„Sie hat das Antlitz Jesu sichtbar werden lassen“
So faßt der indische Kardinal Ivan Dias das Werk Mutter Teresas zusammen. Der Erzbischof von Bombay äußert sich auch zur katholischen Kirche in Indien, der Beziehung zum Staat und zu den anderen Religionen.
von Giovanni Cubeddu
„Die Mission im Pontifikat von Papst Johannes Paul II.“ So lautet der Titel des Berichts, den der 67jährige Ivan Dias, Kardinalerzbischof von Bombay, am Samstag, dem 18. Oktober, am Ende der Tagung zu Ehren des Papstes halten wird. Indien ist Missionsgebiet, das war es für Mutter Teresa – die Dias als Nuntius in Albanien kennengelernt hat –, und das ist es in der ureigenen Art der indischen Kirche (gerade zurück vom ad-limina-Besuch), die Dias so beschreibt: große Geduld, Öffnung, Freiheit.
Eminenz, Mutter Teresa wird seliggesprochen...
DIAS: Für das indische Volk ist es eine natürliche Sache, daß Mutter Teresa selig-, und eines Tages heiliggesprochen wird. Denn was sie gewirkt und bezeugt hat, ist etwas Lebendiges, etwas, das noch heute Gültigkeit besitzt und das alle Inder verstehen, die zu überwältigender Mehrheit Nicht-Christen sind: Hindus, Muslime, Buddhisten, Sikhs... Die Zahl der Christen in Indien beläuft sich auf 23 Millionen, 2,3% einer mehr als eine Milliarde zählenden Bevölkerung; die Katholiken machen 1,8% aus. Was nun uns, das Volk Gottes, angeht, betrachten viele von uns, tief in ihrem Herzen, Mutter Teresa als Heilige, die das Antlitz Jesu sichtbar werden ließ. Diese Frau, die angesichts hoffnungsloser und schwieriger Situationen keinen Hehl daraus machte, daß sie sich ihnen nur deswegen stellen konnte, weil sie in diesen Armen Jesus sah, in ihrem Herzen stets die Worte des Evangeliums widerhallten: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Es ist also kein Wunder, daß sie die Regierung mit einem Staatsbegräbnis ehren wollte: ein Ehrerweis, der, institutionelle Persönlichkeiten ausgenommen, seit der Unabhängigkeit Indiens nur Mahatma Gandhi zuteil wurde.
Ich hoffe sehr, daß dieses bewundernswerte Zeugnis Mutter Teresas immer mehr Nachahmung findet. In Bombay sind die Missionarinnen der Nächstenliebe beispielsweise bereits vertreten, ebenso wie die Ordensbrüder des männlichen Zweiges der von ihr gegründeten Kongregation. Seit einiger Zeit sehe ich aber auch Laien, die, ihr Beispiel nachahmend, den Schwestern und Brüdern auf der Straße folgen und sich unserer Armen annehmen. Und das beeindruckt alle, Christen und Nicht-Christen, gleichermaßen.
Der indische Episkopat stattete vor kurzem seinen ad-limina-Besuch ab. Wie haben Sie sich auf die Begegnung mit dem Papst vorbereitet?
DIAS: Es lief alles normal ab, würde ich sagen. Jeder Bischof hat einen Bericht für die zuständige Kongregation für die Evangelisierung der Völker vorbereitet. Die ad-limina-Besuche werden auf regionaler Basis programmiert: wir in Bombay gehören zu Westindien, der Western Region. Die ersten, die den Papst besuchten, waren die syro-malabarischen und syro-malancarischen Bischöfe, die den beiden anderen katholischen Riten angehören, die es in Indien gibt. Dann waren die Lateiner an der Reihe. Jede Region in Indien hat ihre Besonderheiten, und der Papst weiß das. Mit uns, von der Western Region, hat er sich auch allgemein über Indien unterhalten.
Zu welchem Thema?
DIAS: Er kritisierte das Verhalten der fundamentalistischen Hindus, die das Leben der Kirche behindern. Der Papst bezog sich auf die fünf indischen Staaten, wo es Gesetze gibt, die die sogenannten „Zwangskonversionen“ verbieten. Wenn es dabei keine Hintergedanken gäbe, müßte sich die katholische Kirche auch keine Sorgen machen. Aber leider werden diese Gesetze von einigen Regierungsbeamten manchmal willkürlich angewandt – trotz der vielen Versicherungen seitens der lokalen Regierungen und der Zentralregierung, daß man keineswegs gegen die Katholiken vorgehen will und daß diese Gesetze nur Splittergruppen und Sekten beträfe, die – wie sie sagen – dazu übergegangen sind, die Leute zu „kaufen“. Wer sich diese zweideutigen Normen ausgedacht hat, weiß jedoch, daß unser Glaube keine intellektuelle Wahl ist, daß man „konvertieren“ kann, wenn man beispielsweise Zeuge eines guten Werkes geworden, den ein oder anderen Nutzen daraus gezogen hat... aus einem praktischen Grund also. Aber das wird von übel Gesinnten als eine Art „Ködern“ angesehen, und setzt die Strenge des Gesetzes in Gang.
