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BEGEGNUNGEN
Aus Nr. 11 - 2007

Der Papst, der die Hoffnung der Auferstehung brachte


Interview mit dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Fausto Bertinotti, über Johannes Paul II. und die neue Grenze der Laizität.


Interview mit Fausto Bertinotti von Marco Politi


Wenn man Fausto Bertinotti nach einer spontanen Erinnerung an Wojtyla fragt, wird er sich an die Begeisterungsrufe der Jugendlichen beim Weltjugendtag 2000 erinnern. „Die nicht-rituelle Geste“, erklärt er „zeigt, dass es auch in den höchsten Formen der Macht Spontaneität geben kann und brachte seine außergewöhnliche Fähigkeit zum Ausdruck, die Ansteckung der Sprachen anzunehmen.“
Am Donnerstag, dem 29. November, begab sich der Präsident der Abgeordnetenkammer in die Pfarrei Santa Dorotea, im römischen Stadtteil Trastevere, um das Buch Pellegrino [Pilger] vorzustellen. Geschrieben hat dieses Johannes Paul II. gewidmete Buch Pater Gianfranco Greco, Jahrzehnte lang für den L’Osservatore Romano namhafter Korrespondent der Papstreisen.
Fausto Bertinotti betrachtet Papst Wojtyla als einen „großen Pilger unserer Zeit, der tiefe Spuren hinterlassen hat“, und ließ sich vor dem Publikum der Pfarrei auch zu einem persönlichen Geständnis hinreißen: „Als Kommunist geht mir seine Lektion über die Buße wirklich unter die Haut. Mit anderen Worten: ich habe das Gefühl, die historische Schuld jener Geschichte auf meinen Schultern zu tragen, für die man um Vergebung bitten muss, um offen sein zu können für die Zukunft.“
In seinem Büro in Montecitorio erzählt uns der Präsident der Abgeordnetenkammer noch mehr.

Fausto Bertinotti.

Fausto Bertinotti.

