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REKONSTRUKTIONEN
Aus Nr. 04 - 2008

1978. GIORGIO NAPOLITANO IN DEN USA

Auf der Suche nach nationaler Solidarität


Giorgio Napolitanos erste Reise in die Vereinigten Staaten, zur Zeit der Entführung Moros. Die Rekonstruktion von Joseph La Palombara.


Interview mit Joseph La Palombara von Giovanni Cubeddu


Napolitano bei seiner Amerikareise im April 1978.

Napolitano bei seiner Amerikareise im April 1978.

Eine Reise, die vor genau 30 Jahren unternommen wurde. „In den letzten Tagen war Napolitano in Yale, New York und Washington. In Yale traf der kommunistische Leader nicht nur zahlreiche Professoren und Studenten, sondern hatte auch Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch mit Prof. Joseph La Palombara, so namhaften Wirtschaftsexperten wie James Tobin und Politikwissenschaftlern vom Kaliber eines Robert A. Dahl. In New York hielt er an ein und demselben Tag einen Vortrag am Lehrman Institute und am Council on Foreign Relations, auf den eine kurze, aber lebhafte Diskussion folgte. Bei beiden Vorträgen waren nicht nur namhafte Akademiker, sondern auch Vertreter aus der Welt der Wirtschaft und der Medien anwesend. In Washington nahm Kamerad Napolitano an einem Seminar über Italien und die PCI (=kommunistische Partei Italiens) teil, das von der Johns Hopkins University und vom Zentrum für strategische und internationale Studien der Georgetown University organisiert worden war. Er gab auch ein langes Interview für einen öffentlichen Fernsehsender und nahm an einem ihm zu Ehren gegebenen Essen teil, zu dem der Botschafter Italiens in den Vereinigten Staaten wichtige Journalisten der amerikanischen Hauptstadt geladen hatte.“
So führte Alberto Jacoviello, damaliger l’Unità-Korrespondent in Washington, den Leser in ein Interview mit Giorgio Napolitano ein, herausragender Vertreter der PCI, Mitglied der Exekutive und Verantwortlicher der Wirtschaftsabteilung. In nüchternem Stil, aber mit wohl abgewogenen Adjektiven (aus Gründen der Korrektheit hatte Jacoviello seinem Interviewpartner den Text zur Durchsicht geschickt und auch Korrekturen zurück erhalten), sollte die dem Ereignis zukommende Bedeutung betont werden. In der Tat war es eine Reise sui generis. Zwar hatten schon andere Parteimitglieder kleinere Vorträge in Amerika gehalten, Napolitano aber war der erste PCI-Leader, der auch als solcher in den Vereinigten Staaten empfangen wurde – also nicht als einfaches Mitglied einer parlamentarischen, regionalen oder städtischen Delegation. Und zu verdanken hatte er das einem Einreisevisum, das in offensichtlicher Abweichung von jener ideologischen und restriktiven Gesetzgebung (eingeleitet vom Smith Act von 1940 und fortgeführt mit dem McCarran Act 1950) gewährt worden war, die Personen, die eine „Bedrohung“ für das Land darstellten, kein Visum gewährte. Und in genau diese Kategorie fielen die Kommunisten. Während seines Amerika-Aufenthalts (vom 4. bis 19. April 1978) brachte Napolitano die Hoffnung zum Ausdruck, die Amerikaner mögen einen besseren Einblick in die PCI, die von ihr gemachten Fortschritte, die Annäherung an den Eurokommunismus, die italienische Anomalie und den historischen Kompromiss gewinnen. Doch gerade als es endlich soweit war, als er tatsächlich auf amerikanischem Boden landete, hatte man Aldo Moro entführt. Später, im Mai 1978, schrieb Napolitano in der Rinascita (der Artikel trug den Titel Die PCI: ein Leitfaden für die Amerikaner) eine Art Resümee seiner Amerika-Reise: „Es ist eine Tatsache, dass ein Interesse [an der PCI, Anm.d.Red.] geweckt werden konnte, dass sich Kommunikations- und Konfrontationskanäle geöffnet haben. Und die muss man nutzen, auch wenn das nicht immer einfach ist.“
Die amerikanischen Gesprächspartner Napolitanos waren Akademiker, Persönlichkeiten aus Politik und Kultur. Kein einziges Mitglied des Kongresses oder der Administration: ein Tabu, das unangetastet bleiben musste. Am 7. November 1977 hatte der kommunistische Leader von der Princeton University die Bestätigung für die Einladung erhalten, dort Vorlesungen zu halten – sogar mit Unterstützung von Prof. Peter Lange der Harvard Universität. An diese Universität hatte Napolitano zwei Jahre zuvor nicht kommen können, weil man ihm das Visum verweigert hatte. In besagtem Brief bat man den italienischen Gast ausdrücklich, folgende für die Amerikaner interessanten Themen anzusprechen: „Die staatliche Intervention in die Belange der Wirtschaft“, „Planung, Währungs-, Steuer- und Wirtschaftspolitik“; und nicht zuletzt, „ein besonders wichtiges internationales oder internes Thema für Italien und Europa“. Im Grunde alles Schlüsselthemen, die die tendentielle Kompatibilität des Westens und der Nato mit dem Kurs zeigten, der mittlerweile eindeutig in Richtung einer Regierungsübernahme der PCI ging, vor allem nach dem hervorragenden 34,4 %-Ergebnis der Wahlen von 1976.
Den Hintergrund bildete damals die von der Schlussakte von Helsinki 1975 eingeläutete Jahreszeit, die Entspannung zwischen den beiden Blöcken, die SALT-Initiativen für die Abrüstung von USA und UdSSR, das Aufkommen des Gedankens eines Eurokommunismus. Aber es stimmt auch, dass sich die drei den „historischen Kompromiss“ vorschlagenden Artikel aus der Feder Berlinguers (Rinascita, 28. September - 12. Oktober 1973) am 11. September jenes Jahres inspiriert hatten: dem Militärputsch Pinochets in Chile und der Ermordung von Salvador Allende.
Das alles wusste Giorgio Napolitano nur allzu gut, als er in den Vereinigten Staaten landete. Seine Reise war auch die Krönung jener „Kontakt-Politik“, die einige PCI-Mitglieder schon geraume Zeit vorher zur Botschaft in Rom angeknüpft hatten – auf geheimer Ebene versteht sich (mit manchem diplomatischen Geheimagenten), in reservierter und öffentlicher Form (wenn auch natürlich mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen). Die Wende, die – wie man meinte – mit der Wahl Jimmy Carters eingeleitet worden war und die eine Revision der amerikanischen Politik dem Kommunismus gegenüber bewirken sollte, ließ auf sich warten, und den neuen Kurs Carters zu verstehen, war alles andere als leicht gewesen.

