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CHINA
Aus Nr. 12 - 2009

Der Fall Baoding und der Brief des Papstes


Die wahre Geschichte Francis An Shuxins. Eines Bischofs, der zehn Jahre Gefangener der Kommunisten war, sich von katholischen Nachrichtenagenturen und seinen Brüdern im Glauben verunglimpfen lassen musste, und der selbst den Vatikan manchmal in Verlegenheit gebracht hat. Eine Geschichte, die auch zeigt, dass oft keine große Bereitschaft bestand, die pastoralen Hinweise aufzunehmen, die Benedikt XVI. in seinem Brief an die Katholiken in China gegeben hat.


von Gianni Valente


Gläubige nach der Messe vor der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis (Nantang) in Peking. <BR>[© Associated Press/LaPresse]

Gläubige nach der Messe vor der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis (Nantang) in Peking.
[© Associated Press/LaPresse]

Baoding ist sowohl über die Autobahn als auch mit der Eisenbahn leicht zu erreichen. Es liegt knapp 150 km südlich von Peking. Die umweltverschmutzenden Fabriken sind schon lange geschlossen. Jetzt setzt man auf die Herstellung von Windturbinen und andere Methoden, die die Energie von Sonne, Wind und Biomasse nutzen. Das ist auch der Grund, warum die regierungstreue Presse Baoding als Paradestadt der erneuerbaren Energie preist, als Musterbeispiel für den chinesischen Run auf die nachhaltige Entwicklung. Aber auch für jene, die einen Teil der jüngsten Geschichte der Katholiken in China kennen, ist Baoding kein Ort wie jeder andere. Wenn auch aus anderen Gründen als den oben genannten.
Die Stadt Hebei, die derzeit knapp eine Million Einwohner zählt, taucht auch in den Berichten über die chinesische Katholizität der jüngeren Zeit immer wieder auf. Sie gilt als Epizentrum heikler und kontroverser Episoden. So war es beispielsweise hier in Baoding, wo Bischof Joseph Fan Xueyan schon 1981„Untergrund“-Bischöfe zu weihen begann und sich der Kontrolle der patriotischen Organismen entzog, die das Regime der Kirche aufdrängen wollte. Eine folgenschwere Entscheidung, die Papst Wojtyla post factum autorisiert hat. So konnte rasch ein ganzes Netz von Untergrund-Bischöfen entstehen, die nicht akzeptieren konnten, dass das kirchliche Leben der Kontrolle der Partei unterstellt sein sollte und die folglich auch nicht von der Regierung anerkannt wurden.
Dreißig Jahre später steht Baoding nun erneut im Mittelpunkt einer Kontroverse, die in gewisser Weise an den Fall Joseph Fan erinnert. Dieses Mal geht es um einen Bischof aus dem Untergrund-Bereich, der beschlossen hat, sein pastorales Amt in der Öffentlichkeit auszuüben und die Bedingungen der zivilen Autoritäten zu akzeptieren. Ein Beschluss, der in der katholischen Gemeinschaft der Region bittere Polemik auslöst, die nicht einmal vor dem Vatikan Halt machte. Die Episode ist nicht sehr klar, und bisher haben die lückenhaften und parteiischen Rekonstruktionen, die von wenig serösen Presseagenturen und Möchtegern-Experten im Internet verbreitet wurden, nur noch mehr Verwirrung gestiftet. Zwei Dokumente aber, die die westlichen Presseagenturen noch heute ignorieren, können Licht darauf werfen, was wirklich vorgefallen ist. Sie zeigen, welch weitreichende Verwicklungen dieser sehr komplexe Fall mit sich bringt.