Herr Präsident, welche Bilanz würden Sie über Papst Wojtyla ziehen?
FAUSTO BERTINOTTI: Johannes Paul II. ist der Papst vor der Angst. Er lebte in der Moderne, stellte sich jenen Aspekten, die er als gegen seine Religion empfand, vermittelte aber die Überzeugung eines Sieges in diesem Bereich. Sein großes Erbe sind die Worte: „Habt keine Angst!“, und das erlaubt es der Religion Sauerteig zu sein und vermeidet, dass man sich in neuen Trutzburgen verschanzt.
Wodurch zeichnete sich sein Pontifikat aus?
BERTINOTTI: Dadurch, dass er Botschafter des Friedens war. Auch als es schien, dass seine Botschaft machtlos war, konnte man erkennen, wie viel Einfluss sie doch auf die Gewissen hatte. Die Friedensbewegung, die derart starke Ausmaße annahm, dass man sie als „zweite Weltmacht“ definierte, trägt seine Handschrift.
In Sachen Irak hat er also doch recht gehabt? Können Sie sich noch an das Jahr 2003 erinnern, als viele sagten, die Appelle des Papstes seien im Grunde ungehört verhallt?
BERTINOTTI: Der Papst hatte zweifelsohne recht, genauso wie die Friedensbewegung recht hatte. Alle Thesen der Kriegstreiber haben sich als falsch erwiesen. In ihren Motiven ebenso wie in ihren Vorhersagen. Ich glaube, dass es in der Geschichte unserer Zeit nur wenige andere Beispiele gibt, die so unmissverständlich zeigen, dass der Krieg unrecht und der Frieden recht hatte.
Was hat Sie – vom Thema des Friedens einmal abgesehen – an seinem Pontifikat noch beeindruckt?
BERTINOTTI: Da muss ich beim Thema Politik bleiben: die Beziehung zur Krise und dem nachfolgenden Untergang der osteuropäischen Regime. Der Gedanke, dass die konkrete Möglichkeit bestand, eine Veränderung dieser Regime bewirken zu können, von Polen bis zur Tschechoslowakei, indem man auf deren Ende setzte. Bis zum Punkt, zur Hauptgefahr für sie zu werden, gerade weil er selbst aus dem Osten stammte. Diese Mobilmachung der Religion und der Politik, um zum Untergang dieser Regime beizutragen, hat mich sehr beeindruckt. Einem Untergang, zu dem er seinen Beitrag geleistet hat. Auch wenn ich glaube, dass für den Untergang dieser Regime vor allem interne Gründe verantwortlich waren.
Das hat auch Johannes Paul II. geglaubt. In den neunziger Jahren sagte er zu Carlo De Benedetti: „Der Baum ist morsch, ich habe ihn gerüttelt.“
BERTINOTTI: Und mit dem Übergang von der in zwei Blöcke geteilten Welt zur geeinten Welt des Modernisierungsprozesses und der Globalisierung konnte er dann im Kapitalismus die Hauptursache für die Dramen unserer Zeit ausmachen.
Bei seinen Reisen um die ganze Welt sah Wojtyla die Globalisierung voraus. Welche Rolle spielen die Religionen in einer geeinten Welt?
BERTINOTTI: Einerseits stellen sie etwas dar, das angesichts der Einheitssprache, die die Globalisierung aus dem Freien Markt und der Vermarktung ableiten will, abseits steht. Sind also eine starke Bekräftigung dafür, dass die menschliche Person nicht auf den Wirtschaftsfaktor reduziert werden darf. Andererseits besteht heute die Gefahr des Fundamentalismus als Antwort auf die Probleme unserer Zeit.
Ein Phänomen, das vor einigen Jahrzehnten nicht vorhersehbar schien.
BERTINOTTI: Vielleicht war es in der langen Epoche des Konzils nicht vorhersehbar, die außergewöhnlich war in der Botschaft von Johannes XXIII. an alle Männer und Frauen guten Willens: die Trennung von Glaubenden und Nicht-Glaubenden gab es nicht mehr, die Glaubenden traten als Sauerteig in eine universalere Menschheit ein, mit der sie die Förderung des Menschen gemeinsam vorantreiben sollten.
Wo liegen die Wurzeln des Fundamentalismus?
BERTINOTTI: In der Furcht, von der Moderne belagert, ja vielleicht sogar besiegt zu werden, wenn man die eigenen Gläubigen nicht vor der Ansteckung dieser Welt bewahren kann. Ein Phänomen, das im Extremfall soweit gehen kann, gegen die Welt oder die Mächte ins Feld zu ziehen, die sie zu leiten scheinen und sie größtenteils tatsächlich leiten. Kurzum: ich sehe heute in der Welt des Glaubens eine doppelte Spannung. Einerseits eine weitgehend bereichernde Spannung, weil sie den Menschen wieder eine Ressource vorschlägt, die einen universalen Wert haben kann. Und dann auch, weil sie dem Nicht-Glaubenden das Menschliche vorschlägt, die Menschlichkeit als eine Dimension, die die wirtschaftliche Sphäre übersteigt. Und die Sprache der Befreiung spricht, der Erwartung der Befreiung, wo immer sich diese Erwartung stellt: sowohl in der Sphäre der Welt als auch im Transzendenten. >Wo siedelt Fausto Bertinotti sich selbst in Sachen Glauben an? Vor ein paar Jahren haben wir beide an der Sendung Otto e mezzo teilgenommen, wo Sie Giuliano Ferrara aufforderte, sich in Sachen Glauben zu outen und Sie sich als einen Menschen auf der Suche bezeichneten. Stimmt das?
BERTINOTTI: Er hat mich damals überrumpelt und etwas getan, was mir alles andere als angenehm war: er hat diese Frage in einer Art und Weise, und vor allem öffentlich, gestellt, in der nicht zu antworten wie eine Ausflucht erschienen wäre. Ich musste also antworten. Normalerweise halte ich aber Fragen, die den Glauben betreffen, aus der Politik heraus. Und deshalb ziehe ich es auch vor, nicht über meine Situation zu sprechen. Und wenn ich doch etwas sagen muss, dann ist es immer das, was ich gesagt habe, als ich noch ein Junge war: ich fühle mich als ein Nicht-Glaubender, der ein großes Interesse am Phänomen Glauben hat, diesem große Aufmerksamkeit entgegen bringt.
Johannes Paul II. empfängt Michail Gorbatschow in Audienz  (1. Dezember 1989).

