UNO. Zu Wort kommt der Verantwortliche des Büros für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung.
Das Ungeheuer mit tausend Köpfen
Interview mit Antonio Maria Costa. Mit dem sich in der afghanischen Gesellschaft immer besser einbürgernden Opiumhandel werden Terroristen finanziert und der ohnehin schon schwierige Demokratisierungsprozess gefährdet. Und auch die Kriegsherren entpuppen sich zusehends zu Drogenhändlern.
von Roberto Rotondo
Ein US-Soldat der gegen die Mitglieder von Al Qaeda gerichteten Operation „Valiant Guardian“ .
Dr. Costa, welche Situation haben Sie in Afghanistan vorgefunden?
ANTONIO MARIA COSTA: Der politische Prozess zur Schaffung eines Zentralstaates schreitet relativ gut voran. Es gibt Schwierigkeiten, wie überall auf der Welt, wo man, bei Null anfangend, an der Ausarbeitung einer Verfassung bastelt. Aber der politische Prozess steht durchaus im Einklang mit dem bei der PetersbergKonferenz in Bonn aufgestellten Zeitplan, und Karzai hat darüber die volle Kontrolle. Auch die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr sind in vollem Gange, wenn man sich auch leicht vorstellen kann, was es bedeutet, Wählerlisten in einem Land aufzustellen, in dem der Großteil der Wähler Analphabeten sind. Dann ist man auch dabei, das Heer und die Polizeikräfte umzustrukturieren, wenn auch mit einem Minimum an Ressourcen. Auf administrativer Ebene lassen sich große Fortschritte erkennen, und bei einer meiner letzten Reisen hatte ich mit überaus kompetenten Ministern zu tun, die so ganz anders waren als die, denen ich noch vor ein paar Monaten begegnet bin oder jene, die unmittelbar nach dem Fall des Taliban-Regimes im Sattel saßen.
Auch bei den Sicherheitskräften, die mich bei meiner Reise begleiteten, konnte ich erfreuliche organisatorische Verbesserungen feststellen.
Aber man hat Ihnen doch sicher auch gesagt, daß in diesem Land von Sicherheit und Frieden noch lange keine Rede sein kann...
COSTA: Ja, natürlich. Und das ist ein weiterer Aspekt der Situation. Mir ist von vielen Seiten, auch bei den briefings mit den Militärs, bestätigt worden, daß die Terrorgruppe Al Qaeda, die Taliban und andere Elemente, die vielleicht mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Hekmatyar zusammenhängen, immer mehr an Boden gewinnen. Zwar ist nicht die Rede von einer großen Zahl von Kämpfern – man sprach von ca. 4.000 Taliban, 3.000 Al-Qaeda-Anhängern und ein paar hundert Hekmatyar-Treuen. Die Terroristen kommen von der Grenze zu Pakistan, lungern eine Zeitlang hier herum, bevor sie wieder den Rückzug antreten, oder versuchen, wie im Falle einiger Taliban-Gruppen, sich im Süden der Hauptstadt niederzulassen. Wie um sich vorsichtig vorzutasten, als wollten sie sehen, ob das eine militärische Reaktion auslösen würde.
All das macht die Situation noch prekärer, und ich konnte feststellen, daß sich bei den Militärs eine große Besorgnis breitmachen konnte, auch weil die drei eben von mir genannten Gruppen, die sich früher bekämpften, heute, wie es den Anschein hat, zusammenarbeiten, sich gegenseitig Waffen und Schutz liefern. Das führt uns zu einem noch viel ernstzunehmenderen Problem, dem Drogenhandel, der sowohl für die Kriegsherren als auch die Terroristen eine willkommene Einnahmensquelle darstellt. Entlang der Gren…e zu Pakistan zwingen diese nämlich unter Gewaltandrohung oder indem sie Schutz anbieten, die Opiumdealer, „Schmiergeld“ zu zahlen.
Präsident Karzai.
COSTA: Der Drogenhandel kann kein ausschließlich afghanisches Problem sein. Die ganze internationale Gemeinschaft muß mehr tun. Präsident Hamid Karzai hat mir gegenüber die Bereitschaft der Regierung bestätigt, die Kontrolle des Drogenhandels zu verstärken, die Mohnfelder und die illegalen Labors zu zerstören. Außerdem wird Karzai in den kommenden Monaten auch das erste Antidrogen-Gesetz des Landes unterzeichnen. Meine erste Reise in die afghanischen Provinzen, wo das Opium produziert wird, war auch eine Gelegenheit, die wirksamsten Strategien zu studieren, mit denen der Produktion Einhalt geboten werden kann. Wenn nämlich in den fünf Provinzen (Helmand, Nangarhar, Badakhshan, Uruzgan und Kandahar) auch ein Rückgang verzeichnet werden konnte, bleibt doch der besorgniserregende Umstand bestehen, daß es in anderen Zonen sehr wohl weiter Mohnfelder gibt: in Farah, Ghor, Fariab und Samangan, praktisch in jedem Winkel des Landes.
