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CHINA
Aus Nr. 06/07 - 2008

Das schönste Spiel ist das Wohlwollen


Die Erwartungen der Volksrepublik China nach den Olympischen Spielen. Interview mit Sun Yuxi, Botschafter in Italien.


Interview mit Sun Yuxi von Giovanni Cubeddu


In Mandarin-Chinesisch, das bei den Chinesen putonghua – die gemeine Sprache – heißt, sind drei Schriftzeichen notwendig („Welt“, „ganz“, „Umwandlung“), um ein neues Konzept wie die Globalisierung zum Ausdruck zu bringen... Das heutige China ist ein großes Land mit einer fünf Jahrtausende alten Kultur; einem Fünftel der Weltbevölkerung. Ein Land, das stolz darauf ist, den Weg eingeschlagen zu haben, der ihm eine führende Rolle in der Weltwirtschaft verspricht. Aber auch ein Land voller Widersprüche. Doch die wollen wir heute auf den ohnehin schon übervollen Schreibtischen der Analytiker belassen. Der große Kong (Kong Fu-tsi, bei uns im Westen dank der Jesuiten besser bekannt unter dem Namen Konfuzius) hat auch für diese Zeit des Wandels einen Weisheitsspruch parat: in seinen Dialogen (Kapitel über das „Wohlwollen dem Nachbarn gegenüber“) empfiehlt er, auf Mäßigung und Gemeinwohl zu setzen: „Niemand ist besser als der, der das Wohlwollen pflegt.“
Sun Yuxi, neuer Botschafter der Volksrepublik China in Italien, erklärt uns die Welt aus der Sicht Pekings.

Botschafter Sun Yuxi.

Botschafter Sun Yuxi.

