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JOHANNES PAUL II.
Aus Nr. 10 - 2003

25 JAHRE PONTIFIKAT

Das Staunen bleibt


Am 16. Oktober 1978 hätte sich niemand – nicht einmal der Primas von Polen, Stefan Wyszynski, der eine von Wojtyla ins dritte Jahrtausend geführte Kirche prophezeit hatte – vorstellen können, was uns die kommenden Jahrzehnte bereithalten sollten.


von Marco Politi


Johannes Paul II. zeigt sich am 16. Oktober 1978, dem Tag seiner Wahl, zum ersten Mal den auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen.

Johannes Paul II. zeigt sich am 16. Oktober 1978, dem Tag seiner Wahl, zum ersten Mal den auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen.

Fünfundzwanzig Jahre danach ist da immer noch das Staunen, das sich unter der am Nachmittag des 16. Oktober auf dem Petersplatz versammelten Menschenmenge breit gemacht hatte. Als sich viele bereits auf ein längeres Konklave eingestellt hatten, und dann plötzlich auf der Loggia der Basilika ein fremdländisches Gesicht erschien, kantig, aber voller Menschlichkeit.
Denn niemand, wirklich niemand – nicht einmal Stefan Wyszynski, der polnische Primas, der eine von Wojtyla ins dritte Jahrtausend geführte Kirche prophezeit hatte – hätte ahnen können, wieviele Dinge sich in den kommenden Jahrzehnten ändern sollten. Der Fall der Berliner Mauer, das befreite Polen – von der Zerbröckelung der UdSSR ganz zu schweigen. Aber wer hätte sich einen Papst vorstellen können, der den Tiber überquert und die jüdische Synagoge betritt? Wer hätte sich einen Papst erträumen können, der in der Peterskirche feierlich das mea culpa für Sünden und Schrecken ausspricht, die, im Laufe der Jahrhunderte, auf das Konto der Kirche gegangen waren? Wer hätte die Meditation eines Papstes von Rom in einer muslimischen Moschee vorhersehen können? Wer hätte gewagt, sich den „Chor“ aller religiösen Leaders der Welt auszumalen, die – auf Einladung des katholischen Papstes – nach Assisi gekommen waren, um Gott gemeinsam um Frieden zu bitten, und die dann ein zweites Mal zusammenkommen sollten, um jeden Gedanken von Gewalt, Terrorismus und Kriegen, die unter Mißbrauch des Namens Gottes ausgelöst werden, zu verurteilen?
Wer hätte jemals gewagt, sich einen Papst auszumalen, der unter den Kugeln eines aus Istanbul gekommenen und in der Pension Isa (was auf arabisch „Jesus“ bedeutet) logierenden Attentäters blutend zusammenbricht? Wer hätte jemals vorherzusagen gewagt, daß der robuste, sportbegeisterte Papst die Kirche von einem Rollstuhl aus leiten würde, um das Leiden Christi und das Leiden von Millionen von Männern und Frauen zu teilen, die „aussortiert“ wurden, weil sie nicht genug Leistung bringen?
Je mehr man vom Beobachter erwartet, distanziert und unberührt zu sein – was er, auf der anderen Seite, ganz einfach sein muß, wenn er den Fakten Rechnung tragen will – desto offensichtlicher scheint es, daß die gesamte Parabel des der Nachfolger Petri gewordenen kleinen Lolek in jeder Beziehung ungewöhnlich war. Und ungewöhnlich war schließlich schon dieser Papst, der am Tag der Messe zum Auftakt des Pontifikats mit großen Schritten den Petersplatz überquerte und dabei mit dem Bischofsstab riesige Kreuzzeichen über die Menge machte. Ungewöhnlich war auch sein Ruf: „Habt keine Angst! Öffnet Christus die Tür!“. Und ungewöhnlich war von Anfang an der Gebrauch der Formel „ich“ anstelle des unpersönlichen päpstlichen „wir“, ungewöhnlich die Gewohnheit, allen mit großer Unbefangenheit und Einfachheit zu begegnen. Nie dagewesen schließlich der Wunsch nach Kontakt zu den Massenmedien, das Akzeptieren der Fragen der Reporter, die Disponibilität den Fernsehkameras gegenüber, die Entschlossenheit, sich auch von Dutzenden von Begegnungen in fremden Ländern nicht abschrecken zu lassen, genährt von der Überzeugung, daß neue Kanäle gefunden werden müssen, um zur Welt zu sprechen.