Die „Italianisten“
Joseph La Palombaras Interesse an Italien wurde schon in der Nachkriegszeit geweckt. Seine ersten Artikel über Italien entstanden in den fünfziger Jahren. Viele „Italianisten“ zukünftiger Akademikergenerationen gingen durch die Schule dieses Politologen. Die Fakultät für Politikwissenschaften der Yale-Universität wird derzeit restrukturiert, und ein Teil davon befindet sich in einem Gebäudeabschnitt, der „The diner“ [„Das Restaurant“] genannt wird. Am Eingang hängt ein Bild von Joseph La Palombara: eine traditionelle Geste der Dankbarkeit einem der verdientesten emeritierten Professoren dieser Fakultät gegenüber. Zum Lob des Malers muss gesagt werden, dass die aus dem Gemälde erkenntliche Klugheit und der sense of humour des Gemalten lebensecht sind. Das kann ich persönlich bestätigen. Der curriculum von Prof. La Palombara ist sehenswert. Nach Italien kam er sehr oft, zwei Jahre lang (1980-1981) lebte er als Chef der Cultural section der US-Botschaft sogar in der Via Veneto in Rom. Er war auch einer der Organisatoren dieser ersten symbolischen Reise Napolitanos und – als Augenzeuge – sozusagen hautnah dabei.
Doch beginnen wir bei den Erinnerungen der kleinen Gruppe (zu der auch La Palombara gehörte), für die Napolitano der ideale Mann dafür war, die amerikanischen Akademiker auf den Weg des Eurokommunismus zu führen: „Prof. Stanley Hoffmann von der Harvard-Universität, der inzwischen verstorbene Kollege Nick Wahl – er unterrichtete damals an der Princeton University – und Prof. Zbigniew Brzezinski, damals Dozent an der Columbia University und nationaler Sicherheitsberater von Präsident Jimmy ch ihn bei einem Empfang in Washington traf und mich ‚beklagte‘, ihm klarzumachen versuchte, dass man die Tendenz in Richtung Eurokommunismus ganz einfach nicht leugnen könne, gab er mir genau die Antwort, die man sich von seiner Person und seiner Politik erwarten konnte: ‚Wenn sie erst tatsächlich an der Macht sind, werden wir noch genug Zeit haben, sie zu uns einzuladen!‘. In Wahrheit habe ich ihm nie gesagt, dass ich mir einer Machtübernahme der PCI sicher wäre – wenn wir natürlich im Grunde schon erwarteten, dass sie die DC ‚überrunden‘ würde –, aber die Antwort Kissingers ließ zumindest an einem keinen Zweifel: solange er im Außenministerium war, konnten wir derartige Einladungen vergessen.“
Die ersten Versuche, Kontakte zwischen dem Personal des Politbüros der US-Botschaft in Rom und Vertretern der PCI anzuknüpfen, gehen auf das Jahr 1969 zurück. Wie auch die Kontakte, die die Intelligence „in geheimer Mission“ angeknüpft hatte. Dieses Büro gab 1975 einen Bericht heraus (den nach seinem Verfasser, Officer Robert Boies, benannten „Boies-Report“), der im Widerspruch zur Meinung des Außenministers stand und gerade deshalb die Dinge änderte. „Die Dialektik zwischen Diplomatie und Intelligence ist ein zykliksches Problem,“ erläutert La Palombara. „Der Boies-Text war von der Überzeugung geleitet, dass die PCI schon bald die Macht übernehmen würde. Viele Persönlichkeiten, die damals vor dem Kongress zum ‚Fall Italien‘ aussagten, waren überzeugt davon, und die Wahlen des Jahres 1976 bestätigten den kommunistischen Vormarsch. Ich schrieb damals, dass auch ich erwartete, dass die PCI die Regierung übernehmen würde, aber nicht allein und nicht ohne Probleme. Wie es dann ja auch tatsächlich der Fall war.“

