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REPORTAGE AUS DER...
Aus Nr. 03 - 2009

Die Kirche zur Zeit des Völkermords


Der Krieg um die Kontrolle der Bodenschätze, Symbol der Tragödie, die Afrika in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Wie die Kirche dem Herrn auch weiter die Treue hält.


von Davide Malacaria


Die Östlichen Provinzen der Demokratischen Republik Kongo

Die Östlichen Provinzen der Demokratischen Republik Kongo

Das Grauen packt dich unerwartet. Sobald sie die Tür öffnet. Hunderte mumifizierter Leichen von Männern und Frauen, auf Holzbrettern aufgetürmt; Zimmer, von deren Wänden der Putz abbröckelt. Die Frau geht zum nächsten Raum. „Hier sind die Kinder,“ sagt sie und schließt uns die Tür auf. Erneut ein Bild unsäglichen Grauens. Die Frau, die für diesen Ort zuständig ist, spricht von insgesamt zweitausend Leichen. Eigentlich hätte es eine Schule sein sollen. Doch das war, bevor das Morden begann. Weitere 48.000 Leichen sollen sich – so die kalte Bürokratie-Bilanz – in den nahegelegenen Massengräbern befinden. Die Frau erzählt uns, dass alles im April begonnen hat: Die Menschen aus den umliegenden Gebieten wurden zusammengetrieben und hierher, an diesen vergessenen Ort, gebracht. Ohne Nahrung, ohne Wasser. Zwei Wochen lang. Viele sind verdurstet. Die anderen hat man erschossen, mit Knüppeln erschlagen.
Wir sind in Murambi, in Ruanda, einem Land, in dem es Dutzende solcher Schreckensorte gibt. Mahnmale, wie sie das hier nennen. Errichtet zum Gedenken dessen, was als Völkermord Ruandas in die Geschichte eingegangen ist. In jenem tragischen 1994, als in 100 Tagen 800.000 Menschen eines gewaltsamen Todes starben.
Mit diesem Geruch des Todes, der uns den ganzen Tag nicht mehr loslässt, beginnt unsere Reise ins nahe gelegene Kivu, im Osten der Demokratischen Republik Kongo [später nur noch Kongo genannt, Anm.d.Red.]. Wo uns die Geschichte eines anderen Völkermords erzählt wird. Oder besser, die Nach-, bzw. Auswirkungen des Völkermords, der sich in Ruanda abgespielt hat. Viereinhalb Millionen Tote (von 1996 bis 2003) in zwei Kriegen, bei denen nicht nur Truppen aus Ruanda, Burundi und Uganda in den Kongo kamen, sondern auch die der verschiedenen hiesigen Kriegsherren. Ein Schlachten um die Kontrolle der von den multinationalen Konzernen des Westens begehrten Naturschätze; Sinnbild für die Tragödie, in die Afrika seit Jahrzehnten versunken ist. Wo die Kirche gerufen wurde, dem Herrn auch in Zeiten schwerer Prüfung nachzufolgen.