Und wenn auch mehr Mohn angebaut wird, so könnte die Ernte trotzdem gering ausfallen, da das Klima für den Opiumanbau nicht günstig war. Aber der Umstand, daß die Preise gesunken sind (eine gute Nachricht, die bedeutet, daß weniger Geld in die Taschen der Drogenhändler fließt), läßt vermuten, daß doch eine große Menge auf dem Markt ist. Überdies wird das Opium heute, um noch mehr Kapital daraus schlagen zu können, im Herkunftsland „veredelt“, und Rußland, wo übrigens alles verkaufte Heroin aus Afghanistan stammt, wird von Billig-Heroin geradezu überschwemmt. Ein Phänomen, das den Russen großes Kopfzerbrechen bereitet, und worüber ich mich bei einem meiner letzten Besuche mit Präsident Putin unterhalten konnte.
Aber das größte Problem, das ich mit den Militärs von „Enduring Freedom“ und mit dem NATO-Sicherheitsrat in Afghanistan diskutiert habe, ist die Tatsache, daß das „Opiumbusiness“ einen zunehmend großen Einfluß auf die Afghanen hat. Die Weisen, die Dorfältesten, denen ich begegnet bin, haben mir gesagt, daß ihnen die Armut keine Wahl ließe, sie vom Geld der Dealer verführt würden, die die Ernte schon vor der Aussaat kaufen; daß sie von den Terroristen bedroht und dazu gezwungen würden. So manches von dem, was sie gesagt haben, hat mir allerdings gar nicht gefallen. Es klang fast schon nach Erpressung: „Bezahlt uns, und wir hören auf,“ hat man mir zu verstehen gegeben. Aber ich kann auch verstehen, daß ein Bauer eines so armen Landes, wo die Straßen so unwegsam sind, daß man die Ernte nicht auf den Markt bringen kann, wo es weder Strom noch Trinkwasser gibt, weder Krankenhäuser noch Schulen, im Anbau von ein bißchen Opium eine Art Eldorado entdeckt haben kann. Wir dürfen nicht vergessen, daß ein Kilo Opium zehn Fässer Öl wert ist, also 350 Dollar. Und schließlich hat die internationale Gemeinschaft Afghanistan nicht gerade großzügig behandelt, ihm im vergangenen Jahr durchschnittlich ca. 50-55 Dollar pro Einwohner zukommen lassen. Sehr wenig, verglichen mit Bosnien, wo pro Kopf 260 Dollar gezahlt wurden.
Könnten Sie, zu unserem besseren Verständnis, beschreiben, wie der Drogenhandel abläuft?
ùOSTA: Die erste Stufe der Opiumindustrie sind natürlich die Bauern, die Opium anbauen und aus dem Verkauf in den Bazars einen gewissen Gewinn erzielen. Laut unseren Schätzungen haben die Bauern im Jahr 2002 ca. 1.200.000.000 Dollar damit verdient.
Ein gutes Geschäft...
COSTA: Ja, wenn man auch nicht vergessen darf, daß ein Teil dieses Geldes von den lokalen Erpressern „konfisziert“ wird, seien diese nun Kriegsherren oder Terroristen. Der zweite Schritt ist der: die Ware verläßt den Bazar und wird zur Grenze gebracht. Der Gewinn der Händler, die die Ware transportieren liegt bei ca. 1.400.000.000 Dollar. Dritter Schritt: die Händler zahlen mehrfach Wegegeld an den Kontrollposten, an denen sie vorbeikommen, und zwar auf beiden Seiten der Grenze. Auf der einen Seite bezahlen sie paramilitärische Gruppen, die gegen die Taliban gekämpft haben und nun die verschiedenen Provinzen kontrollieren; jenseits der Grenze bezahlen sie die Terroristen, die einige Gebiete an der Grenze zu Pakistan in ihre Gewalt gebracht haben.
