RELIGION UND FRIEDEN. Die von Präsident Nasarbajew gewollte Studientagung.
Eurasien: Übung in pax religiosa
Ende September kamen hochrangige Delegierte aus 17 religiösen und konfessionellen Realitäten und Institutionen der ganzen Welt zusammen, um in Sachen Dialog und gegenseitigem Respekt neue Impulse zu geben. Eine Tagung, abgehalten im Herzen jener zentralasiatischen Region, in der die Verfechter der Theorie vom Zusammenprall der Zivilisationen das Epizentrum aller Konflikte ethnisch-religiöser Prägung sehen.
von Gianni Valente
Präsident Nursultan Nasarbajew mit den Oberhäuptern der religiösen Delegationen beim Abschluß des Kongresses von Astana in dem nahe des Baiterek-Denkmals aufgestellten Zelt.
So klang am Mittwoch, dem 24. September, am ersten Nachmittag, der „Erste Kongress der traditionellen Weltreligionen“ aus. Jener in Astana abgehaltene Kongress, den der kasachische politische Leader und „zweite Gorbatschow“, Nasarbajew, im Wunsch nach interreligiöser Eintracht ins Leben gerufen hatte. Zwei Tage lang setzten sich hochrangige Delegierte aus 17 religiösen Realitäten und Institutionen gemeinsam an den Verhandlungstisch im Saal des Saltanat Saraiy, dem Zeremonien-Palast, um – zwischen roten Wandbehängen und türkischen Säulen – in Sachen Dialog und Freiheit im Herzen Eurasiens neue Impulse zu geben. Gerade hier, in dieser zentralasiatischen Region nahe Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Aserbaidschan, in der die Verfechter der Theorie vom Zusammenprall der Zivilisationen das Epizentrum aller Konflikte ethnisch-religiöser Prägung sehen, die die globalisierte Welt so sehr beunruhigen.
Der katholische Erzbischof von Astana, Tomasz Peta, mit islamischen, hinduistischen und buddhistischen Repräsentanten.
Vorbild des Kongresses war, angefangen bei den programmatischen Erklärungen der Organisatoren, der Gebetstag für den Frieden in der Welt gewesen. Jene Begegnung, die Johannes Paul II. am 24. Januar 2002 gewollt hatte, um den positiven Beitrag der verschiedenen religiösen Traditionen zum Dialog und der Eintracht zwischen Völkern und Nationen zu bekräftigen. Auch die zwei Tage von Astana sollten gegen das mentale Klima gerichtet sein, das nach dem 11. September im Religionsfaktor den billigen Zündstoff für die neuen geopolitischen Konflikte sieht. Besonders aus den Beiträgen der verschiedenen islamischen Repräsentanten war herauszuhören, daß sie sich genötigt fühlten, mit der vom Westen genährten düsteren Legende aufzuräumen, die den Islam als neues Imperium des Bösen definiert, als ideologischen Nährboden für heilige Kriege und Terrornetze. Der Saudi Abdullah bin Abdul Mohsin Al-Turki, Generalsekretär der Muslim World League, hielt eine mit Koran-Zitaten gespickte, meisterhafte Lektion, um zu zeigen, daß „der Islam die Authentizität der vor Mohammed offenbarten heiligen Bücher“ bestätigt, daß er „seinen Anhängern verbietet, andere Personen zu zwingen, den islamischen Glauben anzunehmen.“ Womit, auf der Basis der Verse des Propheten die Behauptungen derer widerlegt werden, die die Religion der Muslime als Religion beschreiben, „die zur Gewalt aufruft, die Menschenrechte mißachtet und die Frauen unterdrückt.“ Auf derselben Linie bewegte sich auch die von dem Pakistani Mahmood Ahmad Ghazi, Vizepräsident der International Islamic University, gehaltene Apologie des Islam, mit der gezeigt werden sollte, daß „eines der Hauptmerkmale der islamischen Zivilisation die Akzeptanz von Meinungspluralismus und –vielfalt ist.“ Der Inder Muhammad Rabey Hasani Nadwi, Präsident des „All India muslim personal Law Board“, präzisierte noch, daß „der Islam in deutlichen Ausnahmefällen das Zurückgreifen auf Gewalt erlaubt, nur dann aber, wenn es keinen anderen Grund gibt, sich gegen die Tyrannei zu stellen, oder wenn unschuldige Menschen Terror und Ungerechtigkeit erdulden müssen. Wenn jemand dort Gewalt anwendet, wo diese Fälle nicht vorliegen, handelt er gegen den Islam.“
Viele Namen,
ein einziger Gott?