Und wenn auch in fünf indischen Staaten Normen herrschen, die die Freiheit der Christen einschränken, bin ich doch der Meinung, daß das kein unüberwindliches Hindernis darstellt. Wenn jemand beispielsweise öffentlich getauft werden will, kann er das im Nachbarstaat tun, und noch am selben Tag wieder nach Hause zurückkehren. Das tägliche Leben ist letztendlich, auch in einem Hindu-Staat, sehr viel einfacher, als man meint. Bei den Christen gibt es einen Dialog über den geteilten Glauben. Und mit dem einfachen Volk, jeder beliebigen Religion, gibt es den wunderschönen Dialog des Alltags.
Können Sie sich dieses Verhalten einiger Regierungsbeamten erklären?
DIAS: Wir glauben, daß die Ursache für die unerbittliche Haltung einiger Hindus der Kirche gegenüber in deren Vorstellung vom Kastenwesen liegt, das keine Ausnahmen für die Hierarchie erlaubt, die vom Brahmanen bis zum dalit geht, zum Kastenlosen. Wenn ein Mensch zum Christentum konvertiert, würde er keiner Kaste mehr angehören, und ein Kastenloser hätte dieselben Rechte wie der angesehenste Brahmane! Das zu verhindern, ist Sinn und Zweck derer, die aus Indien einen Hindu-Staat machen wollen, der dem muslimischen Pakistan gegenübersteht, und so auf die Konsolidierung des Kastenwesens abzielen. Der Papst hat sich gegen dieses Zwangskonversions-Gesetz ausgesprochen, weil es die Menschenrechte verletzt. Es wurde auch von gewissen indischen Politikern verurteilt, was unsere Bischofskonferenz positiv aufgenommen hat.
Es gibt auch eine Diskriminierung der adivasis, der Ureinwohner des Landes. Die kürzlich erfolgte Erhebung eines adivasi in den Kardinalsrang, Msgr. Telesphore Toppo, Erzbischof von Ranchi, ist ein unleugbares Zeichen dafür, daß die Kirche alle Menschen gleichermaßen als Kinder Gottes betrachtet.
Wie kann man Christ sein, ohne das Kastenwesen revolutionieren zu wollen?
DIAS: Man muß ehrlich sagen, daß die Zahl der der Kirche feindlich gegenüberstehenden Hindus deutlich zurückgegangen ist, auch wenn einige davon heute in der Regierung sitzen. Diese Feindseligkeit wird jedoch nicht vom gemeinen Volk geteilt, weil der Hinduismus als solcher die anderen Religionen erlaubt, und man in unserem Alltag durchaus von einem harmonischen Zusammenleben sprechen kann: auch weil die Hindus sehen, daß die christlichen Werke allen offen stehen, ohne irgendwelche Unterschiede zwischen Kasten, Gesellschaftsschichten oder Glaubensformen zu machen.
Vor vier Jahren verbrannten fundamentalistische Hindus einen protestantischen australianischen Missionar und seine zwei Söhne bei lebendigem Leib, weil sich dieser um Lepra-Kranke kümmerte. Als Vorwand gaben sie an, daß er Konversionen bewirkte und widerrechtlich denen half, die, nach dem hinduistischen Glauben an die Reinkarnation (karma), mit der Krankheit ihre in einem vorherigen Leben begangenen Sünden abbüßten. Die Christen dagegen sind, wie der Barmherzige Samariter, die Freunde aller; fast ein Drittel aller Hilfswerke für Arme, Waisen, Lepra- oder Aids-Kranke in Indien ist das Werk von Christen. Mutter Teresa sah und liebte Jesus in den Armen, denen sie zu Hilfe eilte, in den Lepra-Kranken, und allein aus diesem Grund fand sie den Mut, diese verwesenden Leiber zu umarmen.
Wovon ist – von Ihrer Diözese ausgehend – der Alltag geprägt?
DIAS: Mit den Bischöfen der Region kommen wir zweimal im Jahr zusammen, einmal versammelt sich die gesamte lateinische Bischofskonferenz, und alle zwei Jahre treffen wir alle uns auch mit den Malabaren und Malancaren. Wir tauschen brüderlich Informationen und Erfahrungen aus, auch um uns gegenseitig zu helfen. Unsere Oberen in Rom werden ständig darüber informiert, was unsere Kirche für die Formation unserer Jugendlichen tut, für die Kranken und für die indische Gesellschaft im allgemeinen.Wir haben keine großen Probleme. Es gibt einige indische Staaten, Gujarat beispielsweise, wo sich der Einfluß extremer Faktionen spürbar macht: im allgemeinen sind die christlichen Werke aber nicht in Gefahr, wenn einzelne Missionare auch mißhandelt worden sind. Vor zwei Jahren wurde Gujarat von einem schweren Erdbeben erschüttert, und erst vor kurzem kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen. Vor fünf Jahren hatten die hinduistischen Faktionen die Christen im Visier, jetzt dagegen die Muslime, und wir Christen versuchen, die erhitzten Gemüter zu beschwichtigen. Die katholische Kirche wird oft gebeten, als Friedensstifter zu fungieren, und sie zieht sich nie aus der Affäre. Wir greifen auch den Opfern von Naturkatastrophen unter die Arme. Die Diözese Bombay hat nach dem Erdbeben in Gujarat eine Spendenaktion für obdachlose Familien durchgeführt. Es ist alles gutgegangen, und die Caritas hat uns mit dem Bau von tausend Wohnhäusern betraut...