Der Bischof von Baoding, Francis An Shuxin. [© Ucanews]

Der Bischof von Baoding, Francis An Shuxin. [© Ucanews]

Eine schlecht erzählte Geschichte
Hebei war schon immer eines der chinesischen Gebiete mit der größten Zahl von Katholiken. Und Baoding gilt seit der Zeit des verstorbenen Bischofs Fan – dessen Leichnam seiner Familie im April 1992 von der Polizei zurückerstattet wurde – als eine der Hochburgen der sogenannten Untergrund-Gemeinschaften.
Der 60-jährige Francis An Shuxin, einer der Protagonisten jener turbulenten Zeit, ist ein geistlicher Sohn Joseph Fans. Er übte sein Priesteramt in den sogenannten Untergrund-Strukturen und Gemeinschaften aus, die nicht bei den Regierungsorganen registriert sind. 1992 wurde er sogar „Untergrund“- Weihbischof von Baoding. Das ist auch der Grund, warum er zehn Jahre in Haft und strenger Isolation verbringen musste (von 1996 bis 2006). Im August vor drei Jahren wurde er befreit und konnte sein Pastoralamt wieder ausüben. Nun nicht länger im Untergrund.
Über den von Francis An eingeschlagenen Weg schieden sich die Geister, und man hat ihn auch im Untergrundbereich seiner Diözese nicht immer verstanden. Im Laufe der Zeit wurde aus der Ablehnung einiger Priester und Gläubiger, denen schon seine Haftentlassung ein Dorn im Auge war, offene Feindseligkeit. Man bezichtigte den Bischof des Verrats, ja sprach ihm sogar die bischöfliche Autorität ab. Westliche Presseagenturen listeten im Internet alle Vorwürfe auf, die angeblich beweisen, dass An vom rechten Weg abgekommen sei. Beispielsweise seinen Beschluss, mit dem „offiziellen“ Bischof von Baoding, John Su Changshan (der zwar von der Regierung anerkannt wird, nicht aber vom Apostolischen Stuhl), die Messe zu konzelebrieren. Besonders angekreidet hat man ihm die Übernahme von Ämtern in der Patriotischen Vereinigung der Diözese, dem von der kommunistischen Partei inspirierten hybriden Organ, das die chinesische Kirche kontrollieren soll. Über den Verbleib des Untergrund-Bischofs von Baoding, Jacob Su Zhimin, der von den patriotischen Polizei-Apparaten 1996 in Gewahrsam genommen wurde, ist nichts bekannt. Zu allem Übel haben die unerbittlichsten Kritiker Ans nun auch den Apostolischen Stuhl mit hineingezogen. Es wurden Mutmaßungen über den Druck laut, den die Kongregation Propaganda Fide auf den Bischof ausgeübt haben soll, damit er den Untergrund verlässt und mit den politischen Autoritäten zusammenarbeitet.
Dank der Schwarz-Weiß-Malerei der Presseagenturen und Blogs läuft das Ganze nun Gefahr, zu einem Fall von plattem Opportunismus abgestempelt zu werden: Dem eines Geistlichen, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt, mit dem Gegner kollaboriert und mit undurchsichtigen vatikanischen Beamten unter einer Decke steckt, die sich naiv geben. Aber ist es tatsächlich so gewesen?

Die Kathedrale von Baoding. [© Ucanews]

Die Kathedrale von Baoding. [© Ucanews]