Im ersten Jahrzehnt löste das polnische Epos Verblüffung aus. Rationell betrachtet, war es undenkbar, daß es nicht zu einer Revolte kommen würde – etwas, was es in regelmäßigen Abständen, in Polen und den sowjetisierten Ländern Osteuropas schließlich immer gegeben hat – oder einem Regierungswechsel – auch das nichts Neues –, sondern zum vollkommenen Umsturz des Systems. Es war undenkbar, ganz einfach unmöglich – und doch ist gerade das passiert.
Wojtyla hat nie damit geprahlt, hat, wenn überhaupt, nur gesagt, „einen bereits morschen Baum geschüttelt“ zu haben. Schließlich kannte er die sozialen Prozesse nur zu gut und wußte, wie unsinnig es ist, „Superman“ spielen zu wollen. Aber es bleibt doch bestehen, daß ohne seinen Weitblick, ohne seine Bereitschaft, die Gelegenheit einer gemeinsamen Strategie mit US-Präsident Reagan beim Schopf zu packen – der ebenfalls davon überzeugt war, daß Solidarnosc auf gar keinen Fall im Keim erstickt werden durfte – der in Warschau entstandene Riß übertüncht worden wäre, wie in Osteuropa schließlich schon andere Male vorgekommen. So aber konnte die gelassene Hartnäckigkeit des slawischen Papstes verhindern, daß die dem Partei-Herren zugefügte Wunde wieder zuheilen konnte. Sein aktiver Widerstand ermöglichte, daß letztendlich der ganze Leib, die Muskeln und auch das Knochengerüst des autoritären Systems vom Wundbrand befallen wurden.
Aber nicht das ist die größte Errungenschaft des wojtylianischen Pontifikats.
Was es zu einer ständigen Quelle von Energie gemacht hat, waren die Impulse, die Johannes Paul II. der katholischen Kirche Tag für Tag gegeben hat, und die von dort aus auf den ganzen Planeten ausgeweitet werden konnten.
Karol Wojtyla hat, in primis, mit Worten und Gesten gezeigt, daß der Glaube etwas Aktuelles, Gegenwärtiges ist. Nicht ein Überbleibsel der Vergangenheit oder etwas für Bigotte. Sondern pulsierende Materie des jetzigen Lebens, denn gerade die Männer, die Frauen, die Jugendlichen von heute suchen – oft verzweifelt –, ihrer Existenz einen Sinn zu geben. Es ist zwar sicher nicht die einzige Option in einer Gesellschaft mit vielfältigen Tendenzen und Glaubensauffassungen, auf jeden Fall aber hat der slawische Papst, der römisch, bzw. universal geworden ist, die „Aktualität“ des Glaubens und der Verkündigung des Evangeliums gezeigt.
Das heißt nicht, daß die „Krise des Heiligen“ ausgelöscht wurde, die von weit her kommt und die sich unweigerlich zu einer Gesellschaft entwickelt, wo der Gottesbegriff nicht länger deklinierbar ist. Und hieraus erklären sich auch die immer leerer werdenden Kirchen, die leeren Beichtstühle, der langsam ausblutende Klerus, für den auch die Neuankömmlinge, die geringe Zunahme an Berufungen, nichts daran ändern können, daß er mit dem Bevölkerungswachstum nicht mehr Schritt halten kann. Aber hier haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das unsere Epoche betrifft, und damit alle traditionellen Kirchen. Was zählt, ist die Tatsache, daß Johannes Paul II. den Glauben wieder ins Spiel gebracht und denen in der Gemeinschaft der Gläubigen neuen Auftrieb gegeben hat, die bereit waren, zum Bringen der Frohen Botschaft beizutragen, und das immer noch sind.
