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IRAN
Aus Nr. 05 - 2008

DER DIALOG ZWISCHEN ISLAM UND CHRISTENTUM.

Glaube, Geschichte und Wissenschaft gehen miteinander einher


Zu Wort kommt der Präsident der „Islamic Culture and Relation Organization“ von Teheran, Mahdi Mostafavi, nach der Begegnung der Repräsentanten des schiitischen Islam mit dem Päpstlichen Rat für den Interreligiöser Dialog.


Interview mit Mahdi Mostafavi von Giovanni Cubeddu


Mahdi Mostafavi ist der Präsident der „Islamic Culture and Relation Organization“, jenem Organ des iranischen Staates, das für den interreligiösen und kulturellen Dialog zuständig ist. Ihm und der von ihm geleiteten Delegation wurde zum Ausklang der Begegnung vom 28. bis 30. April eine Papst-Audienz gewährt. Eine Begegnung, bei der sich die iranischen Experten mit dem Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog, unter Leitung von Kardinal Jean-Louis Tauran, austauschten.

Benedikt XVI. mit Mahdi Mostafavi (30.  April 2008).

Benedikt XVI. mit Mahdi Mostafavi (30. April 2008).

Thema Ihres Gesprächs war „Glaube und Vernunft im Christentum und im Islam“. Ein Ehrerweis an Papst Benedikt?
MAHDI MOSTAFAVI: Wir unterhalten schon seit Jahren gute Beziehungen zum Hl. Stuhl, und das war bereits das sechste Treffen zwischen Schiiten und Katholiken im Vatikan. In Wahrheit wurde das Thema „Glaube und Vernunft“ – ein Thema, dessen Wichtigkeit auch uns durchaus bewusst ist – nicht auf Wunsch des Papstes ausgewählt, sondern aus dem einfachen Grund, weil es für beide Parteien von Interesse ist. Themen zu diskutieren, die allen nützlich sind, ist im gegenseitigen Interesse und hilft, den Gesprächspartner besser kennen zu lernen. Und das nicht zuletzt auch, weil man der Wahrheit näher kommt, wenn man einander zuhört. Die Themen, die in der Vergangenheit behandelt wurden, waren die islamische und christliche Sicht der Moderne, des Religionspluralismus und der Prinzipien, die den Frieden regeln. All diese Begegnungen waren nicht nur sehr interessant und fruchtbar, sondern haben auch gezeigt, dass es auf vielen Gebieten durchaus gemeinsame Anschauungen gibt, besonders, wenn da die Bereitschaft ist, einander zu verstehen.
Wie würden Sie die iranische Anschauung definieren?
MOSTAFAVI: In der heutigen Welt müssen uns die Vernunft, das Wissen und die Spiritualität am Herzen liegen. Darauf konzentriert sich die Debatte, und beide Seiten sind überein gekommen, dass derart weitreichende religiöse Phänomene ohne eine genaue Analyse nicht verstanden werden können. Wenn es um wichtige Religionen geht, muss man eine genaue Kenntnis der Glaubensinhalte haben…
Und was können Sie zum Thema „Glaube, Vernunft und das Phänomen der Gewalt“ sagen? Wurde auch dieses so besonders heikle Problem diskutiert?
MOSTAFAVI: Darum ist eine besonders lebhafte Diskussion entstanden, die gezeigt hat, dass uns der alleinige Gebrauch der Vernunft an die Gewalt annähert, aber auch das Gegenteil: dass wir uns nämlich auch, wenn wir dem Glauben ohne Vernunft folgen, an die Gewalt annähern. Glaube und Vernunft müssen miteinander einher gehen, ohne sich gegeneinander auszuschließen, weil sie einander brauchen. Sowohl im Christentum als auch im Islam wurde die Wichtigkeit dieser Komplementarität immer wieder herausgestellt.
Am Iran scheint derzeit kein großes internationales Interesse zu bestehen – von der Atomfrage einmal abgesehen. Stehen die in Rom behandelten Themen auch in der theologischen Diskussion Ihres Land zur Debatte?
MOSTAFAVI: Natürlich gibt es bei den Gläubigen verschiedene Meinungen und Ansichten. Die Mehrheit der Gläubigen und Intellektuellen im Iran vertritt jedoch die Ansichten, die wir auch in Rom vertreten haben. Und genauso denkt man auch an unseren Universitäten und Religionsschulen in Qom. Zu diesem Thema gibt es verschiedene interessante Veröffentlichungen.
Die beiden Delegationen sind auch übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass Christen und Muslime über eine „reine Toleranz“ hinausgehen müssen, dass die „Verschiedenheit des jeweiligen historischen Kontextes“ nicht außer Acht gelassen werden darf. Kurzum: wenn man die Geschichte respektiert, wird auch der Dialog einfacher.
MOSTAFAVI: Meiner Meinung nach können sich die Religionen, wenn sie über die Wissenschaft diskutieren, vernünftig und ehrlich miteinander reden, sehr viel mehr aneinander annähern. Für uns Iraner ist es nie ein Problem, wenn sich Judentum, Christentum und Islam aneinander annähern. Probleme gibt es erst dann, wenn die Jünger dieser Religionen übertreiben, wenn sie keinen sicheren Glauben haben oder nicht wissen, wie sie die Vernunft nutzen sollen. Das Problem unserer heutigen Welt liegt in der Säkularisierung, für die Gott und die Religion von der Gesellschaft getrennt wurden, und wo es weder Glauben gibt, noch gute Beziehungen zwischen Glauben und Vernunft, und die Gesellschaft sehr unelastisch wird. Auch das Gegenteil ist möglich: Probleme entstehen dort, wo extremistische Religionsfanatiker sowohl die Vernunft als auch den Glauben beiseite lassen. Das ist aber nicht das Verhalten der Propheten: die haben stets behauptet, dass Vernunft und Glaube miteinander einher gehen müssen. Und wenn die Gläubigen den Richtlinien der Propheten folgen würden, hätten wir diese Probleme nicht. Kriege wurden noch nie von aufrechten Intellektuellen angezettelt.
Wie können gemeinsame Initiativen zwischen Katholiken und Schiiten entwickelt werden?
MOSTAFAVI: Wir haben im Vatikan über wissenschaftliche, kulturelle und künstlerische Initiativen diskutiert, im Hinblick auf unsere nächste Begegnung. Und wir haben uns dabei auf mögliche Bereiche konzentriert, in denen eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich wäre. Diese etwaigen Konvergenzen wollen wir bestmöglich nutzen.


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