Dokument Nr. 1. Die Befragung der Untergrundbischöfe
Die detaillierteste Rekonstruktion der Ereignisse stammt aus einer Quelle, die bekanntlich keine großen Sympathien für Bischof An hegt.
Gemeint ist ein Gespräch, das der Bischof Ende November mit einem chinesischen Priester geführt hat. Letzterer hat es Mitte Dezember letzten Jahres gegen Ans Willen auf der Internetseite der Untergrundszene der Kirche (www.ccccn.org) veröffentlicht. Besagtes Interview (das im kompletten Wortlaut in italienischer Sprache unter „www.30giorni.it“ eingesehen werden kann) nimmt manchmal fast inquisitorische Züge an, die das geduldige Zeugnis von Bischof An allerdings nur noch beeindruckender hervortreten lassen. So berichtet er, bereits im Jahr 2000 eine Kursänderung bei den politischen Funktionären festgestellt zu haben, die er zur Zeit seiner Isolationshaft kennengelernt hat. Damals „haben auch sie zu sagen begonnen, dass man dem Papst gehorchen müsse, weil es sonst keine katholische Kirche mehr gäbe. Denn man gehorcht dem Papst im Glauben, in der Disziplin und in der Lehre.“ Besagte Funktionäre beharrten zwar auf einer politischen und administrativen Kontrolle der Leitung der Kirche, fügten aber an, dass „die Verwaltung, die uns vorschwebt, nicht – wie ihr meint – heißt, dass wir die Glaubensinhalte verwalten wollen. In eure Glaubensangelegenheiten können wir nicht eingreifen.“
In besagtem Interview erklärt An, dass ihn nicht die Parteifunktionäre davon überzeugt hätten, sein Untergrund-Dasein aufzugeben. Viel überzeugender wären Fakten und Nachrichten gewesen, die einige Klischees ausgeräumt haben, die auch sein eigenes Urteil über die Kirche Chinas beeinflusst hatten. waren: Als die Formulare unterzeichnet werden sollten, mit denen man – wie für den Klerus von Hebei vorgesehen – den „Bischofsschein“ bekommt, hat er es vermieden, den Abschnitt über die Selbstwahl der Bischöfe zu unterschreiben und stattdessen unter den unterzeichneten Teil eine wichtige, erklärende Note angefügt („unter der Voraussetzung, dem katholischen Glauben nicht zuwiderzuhandeln“). Unter jene Stelle nämlich, wo von den Prinzipien der Selbstverwaltung und Unabhängigkeit der chinesischen Kirche die Rede war. Die Regierungsbeamten haben ihn dann gebeten, zur Demonstration der Einheit mit dem offiziellen Bischof von Baoding die Messe zu konzelebrieren. Diese Konzelebration, die seine Kritiker als Beweis für den vermeintlichen skandalösen Verrat anprangerten, kam laut An in vollem Einklang mit den kanonischen Normen zustande, die die sakramentale Gemeinschaft mit den illegitimen Bischöfen verbieten: „Ich habe mit Su Changshan konzelebriert, weil Su beim Hl. Stuhl oft um seine Legitimierung angesucht hat, obwohl er wusste, dass ihn der Heilige Stuhl gar nicht legitimieren konnte. Immerhin waren in Baoding noch der legitime Bischof Su Zhimin und ich selber tätig. Der Hl. Stuhl antwortete Su Changshan, dass man ihm nicht erlauben könnte, sein Bischofsamt auszuüben, er aber als Priester wirken dürfe. Natürlich habe auch ich damals überlegt, wie man es vermeiden könnte, das Prinzip der sakramentalen Gemeinschaft zu verletzen. Das war auch der Grund, warum wir beide bei der Konzelebration weder Paramente noch Bischofsinsignien getragen haben.“