Ein wunderschönes Geschenk, das wir der Kirche anzubieten haben, sind die zahlreichen Berufungen. In Indien gibt es ca. 70.000 Priester und 100.000 Ordensschwestern bei 18 Millionen Katholiken, und das ist die wohl höchste Zahl in ganz Asien.
Kommen wir wieder auf die Begegnungen in Rom zu sprechen.
DIAS: Bei unserem Besuch in der Kongregation für die Glaubenslehre kamen wir auf jene indischen Theologen zu sprechen, die Schwierigkeiten bei der Erklärung unseres Glaubens an Jesus, den einzigen Retter aller Menschen, haben. Das Thema war bei dem apostolischen Besuch der Seminare bereits von der Kongregation für das katholische Bildungswesen besprochen worden. Mit dem Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog konnte es zu einer brüderlichen Zusammenarbeit kommen, wie auch mit der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Viele Fragen, die uns am Herzen liegen, beschäftigen auch die Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Und schließlich kam es auch zu einer Begegnung mit dem Papst, der uns alle mit seinem großen Interesse für die Probleme unserer Diözesen und der Erinnerung an viele Menschen beeindruckte, denen er bei seinen Reisen in unsere Diözesen begegnet war und an Stätten, die er dort besucht hatte. In Rom gibt es die universale Kirche, und der Papst ist seinem Auftrag treu, „die Brüder im Glauben zu stärken.“
Welches Thema tauchte bei all Ihren Dialogen mit den römischen Dikasterien auf?
DIAS: Die Inkulturation. Indien ist ein wahres Mosaik von Kulturen. Man kann nicht sagen, daß es eine dominierende indische Kultur gibt. Das indische Volk ist außerdem schon von sich aus tief religiös. Jesus ist nicht gekommen, um abzuschaffen, sagen wir den Menschen, die angesichts der Herausforderung des Christentums um die Zukunft ihres traditionellen Glaubens fürchten, sondern um die Erfüllung zu bringen. Bei uns kann man nur mit Geduld für Jesus Zeugnis ablegen: in Indien muß die Kirche viele Hindernisse überwinden, wie das Kastenwesen, die Korruption, das Zusammenleben der verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Weil es nicht eine einzige indische Kultur, sondern viele Kulturen gibt, liegt viel in der Hand der Ortsbischöfe. So werden beispielsweise in ganz Indien im Zentralstaat mehr als zweihundert Sprachen gesprochen, und wer beherrscht sie alle? Allein in Bombay sind es mindestens sechs. Wenn also ein liturgischer Text übersetzt wird, liegt die Verantwortung beim Ortsbischof, dem wir unser Vertrauen schenken müssen. Wir lassen Rom dann wissen, daß ein Text übersetzt worden ist, und wir stellen nicht den Anspruch, die recognitio bedeute, daß dieser Text vollkommen ist. In der Zukunft wird – auf Ansuchen des zuständigen römischen Dikasteriums – ein Mitglied der nationalen Bischofskonferenz, das die Sprache de quo beherrscht, in der Kommission für die Anerkennung sitzen.
Sie haben gesagt, daß die indische Kirche Zeugnis ablegt für eine große Geduld.
DIAS: Und eine große Öffnung, die typisch ist für den indischen Geist: und das ist auch der Grund, warum der „Normalverbraucher“, in Neu-Delhi wie auch in Bombay weiß, daß der Extremist ein Ausländer ist, jemand, der nicht der Kultur unseres Volkes angehört. In Bombay gibt es ein katholisches Marienheiligtum, das – und das ist nicht der einzige Fall – auch von Hindus aufgesucht wird, von Sikhs... Jeden Mittwoch kommen ca. 70.000 Menschen dorthin, um den Beistand der Muttergottes zu erflehen; die meisten sind Nicht-Katholiken. Und die Muttergottes schenkt allen ihre Gunst, gewährt allen ihre Gnaden, ist eine wirkliche Mutter. Unser Dialog ist ein Dialog des praktischen Lebens. Am 8. September, Mariä Geburt, versammeln sich in manchen katholischen Marienheiligtümern zwei bis drei Millionen Menschen, um die Muttergottes zu feiern. Es sind Tage der Freude. Aber auch Hindus statten der Muttergottes zu ihrem Festtag ihren Besuch ab. Maria ist für sie etwas Besonderes: „In unserer Religion gibt es weibliche Götter, ihr dagegen habt diese Frau mit dem Kind im Arm, eine Mutter...,“ sagen sie. So hat dann der eine oder andere von uns Gelegenheit, ihnen unseren Glauben zu erklären: daß diese Frau da ist wegen dem Kind. Und wer ist das Kind? Jesus.
