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KIRCHE
Aus Nr. 08 - 2009

Interview mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires.

Wir sind nicht Herr über die Gaben des Herrn



Interview mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio von Gianni Valente


Die Priester von Buenos Aires, die „alles in ihrer Macht Stehende“ tun, um ihren Mitbürgern das erste der Sakramente nahezubringen, können mit der Unterstützung ihres Erzbischofs rechnen. Für Kardinal Jorge Mario Bergoglio ist es das, was zählt.

Kardinal Jorge Mario  Bergoglio begrüßt die Gläubigen beim Heiligtum des hl. Kajetan (Buenos Aires, 7. August 2009).

Kardinal Jorge Mario Bergoglio begrüßt die Gläubigen beim Heiligtum des hl. Kajetan (Buenos Aires, 7. August 2009).

In Buenos Aires haben Pfarrer Initiativen ergriffen, die zum Taufempfang anregen sollen. Aus welchem Grund?
JORGE MARIO BERGOGLIO: Die Konferenz des lateinamerikanischen Episkopats 2007 in Aparecida hat uns daran gemahnt, das Evangelium zu verkünden, indem wir zu den Leute gehen – also nicht in der Kurie oder im Pfarrhaus sitzen bleiben und darauf warten, dass sie zu uns kommen. Im drittletzten Absatz verweist das Dokument von Aparecida auf das vor 30 Jahren veröffentlichte Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi von Paul VI. Darin wurde der „apostolische Eifer“ als „süße und tröstliche Freude am Evangelisieren“ beschrieben; ist von der „Freude“ die Rede, „eine Frohbotschaft zu verkünden, die wir dank der Barmherzigkeit des Herrn erfahren haben.“ Aber das tun wir nicht, indem wir Initiativen oder außergewöhnliche Ereignisse planen. So heißt es in Evangelii nuntiandi beispielsweise: „Wenn der Sohn gekommen ist, dann um uns durch sein Wort und sein Leben die gewöhnlichen Wege des Heils aufzuzeigen.“ Das Gewöhnliche eben, das im Missionsbereich zu tun ist. Beispielsweise das Taufen. Ich glaube, dass das der Geist war, der die Pfarrer von Buenos Aires beseelt hat.
Sind Sie der Meinung, dass diese Erleichterung der Taufe an bestimmte, auch örtliche Situationen gebunden ist, oder gilt dieses Kriterium für alle?
BERGOGLIO: Das Bemühen, die Taufe und den Empfang der anderen Sakramente soweit wie möglich zu erleichtern, betrifft die ganze Kirche. Wenn die Kirche ihrem Herrn folgt, geht sie aus sich selbst heraus. Und sie tut das mit Mut und Barmherzigkeit: sie bleibt nicht in ihrer Selbstbezogenheit gefangen. Der Herr bewirkt eine Veränderung in dem, der ihm treu ist; er lässt ihn über sich selbst hinausblicken. Das ist Mission, das ist Zeugnis.
In dem von der Diözese Buenos Aires herausgegebenen Leitfaden zur Taufe wird auf die mögliche Kritik geantwortet, dass die Sakramente nicht „verschleudert“ werden dürfen und man an der erforderlichen Vorbereitung und Grundeinstellung festhalten muss. Sind solche Kritiken berechtigt?
BERGOGLIO: Keine Verschleuderung und auch kein Tauschhandel. Die Pfarrer halten sich an die Anweisungen der Bischöfe der Seelsorgeeinheit Buenos Aires, die wiederum mit dem im Einklang stehen, was der Codex des kanonischen Rechtes vorsieht. Und dort steht das Entscheidende im letzten Kanon: oberstes Gebot ist das Seelenheil.
Ist es Ihrer Meinung nach gerechtfertigt, die Taufe zu verweigern, wenn die Eltern nicht kirchlich verheiratet sind?