Bukavu
Die Straßen von Bukavu sind holprig, haben schon lange keinen Asphalt mehr gesehen. Die wenigen Fahrzeuge hier kommen nur im Schritt-Tempo voran. Werden links und rechts von Menschenmengen flankiert, die sich hier Tag für Tag in Bewegung setzen, in der Hoffnung, irgendwie über die Runden zu kommen. Im Kivu regnet es oft. Und das macht alles noch schwieriger; wenn der rote Boden aufweicht, finden die Räder im glitschigen Schlamm keinen Halt. Die Menschenkarawanen aber sind immer da, barfuß kämpfen sie sich durch den Morast. Dann und wann hat einer mit seinem Kleinlaster eine Panne und versucht verzweifelt, das Fahrzeug wieder in Gang zu setzen. Frauen bieten auf schlammigen Tüchern ihre armselige Ware feil.
Am Stadtrand von Panzi befindet sich das Missionszentrum der Xaverianer. Geleitet wird es von Pater Sebastiano Amato. Wer hierher kommen will, muss sich durch das am dichtesten besiedelte Viertel der Stadt kämpfen, vorbei an einem Gewirr baufälliger Holzhütten. Einige davon sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass man den Eindruck hat, dass sie schon der nächste Regenguss fortspülen wird. Was auch wirklich oft passiert. Aber die Leute wohnen trotzdem hier. Vielleicht aus Fatalismus – vielleicht aber auch, weil sie keine Alternative haben.
Pater Sebastiano erzählt uns von den vielen Hutu, die nach dem ruandischen Völkermord in den Kongo strömten. Das war im fernen 1994, als Paul Kagame Kigali erobert hatte. Menschen, die auf der Flucht waren vor der Rache der Tutsi und die als Massenmörder galten. „Man machte sie für den Völkermord verantwortlich... und es stimmt, dass unter ihnen auch jene waren, die diesen systematischen Wahnsinn ausgelöst hatten. Aber die waren in der Minderheit... In Wahrheit hat man nie genau untersucht, was tatsächlich vorgefallen war und einfach den ruandischen Hutu die Verantwortung für den Völkermord in die Schuhe geschoben. Und sich so die Rechtfertigung für die Verbrechen beschafft, die im Kongo begangen wurden.“ Diese Meinung ist hier weit verbreitet. Und war auch immer wieder aus den dramatischen Briefen herauszulesen, die der damalige Erzbischof von Bukavu, Msgr. Emmanuel Kataliko, geschrieben hat.
Kataliko, der ins Exil gehen musste und (im Heiligen Jahr 2000) eines plötzlichen Todes gestorben ist. Sein Nachfolger, Msgr. Christophe Munzihirwa, wurde am 29. Oktober 1996 ermordet, am ersten Tag der kriegerischen Auseinandersetzungen. Angriffe auf die Kirche, besonders auf die Priester, Missionare und Ordensschwestern, waren in diesem Krieg an der Tagesordnung. Teil einer Strategie, mit der man all jene zum Schweigen bringen wollte, die sich für die Unterdrückten stark machten. Pater Sebastiano war Ökonom der Diözese, als Munzihirwa umgebracht wurde. Er wird jene Tage nie vergessen. Während er sich im Hof des Zentrums mit uns unterhält, öffnet er eine kleine Tür, die nach draußen führt. Man scheint in eine Wunderwelt einzutreten: die Stadtlandschaft ist verschwunden. Aber was wir vorfinden, ist nicht das Zauberland Oz, sondern eine Welt von Hütten aus Elend und Schlamm.
Die Kinder kommen scharenweise angelaufen, rufen den Pater beim Namen, klammern sich an seine Hände. Er zeigt uns die von den Xaverianern gebaute Schule. Es ist eine große Schule, mit vielen Klassenzimmer, Schulbänken und Tafeln. Normale, und hier doch so außergewöhnliche Dinge. Frauen grüßen uns. „Zuvor war hier niemand,“ erklärt der Pater, „die Menschen kommen erst seit kurzem, und es werden jeden Tag mehr.“ Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Krieg, Hunger, das Übliche.
Nur einen Katzensprung von Panzi entfernt, im Viertel Chai (, in der Ortsprache), gibt es eine von den Xaverianern geleitete Pfarrei. Der Pfarrer, Pater Carmelo Sanfelice, musste während des Krieges ins Exil gehen, wurde beschuldigt, hinter den kongolesischen Widerstandsbewegungen zu stecken. Anschuldigungen, über die er, fast schon amüsiert, nur den Kopf schütteln kann. Er führt uns zur Kirche mit ihren zweitausend Sitzplätzen. „Wir haben tausend Katechumenen,“ berichtet er uns zufrieden. Und zufrieden über diese reiche Ernte ist vielleicht auch der Herr am Kreuz, der hier an der Wand hängt und dessen dunkles Holz fast so schwarz ist wie seine Pfarrmitglieder. Bevor er sich von uns verabschiedet, vertraut uns Pater Carmelo an, dass bei den Menschen hier wieder die traditionellen Formen der Hexerei Fuß zu fassen beginnen, nur dieses Mal in einer noch diabolischeren Form. Und das wollen wir ihm gerne glauben. Denn wie sollte man hinter all dem, was hier passiert ist, auch nicht ein Machwerk des Teufels vermuten...