Zum Schicksal von Msgr. Su Zhimin befragt, erklärt An, nichts über den Verbleib des ordentlichen Bischofs der Diözese zu wissen; er kann sich aber gut daran erinnern, dass „Bischof Su Zhimin Anfang 1996 oder Ende 1995 nicht länger im Untergrund tätig sein wollte, und ich selbst es ihm verboten habe.“ An erzählt auch, vor einigen Monaten das Amt des Vizepräsidenten der lokalen Patriotischen Vereinigung angenommen zu haben, wobei er seine Disponibilität „nur mündlich“ erklärt hätte, also ohne dem „patriotischen“ Organismus beigetreten zu sein. Auf den Hinweis seines Interviewpartners, ob es ihm denn nicht klar sei, einen Verstoß gegen die Prinzipien begangen zu haben, als er ein Amt von einer Vereinigung angenommen hat, die sich über die Kirche stellt, antwortet An mit entwaffnender Offenheit: „Wenn ein Diözesanbischof ein Amt von der Patriotischen Vereinigung annimmt, muss man darauf achten, ob er dabei dem Glauben entsprechend handelt oder nicht. Auch uns erscheint es ein wenig widersprüchlich, dass manche Bischöfe vom Papst anerkannt worden sind, als sie noch Ämter in der Patriotischen Vereinigung inne hatten. In Wahrheit ist das aber kein Widerspruch. Der Papst hat zwar die Bischöfe anerkannt, nicht aber die Patriotische Vereinigung. Und die Bischöfe nehmen das Amt nur an, damit sie ihre Diözesen besser leiten können.“ Bischof An erklärt, nur das getan zu haben, was er bereits in anderen Diözesen beobachten konnte. Diözesen, in denen Bischöfe seit Jahrzehnten den von den patriotischen Apparaten auf das Leben der Kirche ausgeübten Druck ausschalten, indem sie einfach selbst die Kontrolle über diese Organismen übernehmen. An erklärt, lediglich die Absicht gehabt zu haben, die „anomale Leitung der Diözesen“ zu verhindern, wo das Fehlen von Ordnung „nicht anderen zuzuschreiben ist, sondern uns selbst.“ Er wollte, dass „die Gläubigen ganz normal in die Kirche gehen können.“
Der Bischof ist sich bewusst, „gewisse Risiken eingegangen zu sein.“ Aber er hat das Gefühl, mit den vom Apostolischen Stuhl ergangenen Hinweisen im Einklang zu stehen, und das ist ihm ein großer Trost: „Ich folge lediglich der Linie des Hl. Stuhls und handle auch danach. Im Jahr 1996 konnten die Gläubigen [der beiden Bereiche, dem „Untergrund“ und dem von den politischen Autoritäten anerkannten, Anm.d.Red.] nicht einmal gemeinsam beten, und das hat großen Schaden angerichtet… Es gab einmal eine Zeit, in der man in der Diözese Baoding glaubte, dass die selbsternannten und selbstgeweihten Bischöfe bestraft werden müssten, dass sie einer schismatischen Kirche angehörten, und dass die von ihnen gespendeten Sakramente Probleme aufwerfen würden. Später habe ich dann erfahren, dass mehr als 80% dieser Bischöfe vom Papst anerkannt worden sind...“ An erklärt auch seine sofortige Bereitschaft, zurückzutreten, „falls der Hl. Stuhl mir sagt, dass das, was ich getan habe, nicht in Ordnung ist.“
In Wahrheit hat der Hl. Stuhl schon 2006 eine Reihe von Dokumenten nach Baoding geschickt, in denen dem Bischof, der den Untergrund aufgegeben hatte, die legitime Autorität zuerkannt wird, die Diözese zu verwalten. Aber diese päpstlichen „Bescheinigungen“ wurden von den Priestern, denen die Ernennung Ans ein Dorn im Auge war, einfach ignoriert. Und das sogar mit derart an den Haaren herbeigezogenen Begründungen wie dem angeblichen Fehlen von Stempeln oder Unterschriften, weshalb die aus Rom geschickten Dokumente ungültig seien. Als dann aus dem Vatikan der Brief einging, mit dem An vom Weihbischof zum Bischofskoadjutor ernannt wurde – eine weitere Bestätigung seiner bischöflichen Autorität –, zeigte er ihn seinen Kritikern und erzählt, dass seine Gegner nun „zwar keine Zweifel mehr anmelden konnten, aber es trotzdem nicht akzeptieren wollten.“ Ihrer Meinung nach ist An, der sich angeblich den Forderungen der politischen Beamten und der patriotischen Apparate gebeugt hat, nicht würdig, Bischof zu sein. Und das haben sie auch in den Briefen geschrieben, die schon zu Beginn der Querele in den Vatikan geschickt wurden.