Wie steht die indische Kirche zum Petrusprimat?
DIAS: Alle römisch-lateinischen, syro-malabarischen und syro-malancarischen Kirchen sind mit Rom vereint, akzeptieren den Papst und seinen Primat. Andere, wenngleich sie der apostolischen Tradition treubleiben, stehen nicht in voller Gemeinschaft mit dem Apostolischen Sitz von Rom. Eine syro-malancarische Gemeinschaft ist vor kurzem mit dem Patriarchen von Antiochia zusammengetroffen, zu dem sie schon lange Beziehungen unterhielt. Wir sind offen und verbrüdern uns mit allen, ganz gleich, wie sie zu Rom stehen mögen, hier in Bombay haben wir keine Ökumenismus-Probleme. Im Gegenteil: zusammen mit fünf anderen, nicht-katholischen Gemeinschaften arbeiten wir für die Barmherzigkeit an den Toten: der Staat hat gemeinsame Begräbnisstätten für die Bestattung von Christen zur Verfügung gestellt, und die fünf christlichen Konfessionen haben zusammen einen trust gegründet, mit dem alle Ausgaben gedeckt werden können. Wir verstehen uns mit diesen christlichen Brüdern und Schwestern so gut, daß es ein Vergnügen ist, zusammenzuarbeiten, einen derart praktischen Dialog führen zu können. Theologisch gesprochen, gibt es unter ihnen den ein oder anderen, der den Papst nicht akzeptiert, einige Realitäten des Glaubens und der Moral nicht mit uns teilt, in der Praxis leben wir jedoch in brüderlicher Eintracht .
Was nun im besonderen uns Katholiken betrifft, ist zu sagen: der Papst ist der Papst, und die Kurie hat ein offenes Ohr für uns gezeigt. Wir kennen einander gut, wir und Rom, haben einen Respekt voreinander, der uns beiden Ehre macht, und in Rom weiß man nur allzu gut, daß es der Ortsbischof ist, der heiligmäßig seine Kirche leitet. So gesehen ist der ad-limina-Besuch die Begegnung zwischen universaler Kirche und Ortskirche, die bereits die universale repräsentiert und enthält: eine Übung der Katholizität.
Gibt es in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Indien irgenwelche Anomalitäten?
DIAS: Nein. Lediglich das ein oder andere Mißverständnis, das auf den Umstand zurückzuführen ist, daß in der Zentralregierung, wie bereits gesagt, einige Repräsentanten des extremistischen Flügels vertreten sind. Aber das sind Fragen, die in den Zuständigkeitsbereich der Nuntiatur und der nationalen Bischofskonferenz in Neu-Delhi fallen, nicht in den des einzelnen Bischofs... Ich möchte hier nur kurz auf die Verweigerung von Visas für die Missionare verweisen, die vom Problem der Proselytenmacherei motiviert ist.
Indien wird heute international eine größere politische Rolle zugestanden, die die Regierung in Neu Delhi oft zugunsten des Multilateralismus handhabt. Hilft der Kirche diese für den Staat günstige Situation?
DIAS: Als Bischof sehe ich, daß die wirtschaftliche Welle der Globalisierung, von der sich Indien hat mitreißen lassen, die Mentalität meines Volkes vergiftet, seine täglichen spirituellen Bezugspunkte auslöscht, und das schmerzt mich sehr. Ich kann mich noch erinnern, als ich Ende 1983/Anfang 1984 beim Heiligen Vater in Audienz war. Damals erwartete man sich das Ende des Kommunismus und meinte, das bedeute den sofortigen Anbruch einer neuen Ära. Der Papst sagte mir, daß die Kapitulation des Kommunismus, bzw. des theoretischen Atheismus, notwendig, aber nicht ausreichend wäre, und daß man vor der Errichtung einer Zivilisation der Liebe auch den Kapitalismus besiegen müsse, also den praktischen Atheismus. Diese Anschauung des Papstes war alles andere als utopisch, sie war realistisch: er wollte Johannes XXIII. folgen, in dessen Wunsch, einen neuen Frühling der Kirche zu erleben, und Paul VI., der den Anbruch einer Zivilisation der Liebe erwartete.
Beide Päpste, ein kurzes und ein längeres Pontifikat, sind bis heute in der Vorstellung der Kirche überaus präsent, die sie mit der Jahreszeit des II. Vatikanischen Konzils identifiziert. Und um einen Frühling zu erleben, muß man nur darauf warten, daß das Gefäß vom Herrn zerschlagen und wieder neu geformt wird.
Sie werden zur Festwoche des 25. Jahrestages der Wahl Johannes Pauls II. nach Rom kommen.
