Die seligsprechung von Mutter Teresa von Kalkutta
Ein Bleistift in den Händen Gottes
Interview mit Kardinal Saraiva Martins, Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse: „Mutter Teresa betrachtete sich als einfaches Werkzeug in den Händen des Herrn, oder, um es mit dem von ihr geprägten Ausspruch zu sagen: ‚einen Bleistift in den Händen Gottes‘. Das Verdienst ist nie das des Stiftes, sondern dessen, der schreibt: in diesem Fall, Gottes. Aus dieser tiefen Überzeugung war ihr zuversichtliches Vertrauen, ihre unbeirrbare Hoffnung erwachsen, die nicht aus sich selbst, aus den eigenen Reserven Kraft schöpfte, sondern aus der Gnade Gottes.“
von Gianni Cardinale
Die kleine Schwester aus Albanien wird nach einem der schnellsten Seligsprechungsprozesse zur Ehre der Altäre erhoben. Nach den geltenden Vorschriften dürfte ein Seligsprechungsprozess nämlich erst fünf Jahre nach dem Tod der betroffenen Person eingeleitet werden. Im Falle von Mutter Teresa hat der Papst jedoch formell eine Ausnahme verfügt, um die ihn der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal José Saraiva Martins, gebeten hatte, an den wiederum zahlreiche Bischöfe und Gläubige aus der ganzen Welt herangetreten waren. Mutter Teresa ist am 5. September 1997 gestorben – ihr Fall hätte eigentlich nicht vor September 2002 eingeleitet werden dürfen. In Wahrheit hatte der Papst aber schon 1998, knapp ein Jahr nach ihrem Tod, die Ausnahme gewährt und damit den Beginn der ersten Phase des Prozesses, der diözesanen, ermöglicht. In der Zwischenzeit war es am 5. September 1998 in Indien zu dem Wunder gekommen, das der Fürsprache Mutter Teresas zugeschrieben wird: die Heilung der jungen Animistin Monica Besra von einem bösartigen Tumor. Die diözesane Phase wurde dann am 14. August 2001 beendet, als der damalige Erzbischof von Kalkutta, Henry S. D’Souza, ankündigte, daß die Akten (76 Bände von jeweils 450 Seiten) auf dem Weg nach Rom wären. Auch in der Ewigen Stadt kam der Prozess schnell voran, und die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse konnte zwischen Ende September und Anfang Oktober 2002, im Laufe einer Woche, die heldenhaften Tugenden anerkennen. Am 20. Dezember 2002 wurden diese Dekrete im Vatikan, im Beisein des Papstes, feierlich promulgiert.
30Tage hat sich mit Kardinal Saraiva Martins über diesen Seligsprechungsprozess und die Person Mutter Teresas unterhalten. Der 71jährige Kardinal ist seit fünf Jahren Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse.
Eminenz, kannten Sie Mutter Teresa von Kalkutta persönlich?
JOSÉ SARAIVA MARTINS: Ja, ich bin ihr mehrmals begegnet. Ich kann mich noch an das erste Mal erinnern. Ich war damals Rektor der Päpstlichen Universität Urbaniana, und sie besuchte uns zum Fronleichnamsfest. Mutter Teresa hat aus ihrer Verehrung für das Altarsakrament nie ein Geheimnis gemacht. Ich bin ihr dann noch einmal begegnet, als ich Sekretär der Kongregation für das katholische Bildungswesen war: sie kam uns oft in unserem Büro in der Piazza Pio XII. besuchen. Meine wohl schönste Erinnerung rankt sich um jenen Tag, als ich das Vergnügen hatte, einer großen Gruppe – mehr als ein Dutzend – von Missionarinnen der Nächstenliebe die Ordensprofeß abzunehmen. Die Zeremonie fand in San Gregorio al Celio statt, und dabei war auch Mutter Teresa, die – mit all den anderen Schwestern – auf dem Boden saß. Die Gespräche waren stets eine wahre Lektion im Evangelium: aus ihren Worten klangen stets ihre tiefe Spiritualität und ihr starker missionarischer Geist heraus.
José Saraiva Martins.
SARAIVA MARTINS: Mutter Teresa ist zweifellos eine der herausragendsten Figuren der Kirche unserer Zeit. Eine, die auf die Gläubigen in aller Welt große Faszination ausübt. Der Grund dafür sind die außergewöhnliche Persönlichkeit dieser Frau und Ordensschwester, ihr zutiefst evangeliumsbezogenes Charisma, sowie die extreme Aktualität ihrer menschlichen und christlichen Botschaft. Eine Botschaft, die sich hauptsächlich um die Liebe rankt, die Liebe zum Nächsten, vor allem den Armen, Einfachen, Ausgegrenzten, die stets ihr größter Schatz waren. Ihnen hat sie ihr ganzes Leben geweiht, auf sie hat sie ihre ganze Energie verschwendet. In ihrem ganzen intensiven Apostolat bei den Armen hat Mutter Teresa nie auf die Worte Christi vergessen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). In den Gesichtern der Armen und Ausgegrenzten sah sie – wenn auch manchmal entstellt – das Antlitz Jesu Christi.
Mutter Teresa, eine Frau der Nächstenliebe, aber auch des Glaubens und der Hoffnung...