Betende Gläubige vor der Krippe in einer Kirche in Qingdao, in der chinesischen Provinz Shandong. <BR>[© Corbis]

Betende Gläubige vor der Krippe in einer Kirche in Qingdao, in der chinesischen Provinz Shandong.
[© Corbis]

Der Brief von Propaganda Fide
Auf dem Gipfel der Polemik behaupteten einige Presseagenturen unter Berufung auf anonyme, mit Baoding und dem Vatikan zusammenhängende Quellen, Bischof An hätte den Untergrund auf Druck der Kongregation für die Evangelisierung der Völker hin verlassen. Am 3. November dementierte das vatikanische Dikasterium, das sich mit den chinesischen Kirchensprengeln befasst, mit einer ebenso ungewöhnlichen wie kategorischen Note diese Behauptung. Einer Note, die von der Agentur Fides veröffentlicht wurde.
In Wahrheit hat der Hl. Stuhl keinen Druck ausgeübt, sondern sogar mehrfach die legitime Autorität Bischof Ans bekräftigt und auch seine Person mehrmals schriftlich verteidigt. Besonders unmissverständlich ist ein Brief vom 29. Juni 2008 an die Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen der Diözese Baoding. Unterzeichnet hat ihn Kardinal Ivan Dias, Präfekt der Kongregation Propaganda Fide. Das Dokument wurde auch auf der Internetseite „www.ccccn.org“ veröffentlicht und ist im vollständigen Wortlaut (in italienischer Sprache) bei „www.30giorni.it“ zu lesen (übersetzt aus dem Chinesischen).
Das lange Schreiben ist gespickt mit Verweisen auf den Hirtenbrief, den Benedikt XVI. im Juni 2007 an die Katholiken in China geschrieben hat. Einen Text, der auf dem Weg der Aussöhnung als richtungsweisend empfohlen wird. Jene Teile, in denen von der besonderen Situation in Baoding die Rede ist, sind unmissverständlich. Dias teilt der Diözese mit, „welches Glück es ist, Jacob Su Zhimin und dessen Koadjutor Francis An Shuxin als legitime Bischöfe zu haben – wenngleich sich ersterer auch noch in Haft befindet, sein Amt also nicht ausüben kann.“ Der Kardinal schreibt, dass alle, „ohne Ausnahme“, die Pflicht haben, die beiden als legitime Bischöfe der Diözese Baoding anzuerkennen und sie sowohl konkret als auch spirituell zu unterstützen, „vor allem unter den derzeit für ihre Hirtensendung so schwierigen Gegebenheiten. Die im Brief des Papstes vertretene traditionelle Linie ‚nihil sine episcopo‘ (Nr. 10, §9) hat weiterhin Gültigkeit.“ Der Präfekt von Propaganda Fide bestätigt, dass „Papst Benedikt XVI. und der Hl. Stuhl über das, was Bischof Francis An Shuxin seit seiner Entlassung aus der Haft getan hat, gut informiert sind.“ Außerdem ist – wie Dias schreibt – allgemein bekannt, dass der Bischof „durch seine mehr als 10 Jahre Gefängnis Zeugnis abgelegt hat für seine Treue zu Christus und zur Kirche“, wobei er stets, „das Wohl der Kirche im Auge habend, in aller Aufrichtigkeit und mit dem besten Willen“ gehandelt habe. Spekulationen über die von dem Bischof unternommenen Schritte oder Kritik an denselben weist er entschieden zurück: „Alle müssen wissen, dass der Bischof vom Hl. Stuhl geschätzt wird und sein volles Vertrauen genießt. Daher darf sich niemand erlauben, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln oder sich seiner Autorität zu widersetzen, indem er vorschnelle Urteile fällt, die die Gläubigen verunsichern. Das ist nicht nur ein gefundenes Fressen für die Feinde der Kirche, sondern zeigt auch einen bedenklichen Mangel an Liebe Gott und der Kirche gegenüber.“
Deutliche Worte, die die Angelegenheit in ihrer tatsächlichen, wenn auch paradoxen Dimension zeigen: Ein legitimer, in voller Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom stehender Bischof wird von einem Teil seines Klerus abgelehnt und bezichtigt, dem Hl. Stuhl nicht treu genug zu sein.