DIAS: Der Papst hat uns ein wunderschönes Zeugnis dafür gegeben, was es heißt, den Glauben Petri und das Herz Paulus’ zu haben. Wenn man von Rom spricht, spricht man vom Glauben Petri, der auf dem Fels errichteten Festung, der Flut und Sturm nichts anhaben können. Und wie Paulus der allen alles war, hat der Papst die ganze Welt bereist als Bote der Guten Nachricht Jesu Christi und Verteidiger der Rechte des Menschen und seiner unveräußerlichen Würde. Papst Johannes Paul II. ist ein wirklicher Papst, und hat die Zeit gehabt, sein Werk zu festigen.
Mutter Teresa mit Ivan Dias, Erzbischof von Bombay.
DIAS: Für das indische Volk ist es eine natürliche Sache, daß Mutter Teresa selig-, und eines Tages heiliggesprochen wird. Denn was sie gewirkt und bezeugt hat, ist etwas Lebendiges, etwas, das noch heute Gültigkeit besitzt und das alle Inder verstehen, die zu überwältigender Mehrheit Nicht-Christen sind: Hindus, Muslime, Buddhisten, Sikhs... Die Zahl der Christen in Indien beläuft sich auf 23 Millionen, 2,3% einer mehr als eine Milliarde zählenden Bevölkerung; die Katholiken machen 1,8% aus. Was nun uns, das Volk Gottes, angeht, betrachten viele von uns, tief in ihrem Herzen, Mutter Teresa als Heilige, die das Antlitz Jesu sichtbar werden ließ. Diese Frau, die angesichts hoffnungsloser und schwieriger Situationen keinen Hehl daraus machte, daß sie sich ihnen nur deswegen stellen konnte, weil sie in diesen Armen Jesus sah, in ihrem Herzen stets die Worte des Evangeliums widerhallten: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Es ist also kein Wunder, daß sie die Regierung mit einem Staatsbegräbnis ehren wollte: ein Ehrerweis, der, institutionelle Persönlichkeiten ausgenommen, seit der Unabhängigkeit Indiens nur Mahatma Gandhi zuteil wurde.
Ich hoffe sehr, daß dieses bewundernswerte Zeugnis Mutter Teresas immer mehr Nachahmung findet. In Bombay sind die Missionarinnen der Nächstenliebe beispielsweise bereits vertreten, ebenso wie die Ordensbrüder des männlichen Zweiges der von ihr gegründeten Kongregation. Seit einiger Zeit sehe ich aber auch Laien, die, ihr Beispiel nachahmend, den Schwestern und Brüdern auf der Straße folgen und sich unserer Armen annehmen. Und das beeindruckt alle, Christen und Nicht-Christen, gleichermaßen.
Der indische Episkopat stattete vor kurzem seinen ad-limina-Besuch ab. Wie haben Sie sich auf die Begegnung mit dem Papst vorbereitet?
DIAS: Es lief alles normal ab, würde ich sagen. Jeder Bischof hat einen Bericht für die zuständige Kongregation für die Evangelisierung der Völker vorbereitet. Die ad-limina-Besuche werden auf regionaler Basis programmiert: wir in Bombay gehören zu Westindien, der Western Region. Die ersten, die den Papst besuchten, waren die syro-malabarischen und syro-malancarischen Bischöfe, die den beiden anderen katholischen Riten angehören, die es in Indien gibt. Dann waren die Lateiner an der Reihe. Jede Region in Indien hat ihre Besonderheiten, und der Papst weiß das. Mit uns, von der Western Region, hat er sich auch allgemein über Indien unterhalten.
Zu welchem Thema?
DIAS: Er kritisierte das Verhalten der fundamentalistischen Hindus, die das Leben der Kirche behindern. Der Papst bezog sich auf die fünf indischen Staaten, wo es Gesetze gibt, die die sogenannten „Zwangskonversionen“ verbieten. Wenn es dabei keine Hintergedanken gäbe, müßte sich die katholische Kirche auch keine Sorgen machen. Aber leider werden diese Gesetze von einigen Regierungsbeamten manchmal willkürlich angewandt – trotz der vielen Versicherungen seitens der lokalen Regierungen und der Zentralregierung, daß man keineswegs gegen die Katholiken vorgehen will und daß diese Gesetze nur Splittergruppen und Sekten beträfe, die – wie sie sagen – dazu übergegangen sind, die Leute zu „kaufen“. Wer sich diese zweideutigen Normen ausgedacht hat, weiß jedoch, daß unser Glaube keine intellektuelle Wahl ist, daß man „konvertieren“ kann, wenn man beispielsweise Zeuge eines guten Werkes geworden, den ein oder anderen Nutzen daraus gezogen hat... aus einem praktischen Grund also. Aber das wird von übel Gesinnten als eine Art „Ködern“ angesehen, und setzt die Strenge des Gesetzes in Gang.