Johannes Paul II. empfängt Michail Gorbatschow in Audienz (1. Dezember 1989).

Was interessiert Sie am meisten daran?
BERTINOTTI: Eigentlich nicht so sehr die rein religiösen Fragen, in denen ich mich ja auch nicht genügend auskenne, um dazu Stellung nehmen zu können. Eher schon ein Nachdenken beispielsweise über den Römer-Brief des Paulus. Ich sage das nur, um eine gewisse Neugier seitens eines – wie bereits gesagt – Nicht-Glaubenden zum Ausdruck zu bringen.
Papst Wojtyla und sein Nachfolger haben die Präsenz des Glaubens auf der öffentlichen Bühne proklamiert.
BERTINOTTI: In Italien ist die Präsenz des Phänomens Religion beim Bau der bürgerlichen Gesellschaft nichts Neues. Es wäre meiner Meinung nach falsch und grundlos, der Religion einen Platz auf der öffentlichen Bühne zu verwehren. Man kann nicht den Anspruch stellen, den Glauben auf eine reine Privatsache zu beschränken. In der gesamten Moderne zeigt sich die gegenseitige Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Bereich.
Und doch gibt es Reibungen zwischen Religion und Gesellschaft.
BERTINOTTI: Das Problem, das unlängst gestellt wurde, ist das Wiederaufleben integralistischer Phänomene, die mit der Angst spekulieren. Das Problem stellt sich, wenn man zu bekräftigen glaubt, dass nur das Anhängen an einen bestimmen Glauben den Zugang zur Wahrheit ermöglicht, auch zu der historisch existierenden Wahrheit, und wenn man gleichzeitig glaubt, dass von einer religiösen Kanzel ein Fingerzeig an die Politik dahingehend ergehen kann, welcher Weg der richtige ist.
Liegt darin die Gefahr?
BERTINOTTI: Wir hätten nicht die notwendige Anerkennung der Präsenz der Religion auf der öffentlichen Bühne, sondern die neue Definition einer Hierarchie, wonach die Politik anderen Lehrstühlen untergeordnet ist. Und das wäre gefährlich, weil es die Autonomie der Politik und der Demokratie untergraben würde.
Welche Bedeutung kommt der Laizität in diesem Kontext zu?
BERTINOTTI: Ein historisches Vermächtnis kann schon einmal nicht ausgelöscht werden: die systematische Wiederbekräftigung der Autonomie des Staates, der in sich selbst die gesetzgeberische Grundlage und die für sein Handeln bergen muss. Die gesamte Geschichte der Trennung der politischen Sphäre von der religiösen, auch auf deren schwierigem Weg zur Geburt des demokratischen Katholizismus in Italien sowie den nicht-katholischen Kräften, stellt ein Element dar, das gepflegt werden muss, nie auf ewig erworben ist.
Und wenn nicht?
BERTINOTTI: Ohne dieses grundlegende Element der Laizität lassen sich nur die schlimmsten Hypothesen aufstellen. Wie sollte man nicht daran denken, dass in unserer heutigen Welt der Migranten ein Anspruch der religiösen Einmischung in den Staat unweigerlich auch einen Religionskonflikt mit sich bringt? Die Laizität ist wichtig aus Gründen des Zusammenlebens.
Nur deshalb?
BERTINOTTI: Es muss ein Schritt nach vorn gemacht werden. Von der Autonomie als Ablehnung der Einmischung der Kirche in den Staat zu etwas Positivem, also dem Versuch des Zusammenlebens zwischen verschiedenen Interessen: hier liegt die neue Grenze der Laizität. In einer gewissen Weise betraf die Laizität, die wir geerbt haben, den Staat, während die Laizität, von der wir heute sprechen meiner Meinung nach auch die bürgerliche Gesellschaft betrifft.
Können Sie das näher erklären?
BERTINOTTI: Wenn man einmal akzeptiert hat, dass die Religion Teil des öffentlichen Raumes ist, also auch der bürgerlichen Gesellschaft – wo sich diese Präsenz der Religion in allen organisierten Institutionen und ihren organisierten Organen zeigt – stellt sich das Problem der Laizität der Beziehungen, die man unterhält. Und das scheint mir der Boden für die neue Grenze zu sein.
Hier haben wir es ja wohl mit einer anderen Dimension als der der Vergangenheit zu tun.
BERTINOTTI: Nehmen wir ein scheinbar belangloses Beispiel, das sich jedoch als ein wahres Zeichen der Zeit erwiesen hat. Die in Frankreich entbrannte Diskussion um das Schleier-Verbot. Ein überaus bedeutungsvolles Element, weil es die Verhaltensweisen der Personen betrifft und daher nicht – wie bereits gesagt – einfach nur die Autonomie-Sphäre zwischen Staat und Kirche. Es betrifft das Statut der Bürger, ihr Beziehungssystem.
Johannes Paul II. umarmt ein junges Mädchen bei der Gebetswache zum Weltjugendtag in Rom am 19. August 2000.