Gläubige bei der Christmette in der katholischen Kirche Xishiku (Peking). [© AFP/Getty Images]

Gläubige bei der Christmette in der katholischen Kirche Xishiku (Peking). [© AFP/Getty Images]

Der „konfuse“ Papst und der heimlich gelesene Brief
In einem unlängst von der Agentur UCANEWS veröffentlichten Interview weiß Bischof An zu berichten: „Nach meiner Befreiung im Jahr 2006 weigerte ich mich, der Patriotischen Vereinigung beizutreten. Als ich den Brief des Papstes gelesen hatte, habe ich meine Meinung dann aber geändert.“ An erzählt wichtige Details darüber, wie der Papstbrief von den Katholiken in China aufgenommen wurde: „Nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2007 haben viele Priester [aus den Reihen der Kritiker, Anm.d.Red.] den Gläubigen verboten, den Hirtenbrief zu lesen, weil der Papst – wie sie es nannten – ‚konfus‘ sei. Sie wollen nicht, dass sich die Leute mit dem Brief befassen, und das allein ist schon ein Problem […]. Als diese Priester dann erfahren haben, dass die Schwestern der Diözesan-Kongregation den Brief heimlich gelesen hatten, hat das ziemlichen Staub aufgewirbelt.“
Der von Benedikt XVI. an die Katholiken in China geschriebene und am 30. Juni 2007 veröffentlichte Brief ist das bisher wichtigste Dokument, das der Apostolische Stuhl an die Kirche in China geschickt hat. Viele behaupten aber weiter, der Brief wäre nicht klar genug und würde verschiedene, ja sogar gegensätzliche Interpretationen konkreter, delikater Fragen möglich machen. Fragen wie jene, die die Beziehung zwischen Kirche und ziviler Macht betreffen. Im November vergangenen Jahres erschien ein in Frage/Antwort-Form gehaltenes Kompendium zum Brief des Papstes, das Zens Meinung nach Punkte enthielt, die einer Monosemierung bedurften. Und da war es dem 78-jährigen Kardinal und emeritierten Erzbischof von Hongkong ein Anliegen, einen 22 Seiten umfassenden Leitfaden zur korrekten Interpretation des Papstbriefes zu verfassen. Zen, der sich sozusagen zum „Dolmetscher“ und Mittelsmann des Papstbriefes aufgeschwungen hat, findet in der chinesischen Kirche immer mehr Gehör. So kann es inzwischen vorkommen, dass Priester aus dem Untergrundbereich Gebetstreffen und Katechesen mit Priestern der offiziellen Gemeinschaften pflegen wollen, sich andere dagegen – auch Verantwortliche der Gemeinschaften – dem widersetzen und erklären, eher der Linie Zens folgen zu wollen als der, die vom Papst und von Rom vorgeschlagen wird.
Die Initiative des Salesianers Zen, der sich als Garant der exakten Hermeneutik eines Papst-Textes anbietet, erscheint ungewöhnlich und eigenmächtig. In Wahrheit enthält der Brief des Papstes an die Chinesen nämlich ohnehin klare Hinweise und Vorschläge, die sine glossa für seine Empfänger leicht zugänglich sind. Und das gilt auch für brennende pastorale Fragen.
In dem zu Pfingsten 2007 unterzeichneten Schreiben hofft Benedikt XVI. auf einen „respektvollen und offenen Dialog“ zwischen dem Hl. Stuhl und den chinesischen Bischöfen auf der einen Seite und den Regierungsautoritäten auf der anderen, damit verhindert werden kann, „dass weiterhin schwere Einschränkungen bestehen bleiben, die den Kernbereich des Glaubens berühren und in einem gewissen Maß die Seelsorge behindern.“ Den im Untergrund tätigen Bischöfen und Gemeinschaften befiehlt er nicht, so schnell und geschlossen wie möglich den Untergrund zu verlassen, und er hält sie auch nicht dazu an, im Untergrund zu bleiben. Er schreibt, dass „der Untergrund nicht in die Normalität des Lebens der Kirche fällt“, und weist so klar und mit väterlicher Sorge, aber ohne Diktat, darauf hin, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Mit bewundernswerter Geduld jenen gegenüber, die einen Weg eingeschlagen haben, der lang und steinig ist und auf dem sie nicht umhin kommen, den ein oder anderen Stopp einzulegen, ja vielleicht auch obligatorische Umwege zu nehmen. Unübersehbar ist das Verständnis des Papstes für all jene, die unter der verbohrten, ja teils rücksichtslosen Politik der chinesischen Parteifunktionäre zu leiden hatten oder noch zu leiden haben. Alle Faktoren, die es unter den verschiedenen Gegebenheiten schwer oder gar unmöglich machen können, das Ziel zu erreichen, werden in Betracht gezogen. Aber ohne Ungewissheiten darüber, welchem Weg man folgen muss. Klar herausgestellt wird, dass „der Heilige Stuhl wünscht, dass diese rechtmäßigen Hirten als solche von den Regierungsautoritäten auch mit zivilrechtlichen Folgen anerkannt werden können.“