Enrico Berlinguer, Sekretär der PCI, beim Händedruck mit Aldo Moro, Präsident der DC (20. Mai 1977); auf dem Foto links vom PCI-Sekretär: 
Giorgio Napolitano.

Enrico Berlinguer, Sekretär der PCI, beim Händedruck mit Aldo Moro, Präsident der DC (20. Mai 1977); auf dem Foto links vom PCI-Sekretär: Giorgio Napolitano.

Carter und Brzezinski betreten die Szene
Im November 1976 wurde Jimmy Carter zum Präsidenten der USA gewählt. Im Dezember ernannte er seinen Außenminister, Cyrus Vance, und den Berater in Fragen der nationalen Sicherheit, Zbigniew Brzezinski. Der Gedanke, gemäßigte europäische Kommunisten oder Sozialisten einzuladen (wie den Spanier Carrillo, den Portugiesen Soares, und eben auch Napolitano) nahm Gestalt an. „Bevor wir bei der Administration den formellen Antrag stellten, wollten wir das Terrain sondieren... Cyrus Vance kannte ich schon von früher, als Mitglied des Verwaltungsrates der Yale University. ‚Zbig‘ Brzezinski, der damalige Berater für nationale Sicherheit, sollte uns sagen, ob die Idee in Ordnung war.“ War auch Präsident Carter informiert worden? „Ja, natürlich, Brzezinski hätte die geltende Visa-Politik für kommunistische Leader ja sicher nicht allein ändern können. Und nun musste man auch den US-Kongress und unsere Gewerkschaften, AFL-CIO – von jeher erbitterte Kommunistengegner – darauf vorbereiten. Kurzum: es reichte nicht, dass Brzezinski einfach mal beim Oval Office anklopfte – ganz besonders nach den italienischen Wahlen von 1976.“
Über den tatsächlichen oder vermeintlichen Unterschied zwischen der strikten Ablehnung des internationalen Kommunismus der Ära Nixon-Kissinger und der sich als sehr viel elastischer abzeichnenden Einstellung Präsident Carters wurde viel gesagt und geschrieben. Für La Palombara sieht man die Wahrheit an folgender Episode: „Kurz nach den Präsidentschaftswahlen von 1976 hatte ich eine namhafte russische Persönlichkeit nach Yale eingeladen, den Direktor des Instituts für Staatliche Studien, Herrn Arbatow. Vor seiner Rückreise nach Washington sagte Arbatow zu mir: ‚Es wäre herrlich, wenn man uns gegenüber in der Hauptstadt jetzt eine andere Politik anwenden würde als vorher.‘ Ich fragte ihn, was ihn zu einer derartigen Hoffnung veranlasst hätte. ‚ Kissinger hat ausgedient, Brzezinski ist viel entgegen kommender und hat bereits eine Öffnung den Kommunisten in Europa gegenüber eingeleitet…‘. ‚Mit allem Respekt,‘ antwortete ich, ‚aber Sie müssen doch einsehen, dass es sehr schwierig ist, die Politik zu ändern, Präsident Carter allein kann es nicht tun, da ist auch noch der Kongress.‘ Und er: ‚Wenn der Präsident sagt, dass die Politik geändert wird, müssen die Parlamentarier nachziehen…‘. Worauf ich antwortete: ‚Vielleicht hat man die Dynamik unseres Systems an Ihrem Institut nicht ganz verstanden: so einfach ist das nicht‘. Aber Arbatow wollte sich nicht davon abbringen lassen, dass der neue Mann jetzt Brzezinski wäre, und ich beendete das Gespräch mit folgenden Worten: ‚Sie dürfen nicht vergessen, dass jetzt an der Stelle eines gebürtigen Deutschen – der sicher keine großen Sympathien für das sowjetische System und wahrscheinlich auch nicht für die Russen hatte – ein Pole sitzt!‘.“