Der ein oder andere konnte zunächst über seine allzu große „Reiselust“ nur schmunzeln, über die von Tanzeinlagen, Gesängen, wilden Rufen, Applausen und etwas kitschigen Choreographien „geschmückten“ Zeremonien. Aber schon bald war klar, daß seinem unermüdlichen Reisen ein einfacher und wirksamer Plan zugrundelag. Indem er nämlich die christlichen Gemeinschaften in allen Winkeln der Erde aufsuchte, sie zu Wort kommen, ins „Rampenlicht“ treten ließ, und sei es auch nur für wenige Tage, indem er sich als ein Papst „zum Anfassen“ zeigte, hat Johannes Paul II. den über eine Milliarde zählenden Katholiken auf den fünf Kontinenten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl vermittelt, das Gefühl, das Schicksal des „Gottesvolkes“ zu teilen. Wie hätte das ein ferner, hinter vatikanischen Mauern verschanzter Papst jemals zustandebringen können?
Diesen Aspekt hatte Wojtyla vom ersten Moment an erfaßt: das Papsttum mußte ganz einfach „planetarisch“ werden, wenn es in der globalisierten Welt auch weiterhin etwas zu sagen haben wollte. Als er Papst wurde, sprach man nicht von Globalisierung, aber es war, als hätte er instinktiv gespürt, daß die Leitung der katholischen Kirche nur dann möglich war, wenn man sie in eine globale Dimension hineinprojizierte.
In dieser Dimension hat Karol Wojtyla die Physiognomie des Papsttums selbst verwandelt. Wenn der Papst von Rom nämlich vorher nur das Oberhaupt der Katholiken oder bestenfalls eine herausragende Persönlichkeit der christlichen Welt war, so ist er in diesen 25 Jahren Pontifikat zu einem Sprachrohr und Verfechter der Menschenrechte auf jedem Kontinent geworden, über alle Grenzen von Staaten, Kulturen, Gesinnungen hinaus. Das haben die Menschenmengen – wohin er auch reist – verstanden. Ob sie nun anderen Religionen angehören, Nicht-Gläubige oder Agnostiker sind. „Er ist uns wirklich ans Herz gewachsen,“ hat mir erst vor ein paar Tagen eine römische Dozentin gestanden, die alles Klerikale schon immer mit Mißtrauen betrachtet hat. Er, Wojtyla, hat den Zugang zu den Herzen und Köpfen der Menschen gefunden, weil er es verstanden hat, von Frieden und Gerechtigkeit, von religiösen Werten zu sprechen, und dabei auch wirklich überzeugend zu sein. Da kommt mir auch wieder jene israelische Polizistin in den Sinn, der ich am Ufer des Tiberias-Sees begegnet bin, und die, Johannes Paul II. betrachtend, zu mir sagte: „Die katholische Religion interessiert mich nicht, aber dieser Mann ist ein Mann Gottes!“.
Worin liegt das Geheimnis der Kommunikationsstärke Karol Wojtylas? Hier seine Schauspieler-Vergangenheit ins Spiel zu bringen, wäre banal. Sicher, der Papst ist es gewohnt, auf der Bühne zu stehen, es macht ihm nichts aus, ein Mikrophon in der Hand zu halten. Aber nicht das ist die Erklärung dafür, warum er es geschafft hat, seine Zeitgenossen so sehr in seinen Bann zu ziehen. Die Wahrheit ist, daß Wojtyla nicht nur ein Philosoph, sondern ein Mystiker ist, also jemand, der es gewohnt ist, die Ereignisse kulturell und historisch zu „verdauen.