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CARAVAGGIO
Aus Nr. 02/03 - 2010

Jahrestage

Der Maler der die Dinge malte, als sie geschahen


Er wurde zur Zeit des hl. Karl Borromäus in unmittelbarer Nähe des Mailänder Doms geboren. Er lebte im Rom des hl. Philipp Neri und ging bei den Mächtigen seiner Zeit ein und aus. Wirklich zuhause aber fühlte er sich beim einfachen Volk in den römischen Tavernen. Die zeitgenössischen Dokumente, in denen sein Name vorkommt, sind größtenteils Gerichtsakten. In den letzten Jahren seines Lebens war er auf der Flucht, weil ein Todesurteil über ihn verhängt worden war. Roberto Longhi schrieb, er hätte in seinem Leben „nur das gemalt, was wirklich passiert ist.“ Die Geschichte des Michelangelo Merisi, 400 Jahre nach seinem Tod.


von Giuseppe Frangi


Einer der Säle in den „Scuderie del Quirinale“ in Rom, in denen die Werke Caravaggios ausgestellt sind.

Einer der Säle in den „Scuderie del Quirinale“ in Rom, in denen die Werke Caravaggios ausgestellt sind.

„Adi 30 fu bat[tezzato] Michel angelo f[ilio] de d[omino] Fermo Merixio et d[omina] Lutia de Oratoribus / compare Fran[cesco] Sessa [Am 30. wurde getauft Michelangelo Sohn von Herrn Fermo Merixio und Frau Lutia de Oratoribus/Pate Francesco Sessa].“
So lautet der Eintrag im Pfarrbuch der Mailänder Kirche Santo Stefano in Brolo zur Taufe des am 29. September 1571, Fest des Erzengels Michael, geborenen Michelangelo Merisi. Besagtes Register, in dem die Akten der Jahre 1565 bis 1587 gesammelt sind, befindet sich heute im Mailänder Diözesanarchiv. Entdeckt hat die oben zitierten Zeilen 2007 Vittorio Pirami, ein pensionierter Manager und Hobbyarchivar. Michelangelo Merisi, der sich Zeit seines Lebens nach dem Herkunftsort seiner Eltern „Caravaggio“ nennen ließ, wurde in Wahrheit in Mailand geboren. Und das war keineswegs ein Zufall: sein Vater Fermo war nämlich nicht nur ein selbstständiger Maurermeister, sondern – wie einer der ersten Biographen Caravaggios schreibt – auch „Baumeister und Architekt des Marchese von Caravaggio.“ Dafür gibt es zwar keine schriftlichen Belege, aber wir wissen, dass der Marchese, der den bedeutenden Namen Francesco Sforza trug, mit Lucia Aratori, einer Edeldame aus Caravaggio, zur Hochzeit Fermo Merisis geladen war. Die beiden Edelleute „pendelten“ zwischen Caravaggio und Mailand hin und her. In San Giovanni in Conca (wo sich heute die Piazza Missori befindet, nur einen Steinwurf vom Mailänder Dom entfernt) besaßen sie einen prächtigen Palast, von dem leider nur das herrliche Eingangsportal erhalten ist, das sich heute in den Museen des Mailänder Castello Sforzesco befindet. Es ist also durchaus naheliegend, dass Fermo Merisi damals am Bau des Palastes mitgearbeitet und sich mit seiner Familie in Mailand niedergelassen hat. Als er 1577 in jungen Jahren wahrscheinlich bei einer Pestepidemie starb, hinterließ er vier Kinder. Der damalige Erzbischof von Mailand war Karl Borromäus, und man kann sich leicht vorstellen, wie der kleine Michelangelo mit den Katechesen im Dom dieses Heiligen heranwuchs. Damals trat noch eine andere bedeutende Persönlichkeit in Caravaggios Leben, die sich für ihn als überaus wichtig erweisen sollte: die Gattin von Marchese Colonna, Costanza. Die Marchesa hielt Zeit seines turbulenten Lebens ihre schützende Hand über den Maler. Angefangen bei seinem ersten wichtigen Entschluss, Mailand den Rücken zu kehren und „in Rom sein Glück zu versuchen“, wie Giulio Mancini, einer der ersten Biographen des berühmten Malers, schrieb.