Nicht-Interferenz, Nicht-Indifferenz
Im März 1977 fassten Vance und Michael Blumenthal (Finanz- und Schatzminister) für Carter ein memorandum über die Italien und der PCI gegenüber anzuwendende Politik ab. Darin wurde die so genannte Linie der „Nicht-Interferenz, Nicht-Indifferenz“ erläutert, die die römische Regierung bezüglich einer eventuellen Teilung der Macht mit den Kommunisten treffen würde. Einfacher ausgedrückt: die Demokratie nach westlichem Muster musste aufrecht erhalten bleiben und die Bürde, sich dem gewachsen zu zeigen, lag in primis bei den Kommunisten, die sich jedoch weiter entwickeln mussten (in dem memorandum wurde u.a. auch das Problem der Genehmigung von Visa für Partei-Mitglieder herausgestellt). Außerdem war kurz vor Napolitanos Ankunft in Amerika die berühmte Erklärung des State Departments vom 12. Januar 1978 bekannt worden, die besagte, dass Regierungen „in Koalition“ mit der PCI nicht unterstützt werden dürften. La Palombara erläutert: „Der damalige US-Botschafter Dick Gardner behauptete – und schrieb das auch in seinen Memoiren –, dass die Erklärung von ihm geschrieben worden wäre, nachdem er in Washington Carter und Brzezinski getroffen hatte. Gardner bekräftigte, so gehandelt zu haben, um nicht den falschen Eindruck einer ‚Öffnung‘ den Kommunisten in Italien und in Europa gegenüber zu wecken. Eine Sorge, die auch Außenminister Vance teilte… Ganz zu schweigen von Präsident Carter, der dem Kongress gegenüber ganz sicher kein derartiges Risiko eingehen wollte – wo der Antikommunismus einem typisch amerikanischen Congressman doch sozusagen im Blut liegt!‘“ La Palombara fährt fort: „Meiner Meinung nach erkannte man in Washington nicht, dass es Andreotti auch in einer Koalition mit den Kommunisten gelungen wäre, die Beziehung zur PCI zu handhaben, sie unter Kontrolle zu halten. Und wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: da war noch ein anderer nicht zu unterschätzender Aspekt Andreottis, der damit zu tun hatte, dass es so mancher in Washington nur schwer verdauen konnte, dass Italien eine alles andere als nebensächliche Rolle im Mittelmeerraum und in der arabischen Welt spielen könnte.“
Eines ist gewiss, die Erklärung vom Januar ’78 war dem Dialog nicht gerade dienlich und machte es auch Giorgio Napolitano nicht einfacher, Brücken für ein besseres Verständnis zu bauen. „Wir wollten Napolitano einladen, weil wir der Meinung waren, dass es nur wenige so wie er verstanden hätten, meine Landsmänner über die PCI aufzuklären. Ihnen klarzumachen, dass sie nicht nach sowjetischem Muster gestaltet war und ihre Anhänger auch keine Bomben in der Westentasche hatten. Und genau betrachtet muss man sagen, dass er sich ex post tatsächlich als der richtige Mann erwiesen hat,“ kommentiert La Palombara.

US-Präsident Jimmy Carter mit Ministerpräsident Giulio Andreotti im Weißen Haus (Washington, 26. Juli 1977).

US-Präsident Jimmy Carter mit Ministerpräsident Giulio Andreotti im Weißen Haus (Washington, 26. Juli 1977).