Was erhofft sich Peking von den Olympischen Spielen – außer der Goldmedaille?
SUN: Zunächst einmal freuen wir uns natürlich sehr, dass man uns das Recht zugestanden hat, diese Spiele zu organisieren. Wir werden alles daran setzen, sie zu einem unvergesslichen sportlichen Ereignis werden zu lassen. Die Olympischen Spiele sind ein Weg, der ganzen internationalen Gemeinschaft unseren Wunsch nach friedlichem Zusammenleben und Ausbau der Freundschaftsbande zu zeigen. Wir glauben, dass die Spiele zur Förderung von Frieden und Harmonie auf der Welt beitragen können, und uns ist sehr daran gelegen, dass uns die Besucher aus der ganzen Welt in guter Erinnerung behalten, auch später noch mit Sympathie an uns denken. Unser Land erlebt ja derzeit ein rasches Wachstum, und die Regierung Chinas will natürlich auf diesem Weg weiter machen, um den Lebensstandard unseres Volkes zu heben. Die Olympischen Spiele bestärken uns also in unserer Politik des Fortschritts und der Freundschaft.
Die Chinesen sprechen gern von Harmonie. So mancher sieht in Ihrem Land jedoch auch einen gefährlichen Gegenspieler. Wie lassen sich Harmonie und Globalisierung unter einen Hut bringen?
SUN: In der Welt gibt es natürlich noch vieles, was alles andere als harmonisch ist – in der Politik genauso wie in der Wirtschaft. In der Politik meine ich die regionalen Konflikte und die schwierigen Beziehungen zwischen den Ländern; in der Wirtschaft die Globalisierung, die nämlich auch Inflationsprobleme schafft, eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten, Umweltverschmutzung, usw… China strebt nach Harmonie. Unsere wichtigsten Ziele sind die Verbesserung des Lebensstandards unseres Volkes und ein freundschaftliches, friedliches Zusammenleben mit dem Rest der Welt. Frieden, Entwicklung und Zusammenarbeit: das sind unsere Richtlinien. Und um die zu erreichen, setzen wir auf Verhandlungen, nicht auf ein Kräftemessen. Und dann engagieren wir uns auch im Bereich der Energiesparpolitik, suchen nach Alternativenergiequellen, engagieren uns für den Umweltschutz... Dafür setzen wir enorme menschliche und wirtschaftliche Ressourcen ein. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Hilfe verweisen, die uns die italienische Regierung angeboten hat; auf die beim letzten Treffen in Rom mit unserem Außenministerium geschlossenen Abkommen zum Bau einer ökologischen „Modellstadt“ in China, die den Namen „Caofeidian“ tragen wird. Für all das kann ich Ihrem Land nur danken.
Der Untergang der UdSSR bedeutete auch das Ende der „roten Gefahr“ für den Westen. Das heutige China – ein Land, das von der kommunistischen Partei regiert wird – spielt auf allen Weltmärkten eine führende Rolle. Und das wird wohl auch in Zukunft so bleiben.
SUN: Die Volksrepublik China befindet sich in einer Phase der Vorbereitung auf den Sozialismus, unter Leitung der kommunistischen Partei Chinas. Wir wollen, dass sich das Land seinen Charakteristiken und seiner Realität entsprechend weiter entwickelt. Unsere Regierung setzt sowohl auf die Reform der sozialistischen Demokratie als auch auf die der Wirtschaft. Unserer Meinung nach bedeutet Demokratie, dass das Volk Herr über sein Land ist, alle Entscheidungen bei ihm liegen. Entscheidungen, die in seinem eigenen Interesse sind. Und zwar auf allen Ebenen: in den Provinzen wie auch im Zentrum werden jedes Jahr Volksversammlungen abgehalten. Diese Versammlungen sind grundlegend, weil sie die Inhalte für das liefern, was das Volk denkt und will. Außerdem gibt es in China nicht nur die kommunistische Partei, sondern weitere neun Parteigruppierungen, die mit der kommunistischen Partei zusammen arbeiten und in den verschiedenen Versammlungen vertreten sind. Die Nationale Volksversammlung erfüllt darüber hinaus auch eine Kontrollfunktion über die Regierung, wie auch die kommunistische Partei, in der ein Überwachungskomitee tätig ist. Es gibt auch ein Überwachungskomitee des Informationsministeriums, das die Forschungsinstitute und