Bezüglich der Patriotischen Vereinigung und der anderen staatlichen Kontroll-Apparate heißt es im Brief des Papstes, dass sie den Anspruch erheben, „sich über die Bischöfe selbst zu stellen und das Leben der kirchlichen Gemeinde zu lenken.“ Als „unvereinbar mit der katholische Lehre“ wird nicht die bloße Existenz dieser Organismen definiert, sondern ihr erklärter Wunsch, darauf hinzuarbeiten, „die Prinzipien der Unabhängigkeit und Autonomie, der Selbstverwaltung und der demokratischen Administration [der Kirche] zu verwirklichen.“ Ausdrücklich verwiesen wird auch auf ihre „Statuten, die Elemente enthalten, die mit der katholischen Lehre unvereinbar sind.“ Nirgends aber wird die systematische und unmittelbare Abschaffung der Patriotischen Vereinigung verlangt, sondern vielmehr durch eine Revision ihrer Statuten die Möglichkeit einer stufenweisen Umformung in ein Organ offen gelassen, das einen Kontakt zwischen der Kirche und dem politischen Regime herstellt.
Der besagte Brief liefert also durchaus klare Kriterien darüber, wie sich die katholischen Gemeinschaften den zivilen Autoritäten gegenüber zu verhalten haben. Der Papst betont, dass „es daher legitim ist, mit Bischöfen und Priestern zu konzelebrieren, die in Gemeinschaft mit dem Papst stehen, auch wenn diese von den zivilen Autoritäten anerkannt sind und Beziehungen mit vom Staat gewollten, nicht zur kirchlichen Struktur gehörenden Organen und Einrichtungen unterhalten, vorausgesetzt […], dass die Anerkennung und die Beziehung nicht die Leugnung von unverzichtbaren Prinzipien des Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft mit sich bringen.“ Für den Papst ist klar, dass die Bewahrung des Glaubens und der sakramentalen Gemeinschaft nicht an sich schon ein Hindernis für den Dialog mit den verschiedenen Vertretern der politischen Macht darstellt und er meint, dass „daher dann keine besonderen Schwierigkeiten für die Annahme der von den zivilen Autoritäten erlassenen Anerkennung bestehen, wenn die Bedingung erfüllt ist, dass eine solche staatliche Anerkennung nicht die Leugnung unverzichtbarer Prinzipien des Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft mit sich bringt.“ In seinem Brief räumt er ein, dass jedoch in nicht wenigen konkreten Fällen, wenn nicht sogar fast immer, im Anerkennungsverfahren Organe und Einrichtungen eingreifen, die die beteiligten Personen dazu verpflichten, Haltungen anzunehmen, Handlungen zu setzen und Aufgaben zu übernehmen, die dem, was das Gewissen eines Katholiken gebietet, entgegengesetzt sind. „Ich verstehe daher, wie schwer es fällt, unter solch verschiedenen Bedingungen und Umständen die richtige Entscheidung zu treffen“, schreibt der Papst und meint, dass „der Heilige Stuhl – nachdem er erneut die Prinzipien dargelegt hat – aus diesem Grund die Entscheidung dem einzelnen Bischof überlässt, der, nach Anhörung seines Klerus, besser imstande ist, die örtliche Situation zu kennen, die konkreten Wahlmöglichkeiten abzuwägen und die eventuellen Folgen innerhalb der diözesanen Gemeinschaft einzuschätzen.“ Dem Papst ist klar, dass es sein könnte, dass diese Entscheidung am Ende nicht die Zustimmung aller Priester und Gläubigen findet. Er wünscht sich jedoch, dass sie Annahme findet, „auch wenn dies unter Leid geschieht, und dass die Einheit der diözesanen Gemeinschaft mit dem eigenen Hirten aufrecht erhalten wird.“

