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VATIKANDIPLOMATIE
Aus Nr. 10 - 2008

BRASILIEN. Der neue Rechtsstatus der katholischen Kirche.

Das Abkommen zwischen Hl. Stuhl und Brasilien


Interview mit Erzbischof Lorenzo Baldisseri, Apostolischer Nuntius in Brasilien, über das historische Abkommen zwischen dem Hl. Stuhl und dem lateinamerikanischen Giganten. Ein Abkommen, das beim jüngsten Besuch von Präsident Lula beim Papst unterzeichnet wurde.


Interview mit Lorenzo Baldisseri von Stefania Falasca


Nun gehört auch Brasilien, der lateinamerikanische Gigant, das Land mit der weltweit größten Zahl von Gläubigen und Bischöfen, zur Gilde jener Staaten, mit denen der Hl. Stuhl bilaterale Abkommen abgeschlossen hat. So geschehen am 13. November dieses Jahres, beim letzten Besuch von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei Benedikt XVI. im Vatikan. Das Abkommen, das aus 20 Artikeln besteht und den Rechtsstatus der katholischen Kirche in Brasilien betrifft, ihre Rechtspersönlichkeit und die institutionellen Bedingungen für die vollkommene Erfüllung der apostolischen und pastoralen Sendung definiert, ist nun mehr als ein Jahrhundert nach der Ausrufung des brasilianischen Staates zur Republik zustande gekommen. Ein Schritt, den vor der Links-Regierung Lulas noch nie jemand vollzogen hatte. „Es handelt sich um ein historisches, lang erwartetes Abkommen,“ bekräftigt der toskanische Erzbischof Lorenzo Baldisseri, Apostolischer Nuntius in Brasilien. „Ein Abkommen, das schon bei dem im privaten Rahmen geführten Gespräch zwischen dem Heiligen Vater und Präsident Lula im Mai 2007 in Brasilien angesprochen wurde. Als der Papst seiner Hoffnung Ausdruck gab, es möge noch während seines Pontifikats zur Unterzeichnung eines Abkommens kommen, hatte der Präsident geantwortet: ‚Heiliger Vater, noch in meiner Amtszeit!‘.“ Gesagt, getan. Von Erzbischof Baldisseri, der seit 2002 in Brasilien diplomatisch tätig ist und die intensiven Verhandlungen mit der Regierung in Brasilia eingeleitet und geführt hat, wollten wir wissen, welche Neuigkeiten dieses wichtige Abkommen bereit hält.

Die Unterzeichnung des Abkommens im Apostolischen Palast im Vatikan:  
links, Celso Amorim, brasilianischer Außenminister; Mitte, Erzbischof  Dominique Mamberti, Sekretär der Abteilung des vatikanischen Staatssekretariats für die Beziehungen mit den Staaten; rechts, Erzbischof Lorenzo Baldisseri, Apostolischer Nuntius in Brasilien.  [© Osservatore Romano]

Die Unterzeichnung des Abkommens im Apostolischen Palast im Vatikan: links, Celso Amorim, brasilianischer Außenminister; Mitte, Erzbischof Dominique Mamberti, Sekretär der Abteilung des vatikanischen Staatssekretariats für die Beziehungen mit den Staaten; rechts, Erzbischof Lorenzo Baldisseri, Apostolischer Nuntius in Brasilien. [© Osservatore Romano]