die Medien strikt kontrolliert. China ist kein Regime, wo alles in der Hand weniger liegt. Dem Volk wird Gehör geschenkt: die Leiter der kommunistischen Partei werden von 70 Millionen Parteianhängern gewählt, die Ernennung der Minister wird von der Nationalen Volksversammlung approbiert, die Leiter der Dörfer werden in direkter Wahl gewählt… Dieses politische System entspricht unserem Wesen, und wir werden es aufrecht erhalten, wenn auch in modernisierter Form. Das Geheimnis Chinas in der globalisierten Welt ist, dass wir eine Regierung haben, die einen tatsächlichen Fortschritt zu bewirken versteht …
Wie schafft es das heutige China, seine Traditionen zu bewahren und gleichzeitig mit der Moderne Schritt zu halten?
SUN: Das chinesische Demokratie-System ist der Garant für die Entwicklung. Ausgangspunkt ist die Wahrung der Grundinteressen des Volkes, die unserer Meinung nach mit den Interessen der anderen übereinstimmen müssen, diesen nicht entgegengesetzt sein dürfen. Nur so ist eine perfekte Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt möglich. Wir folgen dabei einem detaillierten Programm. Da China eine lange Zeit der Rückständigkeit und Armut hinter sich hat, wollte man zunächst einmal – und dieses Ziel konnte schon Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erreicht werden – dem Volk die Möglichkeit geben, sich gut zu kleiden und zu ernähren. Wir hoffen, bis zum Jahr 2020 eine wohlhabende Gesellschaft zu haben; bis 2050 wollen wir einen Lebensstandard erreicht haben, der Ländern wie Italien ähnlich ist. Das Volk schreitet unter der Leitung der KPCh [kommunistische Volkspartei] voran: in den achtziger Jahren gab es in unserem Land 250 Millionen Arme, heute sind es nur noch 20 Millionen. Die Chinesen machen ein Fünftel der Weltbevölkerung aus. Und wäre es nicht auch ein Beitrag zum Kampf gegen die Armut in der Welt, wenn unser Volk ein würdevolleres Leben führen könnte?
Das Wachstum Chinas gilt seit geraumer Zeit als eine der Hauptursachen für die Ressourcenknappheit, vor allem im Energiebereich. In Sachen Öl sollen Spekulationen im Spiel sein.
nd die Entwicklung von Alternativenergiequellen. Und das nicht zuletzt auch, weil uns der Anstieg der Ölpreise Sorgen macht und wir versuchen, ihn zu stabilisieren.
Am 7. Mai gab das Philharmonische Orchester von Shanghai in der Aula Paolo VI im Vatikan ein Konzert für Papst Benedikt XVI. Eine symbolische Geste, die überaus geschätzt wurde. Organisiert hat das Ganze die von Ihnen geleitete Botschaft.
SUN: Die Philharmoniker von Shanghai sind schon in anderen europäischen Städten aufgetreten. Davon jedoch, dass der Hl. Stuhl sein Interesse bekundete und das Orchester in den Vatikan eingeladen hat, konnten wir uns nur geehrt fühlen. Eine derartige Einladung konnte man unmöglich ablehnen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass Papst Benedikt XVI. selbst den Vorsitz führen wollte und bei dem Konzert auch eine kurze Ansprache gehalten, uns alles Gute für die Olympischen Spiele gewünscht hat. Ich bin der erste chinesische Botschafter, der direkte Kontakte zum Papst hat… Unter den sechs tausend Zuhörern des Konzertes waren auch hohe kirchliche und weltliche Würdenträger Italiens, und die allgemeine Reaktion war mehr als positiv. Viele sind der Meinung, dass es eine Initiative war, die einer Normalisierung der Beziehungen zwischen China und Vatikan Auftrieb geben kann – und als Geste des kulturellen Austausches hat sie das eigentlich ohnehin schon getan. Ich kann nur wiederholen, dass wir sehr glücklich darüber sind.
Sie sind der erste chinesische Botschafter in Rom, der direkte Kontakte zum Hl. Stuhl und zum Heiligen Vater hat. Darf ich Sie um einen persönlichen Kommentar bitten?
SUN: Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass ich darüber mehr als zufrieden bin.
Benedikt XVI. begrüßt das chinesische Philharmonische Orchester und den 
Shanghaier Opernchor nach dem Konzert in der Aula Paolo VI  (Abend des 7. Mai 2008).