“ Seinen Mystizismus sieht man, wenn er betet. Es ist ein Moment der totalen Hingabe an Gott, des Eintauchens in die tiefe, unbekannte Dimension der eigenen Seele, eine totale Sehnsucht nach Christus. In diesem Eintreten in die vertikale Dimension liegt der tiefe Grund seines Einsatzes unter den Menschen und für die Menschen. Weil das menschliche Wesen, wie es Wojtyla sieht, nicht nur Kreatur Gottes, nach seinem Abbild geschaffen, ist, sondern „gloria Dei“, Ruhm Gottes, oder wie wir poetisch sagen könnten: Herrlichkeit Gottes. Hier, in dieser Konzeption, ist die Gewißheit verwurzelt, daß die Würde des Menschen (mit seinen Grundrechten) unvergleichlich und um jeden Preis zu verteidigen ist. „Johannes Paul II., Pilger der Menschlichkeit,“ stand vor ein paar Tagen auf einem Spruchband nahe der Basilika von Pompeji zu lesen.
Genau hier, in dieser Überzeugung, liegen die Wurzeln für das soziopolitische Wirken Wojtylas. Der Grund dafür, warum er von den Menschenmengen so gut verstanden wird. Hier erklären sich die tieferen Motivationen für seine Fähigkeit, Millionen von Jugendlichen auf den verschiedenen Kontinenten zu begeistern. Wenn er, wie in Denver, ausruft: „Habt keine Angst, auf die Straßen von Städten und Dörfern zu gehen. Es ist nicht Zeit, sich für das Evangelium zu schämen. Habt keine Angst, mit bequemen Lebensformen zu brechen. Junge Katholiken der Welt, enttäuscht Christus nicht, tragt das Kreuz in euren Händen, tragt die Worte des Lebens auf euren Lippen!“...Wenn er daran gemahnt, sich der Wehrlosen und von der Logik des Profits Ausgeschlossenen anzunehmen – Kindern, Kranken, Behinderten, Alten, Armen, Arbeitslosen, Einwanderern, Flüchtlingen, dem Süden der Welt – spürt die ihm lauschende Menge, daß Johannes Paul II. wirklich auf der Seite der Schwachen steht. Viele wunderten sich, als er – nach dem Fall der Berliner Mauer – nicht zögerte, gegen den wilden Kapitalismus ins Feld zu ziehen, der in Osteuropa und in der Dritten Welt rasend schnell um sich griff, und betonte, daß in Marx „ein Körnchen Wahrheit“ stecke: dort nämlich, wo er auf die unmenschlichen Lebensbedingungen der Arbeiter des 19. Jahrhunderts hinwies. Vor Professoren und Studenten in Riga, die sich über den unerwarteten exploit nur wundern konnten, rief er 1993 aus: „Die Ausbeutung durch einen unmenschlichen Kapitalismus (im 19. Jh.) war wirklich ein Übel... und darin liegt ein Körnchen Wahrheit des Marxismus.“ Drei Jahre später, in Paderborn, am Tag vor seinem Besuch beim Brandenburger Tor in Berlin anläßlich der Feier des Endes der beiden totalitären Regime des 20. Jahrhunderts – Nazismus und Kommunismus –, griff Johannes Paul II. diese Frage wieder auf, auf einem Grund und Boden, der sozusagen vitaler Träger des westlichen freien Marktes ist. „Es darf nicht soweit kommen, daß sich ein radikaler Individualismus behaupten kann, der letztendlich die Gesellschaft zerstören würde,“ sagte er, „es darf keine Welt entstehen, die erneut von einer radikalen kapitalistischen Ideologie geprägt ist.“
In seiner an der Universität Riga gehaltenen Ansprache hatte er überdies bereits die wesentlichen Gebote der Soziallehre der Kirche dargelegt: 1) die universale Bestimmung der Güter der Erde; 2) die Garantie des Privateigentums als unerläßliche Bedingung für die Autonomie des Individuums; 3) die Ablehnung einer Sicht der Arbeit als bloße Ware ; 4) die Förderung einer menschlichen Ökologie; 5) die soziale Rolle des Staates; 6) die Notwendigkeit einer auf Werte gegründeten Demokratie.
Johannes Paul II. grüßt die Pilger auf dem Petersplatz am Ende der Mittwochsaudienz.