Johannes Paul II. umarmt ein junges Mädchen bei der Gebetswache zum Weltjugendtag in Rom am 19. August 2000.

Welche Meinung hat Bertinotti zum Schleier?
BERTINOTTI: Nun ja, was mich angeht, scheint mir der Gedanke eines Verbots des Schleiers im Namen der Gleichheit als einer zu verallgemeinernden Norm – ein Gedanke, der, wie ich es sehe, vollkommen laizistisch ist, dem Prinzip der Aufklärung entspricht und von der französischen Revolution herrührt – nicht mit der Zeit zu gehen. Ich glaube vielmehr, dass die Gleichheit mit der Verschiedenheit einher gehen muss. Daher glaube ich, dass in diesem Fall das Schleier-Verbot für die muslimischen Frauen in Frankreich nicht der neuen Grenze der Laizität entspricht, die ich sehe – wenn ich auch sagen muss, dass ich einen kulturellen Einwand hätte nicht nur gegen das Tragen des Schleiers aufgrund eines überlieferten Brauches, sondern auch im Namen der hierbei auf die Frauen ausgewirkten Autorität.
In Italien hat Zusammenleben einen Namen: Beziehungen zu den Muslimen. Eine Moschee zu bauen, ist ein Problem geworden.
BERTINOTTI: Wir haben auch interessante Momente erlebt, gerade hier in Rom, als der Bau einer Moschee ein nahezu allgemeines Interesse weckte. Dann hat sich das Klima in gewissen Gebieten des Landes verändert. Wir könnten über die Probleme diskutieren, die uns das Phänomen der Immigration beschert hat. Aber das Hinführen auf ein ziviles Zusammenleben ist der einzig mögliche Weg. Von diesem Gesichtspunkt aus glaube ich, dass wir aus der großen mediterranen Tradition schöpfen müssen. Es würde genügen, den Gegnern des Baus einer Kultstätte für den Islam Palermo zu zeigen: wieviel Reichtum, schon im architektonischen Profil, der Zivilisation, der Kultur, Religion. Es wäre in der Tat ein unverzeihlicher Fehler, diese mehr als tausendjährige Kultur und Tradition zu ignorieren, die wir die Kultur des Mittelmeerraumes nennen.
Herr Präsident, gibt es noch etwas, das Sie an Wojtyla nachhaltig beeindruckt hat?
BERTINOTTI: Die kleinen Gesten den einzelnen Personen gegenüber und gleichzeitig seine außergewöhnliche Fähigkeit zum Dialog mit den großen Massen. Diese fast schon physisch zu nennende Art der Beziehungen ist unvergleichlich. Jeder, der schon einmal zu einem Publikum gesprochen hat, auch wenn es nur fünfzig Personen waren, weiß, wovon ich spreche. Mich hat stets die Art und Weise beeindruckt, wie Papst Wojtyla mit den Leuten umging. Der Papst, der vor der Menschheit, die bloß ist wie ein Kind, niederkniet und der Papst, bei dem die prophetische Fähigkeit der Beziehung zu den Massen Gemeinschaft erzeugt.
Warum haben Sie gesagt, dass sein wichtiges Vermächtnis der Appell war, keine Angst zu haben?
BERTINOTTI: Weil Johannes Paul II. die Zukunft brachte, die Hoffnung der Zukunft und der Auferstehung.


(Gespräch aufgezeichnet für la Repubblica am 28. November)


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