„Ein echter Kommunist in unserer Mitte“
Am 4. April 1978 begann die Amerikatour. Der historische Kompromiss konnte funktionieren, die nationale Solidarität war in keinster Weise eine Gefahr für die Interessen der Vereinigten Staaten: das war die Botschaft, die uns Napolitano zukommen ließ. Aber wie würde er sich an sein Publikum wenden? „Wahl, Hoffmann, und auch ich selbst waren uns keineswegs sicher, was er sagen würde. Wir waren ihm gegenüber auch ein wenig befangen, weil man das Visum (wie schon bei Carrillo und anderen Eurokommunisten) nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt hatte, und noch dazu unter der Bedingung, dass wir – wenn auch nicht stündlich, so doch täglich – darüber Bericht erstatten würden, wo in Amerika er sich jeweils gerade befand. Eine Forderung, die nicht gerade mit der Würde im Einklang stand, die jeder Person berechtigterweise zusteht: man kann ja wohl kaum ausforschen, wann jemand morgens aufsteht oder abends zu Bett geht… Aber in seinem Fall passierte genau das. Der iter für die Genehmigung des Visums war bekanntlich überaus holprig gewesen.“
Das Abenteuer konnte beginnen. Auf dem Programm standen die Universitäten Princeton, Harvard, Yale, das Lehrman Institute, der Council on Foreign Relations, die Johns Hopkins und die Georgetown Universität. Die Berichterstattungen, die La Palombara von seinen Professorenkollegen über die ersten Schritte Napolitanos erhielt, waren durchwegs positiv. „Vor allem wegen der vielen Studenten und Dozenten, die zu den Begegnungen kamen, wenn auch nur, um einen ‚real communist in our midst‘,‚einen echten Kommunisten in unserer Mitte zu sehen‘: mit dem Smith Act in Kraft war es nämlich nicht gerade einfach, dass dem Durchschnittsbürger jemals ein echter unter die Augen kam!“.
An der Yale Universität war Napolitano schließlich Gast La Palombaras. „Sein Vortrag sollte in der Aula Magna der Fakultät für Politwissenschaften abgehalten werden. Eine reine Höflichkeitsgeste meinerseits, denn eigentlich erwartete ich mir nicht mehr als 40 oder 50 Studenten und den ein oder anderen Kollegen. Doch dann hatten sie gar nicht alle Platz im Saal.“ Napolitano sprach aus dem Stehgreif und stellte sich danach einer anderthalb-stündigen Debatte, beantwortete alle möglichen Fragen. Fragen, die herausfinden wollten, welches Verhalten man sich von einer PCI an der Regierung zu erwarten hätte. La Palombara erinnert sich: „Napolitano musste dann höflich aber bestimmt die apokalyptischen Behauptungen des Auditoriums korrigieren, nach denen es das erste Mal wäre, dass die Kommunisten die Macht in Europa übernähmen! Er beschränkte sich darauf, die Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu erklären und ließ sich auch von den polemischsten Fragen nicht aus dem Konzept bringen. Dem üblichen „besserwisserischen“ Studenten, der wissen wollte, wie er das Verhalten der PCI während des Korea-Krieges erkläre, legte er den historischen Kontext dar und erläuterte die komplexen Gründe dafür, warum es der PCI damals so gut wie unmöglich gewesen wäre, sich von Moskau zu distanzieren. Ich gestand Napolitano später, dass mich seine Fähigkeit der Moderation sehr beeindruckt hätte – war es doch etwas, das in amerikanischen Politdebatten so offensichtlich fehlte.“ Und er? „Er gestand, dass er sich der Verantwortung, hierher – in mein Land – gekommen zu sein sehr wohl bewusst wäre, sich wie ‚eine Art Kommando‘ in den Vereinigten Staaten zu fühlen und dass er sehr wohl wisse, wie wichtig das auch für die Zukunft seiner Partei wäre.“ Wie schon an den anderen Hochschulen, setzte Napolitano auch in Yale auf das Thema der Links-Öffnung in Italien, auf das Einverständnis unter den Parteien des Verfassungsbogens; oft kam er auch auf die Nachkriegszeit zu sprechen, in der die PCI Teil der Regierung war. Er erklärte, dass man die Probleme des Landes in derselben Optik sah und dass die „nationale Solidarität“ der traditionellen italienischen Außenpolitik keinen Abbruch tun würde.