SARAIVA MARTINS: Gewiß. Sie strahlt nicht nur Nächstenliebe aus, sondern auch einen tiefen, konkreten Glauben. Einen Glauben, den sie nie verloren hat, auch nicht in der langen Periode geistlicher Dürre, mit der Gott sie prüfen wollte (an dieser Stelle sollte man aber vielleicht daran erinnern, daß auch andere große Heilige und Mystiker eine derartige Prüfung über sich ergehen lassen mußten). Mutter Teresa besaß, wie ich schon sagte, eine große Demut, eine vollkommene Bereitschaft, den Willen Gottes zu erfüllen. Sie betrachtete sich als einfaches Werkzeug in den Händen des Herrn, oder, um es mit dem von ihr geprägten Ausspruch zu sagen: ‚einen Bleistift in den Händen Gottes‘. Das Verdienst ist nie das des Stiftes, sondern dessen, der schreibt: in diesem Fall, Gottes. Aus dieser tiefen Überzeugung war ihr zuversichtliches Vertrauen, ihre unbeirrbare Hoffnung erwachsen, die nicht aus sich selbst, aus den eigenen Reserven Kraft schöpfte, sondern aus der Gnade Gottes.
Es wurde oft betont, wie sehr Mutter Teresa die Familie am Herzen lag...
SARAIVA MARTINS: Ja, das stimmt. Sie war sich der großen Bedeutung der Familie für Kirche und Gesellschaft sehr wohl bewußt. Besonders im Zusammenhang mit der christlichen Familie wurde Mutter Teresa nie müde, darauf hinzuweisen, wie wichtig es wäre, daß in derem Innern die Werte des Evangeliums gelebt wurden. Und das tat sie auf eine sehr dezente, keineswegs autoritäre oder belehrende Weise. „Eine Familie, die betet,“ sagte sie beim ersten Weltfamilientreffen, „ist eine glückliche Familie.“ Diese Worte Mutter Teresas haben an Aussagekraft und Aktualität nichts eingebüßt. Sind vielleicht wirksamer als viele Pastoralpläne... Mutter Teresa hat auch gesagt: „In der Familie muß man lernen, gemeinsam zu beten: Frucht des Gebets ist der Glaube, Frucht des Glaubens ist die Liebe, Frucht der Liebe ist der Dienst und Frucht des Dienstes ist der Frieden.“
SARAIVA MARTINS: Das Fernsehen hat die zutiefst liebevolle Gestalt Mutter Teresas in alle Familien gebracht, zusammen mit der Johannes Pauls II., vereint bei der Feier für das Leben und inmitten der Massen von Jugendlichen, die in die Stadien und Plätze der ganzen Welt strömten. Mutter Teresa ist dem pilgernden Papst auf den Straßen der Welt gefolgt, mit jener weiblichen Zurückhaltung und Verschwiegenheit, die Leben hervorbringen. Wer erinnert sich nicht an Paris, Denver, Rom... um nur einige Treffpunkte dieser gemeinsamen Leidenschaft für das Leben, für die Jugendlichen, zu nennen? Aus all diesen Gründen ist es ein providentielles Faktum, eine Gabe Gottes an die Kirche, daß die Seligsprechung Mutter Teresas mit dem Zeitpunkt des Papstjubiläums zusammenfällt. Ich persönlich freue mich sehr über diesen glücklichen Zufall, und ich kann sagen, daß die Kongregation eifrig daran gearbeitet hat, damit das möglich wird.
Der Seligsprechungsprozess von Mutter Teresa konnte tatsächlich in Rekordzeit Realität werden. Könnte man sagen, daß die kleine Schwester aus Albanien eine Selige „mit einflußreichen Beziehungen“ ist?
SARAIVA MARTINS: Unmittelbar nach dem Tod von Mutter Teresa ging der Ruf ihrer Heiligkeit um die ganze Welt, konnte sich in der gesamten christlichen Welt verbreiten. Eine Welle der Begeisterung, die in gewisser Weise auch unsere Kongregation erfaßte, bei der bedeutende Zeugnisse über die Heiligkeit der kleinen Schwester aus Kalkutta eingingen. Ohne Zeiten und Prozeduren zu beschleunigen, laut denen mindestens fünf Jahre nach dem Tod der Dienerin Gottes hätten verstreichen müssen, bewirkte ein derart „verschwenderischer Überfluß“ von Tugenden, daß die Zusammenstellung der Dokumente sofort beginnen und der übliche iter eingeleitet werden konnte, der dem normalen Rhythmus, den üblichen Prozeduren, folgt. Angesichts der großen weltweiten Anteilnahme hat die Kongregation den Akteuren des Prozesses einen eigenen, in juristischer und sprachlicher Hinsicht kompetenten Beamten zur Verfügung gestellt; was den Weg zur Seligsprechung natürlich entsprechend beschleunigte. Keine „Begünstigung“ also. Das Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse ist einfach nur dem nicht zu überhörenden Ruf der Gläubigen gefolgt, der sich aus allen Teilen der Welt erhoben hatte.
In den Massenmedien, auch in Avvenireý(10. September), sickerte die Nachricht durch, daß man „die Möglichkeit ins Auge faßte, Selig- und Heiligsprechung von Mutter Teresa zusammenfallen zu lassen“. Doch dann war man überein gekommen – wie die Tageszeitung der ital. Bischofskonferenz schrieb – „auch im Falle Mutter Teresas dem üblichen kanonischen iter zu folgen.“
SARAIVA MARTINS: Eines ist sicher: Mutter Teresa hat in ihrem irdischen Leben nie Privilegien oder Sonderbehandlungen für sich gesucht.