2008. Lebensmittelausgabe in der Nähe von Goma. <BR>[© Associated Press/LaPresse]

2008. Lebensmittelausgabe in der Nähe von Goma.
[© Associated Press/LaPresse]

Wenig Solidarität für den Kongo
Einmal in der Woche versammeln sich die Xaverianer der Region im Mutterhaus. Pater Gianni Brentegani, der Obere des Ordens, stellt sie uns vor, erzählt uns ihre Geschichte, berichtet von den in der Mission verbrachten Jahren. Er erzählt von den Beziehungen zur afrikanischen Kirche, die so anders ist als die des Westens; davon, wie die Missionare darum bemüht waren, im Hintergrund zu bleiben, die hiesigen einem riesigen Territorium. „Zweimal im Jahr haben wir unsere Gemeinschaften besucht: auch die, die am weitesten entfernt sind (eine Zweitagesreise mit dem Motorrad). Danach kehrten wir wieder in die Mission zurück. Mit dem Krieg wurde alles komplizierter, aber wir haben sie trotzdem besucht, sobald das möglich war.“ Im Gebiet um Shabunda wüteten die gefürchteten May May, die kongolesischen Milizen, die den Invasoren am meisten zu schaffen machten. „Aber wenn wir die Mission verließen, um unsere Gemeinschaften zu besuchen, ließen sie uns immer passieren, salutierten uns mit dem Militärgruß,“ erinnert sich Pater Giuseppe. Und manchmal, wenn sich die Lage zuspitzte und der Krieg besonders grausam wütete, wurden auch die Katechisten aktiv. Manche fuhren sogar bis ins 160km entfernte Shabunda, berichtet der Missionar. Dann erzählt er, dass ihr einfaches Dableiben, das geteilte Leid der Kongolesen, den Leuten hier Hoffnung gab. Und während er uns das mit seinen so bedächtigen Worten erzählt, hat er nicht den geringsten Zweifel, dass dem auch wirklich so ist.
Don Justin Nkunzi hat starke Schultern. Und die wird er in den Jahren des Krieges auch gebraucht haben. Er ist Verantwortlicher der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der Diözese. Die Stelle des Evangeliums, die Don Justin besonders liebt, ist die, wo Jesus angesichts der hungernden Menge zu seinen Jüngern sagt: „Gebt ihnen zu essen.“ Und dann mit dem wenigen, um nicht zu sagen, dem nichts, das seine Jünger haben, ein Wunder wirkt. Aber damals wie heute, sagt er uns, ist die Kirche gerufen, angesichts der Bedürfnisse der Armen und Unterdrückten nicht gleichgültig zu bleiben. Der Krieg scheint nun der Vergangenheit anzugehören, aber Don Justin hat die Stunden des Schreckens noch gut in Erinnerung. Mit christlichem Realismus sagt er: „Die Feinde sind von dieser Welt... Besonders traurig ist es, wenn man in einer Situation, wie wir sie erlebt haben, wenig Solidarität seitens der Weltkirche erfährt...“

Kindersoldaten. [© Associated Press/LaPresse]

Kindersoldaten. [© Associated Press/LaPresse]

Die Verschleierung der Massaker
Burhale war Jahre lang ein Ort, in dem Gewaltakte an der Tagesordnung waren. Die Straße, die hierher führt, ist ein Feldweg, der sich um die Hügel bei Bukavu schlängelt. Vorbei an elenden Dörfern, deren Namen mit schrecklichen Massakern verbunden sind.
In Burhale gibt es ein Gesundheitsamt, das während des Krieges systematisch geplündert wurde. Vor kurzem konnte es seine Arbeit wieder aufnehmen, dank eines Projekts der CISS (internationale Süd-Süd-Kooperation), einer der wenigen NGOs, die hierzulande etwas in Gang bringen konnten. Finanziert wird sie vom italienischen Außenministerium, wie uns die Verantwortliche, Beatrice Luccardi, erzählt. Den Kranken in Burhale stehen jetzt auch Ärzte und Krankenschwestern zur Verfügung. Die Schwestern sind die Töchter von Maria Königin der Apostel; von ihnen werden wir durch die Zimmer geführt, vorbei an den Betten, in denen nun wieder Patienten liegen. Nur wenige Meter von hier entfernt befindet sich auch eine von ihnen geleitete Schule; im Hof spielen trotz der heißen Mittagssonne ein paar Kinder. Im Zentrum des großen Marktplatzes steht eine Kapelle mit einer Marienstatue. Die Schwestern berichten von dem, was sie hier erlebt haben; von den in den umliegenden Dörfern verübten Gewalttaten, bei denen auch Don Jean-Claude den Tod fand. „Sie haben auch eine unserer Schwestern ermordet,“ sagt eine der Schwestern traurig. Und bittet uns, auch für die Verantwortlichen dieser Gräueltaten zu beten.
Der Mord an Don Jean-Claude hat die ganze Diözese erschüttert. „Wir waren schon seit unserer Jugend befreundet,“ weiß Don Justin zu berichten. „Sind zusammen Priester geworden... hier betrachten ihn alle als Märtyrer – ebenso wie Msgr. Munzihirwa oder Kataliko. An seinem Todestag findet an dem Ort, wo er gestorben ist, eine Meßfeier statt.“
Der Krieg hat unter den Priestern und Schwestern viele Todesopfer gefordert. Pater Francesco Saverio Bashi, Pfarrer in der Pfarrei Unsere Liebe Frau Mittlerin der Gnade auf der Insel Idjwi (der größten im Fluss Kivu), zeigt uns ein Buch, in dem Dutzende von ihnen abgebildet sind: Ein Rosenkranz von Namen und Daten; Dingen, die uns Menschen aus dem Westen unbekannt und der hiesigen Bevölkerung hier doch so teuer sind. Über das, was hier passiert, konnte nur wenig durchsickern, hat man sich doch immer bemüht, so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.
Wie uns Jean Moreau erklärt, war diese Verschleierungstaktik während des Krieges mehr als üblich. Moreau ist Präsident einer von Msgr. Munzihirwa gewollten Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte. „Das Umland von Bukavu ist voller Massengräber,“ fährt er fort. Er wurde selbst mehrfach bedroht, und mit ihm auch Mitarbeiter seines Büros. Die Vereinigung hat ihre Arbeit dennoch fortgesetzt, dem Vermächtnis des Bischofs treu. „Wenn man durch Bukavu geht,“ erklärt sie uns, „kann man an Hausmauern gelehnte Blumensträuße sehen. Hier in der Stadt hat man nämlich über den Massengräbern einfach Häuser gebaut...“ Manche behaupten, dass die Leichen der ermordeten Kongolesen in das Mahnmal in Ruanda gebracht wurden und nun diese Schreine des Elends mit Knochen füllen. Wahrscheinlich nur Legenden, aber viele Leute hier glauben das tatsächlich...