Beim Council on Foreign Relations
La Palombaras Meinung nach gab es eine Art Höhepunkt dieses Besuches in den Staaten: die Begegnung vom 14. April am Council on Foreign Relations in New York. Das Auditorium bestand aus Rechtsanwälten, Bankiers und Industriellen von internationalem Rang. „Ich kann bezeugen, wie erstaunt einige Mitglieder des Councils waren, die sich wer weiß welche Aussagen von diesem italienischen ‚Kommunisten‘ erwarteten, den es da nach Manhattan verschlagen hatte,“ kommentiert der Professor. „Nach meiner kurzen Einführung ergriff Napolitano das Wort, sprach – in fließendem Englisch – über die italienische und internationale Wirtschaft und die damit zusammenhängenden Probleme.“ Vor dem Council sagte Napolitano unverblümt, dass sich Italien den Luxus einer Opposition zwischen PCI und DC nicht erlauben könnte. Er verwies auf das „Programmatische Abkommen“, das seit Juli 1977 in Kraft war und „das eine Kooperation [der PCI, Anm.d.Red.] im Bereich Außenpolitik nicht mit einschloss“, erwähnte gleich darauf aber auch die im Herbst 1977 von PCI und DC im Parlament befürworteten einheitlichen Motionen bezüglich der Stärkung der Europäischen Gemeinschaft, den im Namen der Entspannung zu leistenden gemeinsamen Beitrag, die Abrüstung und die volle Umsetzung der Schlussakte von Helsinki. Er erklärte auch, dass „sich die PCI der NATO nicht mehr entgegenstellte wie in den sechziger Jahren“, und schloss seinen Vortrag mit folgenden Worten: „Gemeinsamer Zweck ist die Überwindung der Krise, die Schaffung einer größeren Stabilität in Italien“. „Auch bei dem nachfolgenden Schlagabtausch zeigte er große Schlagfertigkeit,“ fährt La Palombara fort. „Einer der Leiter des Councils fragte mich am Ende sogar, ob das, was Napolitano da von sich gab, wirklich die Linie seiner Partei wäre. Ich konnte nur mit der Schulter zucken – ich wagte es nämlich weder nein zu sagen, noch zu bestätigen, dass das die offizielle, vom Politbüro der PCI akzeptierte Linie war... Gewiss, Napolitano tendierte dazu, jene Aspekte der PCI herauszustellen, in denen die Konfliktualität mit der DC und dem Westen abgeschwächt wurde; er erklärte also die von Andreotti garantierte Lösung, nach der die PCI ihre parlamentarische Unterstützung gegeben hätte, ohne in die Regierung einzuziehen. Aber das war eine Lösung, die Washington Kopfzerbrechen bereitete, wo sich so mancher fragte, welche ‚heimlichen‘ Konzessionen gemacht werden müssten, damit sich die PCI damit einverstanden zeigte. Andreotti bat die Amerikaner, ihm zu trauen, die gerade diesen Punkt mit großer Skepsis sahen, mit dem er dagegen umzugehen verstand. Meine Landsmänner verstanden das nicht und trauten dem Ganzen folglich auch nicht.“

Harvard. An dieser Universität hielt sich Napolitano vom 9. bis 12. April auf; hier antwortet er auf die Fragen von Studenten.

Harvard. An dieser Universität hielt sich Napolitano vom 9. bis 12. April auf; hier antwortet er auf die Fragen von Studenten.