Johannes Paul II. grüßt die Pilger auf dem Petersplatz am Ende der Mittwochsaudienz.

Diese außergewöhnliche Parabel ist auch von Mißerfolgen begleitet. Sein Kampf gegen die Befreiungstheologie in Lateinamerika ebnete den protestantischen fundamentalistischen Sekten den Weg; die systematische Ausschaltung jeder kritischen Theologie behinderte das Reifen neuer Reflexionen über die Übernahme evangeliumsmäßiger Normen in die moderne Gesellschaft, seine bedingungslose Verdammung von Scheidung und Verhütungsmitteln, der Abtreibungsgesetze, von Lebensgemeinschaften ohne Trauschein, von homosexuellen Beziehungen, ist in der Welt der Gläubigen auf Widerstand gestoßen. Sein unwiderrufliches Veto gegen das Priesteramt für Frauen hat Kontraste ausgelöst. Seine Weigerung, wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu spenden, die Medizin der Barmherzigkeit beiseite schiebend, die doch bei den Orthodoxen sehr wohl Anwendung findet, erschien sogar grausam.
Und doch: auch dann, wenn er gegen das zeitgenössische Empfinden handelte, war Papst Wojtyla doch stets von einer alles andere als banalen Reflexion zu großen Fragen getrieben, wie der Familie, dem Wert der geschlechtlichen Beziehungen, der Gentechnik, dem Sinn und Zweck der politischen und wirtschaftlichen Strukturen. In einer Welt, die von blutigen Kriegen erschüttert wird – allen voran jenem nicht enden wollenden im Heiligen Land –, hat Wojtyla Versöhnung und Reinigung des Gedächtnisses gepredigt. Ein mächtiges Konzept, darauf abzielend, auch in den kommenden Jahrzehnten zu denken zu geben. Mit der eigenen Schuld „abzurechnen“ und die Gründe der anderen gelten zu lassen, die Schuld des anderen, auch wenn es eine schreckliche ist, zu vergeben, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern enthält die Dynamik einer Wiedergeburt, die sich – wenn angewendet – in allen Aspekten der unser Leben prägenden Beziehungen auswirkt. Individuellen und sozialen.“
Als es bereits den Anschein hatte, daß Johannes Paul II. von seiner Krankheit die Hände gebunden würden, nahm er dagegen mit unglaublicher Entschlossenheit den Kampf gegen den von den USA gewollten Krieg im Irak auf. Ein unrechtmäßiges, vermeidbares, entstabilisierendes Unterfangen – wie der Papst und die wichtigsten Repräsentanten des Hl. Stuhls monatelang unermüdlich betonten. Die Fakten geben ihm recht. Immer mehr drängt sich die von Karol Wojtyla angebotene Alternative auf. Entweder ist die Welt eine Nationengemeinschaft, und das macht eine Legalitätsinstanz wie die UNO, die von allen akzeptiert wird und von allen akzeptierte Regeln hat, ganz einfach unerläßlich; oder aber sie ist eine Arena, in der das Recht des Stärkeren gilt, mit all seinen unvermeidlichen Willkürakten und Gegenschlägen. Wie schon Kardinal Jean-Louis Tauran meinte, geht es darum, zwischen „der Kraft des Gesetzes oder dem Gesetz der Kraft“ zu wählen. Europa muß, wie der Papst zu verstehen gegeben hat, seine Entscheidung treffen, und darf dabei folgendes nicht aus den Augen verlieren: sein spirituelles Erbe und den Imperativ, an einer „Globalisierung in der Solidarität“ zu arbeiten.
Und so streut Karol Wojtyla weiterhin seine Samenkörner aus. „Er hat immer gewollt, daß die Menschen nach Gott leben“: so die schlagkräftigen Worte, mit denen Kardinal Giovanni Battista Re sein 25jähriges Pontifikat zusammenfaßte. Mir bleibt nichts anderes übrig, als in meinem Herzen, unter den tausend Bildern und Worten, die er in der Welt hinterlassen hat, den bewegenden Aufruf zur Brüderlichkeit der Menschen zu bewahren, der in der Enzyklika Evangelium vitae widerhallt: „Die anderen sind nicht Konkurrenten, vor denen wir uns verteidigen müssen, sondern Brüder und Schwestern, mit denen wir solidarisch sein sollen; sie müssen um ihrer selbst willen geliebt werden; sie bereichern uns durch ihre Gegenwart.“


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