2008. Ein Flüchtlingslager in der Nähe von Goma. <BR>[© Afp/Grazia Neri]

2008. Ein Flüchtlingslager in der Nähe von Goma.
[© Afp/Grazia Neri]

Die Lava von Goma
Seit der nahegelegene Vulkan im Januar 2002 ausbrach und seine Lava fast über die ganze Stadt erbrochen hat, ist Goma schwarz. Die Spannung ist hier größer als andernorts, Ruanda viel zu nah. Angst liegt in der Luft. Vor seiner Verhaftung im Januar dieses Jahres hat Laurent Nkunda Tod und Schrecken verbreitet. Ein letztes Aufflackern des Krieges, zumindest bis jetzt...
In Goma arbeitet Luisa Flisi, eine Laien-Missionarin, die von einem Programm für Aids-Kranke erzählt. Ein Programm, das dank der Arbeit von Françoise vorangetrieben werden konnte, einer der ersten HIV-Infizierten, die hier Hilfe fand. „Inzwischen haben wir 500 Patienten... auch ca. hundert Kinder, die schon HIV-infiziert geboren wurden.“ Jahre lang hat sich ihr Weg mit dem eines Missionars der besonderen Art gekreuzt: Pater Silvio Turazzi. Der Xaverianer kam im Rollstuhl nach Afrika. „Für die Mission braucht man keine Beine, sondern Herz,“ kommentiert Luisa und berichtet von den vielen Wohltätigkeitswerken, die dieser beherzte Mann ins Leben rufen konnte.
Luisa war dabei, als sie Don Richard Bimeriki ermordet haben. Das war vor ca. zwei Jahren; sie kann sich noch genau erinnern. Die Militärs der RCD (Rassemblement Kongolais pour la démocratie) befahlen ihm, sich auf den Boden zu legen und haben kaltblütig auf ihn geschossen. „Er ist im Krankenhaus gestorben. Das war zu Ostern,“ erzählt sie.
Am anderen Ende von Goma befindet sich das Seminar der Caraccioliner. Als wir ankommen, ist die Andacht gerade zu Ende; die Jungen haben sich vor der Kirche versammelt. Einige von ihnen stimmen ein Lied des hl. Francesco Caracciolo an, ihres Ordensgründers. Pater Tommaso Barbona ist schon seit Jahren hier; er arbeitet auch in der Mission von Nyamilima, im Landesinnern. Das Seminar, das er uns zeigt, ist wunderschön; der Garten führt bis an den See. Aber das, was dem Herrn am meisten gefällt, sind sicherlich die dreißig Seminaristen, die hier ausgebildet werden. Wir können sie beobachten, wie sie in Bücher oder in ein stummes Gebet versunken sind.
Heute ist ein Festtag. Aus Rom ist Pater Raffaele Mandolesi gekommen, der Ordensobere, der mit Pater Tommaso Jahrzehnte lang in der Mission in Nyamilima gearbeitet hat. Pater Raffaele erzählt von einem seiner Katechisten, der nicht mit den anderen aus dem Dorf geflohen ist, weil er über die Eucharistie wachen wollte. Und wenn der Glaube auch diese Tage des Hasses überstanden hat, dann ist das auch auf solche Dinge zurückzuführen.
Pater Tommaso fährt uns zurück, wie immer im Schritt-Tempo, und während das Fahrzeug über die pulvrige Vulkanerde rollt, berichtet er uns von Nyamilima: 25 Schulen, zwei Kindergärten, sechs Oberschulen, sechs Armenapotheken, ein Krankenhaus. Zahlen eines blühenden Werkes der Wohltätigkeit. Dem auch Nkunda nichts anhaben konnte.