Der so genannte „Links“ -Terrorismus
Ein Thema, dem sich Napolitano leider bei jeder Diskussion in Amerika stellen musste, war der Terrorismus in Italien. Einmal sprach ihn jemand sogar auf den berühmten, erst zwei Tage vor seiner Ankunft in Amerika im il Manifesto erschienenen Artikel aus der Feder von Rossana Rossanda an: dieser jemand war Prof. Mike Ledeen. „In Yale hätte so etwas sicher nicht passieren können. Die Episode ereignete sich bei einem Essen, das einige Studienzentren in Washington gegeben hatten. Ich kenne Prof. Ledeen gut, und auch Präsident Napolitano kennt ihn gut, schließlich kam Ledeen oft nach Italien, auch in der Zeit, als ich an der Botschaft in Rom arbeitete. Den Vorwurf einer Beziehung zwischen PCI und Roten Brigaden wies Napolitano kategorisch zurück. Er stellte klar, dass falls es ein ‚Kamerad‘ jemals gewagt hätte, über die Stränge zu schlagen, das seinen sofortigen Ausschluß aus der Partei bedeutet hätte.“ Napolitanos Vortragsreihe fand genau während der 55 Tage statt, die die Entführung Aldo Moros dauerte. La Palombara berichtet von den ersten Reaktionen seiner Kollegen und seines Gastes: „Für uns amerikanische Italianisten war es ein Schock, wir verstanden nicht so recht, was da passiert war. Wie jeden Morgen war Moro in die Kirche gegangen, dann auf einmal der Überfall… Bezüglich des Ausgangs der Entführung war ich sehr pessimistisch, Napolitano war es weniger, oder wollte das zumindest glauben machen. Ich hatte bei meinen Reisen das Italien der ‚bleiernen Jahre‘ [des Terrors, Anm.d.Red.] kennen gelernt, habe Ihr Land schon seit jeher studiert, nun aber diese brigadistische Abdrift miterleben zu müssen, war doch etwas recht Unerwartetes. Ich hatte eigentlich geglaubt, die italienische Linke zu kennen, und war nun von dem Phänomen der Brigaden zutiefst schockiert. Ich hatte Napolitano in alles andere als sanfter Weise über den so genannten Links-Terrorismus reden hören, der für die italienische Demokratie und die noch in der Entstehung begriffene Linke eine furchtbar negative Wende darstellte.“ In jenen Momenten hatte La Palombara, ebenso wie Napolitano auch, den Eindruck, dass sich in Italien zwischen Katholiken und Kommunisten und der positiven Entwicklung der gegenseitigen politischen Beziehungen in Italien ein Abgrund auftat: „Weil der Fall Moro ein tragisches Ereignis war, das man wissentlich geschehen hatte lassen – ich borge mir hier den Titel eines Buches aus, das Giorgio geschrieben hat – In mezzo al guado [Auf halber Wegstrecke]. Alle Ansprachen Napolitanos in den Vereinigten Staaten waren von dem Wunsch getragen, die Koalition zwischen DC und PCI zu klären und zu stützen, genau das also, was der Terrorismus vernichten wollten. Wie soll sich Napolitano damals in den Tagen seines Amerikaaufenthalts also gefühlt haben? Ich muss noch anfügen, dass der Gedanke, der Dialogstendenz zwischen Katholiken und Kommunisten Einhalt zu gebieten, von vielen meiner Landsmänner geteilt wurde. Sehr viel mehr als in Italien, wo die Entführung des DC-Vorsitzenden nicht sofort als Ereignis akzeptiert wurde, das das definitive Ende des Dialogs bedeutet. Das ist auch der Grund, warum ich Ihr Land und die demokratische Ader der Italiener immer so geschätzt habe. Im Vergleich zu Italien sind wir Amerikaner gar nicht so „schlau“, wir bauschen die Dinge gerne auf, tendieren zu drastischen Reaktionen, zur Polarisierung. Ihr Italiener dagegen habt, gerade in den bleiernen Jahren, eine Fähigkeit zur demokratischen und patriotischen Solidarität an den Tag gelegt, die ich bewundernswert, ja beeindruckend finde.“

Eine „allzu“ katholische DC
Im Januar 1979 war es mit der Jahreszeit der nationalen Solidarität formal vorbei. „Leider,“ kommentiert Prof. La Palombara. Wir fragen ihn, wie stark man dieses tiefe Misstrauen der DC gegenüber – einer zwar alliierten, aber doch vielleicht „allzu“ katholischen Partei – damals in Amerika empfunden hätte. „Der Faktor ‚Kirche‘ hatte in den atlantischen Beziehungen großes Gewicht. Auch in der Struktur des CIA waren die Katholiken sehr stark vertreten… Und dann ist noch etwas anderes zu bedenken: in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten die Amerikaner verstanden, dass die Situation in einem Land wie Italien, ohne die Präsenz der DC und des – manchmal auch diskutierbaren – Eingreifens der Kirche noch schwieriger gewesen wäre. Nicht nur in Italien, sondern auch in Europa. Es war ein Glück für Italien, in einem derart entscheidenden Moment einen Regierungschef wie Alcide De Gasperi zu haben, der nicht nur den nötigen Weitblick, sondern auch das Rückgrat hatte, die Regierung nicht an die PCI anzukoppeln, die im internationalen Gleichgewicht – Schuld der UdSSR – ein Problem darstellte. Wir hier im Westen haben uns in die ‚rote Gefahr‘ wohl alle etwas hineingesteigert – das gebe ich zu – darüber mag man diskutieren… Seit dem ersten Besuch De Gasperis in den Vereinigten Staaten 1947 hatte sich aber eine gewisse Bewunderung für die politischen Fähigkeiten der DC herauskristallisiert, wenn es an Kritik an einzelnen Mitgliedern dieser Partei auch nicht fehlte. Was aber zählte – und damit beantworte ich Ihre Frage – war die Realpolitik. Kissinger z.B. war zwar sicher kein Katholik, garantierte der DC aber bedingungslose Unterstützung, weil er sie als Faktor seines eigenen strategischen Plans betrachtete. Was natürlich auch für andere Außenminister vor ihm galt – James Byrnes, John Foster Dulles und den unvergessenen George Marshall. Der nach ihm benannte Plan ist meiner Meinung nach der größte Erfolg in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik. Natürlich hatten die Amerikaner keinen wirklichen Einblick in die internen Gleichgewichte der italienischen Politik, jene aber, die für die DC waren, legten keine konditionierte Haltung an den Tag – man denke nur an den Rat von Indro Montanelli „sich beim Abstimmen die Nase zuzuhalten“ –, außer vielleicht dem ein oder anderen Intellektuellen oder Kollegen von mir. Obwohl ich selbst keine große Sympathie für diese Partei habe, habe ich sie realistischerweise doch stets als notwendig erachtet, weil durch sie vermieden werden konnte, dass die Italien-Politik der USA während des Kalten Krieges eine Sache der Sechsten Flotte wurde.“