Und hier stellt sich das wahre Problem. Die Militärkommandanten spielen nämlich eine zwielichtige Rolle. Sie sind fast alle schon seit Jahren in den Drogenhandel verstrickt, auch wenn das nicht heißt, daß sie Drogenhändler sind. Ihr Problem war es schon immer, die Ressourcen für ihre Truppen aufzutreiben, die aus Bauern und Soldaten bestehen, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit rekrutiert wurden: einen halben Dollar pro Tag pro Person für Nahrung, eine Mindest-Bezahlung, etwas für die Familie, neue Waffen, usw. Das ist ein Element des Drogenhandels, den ich für verständlich, wenn auch nicht akzeptabel halte. Jetzt liegen die Dinge aber anders. Ich bin Militärchefs begegnet, die teure Golduhren trugen und habe von anderen erfahren, daß sie Grundstücke am Persischen Golf, in Saudiarabien, im Irak, in Iran gekauft haben. Ich habe Militärchefs kennengelernt, die Hotel- und Supermarktketten erworben haben. Einige dieser Kriegsherren entwickeln sich zu Drahtziehern organisierten Verbrechens, und was ich befürchte ist, daß die Bemühungen der Regierung Karzai und der Vereinten Nationen um eine Stabilisierung dieses langsamen, heiklen, aus ethnischen Gleichgewichten gemachten Prozesses, von einem anderen zunichte gemacht werden, der viel schneller vor sich geht, und der Afghanistan in ein Kartell-Land im Stile Medellín verwandeln kann.
Hatten Sie bei Ihrer Reise Gelegenheit, die Nato-Truppen auf dieses Problem aufmerksam zu machen?
COSTA: Natürlich. Es ist unbedingt notwendig, daß die Militärs diesem geschwürartigen Prozess Einhalt gebieten. Und dafür sind einschneidende Maßnahmen nötig, müssen die Labors zerstört, konfisziert werden, usw. Ich habe keine Antwort erhalten, aber das bedeutet nicht, daß man gleichgültig wäre; diese Entscheidungen werden nämlich anderswo getroffen, auf politischer Ebene, in den Hauptstädten der betroffenen Länder. Ich konnte jedoch feststellen, daß in den letzten Wochen eine gewisse Zahl von Militäroperationen durchgeführt wurde, bei denen vielen Dealern das Handwerk gelegt werden konnte.
Wenn die Niederschlagung des Drogenhandel aber tatsächlich bedeutet, den Terroristen die „Lebensgrundlage“ zu nehmen, warum investiert man dann nicht mehr in diesen Versuch, statt in Militärkampagnen, die darauf abzielen die Regime sogenannter „Schurkenstaaten“ zu stürzen?
COSTA: Der internationale Terrorismus ist ein Problem, das weit über den Fall Afghanistan hinausgeht, wenn er auch ein wichtiges Mosaikteilchen dabei ist. Wie oft sage ich den Amerikanern: „Ihr sucht ‚jemanden‘, nicht ‚etwas‘. Aber dieser ‚jemand‘ profitiert von ‚etwas‘, nämlich vom Drogenhandel.“ Das US Defence Department (wenngleich die USA auch die Nation sind, die die UNO in Afghanistan am meisten unterstützt) hat die Möglichkeit einer Beteiligung der Militärs am Kampf gegen die Drogen stets strikt abgelehnt. Vielleicht, weil man im Vietnam-Krieg tragische Erfahrungen damit gemacht hat. In den vergangenen Jahren konnte ich jedoch feststellen, daß dieses Thema nun doch diskutiert wird.
Im Jahr 2001, als Afghanistan fest in talibanischer Hand war, hatte die Opiumproduktion den niedrigsten Stand in der Geschichte erreicht. Es gibt also ein System, ihr Einhalt zu gebieten...
COSTA: Das Problem ist nicht die Auslöschung des Mohnanbaus, das Überrennen der Bauern, sondern die Niederschlagung des Handels mit dem Endprodukt. Dann darf man auch nicht vergessen, daß wir heute dort ein Land mit Übergangsregierung haben, während die Taliban totale Macht ausübten, und die Bauern für sehr viel weniger Kopf und Kragen riskierten. Außerdem haben die Taliban nur den Anbau blockiert, was keine große Kunst war, da damals noch sehr viel vom Endprodukt im Umlauf war. In jener Zeit waren die Kilo-Preise von 35-40 Dollar auf 700 Dollar gestiegen.
Wird der afghanische Drogenhandel von wirtschaftlichen und politischen Interessen genährt, die von außen kommen?
COSTA: Darüber liegen uns keine Daten vor. Was allerdings den Anbau angeht, habe ich bei meinen Reisen festgestellt, daß den Bauern nur sehr selten das Terrain gehört, auf dem das Opium angebaut wird. Der Boden gehört dem Dorf, der Gemeinde, oder – im Süden des Landes – vielleicht jenen zwielichtigen Gestalten, die im Ausland leben, und die die Bauern, ihre Halbpächter, zwingen, Opium anzubauen. Viele dieser Subjekte könnten durchaus in den Terrorismus verwickelt sein.