Exzellenz, können Sie uns sagen, warum man das Bedürfnis verspürt hat, ein Abkommen zwischen Brasilien und Hl. Stuhl abzuschließen?
LORENZO BALDISSERI: Ich würde sagen, dass der Hauptgrund die Notwendigkeit war, der katholischen Kirche in Brasilien und ihren Institutionen eine solide Rechtsgrundlage zu geben. Und zwar nicht nur für ihre religiöse und soziale Aktivität, sondern vor allem für die Definition ihrer Identität innerhalb der Rechtsordnung und des institutionellen Rahmens des Landes.
Wie waren die institutionellen Beziehungen zwischen brasilianischem Staat und katholischer Kirche bisher geregelt?
BALDISSERI: Nach dem Erlöschen des „Padroado“ mit Ende des Kaiserreichs und der Ausrufung der Republik am 7. Januar 1890 erließ die Übergangsregierung das so genannte Dekret „N. 119-A“. Damit wurde die Freiheit aller religiösen Kulte erklärt, diesen unterschiedslos ein allgemeiner Rechtsstatus zuerkannt und ihnen die Möglichkeit gegeben, gewisse Rechtsakte zu vollziehen. Die nachfolgenden Regierungen haben dann aber nie eine organische Prozedur eingeleitet, um die rechtliche Situation der Kirche zu regeln. Im Laufe dieser 118 Jahre hat es verschiedene erfolglose Versuche gegeben. In den 1980er Jahren bemühte sich die brasilianische Bischofskonferenz nachdrücklich um einen den Bedürfnissen ihrer Sendung angemessenen Rechtsstatus, und in den 1990er Jahren erfolgte die offizielle Anfrage an den Hl. Stuhl. Seit 2003 kam es – auf Initiative der Nuntiatur – zu verschiedenen Begegnungen mit der Regierung. Die offizielle Aufnahme der Verhandlungen mit der Regierung – zum Zweck der Definition eines Textes – erfolgte vor zwei Jahren: Am 12. September 2006, als die Nuntiatur im Namen des Hl. Stuhls bei einer Versammlung mit den Mitgliedern der Bischofskonferenz, dem Staatspräsidenten und seinen Ministern, einen schriftlichen Vorschlag vorlegte, der den zuständigen Ministerien unterbreitet werden sollte. Danach wurde die Prozedur eingeleitet, die zur endgültigen Abfassung führte.
Warum nennt man das Ganze „Abkommen“ und nicht „Konkordat“?
BALDISSERI: Bei dem Wort „Konkordat“ denkt man in Brasilien an eine Transaktion im Rahmen eines Konkursverfahrens. Man hat also den Begriff „Abkommen“ vorgezogen, weil er ganz einfach dem modernen Verständnis von den Beziehungen zwischen Staat und Kirche besser entspricht – obwohl der Inhalt unseres Abkommens eigentlich mit vollem Recht als Konkordat bezeichnet werden könnte. Darüber hinaus passt der Begriff „Abkommen“ auch gut zur Sprache der Laizität, weil er die gegenseitige Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat herausstellt, im Rahmen einer gesunden Zusammenarbeit, aber ohne die Gefahr von Einmischungen und „Kompetenzüberschreitungen“, die es in der Vergangenheit gegeben hat.
Was sind die Hauptpunkte des Abkommens?
BALDISSERI: Zunächst einmal die Wiederbekräftigung der Rechtspersönlichkeit der Kirche, die auf alle ihre Institutionen ausgedehnt wird, in Konformität mit dem Kirchenrecht. Die wichtigsten Punkte sind also: der katholische Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen; die Anerkennung weitgehender gesetzlicher Begünstigungen – nicht nur steuerlicher Art –, die philanthrophischen Einrichtungen in Brasilien zugestanden werden; die Disziplin der zivilen Gültigkeit der kanonischen Trauung und der kirchlichen Urteile in Ehefragen; die Verpflichtung, in der Städteplanung auch für religiöse Zwecke Flächen zu berücksichtigen; die schulische Gleichstellung der katholischen Institute; die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Einrichtungen im kulturellen und künstlerischen Bereich; das Recht auf geistlichen Beistand für die Gläubigen in Krankenhäusern, Strafanstalten, und ähnlichen Strukturen. Und schließlich, last but not least, noch ein sehr wichtiger Punkt: die Ausschließlichkeitsklausel in Sachen Anstellungsverhältnissen zwischen Diözesen und Priestern und zwischen Ordensinstituten und ihren Mitgliedern, von der nun zum ersten Mal in einem Abkommen des Hl. Stuhls die Rede ist. Und das bedeutet, dass der Staat anerkennt, dass diese Verhältnisse aufgrund ihrer religiösen Natur, die ein Arbeitsverhältnis nach zivilrechtlichen Kriterien ausschließt, ausschließlich durch das Kirchenrecht geregelt werden. Möglich war das, weil die höchste Gerichtsbarkeit in Brasilien eine lange Tradition in Arbeitsrechtsfragen hat und wir im Lauf der Verhandlungen geltend machen konnten, dass sich die Rechtsprechung in diesem Sinne ausgesprochen hat.
Das sind ja wirklich sehenswerte Resultate: man könnte fast meinen, dass die katholische Kirche privilegiert wurde und man die anderen Konfessionen diskriminiert hat…
BALDISSERI: Nein, im Gegenteil. Vor allem, weil das, was in dem Abkommen steht, letzten Endes nichts anderes ist als die zum ersten Mal in einem organischen Text bewerkstelligte „Systemisierung“ dessen, was es in der brasilianischen Rechtsordnung bereits gab, wenn auch manchmal nur auf Praxisebene und nicht immer in ausdrücklicher und unmissverständlicher Weise. Zweitens wird in fast jedem Artikel auf zwei grundlegende Notwendigkeiten verwiesen: die Achtung der brasilianischen Gesetze und die gleiche Behandlung aller Konfessionen. Keine Privilegien also, keine Diskriminierung. Im Gegenteil: man kann sagen, dass die Kirche mit diesem Abkommen die Religionsfreiheit weiter vorantreibt und die rechtlichen Beziehungen zum Staat auch für andere religiöse Institutionen erleichtert.
Benedikt XVI. und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Privataudienz im Vatikan, 13. November 2008). <BR>[© Osservatore Romano]