Und wenn auch in fünf indischen Staaten Normen herrschen, die die Freiheit der Christen einschränken, bin ich doch der Meinung, daß das kein unüberwindliches Hindernis darstellt. Wenn jemand beispielsweise öffentlich getauft werden will, kann er das im Nachbarstaat tun, und noch am selben Tag wieder nach Hause zurückkehren. Das tägliche Leben ist letztendlich, auch in einem Hindu-Staat, sehr viel einfacher, als man meint. Bei den Christen gibt es einen Dialog über den geteilten Glauben. Und mit dem einfachen Volk, jeder beliebigen Religion, gibt es den wunderschönen Dialog des Alltags.
Können Sie sich dieses Verhalten einiger Regierungsbeamten erklären?
DIAS: Wir glauben, daß die Ursache für die unerbittliche Haltung einiger Hindus der Kirche gegenüber in deren Vorstellung vom Kastenwesen liegt, das keine Ausnahmen für die Hierarchie erlaubt, die vom Brahmanen bis zum dalit geht, zum Kastenlosen. Wenn ein Mensch zum Christentum konvertiert, würde er keiner Kaste mehr angehören, und ein Kastenloser hätte dieselben Rechte wie der angesehenste Brahmane! Das zu verhindern, ist Sinn und Zweck derer, die aus Indien einen Hindu-Staat machen wollen, der dem muslimischen Pakistan gegenübersteht, und so auf die Konsolidierung des Kastenwesens abzielen. Der Papst hat sich gegen dieses Zwangskonversions-Gesetz ausgesprochen, weil es die Menschenrechte verletzt. Es wurde auch von gewissen indischen Politikern verurteilt, was unsere Bischofskonferenz positiv aufgenommen hat.
Es gibt auch eine Diskriminierung der adivasis, der Ureinwohner des Landes. Die kürzlich erfolgte Erhebung eines adivasi in den Kardinalsrang, Msgr. Telesphore Toppo, Erzbischof von Ranchi, ist ein unleugbares Zeichen dafür, daß die Kirche alle Menschen gleichermaßen als Kinder Gottes betrachtet.
DIAS: Man muß ehrlich sagen, daß die Zahl der der Kirche feindlich gegenüberstehenden Hindus deutlich zurückgegangen ist, auch wenn einige davon heute in der Regierung sitzen. Diese Feindseligkeit wird jedoch nicht vom gemeinen Volk geteilt, weil der Hinduismus als solcher die anderen Religionen erlaubt, und man in unserem Alltag durchaus von einem harmonischen Zusammenleben sprechen kann: auch weil die Hindus sehen, daß die christlichen Werke allen offen stehen, ohne irgendwelche Unterschiede zwischen Kasten, Gesellschaftsschichten oder Glaubensformen zu machen.
Vor vier Jahren verbrannten fundamentalistische Hindus einen protestantischen australianischen Missionar und seine zwei Söhne bei lebendigem Leib, weil sich dieser um Lepra-Kranke kümmerte. Als Vorwand gaben sie an, daß er Konversionen bewirkte und widerrechtlich denen half, die, nach dem hinduistischen Glauben an die Reinkarnation (karma), mit der Krankheit ihre in einem vorherigen Leben begangenen Sünden abbüßten. Die Christen dagegen sind, wie der Barmherzige Samariter, die Freunde aller; fast ein Drittel aller Hilfswerke für Arme, Waisen, Lepra- oder Aids-Kranke in Indien ist das Werk von Christen. Mutter Teresa sah und liebte Jesus in den Armen, denen sie zu Hilfe eilte, in den Lepra-Kranken, und allein aus diesem Grund fand sie den Mut, diese verwesenden Leiber zu umarmen.
Wovon ist – von Ihrer Diözese ausgehend – der Alltag geprägt?
DIAS: Mit den Bischöfen der Region kommen wir zweimal im Jahr zusammen, einmal versammelt sich die gesamte lateinische Bischofskonferenz, und alle zwei Jahre treffen wir alle uns auch mit den Malabaren und Malancaren. Wir tauschen brüderlich Informationen und Erfahrungen aus, auch um uns gegenseitig zu helfen. Unsere Oberen in Rom werden ständig darüber informiert, was unsere Kirche für die Formation unserer Jugendlichen tut, für die Kranken und für die indische Gesellschaft im allgemeinen.Wir haben keine großen Probleme. Es gibt einige indische Staaten, Gujarat beispielsweise, wo sich der Einfluß extremer Faktionen spürbar macht: im allgemeinen sind die christlichen Werke aber nicht in Gefahr, wenn einzelne Missionare auch mißhandelt worden sind. Vor zwei Jahren wurde Gujarat von einem schweren Erdbeben erschüttert, und erst vor kurzem kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen. Vor fünf Jahren hatten die hinduistischen Faktionen die Christen im Visier, jetzt dagegen die Muslime, und wir Christen versuchen, die erhitzten Gemüter zu beschwichtigen. Die katholische Kirche wird oft gebeten, als Friedensstifter zu fungieren, und sie zieht sich nie aus der Affäre. Wir greifen auch den Opfern von Naturkatastrophen unter die Arme. Die Diözese Bombay hat nach dem Erdbeben in Gujarat eine Spendenaktion für obdachlose Familien durchgeführt. Es ist alles gutgegangen, und die Caritas hat uns mit dem Bau von tausend Wohnhäusern betraut...