Nach den excusatio der Muslime wurde der interreligiöse Dialog in einigen Beiträgen nicht nur aus „politischer“, sondern auch aus theologischer Sicht betrachtet, die bestehende Pluralität von Riten und religiösen Konfessionen auf ein- und denselben göttlichen providentiellen Plan zurückgeführt. „Auch wenn Gott ein- und derselbe für alle ist, wird ihm von verschiedenen Menschen ein verschiedener Name gegeben. Du gibt Gott einen gewissen Namen. Er ist Einer. Jede Religion ist wie eine Blume, und wie jede Blume hat sie ihren Nektar. Wie die Bienen dürfen wir aus einer jeden Religion den Nektar sammeln, um so unseren köstlichsten Honig herstellen zu können.“ So Hindu-Leader Sri Sugunendra Theerta Swamiji in seinem von Karamshi Somaiya, vom „Indological Reserach Institute and Interfaith Dialogue“, gelesenen Beitrag. In dessen Kielwasser bewegte sich auch der Japaner Minoru Sonoda, Chef der schintoistischen Tempelvereinigung, für den „sich die Religionen davor hüten müssen, Absolutsansprüche zu stellen. In ihrem ständigen Bezug zur Transzendenz müssen sie auch ihren Beziehungen zu den anderen religiösen Glaubensformen Rechnung tragen.“ Aber die synkretistische Tendenz der orientalischen Traditionen ist nichts Neues. Überraschender ist da schon die theologische Rechtfertigung des Religionspluralismus, die aus dem Beitrag von Mohammad Seid Tantawi, Imam der ägyptischen Universität Al Azhar und namhafte Persönlichkeit des sunnitischen Islam, herausklang, in dem er erklärte, daß „die Religionsverschiedenheit, im dem von Allah gewollten Rahmen, kein Hindernis für den Austausch von Gütern darstellt. Religion kann weder gekauft noch verkauft werden, ein jeder hat die seine. Wenn es sein Wunsch gewesen wäre, hätte Allah alle Menschen derselben Nation und derselben Religion angehörend geschaffen. Er hat uns dagegen verschiedener Nation und verschiedener Religion angehörend geschaffen.“
In dieser dichten Reihe von Beiträgen und Stellungnahmen hat sich Kardinal Jozef Tomko, Präsident der vatikanischen Delegation, in seiner Ansprache darauf beschränkt, auf die Rolle der Religionen beim Bau des Friedens zu verweisen, wobei er sich auf häufige Zitate aus der Konzilskonstitution Gaudium et spes und dem jüngsten Päpstlichem Lehramt stützte, von Paul VI. („Der neue Name des Friedens ist Entwicklung“) bis zu Johannes Paul II. („Die christlichen Konfessionen und die großen Religionen müssen bei der Bekämpfung der sozialen und kulturellen Ursachen des Terrorismus zusammenarbeiten“). Und schließlich auf das alte lateinische Sprichwort: „Si vis pacem para bellum“, zu dem der slowakische Purpurträger meinte: „Heute würden wir eher sagen: ‚wenn du den Frieden willst, fördere die Gerechtigkeit.‘ Spannungen, Haß, Krieg, Gewalt und Terrorakte sind oft das Resultat von Ungerechtigkeiten.“ Und am Ende seines Beitrags brachte der aus Rom geschickte Kardinal keine kontroversen Meinungen über die vermeintliche „Gleichwertigkeit“ aller religiösen Wege ein, sondern schlug die Religionsfreiheit als maßgebliches Kriterium für die internkonfessionellen Beziehungen und die zwischen den Religionen und zivilen Kontexten vor: „Jeder hat das Recht, seine Religion zu wählen und sie auszuüben, sowohl als Individuum als auch als Mitglied einer Gemeinschaft. [...] Die Religionen haben die Pflicht, für die Förderung der Menschenrechte einzutreten. Es ist nicht möglich, die religiösen Traditionen ins Spiel zu bringen, um die Religionsfreiheit einzuschränken.“