2008.  Flüchtlinge in der Nähe von Goma. [© Afp/Grazia Neri]

2008. Flüchtlinge in der Nähe von Goma. [© Afp/Grazia Neri]

Hier bin ich, sende mich aus
Am meisten haben die Salesianer die Gewalt hier in Goma zu spüren bekommen. Im Januar wurde eines ihrer Zentren überfallen, manche wurden brutal zusammen geschlagen. „Banditen,“ bemerkt Don Mario Perez knapp, der Leiter des Don-Bosco-Zentrums von Ngangi, der uns zeigt, welches Wunder die Salesianer hier am Rande eines der ärmsten Stadtviertel gewirkt haben. Labors, Berufs- und Grundschulen, in denen ein bewundernswerter Eifer spürbar ist. Dann noch ein Zentrum für unterernährte Kinder, ein Ambulatorium... Die Krise Nkundas hat zwei Millionen Flüchtlinge geschaffen. Einige Tausende davon lagern noch immer vor den Toren des Zentrums in Ngangi, wo bereits viele Aufnahme finden konnten: ganze Familien, die nichts weiter besitzen als ein bisschen Plunder, den sie in ein Tuch eingewickelt mit sich tragen. Dann noch 5.000 Waisenkinder, die man auf der Straße, in den umliegenden Gebieten aufgegriffen hat. Einige sind ehemalige Kindersoldaten. Manche von ihnen mussten ins Zentrum für unterernährte Kinder gebracht werden, wo sie mit dem Tod ringen. Für alle hat Don Perez ein Lächeln übrig, eine zärtliche Geste. Er ist kein Mann großer Worte. Und doch hat sich gerade dieser Priester in der Zeit des Schreckens, des Terrors und des Todes nicht gescheut, die Welt lautstark auf das aufmerksam zu machen, was hier passiert ist. Und sein Appell ist nicht auf taube Ohren gefallen. Zumindest nicht beim Herrn, wenn man nach dem urteilt, was wir hier in diesem Zentrum am Stadtrand von Goma sehen können.

Von Goma nach Bukavu
Heute ist der 11. Februar, Fest Unserer Lieben Frau in Lourdes. Die Messe wird in einem Aufnahmezentrum gefeiert, das eine Laienschwester ins Leben rufen konnte: Natalina Isella. Hier nimmt sie Straßenkinder auf; versucht, ihnen wieder ein normales Leben zu geben. Ein neues Phänomen, wie sie uns erklärt. Früher waren die afrikanischen Familien in der Lage, sich auch um fremde Kinder zu kümmern, die ihre Eltern verloren haben. Heute sind sie das nicht mehr. Eines der vielen „Vermächtnisse“ des Krieges...
Die Messe wird im afrikanischen Stil gefeiert, mit rhythmischen Gesängen. Einige davon sind wirklich wunderschön. Manche der Mädchen tragen ein Kopftuch – Überbleibsel irgendeiner kirchlichen Zusammenkunft auf italienischem Boden. Es ist orange, und trägt die Aufschrift: „Hier bin ich, sende mich aus.“ Und da wird einem schlagartig klar, dass dieses Zeugnis, diese Mission, nichts anderes ist als ein einfaches Mädchen, das vor Jesus steht. Heute wie früher, Bernadette vor Maria.
Auf einmal ist all der Schrecken nur noch Erinnerung. Und das Paradies ist konkreter und näher. Auch hier, wo jemand die Hölle entfacht hat.


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