Benedikt XVI. begrüßt das chinesische Philharmonische Orchester und den Shanghaier Opernchor nach dem Konzert in der Aula Paolo VI (Abend des 7. Mai 2008).

Was gibt es Neues beim kulturellen Austausch zwischen der Volksrepublik China und Italien?
SUN: China und Italien repräsentieren zwei große Kulturen. Meiner Meinung nach gibt es vier große Kulturen auf der Welt: die chinesische, die sich zwischen dem Gelben und dem Blauen Fluss entwickelt hat; die Indiens; die europäische und die afrikanische. Italien ist die Wiege der westlichen Kultur. Und das ist auch der Grund, warum der kulturelle Austausch zwischen der chinesischen und der italienischen Kultur – an dem China sehr gelegen ist – entscheidend zum Frieden und zur Zusammenarbeit beitragen kann. Und zwar nicht nur zwischen unseren Ländern, sondern global gesehen. Der kulturelle Austausch zwischen China und Italien fördert ein besseres gegenseitiges Kennenlernen, und damit auch die Freundschaft zwischen westlicher und östlicher Kultur. Nach der Anknüpfung der diplomatischen Beziehungen zwischen unseren Ländern wurde auch ein Protokoll über den kulturellen Austausch unterzeichnet, dessen Programme alle drei Jahre auf den neuesten Stand gebracht werden. Zwischen italienischen Regionen und chinesischen Provinzen konnten fruchtbare Beziehungen ausgebaut werden. In den letzten Jahren wurden auch immer mehr Initiativen ins Leben gerufen, die an der Basis ansetzen, also das Volk mit einbeziehen. 2006 wurde bei uns das „Italienische Jahr in China“ ausgerufen, und dieses Jahr haben wir in Rom gemeinsam das Festival „China ist nah“ organisiert. Derartige Initiativen werden wir auch in Zukunft weiter voran treiben. Dafür werde ich mich persönlich einsetzen.
Ich möchte auch betonen, dass die wachsende Zahl von chinesischen Studenten in Italien, und umgekehrt, eine überaus effiziente Art und Weise ist, den kulturellen Austausch voranzutreiben. In Italien studieren heute 5.000 junge Chinesen, und ich hoffe, dass diese Zahl jedes Jahr verdoppelt werden kann. Wir haben in Italien auch zwei „Konfuzius-Institute“ gegründet. Viele Universitäten haben uns gebeten, noch weitere zu errichten. Es ist bekannt, dass unsere Botschaft allzeit bereit ist, zu helfen. Und dann muss man auch sagen, dass Chinesisch-Sprachkurse viel besser besucht sind als früher.
Kann ich noch kurz etwas zur diplomatischen Mission Italiens in Peking sagen?
Natürlich.
SUN: Die Beziehungen zwischen China und Italien erleben vielleicht derzeit eine Blütezeit. Unsere Zusammenarbeit mit Botschafter Sessa funktioniert sehr gut, besonders in Sachen Vereinfachung der Visa-Genehmigungen. Ich für meinen Teil freue mich besonders darüber, dass die Erstellung von Visa, die für chinesische Touristen, für Handels- oder Studienzwecke, gebraucht werden, nun in einem vernünftigen Zeitrahmen erfolgt.
In Italien wird viel von Föderalismus geredet... In China gibt es offiziell 56 Ethnien. Wie kommt es, dass es Peking immer noch schafft, deren Zusammenleben zu garantieren?
SUN: Weil sie gleichwertige Mitglieder der chinesischen Familie sind, garantiert von der Verfassung und vom Gesetz. Jede Ethnie hat dazu beigetragen, das moderne China zu bauen, ohne dem seine Traditionen und Kultur zu opfern. Die chinesische Regierung hat den Schutz der ethnischen Gruppen schon immer als maßgebend dafür betrachtet, die Einheit und die Entwicklung Chinas zu gewährleisten. In der Regierung und in der Nationalen Volksversammlung haben die ethnischen Gruppen eine prozentuale Repräsentanz, und dort, wo diese Minderheiten präsent sind, wird ihnen das Sonderstatut der Autonomen Region garantiert: fünf gibt es bereits, und der Präsident der autonomen Region ist Ausdruck der jeweiligen ethnischen Gruppierung vor Ort. Rückständigen Minderheiten greift die Zentralregierung mit Fonds unter die Arme, damit sie wieder auf die Beine kommen. Aber damit nicht genug: wir haben Schulen gegründet, Universitäten und Forschungsinstitute, damit die einzelnen ethnischen Gruppen ihre Kultur beibehalten können. In den Schulen wird sowohl auf Mandarin als auch in der jeweiligen Ortsmundart unterrichtet. Das ist der unbeirrbare politische Kurs, den die chinesische Regierung eingeschlagen hat und der von allen ethnischen Gruppen befürwortet wird.
Wie lange wird China, das sich doch mit so großen Schritten vorwärts entwickelt, noch ein konfuzianisches Land sein?
SUN: Seit 2000 Jahren beeinflusst Konfuzius die chinesische Denkweise. Unsere Vorstellung von Harmonie, verstanden als Koordinierung zwischen verschiedenen sozialen Schichten und sozialen Produktionsfaktoren – wovon wir eben gesprochen haben – ist auf ihn zurückzuführen. Und die Harmonie ist – wie Konfuzius meint – wie ein Schatz. Konfuzius rät uns auch, Exzesse zu vermeiden, zu allen ausgewogene Beziehungen zu unterhalten. Alle namhaften chinesischen Staatsmänner, von Mao Tse-tung über Deng Xiaoping, bis hin zur letzten Generation von Hu Jintao, waren von Konfuzius beeinflusst, haben sich auf seine Worte und Gedanken gestützt. Er war der erste Lehrmeister, der eine eigene Schule in China hatte. Wenn Sie also wissen wollen, wie die Chinesen denken, kann ich Ihnen nur raten, die Texte von zwei wichtigen Persönlichkeiten zu lesen: Konfuzius und Mao Tse-tung. Bei Letzterem werden Sie nämlich nicht nur die Ideen des Marxismus finden, sondern auch des Konfuzianismus. Und dieses Gedankengut ist noch sehr lebendig.


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