Ein wunderschönes Geschenk, das wir der Kirche anzubieten haben, sind die zahlreichen Berufungen. In Indien gibt es ca. 70.000 Priester und 100.000 Ordensschwestern bei 18 Millionen Katholiken, und das ist die wohl höchste Zahl in ganz Asien.
Die Menschenmenge, die sich zur Beerdigung Mutter Teresas eingefunden hatte.
DIAS: Bei unserem Besuch in der Kongregation für die Glaubenslehre kamen wir auf jene indischen Theologen zu sprechen, die Schwierigkeiten bei der Erklärung unseres Glaubens an Jesus, den einzigen Retter aller Menschen, haben. Das Thema war bei dem apostolischen Besuch der Seminare bereits von der Kongregation für das katholische Bildungswesen besprochen worden. Mit dem Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog konnte es zu einer brüderlichen Zusammenarbeit kommen, wie auch mit der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Viele Fragen, die uns am Herzen liegen, beschäftigen auch die Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Und schließlich kam es auch zu einer Begegnung mit dem Papst, der uns alle mit seinem großen Interesse für die Probleme unserer Diözesen und der Erinnerung an viele Menschen beeindruckte, denen er bei seinen Reisen in unsere Diözesen begegnet war und an Stätten, die er dort besucht hatte. In Rom gibt es die universale Kirche, und der Papst ist seinem Auftrag treu, „die Brüder im Glauben zu stärken.“
Welches Thema tauchte bei all Ihren Dialogen mit den römischen Dikasterien auf?
DIAS: Die Inkulturation. Indien ist ein wahres Mosaik von Kulturen. Man kann nicht sagen, daß es eine dominierende indische Kultur gibt. Das indische Volk ist außerdem schon von sich aus tief religiös. Jesus ist nicht gekommen, um abzuschaffen, sagen wir den Menschen, die angesichts der Herausforderung des Christentums um die Zukunft ihres traditionellen Glaubens fürchten, sondern um die Erfüllung zu bringen. Bei uns kann man nur mit Geduld für Jesus Zeugnis ablegen: in Indien muß die Kirche viele Hindernisse überwinden, wie das Kastenwesen, die Korruption, das Zusammenleben der verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Weil es nicht eine einzige indische Kultur, sondern viele Kulturen gibt, liegt viel in der Hand der Ortsbischöfe. So werden beispielsweise in ganz Indien im Zentralstaat mehr als zweihundert Sprachen gesprochen, und wer beherrscht sie alle? Allein in Bombay sind es mindestens sechs. Wenn also ein liturgischer Text übersetzt wird, liegt die Verantwortung beim Ortsbischof, dem wir unser Vertrauen schenken müssen. Wir lassen Rom dann wissen, daß ein Text übersetzt worden ist, und wir stellen nicht den Anspruch, die recognitio bedeute, daß dieser Text vollkommen ist. In der Zukunft wird – auf Ansuchen des zuständigen römischen Dikasteriums – ein Mitglied der nationalen Bischofskonferenz, das die Sprache de quo beherrscht, in der Kommission für die Anerkennung sitzen.
Sie haben gesagt, daß die indische Kirche Zeugnis ablegt für eine große Geduld.
DIAS: Und eine große Öffnung, die typisch ist für den indischen Geist: und das ist auch der Grund, warum der „Normalverbraucher“, in Neu-Delhi wie auch in Bombay weiß, daß der Extremist ein Ausländer ist, jemand, der nicht der Kultur unseres Volkes angehört. In Bombay gibt es ein katholisches Marienheiligtum, das – und das ist nicht der einzige Fall – auch von Hindus aufgesucht wird, von Sikhs... Jeden Mittwoch kommen ca. 70.000 Menschen dorthin, um den Beistand der Muttergottes zu erflehen; die meisten sind Nicht-Katholiken. Und die Muttergottes schenkt allen ihre Gunst, gewährt allen ihre Gnaden, ist eine wirkliche Mutter. Unser Dialog ist ein Dialog des praktischen Lebens. Am 8. September, Mariä Geburt, versammeln sich in manchen katholischen Marienheiligtümern zwei bis drei Millionen Menschen, um die Muttergottes zu feiern. Es sind Tage der Freude. Aber auch Hindus statten der Muttergottes zu ihrem Festtag ihren Besuch ab. Maria ist für sie etwas Besonderes: „In unserer Religion gibt es weibliche Götter, ihr dagegen habt diese Frau mit dem Kind im Arm, eine Mutter...,“ sagen sie. So hat dann der eine oder andere von uns Gelegenheit, ihnen unseren Glauben zu erklären: daß diese Frau da ist wegen dem Kind. Und wer ist das Kind? Jesus.
Wie steht die indische Kirche zum Petrusprimat?