Benedikt XVI. und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Privataudienz im Vatikan, 13. November 2008).
[© Osservatore Romano]

Zu den wichtigsten Punkten gehört auch der ellen und religiösen Diversität Brasiliens, in Übereinstimmung mit der Verfassung und den anderen geltenden Gesetzen, ohne jede Art von Diskriminierung.“ Dieses Abkommen ist also auch für die anderen Konfessionen eine Garantie, und es ist das erste Mal, dass das in einem Abkommen mit dem Hl. Stuhl erwähnt wird. Und was die Laizität angeht, wäre es keine echte und reife Laizität, wenn sie die Bedeutung ihrer Wurzeln auslöschen wollte, der Geschichte und der christlichen Kultur, und vor allem der Rolle, die die Religionen bei der ganzheitlichen Bildung der Person gespielt haben. Das wäre ein längst von der Geschichte überholter Laizismus. Man muss nur an das denken, was der französische Präsident Nicolas Sarkozy in seiner Ansprache in St. Johann im Lateran diesbezüglich gesagt hat, als er von einer „positiven Laizität“ sprach. Einer Laizität also, „die über die Freiheit des Denkens wacht, über die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, und die die Religionen nicht als eine Gefahr betrachtet, sondern als einen Pluspunkt“. Zum Schluss sagte er noch: „Es geht darum, dass man prinzipiell versuchen müsste, das tägliche Leben der großen geistlichen Strömungen nicht zu behindern, sondern zu erleichtern.“
In dem Abkommen wird betont, dass in Zukunft bei der Städteplanung auch Kultstätten nicht zu kurz kommen werden. Auch die Missionare werden erwähnt. In welchem Zusammenhang?
BALDISSERI: Der erste dieser beiden Punkte bezieht sich darauf, dass man im Bereich der Städteplanung nun endlich auch den Kultstätten Raum geben wird – für Pfarreien, Kapellen, Pastoralzentren. Es werden also entsprechende Flächen in den neuen Wohngebieten, in den Peripheriezonen, berücksichtigt werden. Und das ist wichtig für ein Land in ständigem Wachstum wie Brasilien. Was den Bezug auf die Missionare angeht ist vorgesehen, dass der Bischof ihre Einreise nach Brasilien garantiert. Das Visum vom Staat zu bekommen, nach positiver Beurteilung durch den Bischof, wird auch die Einreise der Missionare nach Brasilien einfacher gestalten.
Mit dem Abkommen ist nun auch der geistliche Beistand in den Strukturen des Gesundheitswesens, der Sozialhilfe und in den Strafanstalten gesichert. War das nicht ohnehin schon vorgesehen?
BALDISSERI: In Wahrheit ist auch das schon in einem Artikel der brasilianischen Verfassung vorgesehen (Art. 5, Absatz VII), und die Praxis bestätigt die grundlegende Öffnung besagter Strukturen für die tatsächliche Anwendung des Gesetzes. Dass man das nun aber ausdrücklich bekräftigt und definitiv in dem Abkommen niedergeschrieben hat, ist eine Garantie für die Mitarbeiter im Gesundheitsdienst, die ihren Dienst nicht immer problemlos leisten können.
Und was können Sie uns über den religiösen Beistand in den Streitkräften sagen?
BALDISSERI: Damit hat sich bereits das Abkommen befasst, das der Hl. Stuhl 1989 mit Brasilien abgeschlossen hat. Ein eigener Verweis darauf findet sich auch im letzten Artikel unseres Abkommens. Unter Artikel 3 wird übrigens das Militärordinariat als eine der kirchlichen Einrichtungen erwähnt, deren Rechtspersönlichkeit anerkannt wird.
Msgr. Dominique Mamberti hält eine Ansprache im Beisein von Präsident Lula und Kardinal-Staatssekretär 
Tarcisio Bertone. [© Osservatore Romano]

