zu fördern.
Es wurde einmal gesagt: früher wurden Waffen hergestellt, um Kriege zu führen, heute führt man Kriege, um Waffen herzustellen...
SIMONCELLI: Der Mensch hat sich schon immer Waffen beschafft, um seinen Willen mit Gewalt aufzuzwingen. So wurde die Waffenindustrie in einigen Ländern mit der Zeit ein enormes Geschäft. Heute ist das System, wie schon Eisenhower feststellte, in der Lage, sich auf die internationalen Beziehungen auszuwirken, ja, manchmal militärische Optionen herbeizuführen, auch wenn diese nicht notwendig sind. Da heißt es wachsam sein.


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