DIAS: Alle römisch-lateinischen, syro-malabarischen und syro-malancarischen Kirchen sind mit Rom vereint, akzeptieren den Papst und seinen Primat. Andere, wenngleich sie der apostolischen Tradition treubleiben, stehen nicht in voller Gemeinschaft mit dem Apostolischen Sitz von Rom. Eine syro-malancarische Gemeinschaft ist vor kurzem mit dem Patriarchen von Antiochia zusammengetroffen, zu dem sie schon lange Beziehungen unterhielt. Wir sind offen und verbrüdern uns mit allen, ganz gleich, wie sie zu Rom stehen mögen, hier in Bombay haben wir keine Ökumenismus-Probleme. Im Gegenteil: zusammen mit fünf anderen, nicht-katholischen Gemeinschaften arbeiten wir für die Barmherzigkeit an den Toten: der Staat hat gemeinsame Begräbnisstätten für die Bestattung von Christen zur Verfügung gestellt, und die fünf christlichen Konfessionen haben zusammen einen trust gegründet, mit dem alle Ausgaben gedeckt werden können. Wir verstehen uns mit diesen christlichen Brüdern und Schwestern so gut, daß es ein Vergnügen ist, zusammenzuarbeiten, einen derart praktischen Dialog führen zu können. Theologisch gesprochen, gibt es unter ihnen den ein oder anderen, der den Papst nicht akzeptiert, einige Realitäten des Glaubens und der Moral nicht mit uns teilt, in der Praxis leben wir jedoch in brüderlicher Eintracht .
Was nun im besonderen uns Katholiken betrifft, ist zu sagen: der Papst ist der Papst, und die Kurie hat ein offenes Ohr für uns gezeigt. Wir kennen einander gut, wir und Rom, haben einen Respekt voreinander, der uns beiden Ehre macht, und in Rom weiß man nur allzu gut, daß es der Ortsbischof ist, der heiligmäßig seine Kirche leitet. So gesehen ist der ad-limina-Besuch die Begegnung zwischen universaler Kirche und Ortskirche, die bereits die universale repräsentiert und enthält: eine Übung der Katholizität.
Indische Katholiken in Prozession in Darjeeling.
DIAS: Nein. Lediglich das ein oder andere Mißverständnis, das auf den Umstand zurückzuführen ist, daß in der Zentralregierung, wie bereits gesagt, einige Repräsentanten des extremistischen Flügels vertreten sind. Aber das sind Fragen, die in den Zuständigkeitsbereich der Nuntiatur und der nationalen Bischofskonferenz in Neu-Delhi fallen, nicht in den des einzelnen Bischofs... Ich möchte hier nur kurz auf die Verweigerung von Visas für die Missionare verweisen, die vom Problem der Proselytenmacherei motiviert ist.
Indien wird heute international eine größere politische Rolle zugestanden, die die Regierung in Neu Delhi oft zugunsten des Multilateralismus handhabt. Hilft der Kirche diese für den Staat günstige Situation?
DIAS: Als Bischof sehe ich, daß die wirtschaftliche Welle der Globalisierung, von der sich Indien hat mitreißen lassen, die Mentalität meines Volkes vergiftet, seine täglichen spirituellen Bezugspunkte auslöscht, und das schmerzt mich sehr. Ich kann mich noch erinnern, als ich Ende 1983/Anfang 1984 beim Heiligen Vater in Audienz war. Damals erwartete man sich das Ende des Kommunismus und meinte, das bedeute den sofortigen Anbruch einer neuen Ära. Der Papst sagte mir, daß die Kapitulation des Kommunismus, bzw. des theoretischen Atheismus, notwendig, aber nicht ausreichend wäre, und daß man vor der Errichtung einer Zivilisation der Liebe auch den Kapitalismus besiegen müsse, also den praktischen Atheismus. Diese Anschauung des Papstes war alles andere als utopisch, sie war realistisch: er wollte Johannes XXIII. folgen, in dessen Wunsch, einen neuen Frühling der Kirche zu erleben, und Paul VI., der den Anbruch einer Zivilisation der Liebe erwartete.
Beide Päpste, ein kurzes und ein längeres Pontifikat, sind bis heute in der Vorstellung der Kirche überaus präsent, die sie mit der Jahreszeit des II. Vatikanischen Konzils identifiziert. Und um einen Frühling zu erleben, muß man nur darauf warten, daß das Gefäß vom Herrn zerschlagen und wieder neu geformt wird.
Sie werden zur Festwoche des 25. Jahrestages der Wahl Johannes Pauls II. nach Rom kommen.
DIAS: Der Papst hat uns ein wunderschönes Zeugnis dafür gegeben, was es heißt, den Glauben Petri und das Herz Paulus’ zu haben. Wenn man von Rom spricht, spricht man vom Glauben Petri, der auf dem Fels errichteten Festung, der Flut und Sturm nichts anhaben können. Und wie Paulus der allen alles war, hat der Papst die ganze Welt bereist als Bote der Guten Nachricht Jesu Christi und Verteidiger der Rechte des Menschen und seiner unveräußerlichen Würde. Papst Johannes Paul II. ist ein wirklicher Papst, und hat die Zeit gehabt, sein Werk zu festigen.