Zbigniew Brzezinski mit Johannes Paul II. bei einer Audienz für die Trilateral Commission (1983), Vatikanstadt. Brzezinski lernte Kardinal Wojtyla 1976 in Harvard kennen.

Zbigniew Brzezinski mit Johannes Paul II. bei einer Audienz für die Trilateral Commission (1983), Vatikanstadt. Brzezinski lernte Kardinal Wojtyla 1976 in Harvard kennen.

Der Preis für den „Übergang“
Eine Frage drängt sich uns unweigerlich auf: Stimmt es, dass die italienische Politik für eine gewisse Konfusion in der amerikanischen Übergangsphase – von Kissinger zu Brzezinski – bezahlt hat? Jene Phase, die den Rahmen der Reise Napolitanos bildete. La Palombaras Antwort lautet wie folgt: „Auch wir Akademiker und Intellektuellen haben zu dieser Konfusion beigetragen. Wie Kollege Peter Lange – berühmt dafür, die italienischen Kommunisten als amerikafreundlich eingestuft zu haben–, glaubten wir alle, dass Carter den von Kennedy eingeschlagenen Weg weitergegangen wäre. Und dass mit ihm die von Kennedy gewollte Öffnung dem Mitte-Links-Flügel gegenüber fortgesetzt werden würde, unter Einschluss der PCI. Wir waren zwar nicht der Meinung, dass es die PCI wirklich bis zum Kontrollraum schaffen würde, der Erfolg des neuen Duos Carter-Brzezinski legte aber die Hypothese einer Kursänderung nahe. Auch der von mir erwähnte sowjetische Funktionär hatte also gar nicht so unrecht, darauf zu hoffen, wenn ihn der Schein auch trog. Auch die Italiener leisteten ihren Beitrag zur Komödie – oder sollte man vielleicht besser sagen: zum Drama – der Missverständnisse. Lange selbst wusste, dass jeder politische Leader Italiens auf den Segen der Vereinigten Staaten hoffte, und das galt auch für die italienischen Kommunisten, wenn auch mit gewissen, interessanten Ausnahmen. Der Wunsch der PCI, Protagonist der Verschiebung der US-Politik unter Carter-Brzezinski zu sein, ist verständlich, die Erwartungen waren hoch.“ Aber die von den italienischen Kommunisten erhoffte Antwort blieb aus. Im Gegenteil, „Botschafter Gardner ließ im Januar 1978 die berühmte Erklärung gegen die Regierungen in Koalition mit der PCI herausgeben,“ erklärt La Palombara. „Die Zukunft sollte Gardner recht geben. Italien war nach 1978 nicht mehr dasselbe.“

Für eine Politik, die sich weniger von der Angst leiten lässt
Am 19. April 1978 kehrte Napolitano nach Rom zurück. Welche Bilanz haben die Italianisten gezogen? „Sein Besuch hatte der Politik der Öffnung starken Auftrieb gegeben, eine Politik aufgewertet, die sich weniger von der Angst leiten ließ. Sein unaufdringliches Charisma, so weit entfernt von der imposanten Statur eines großen Redners hatte Eindruck gemacht – wenn man einen aktuellen Vergleich anstellen will, könnte man sagen: er war kein Barack Obama. Giorgio Napolitano lernte man nach und nach schätzen, wenn man seinen Argumenten folgte, beobachtete, wie er sich beim Schlagabtausch verhielt, der uns Amerikanern so heilig ist. Er war in aller Demut gekommen und hatte sich das Wohlwollen der Öffentlichkeit sichern können. Meine amerikanischen Kollegen und ich mussten keine Sitzung abhalten, um zu besprechen, was dieser Besuch konkret gebracht hatte. Er war die Grundlage für alle weiteren Entwicklungen.“


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