Die Entschlossenheit der vatikanischen Delegation, die Kategorie „Religionsfreiheit“ aufzuwerten, hat sich wahrscheinlich bereits in dem vom Kongress promulgierten Schlußerklärungsentwurf gezeigt: eine Liste von Ermahnungen und Bekräftigungen, u.a. der, daß „Extremismus und Terrorismus im Namen der Religion nichts mit der reinen Vorstellung von Religion zu tun haben.“ In der englischen Version des Entwurfs, die vom Organisationskomitee bereits vor dem Kongress verfügbar gemacht worden war, war – vielleicht aufgrund einer wenig korrekten Übersetzung – ein zweideutiger Satz enthalten, in dem man die erhoffte friedliche Koexistenz der verschiedenen Religionen an die Möglichkeit band, zu demonstrieren, daß „jede Religion und Kultur eine einzige Natur hat“. In der Schlußversion ist dagegen, um jeden Zweifel auszuräumen, unmißverständlich dargelegt, daß „die Verschiedenheit der Religionen und Religionspraktiken nicht zu gegenseitigem Mißverständnis, zu Diskrimination und Demütigung führen darf, sondern zu einer gegenseitigen Akzeptanz und Harmonie, in der Äußerung der besonderen Merkmale einer jeden Religion und Kultur.“ Der Schlußtext der Erklärung anerkennt, von der ersten Zeile an, auch „das Recht jeder menschlichen Person, sich ihre Religion auszusuchen, sie auszudrücken und frei zu praktizieren.“ Eine verpflichtende Behauptung, der sich auch namhafte spirituelle Leaders aus der gesamten muslimischen Welt in einem Symposium anschlossen, das in einem Land mit überwältigender islamischer Mehrheit stattfand.
Ruhm für alle
Der Hl. Stuhl hat durch eine Delegation hochrangiger Repräsentanten seine Ehrerbietung für den Kongress von Astana zum Ausdruck gebracht. Außer Kardinal Tomko waren in der kasachischen Hauptstadt die Erzbischöfe Renato Raffaele Martino, Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden (der beim Konsistorium vom kommenden 21. Oktober das Kardinalsbirett erhalten wird), und Pier Luigi Celata zugegen, Sekretär des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Pater Jozef Maj, vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen, und Msgr. Julio Murat aus der Zweiten Sektion des Staatssekretariats. Eine „Mannschaft“ erster Garde für einen Anlaß, der gewiß nicht als eine der „üblichen“ interreligiösen Tagungen betrachtet wurde. Und das sicher auch aus dem Grund, weil die Einladung nicht von dem „üblichen“ Organismus, der „üblichen“ religiösen Bewegung gekommen war, sondern vom Präsidenten selbst – Vater des Vaterlandes des neuen Kasachstan.
Im Land der Steppen, Heimat ehemaliger Deportierter und ehemalige „Atomdeponie“ des Sowjetimperiums, leben mehr als 120 Nationalitäten, mehr als 40 verschiedene Konfessionsgruppen, in unmittelbarer Nähe von Regionen, die fundamentalistische Unruheherde sind. In diesem Szenarium hat Nasarbajew die Politik der religiösen Eintracht zum Kernpunkt seines Modernisierungs-Programms gemacht und die tolerante Tradition des lokalen Islam – nach den sowjetischen Jahrzehnten atheistischer Propaganda – wiederbelebt. Die pax religiosa interessiert ihn auch als sichere Garantie für soziale Stabilität. Eine Politik, die im Namen der tranquilitas ordinis darauf abzielt, die religiösen Leaderships mit dem Regierungsplan in Einklang zu bringen, und bei der allen Konfessionen für die Entwicklung ihrer Einrichtungen ein gewisser Handlungsspielraum eingeräumt wird. Wie auch der Hl. Stuhl im vergangenen Mai erkennen konnte, als die Umstrukturierung der lokalen Kirchenstruktur, mit in den Rang von Diözesen erhobenen apostolischen Administraturen, ohne große politische und juridische Schwierigkeiten vor sich gehen konnte. Ein günstiger Umstand, der sich in den kommenden Jahren konsolidieren könnte – immerhin scheint Nasarbajew an seinem Image als politischer Leader und „Freund“ der Religionen sichtlich Gefallen zu finden: für das Jahr 2006 hat er bereits den zweiten Kongress der Leaders der traditionellen Weltreligionen anberaumt. Und auch den Bau eines „Nationenpalasts“ auf dem neuen Baugelände in Astana angekündigt, „Symbol der Einheit unseres Landes“, in dem es, Seite an Seite, „eine Moschee, eine Kirche, eine Synagoge und einen buddhistischen Tempel geben wird.“ Unter einem Dach vereint, das der Präsident und „Humanist“ hat errichten lassen.