Prozession mit der Muttergottesstatue im Heiligtum von Sheshan (Shanghai). An der Wallfahrt vom 1. Mai 2009 nahmen mehr als 3.000 Menschen teil.  [© Ucanews]

Prozession mit der Muttergottesstatue im Heiligtum von Sheshan (Shanghai). An der Wallfahrt vom 1. Mai 2009 nahmen mehr als 3.000 Menschen teil. [© Ucanews]

Die Zeit der Aussaat
Alles in allem erscheinen die von Bischof An unternommenen Schritte als Versuch, den Brief des Papstes umzusetzen. Ein diskutabler Versuch, wie alle menschlichen Versuche. Aber auch einer, der nichts mit Verrat oder Opportunismus zu tun hat. Deshalb legen die von ihm ausgelösten Reaktionen auch den Gedanken nahe, dass das wahre Problem gar nicht die Initiative ist, die An ergriffen hat. Vielleicht ist das, was so manchem inner- und ausserhalb Kontinentalchinas ein Dorn im Auge ist, ja gerade der Brief des Papstes.
Jener Brief Benedikts XVI., in dem die Kriterien vorgeschlagen werden, die nach Jahren des Leids, der Konflikte und der Missgunst unter Glaubensbrüdern einer Aussöhnung in der einen katholischen Kirche Chinas zuträglich sein kann. Mit seiner Veröffentlichung wurden dualistische Gemeinplätze und hartnäckige, ja manchmal sogar groteske Vorurteile ausgeräumt wie jenes, laut dem es in China zwei Kirchen gäbe, eine dem Papst und eine dem Regime treue. Und so kann es vorkommen, dass Verschleierungsmechanismen in Gang gebracht werden, die den Papstbrief in Vergessenheit geraten lassen wollen oder nur eine so einseitige Leseart zulassen, dass man die Leitlinien des Dokuments aus den Augen verliert und sich nur auf einzelne, wohlweislich aus dem Zusammenhang gerissene Sätze konzentriert und den Inhalt durch das gekonnte Setzen von Anführungszeichen manipuliert.
Diejenigen, die das tun, haben normalerweise nicht den Mut, den Papst zu kritisieren und geben lieber zu verstehen, dass ihn irgendjemand – vielleicht in Rom – falsch informiert oder beraten hat. Doch das birgt die Gefahr, die Samen der Vergebung und der Aussöhnung zu zerstreuen, mit denen der Brief der Kirche in China den Weg ebnen könnte. Samen, die keimen könnten, wenn man versucht, jede destruktive Dialektik beiseite zu legen und die noch offenen Wunden zu heilen. So ist es auch kein Zufall, wenn Kardinal Tarcisio Bertone, in seiner anlässlich des Priesterjahres an die chinesischen Priester gerichteten (und von der Agentur Fides am 17. November veröffentlichten) Botschaft die Aussöhnung in der katholischen Gemeinschaft und den respektvollen und konstruktiven Dialog mit den zivilen Autoritäten als „Richtlinien“ des Papstbriefes von 2007 vorgeschlagen hat. „Knappe zwei Jahre nach Veröffentlichung des Papstbriefes,“ meinte der Kardinal-Staatssekretär, „scheint nicht der Moment gekommen zu sein, definitiv Bilanz zu ziehen. Oder um es mit den Worten des großen China-Missionars Matteo Ricci zu sagen:Es ist – wie ich meine – eher Zeit der Aussaat denn der Ernte.“ Etwas, das Bischof An und die Nonnen von Baoding vielleicht schon dank ihres sensus fidei erkannt hatten – und ganz ohne die Hilfe von „Dolmetschern.“


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