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RUSSLAND
Aus Nr. 04 - 2008

Die Schwesterkirchen und ihr Weg der Barmherzigkeit.

Dieselbe Liebe Christi



von Kardinal Roger Etchegaray


Kardinal Roger Etchegaray mit Alexej II.

Kardinal Roger Etchegaray mit Alexej II.

Man bezeichnet mich oft als persönlichen Freund von Patriarch Alexej II… und das kann ich nur bestätigen!
Um ehrlich zu sein, ist unsere Freundschaft sogar sehr alt.
Zum ersten Mal bin ich Metropolit Alexej II. Ende April 1969 in Madrid begegnet. Ich war gerade zum Verantwortlichen der Europäischen Bischofskonferenz ernannt worden, und er gehörte dem Vorsitz der KEK an, der Konferenz Europäischer Kirchen. Wir haben uns sofort verstanden. Er hatte große ökumenische Pläne, weil er – wie ich selber auch – auf eine Annäherung zwischen den Kirchen hoffte, insbesondere zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche. Und ich kann sagen, dass wir uns seit nunmehr vierzig Jahren fast jedes Jahr entweder sehen oder uns doch zumindest schreiben. Unsere Korrespondenz zeigt, wie stark diese Bande geworden sind und wie viele gemeinsame Initiativen wir ins Leben rufen konnten: beispielsweise die erste europäische Versammlung der Bischöfe aus Ost und West 1978 im französischen Chantilly.
In ihm habe ich einen Bruder gefunden – anspruchsvoll zwar, aber mir auch sehr gewogen. Wenn ich mit ihm spreche, muss ich mir kein Blatt vor den Mund nehmen; ich kann ihm offen sagen, was getan werden muss, um die Sympathie der Leute zu gewinnen. Wir konnten schon oft zusammenarbeiten, fast überall in Europa, wenn das manchmal auch schwierig war, vor allem in der Zeit des Kommunismus.
In den letzten Jahren haben wir uns noch häufiger gesehen als früher.
Ich bin oft nach Moskau gereist und konnte sehen, wie sehr die Mitarbeiter von Alexej II. – nunmehr Patriarch – über die unübersehbare Sympathie zwischen uns staunten, an der jedoch nichts Sentimentales war: wir waren einfach nur zwei Freunde, die eine Annäherung ihrer beiden Kirchen wünschten. Ich hoffe, es klingt nicht unbescheiden, wenn ich hier immer von mir spreche, aber ich war der einzige Katholik, der in Moskau an der 15-Jahr-Feier des Patriarchendienstes von Alexej II. teilnehmen konnte. Nur allzu gut kann ich mich noch an seine Worte erinnern: „Du bist ein guter Freund und wir haben viele Gründe, uns einander anzunähern.“
Ich möchte noch eine Episode erzählen, die mir sehr viel bedeutet hat: als ich vor ein paar Monaten einen schlimmen Unfall hatte und ans Krankenbett gefesselt war, bekam ich einen Telefonanruf: am anderen Ende der Leitung hörte ich die Stimme von Patriarch Alexej, der mich auf deutsch tröstete und mich seiner Freundschaft und seines Beistands versicherte. Erst kurz zuvor hatten wir uns in Paris gesehen. Ich hatte mich mit allen Kräften für diese historische Reise eingesetzt: zum ersten Mal wurde ein russischer Patriarch offiziell in Paris empfangen, von Präsident Sarkozy höchstpersönlich...
Zwei verschiedene Kirchen, ja, aber, wie wir wissen auch Schwestern, wirkliche Schwestern. Es will viel heißen, dass zwei Kirchen anerkennen, Schwesterkirchen zu sein! So war unsere Vertrautheit auch so groß, dass wir sogar gemeinsam gebetet haben, und zwar sowohl in der Kapelle seiner Moskauer Residenz als auch bei mir in Marseille. Die Kapelle ist der Ort des Gebets, wo wir uns einander am nächsten gefühlt haben. Die Kapelle, also der Ort, wo Gott ist, ein und derselbe Gott, ein und derselbe Christus. Gewiss, niemand ist perfekt, es gibt viele Schwächen, die wir einander vorwerfen könnten, aber jede Schwäche war wie von der Liebe Christi ausgelöscht.
Wir dürfen nicht vergessen, was die russische Kirche unter dem kommunistischen Regime erleiden musste. Wenn man die Geschichte dieser Kirche betrachtet, vor allem seit 1917, sieht man, dass sie großes Leid erdulden musste, sich tapfer geschlagen, den Glauben mit ihren Märtyrern verteidigt hat. So ist es ihr tatsächlich auch gelungen, den Glauben ihrer Gläubigen nicht verloren gehen zu lassen. In einem atheistischen oder doch zumindest säkularisierten Umfeld ist es nicht einfach, den Glauben zu leben, aber in Russland kann man vielleicht mehr als anderswo auf die Gläubigen zählen.
Ich bete viel für die russischen Gläubigen. Für ihre Hirten, für ihre Metropoliten. Alle Kirchen müssen uns, in ihrer jeweiligen Verschiedenheit, am Herzen liegen. Der Weg aller ist zweifelsohne ein Weg der Wahrheit. Vor allem aber der Barmherzigkeit.


(Gespräch mit Giovanni Cubeddu)


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