BERGOGLIO: Das würde bei uns bedeuten, dass man den Menschen die Tore der Kirche verschließt. Das Kind trägt keine Verantwortung für die Ehe seiner Eltern. Und oft wird die Kindstaufe auch für die Eltern zum Neuanfang. Normalerweise hält man eine kleine Katechese vor der Taufe: das dauert ca. eine Stunde. Dann eine mystagogische Katechese während der Liturgie. Dann statten die Priester und Laien diesen Familien ihren Besuch ab, um die Seelsorge nach der Taufe mit ihnen fortzusetzen. Oft kommt es auch vor, dass die Eltern, die nicht kirchlich verheiratet waren, dann doch noch den Wunsch äußern, gemeinsam vor den Altar zu treten.
Manche kirchlichen Amtsträger und Pastoralhelfer gebärden sich fast wie „Herren“, so als läge es in ihren Händen, ob sie jemandem die Sakramente spenden wollen oder nicht.
BERGOGLIO: Die Sakramente sind Gesten des Herrn und keine Errungenschaften der Priester oder Bischöfe. In unserem riesigen Land gibt es viele kleine Städte oder Dörfer, die nur schwer erreichbar sind und die oft nur ein- oder zweimal im Jahr einen Priester sehen. Aber die Volksfrömmigkeit ist so stark ausgeprägt, dass man die Kinder so bald wie möglich taufen will. Es gibt an diesen Orten also immer einen Laien oder eine Laiin, die als bautizadores fungieren und die neugeborenen Kinder taufen, solange kein Priester da ist. In diesem Zusammenhang muss ich immer an die verblüffende Geschichte der christlichen Gemeinschaften Japans denken, die länger als zweihundert Jahre keinen Priester mehr hatten. Als die Missionare zurückkehrten, waren inzwischen alle getauft, kirchlich verheiratet, alle Verstorbenen christlich begraben. Diese Laien hatten nur die Taufe erhalten und kraft ihrer Taufe auch ihre apostolische Sendung gelebt.
Viele sind der Meinung, dass der sakramentale Ritus ohne das nötige Bewusstsein und die nötige Vorbereitung Gefahr läuft, etwas „Magisches“, Mechanisches zu werden. Was meinen Sie dazu?
BERGOGLIO: Niemand denkt, dass man auf die Katechese verzichten darf, dass Kinder auf die Firmung und die Erstkommunion vorbereitet werden müssen. Man muss die Menschen hier aber immer so sehen, wie sie sind, und erkennen, was für sie am Wichtigsten ist. Die Sakramente sind für das Leben der Männer und Frauen so, wie sie sind. Sie reden vielleicht nicht viel, haben aber doch einen sensus fidei, der die Realität der Sakramente mit größerer Klarheit erfasst als viele Experten.
Können Sie uns aus Ihrer pastoralen Erfahrung eine Episode berichten, in der sich dieser sensus fidei zeigt?
BERGOGLIO: Erst vor ein paar Tagen habe ich sieben Kinder getauft. Die Mutter ist eine arme Witwe, die sich als Haushälterin den Lebensunterhalt verdient; ihre Kinder sind von zwei verschiedenen Männern. Ich bin ihr jedes Jahr am Fest des hl. Kajetan begegnet. Pater, ich lebe in Todsünde – hat sie zu mir gesagt – ich habe sieben Kinder, und habe sie nie taufen lassen. Ich hatte kein Geld, um einen Taufpaten kommen zu lassen, und ich hätte mir auch keine Tauffeier leisten können. Ich habe immer hart arbeiten müssen… Ich habe ihr vorgeschlagen, uns darüber zu unterhalten. Wir haben miteinander telefoniert, und dann ist sie zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass sie niemals sieben Taufpaten zusammenbringen könne… Letztendlich habe ich folgenden Vorschlag gemacht: wir brauchen nur zwei Taufpaten, stellvertretend für alle anderen. Sie sind alle hierher gekommen, und nach einer kurzen Katechese habe ich die Kinder im erzbischöflichen Palast getauft. Nach der Feier