Msgr. Dominique Mamberti hält eine Ansprache im Beisein von Präsident Lula und Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone. [© Osservatore Romano]

Sie waren bei allen Phasen der Verhandlungen dabei. Hat es dabei irgendwelche besondere Schwierigkeiten gegeben?
BALDISSERI: Die relativ rasche Abwicklung der Verhandlungen spricht für das Wohlwollen seitens der Regierung. Natürlich hat es – was offensichtlich war – die ein oder andere Schwierigkeit gegeben. Vor allem dort, wo es darum ging, einerseits die Bedürfnisse einer lebendigen und vielfältigen Kirche wie der Brasiliens zu erfüllen – der größten, was die Zahl der Gläubigen angeht – und andererseits die einer öffentlichen Verwaltung mit gigantischen Ausmaßen. Man muss nur daran denken, dass sich mit den in dem Abkommen vorgesehenen Punkten nicht nur 11 Ministerien befasst haben, sondern auch andere öffentliche Einrichtungen und das Staatspräsidentenamt. Als Apostolischer Nuntius habe ich diesen Dienst an der Kirche in Brasilien und für den Hl. Stuhl mit innerem Frieden und größtem Einsatz geleistet. Und möglich war das auch dank meiner wertvollen und fähigen Mitarbeiter – und nicht zuletzt wegen der wohlwollenden Aufgeschlossenheit, die uns die derzeitige Regierung Brasiliens, besonders Präsident Lula, sein fähiger Außenminister Celso Amorim und sein kompetenter Mitarbeiterkreis, gezeigt haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Erwähnenswert ist auch die vorzügliche Arbeit, die der Kabinettchef des Präsidenten, Gilberto Carvalho, geleistet hat. All das hat dazu beigetragen, dass es in relativ kurzer Zeit zu einem glücklichen Abschluss der Verhandlungen und zur Unterzeichnung des Abkommens kommen konnte.
Sie waren bei der offiziellen Unterzeichnung im Apostolischen Palast dabei, der eine Privataudienz des brasilianischen Präsidenten beim Papst und eine Begegnung mit dem Kardinal-Staatssekretär vorausgegangen war. Wie sind diese Begegnungen verlaufen?
BALDISSERI: In einem überaus herzlichen und entspannten Klima. Es kam zu einem Gedankenaustausch über aktuelle internationale und regionale Themen. Dem Präsidenten lag daran, die historische Rolle zu betonen, die die Kirche bei der Wiederherstellung der Demokratie in Brasilien gespielt hat. Er sprach auch von seiner persönlichen Erfahrung, erzählte uns, dass er selbst in einem katholischen Ambiente aufgewachsen ist. Es war offensichtlich, dass die Unterzeichnung für den Präsidenten eine Geste der Dankbarkeit der Kirche gegenüber darstellte. Und für uns war es eine Gelegenheit, die Wertschätzung für die Arbeit des Präsidenten und die Beziehungen Brasiliens zur katholischen Kirche und dem Hl. Stuhl zum Ausdruck zu bringen.
Mit der Unterzeichnung des Abkommens im Vatikan ist es jedoch noch nicht getan: was noch fehlt, ist die Ratifizierung durch das brasilianische Parlament…
BALDISSERI: Ja, nun kommt die – alles andere als unwichtige – Phase der parlamentarischen Ratifizierung, durch die das Abkommen Teil der brasilianischen Rechtsordnung wird. Aber ich blicke auch dem mit großer Zuversicht entgegen.


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