Im Rom des Philipp Neri
Im Sommer des Jahres 1592 machte sich Caravaggio auf den Weg in die Ewige Stadt. Es gibt zwar keine diesbezüglichen Dokumente, aber wir wissen, dass sich Marchesa Costanza von Mai 1592 bis Juni 1593 in Rom aufhielt und Caravaggio von den römischen Bekannten der Marchesa bereitwillig unterstützt wurde. So fand er zunächst Unterschlupf bei Prälat Pandolfo Pucci, Hausgeistlicher von Orsina Peretti, Schwester von Papst Sixtus V. (gestorben 1590) und Verwandter der Familie Colonna. Wie Caravaggio ausgesehen hat, beschreibt uns ein Bader namens Luca, der in einem der vielen Gerichtsprozesse, in die der Künstler Zeit seines Lebens verwickelt war, aussagte: „Der Maler ist ein kräftiger junger Mann von zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren; mit einem dünnen schwarzen Bart, dichten Augenbrauen und tiefschwarzen Augen; er ist zumeist mit schwarzen, schäbigen Gewändern angetan, trägt schwarze, abgetragene Beinkleider und über die Stirn fallendes Haar.“
Vom Bart einmal abgesehen, passt diese Beschreibung genau auf den kranken Bacchus, den Caravaggio nach seinem ersten römischen „Malheur“ gemalt hatte. Er war von einem Pferd getreten und ins Hospital Santa Maria della Consolazione gebracht worden, wo die Opfer von Straßenschlägereien behandelt wurden. Nach seiner Entlassung schuf er dieses mythologisch verkleidete Selbstporträt, auf dem er sich selbst mit der Miene eines Kranken malte, die jedoch nicht einer gewissen Dreistigkeit entbehrt (Kardinal Scipione Borghese, Neffe von Papst Paul V., erwarb das Gemälde – neben vielen anderen – für seine Sammlung).
Die erste wichtige Etappe des langen Rom-Aufenthalts Caravaggios fällt ins Jahr 1595: im Herbst jenen Jahres trat er in den Dienst des einflussreichen Kardinals Francesco Maria Del Monte und fand bei ihm im Palazzo Madama Kost und Logis. Kardinal Friedrich Borromäus machte sich damals gerade auf den Weg nach Mailand, wo er zum Erzbischof ernannt worden war. Mit sich nahm er den berühmten Fruchtkorb und eine gehörige Dosis Verachtung für den jähzornigen Maler (an den er sich ein paar Jahre später mit folgenden Worten erinnerte: „In Rom habe ich einen Maler kennengelernt, einen ungehobelten Kerl. Er war stets schäbig gekleidet und ging sowohl bei den niedrigsten Knechten als auch den feinsten Herren bei Hofe ein und aus“). Friedrich Borromäus war Vorsitzender der San-Luca-Akademie, einem 1594 von Federico Zuccari gegründeten Künstlerverband. Kardinal Del Monte wurde sein Nachfolger. Es war auch das Jahr, in dem Philipp Neri starb. Caravaggio, der seine Jugend im Mailand des hl. Karl Borromäus verbracht hatte, konnte nun also auch das Rom des hl. Philipp kennenlernen, für dessen Kirche (Santa Maria in Vallicella) er fast zehn Jahre später ein wahres Meisterwerk malen sollte: die Grablegung Christi (heute in der Vatikanischen Pinakothek). Das Gemälde Die Wahrsagerin, das Caravaggio für Kardinal Del Monte gemalt hat, erinnert unweigerlich an Philipp Neri. Die darauf dargestellte Hauptfigur ist nämlich eine Zigeunerin, die dem jungen, unaufmerksamen Edelmann, dem sie aus der Hand liest, fast unmerklich den Ring vom Finger zieht. Philipp Neri war erst 1570 für die Zigeuner eingetreten und hatte gegen den Befehl des Papstes protestiert, der alle männlichen Zigeuner auf die Galeeren schicken wollte.

<I>Die Grablegung</I>, 1602-1604, Vatikanische Museen, Vatikanstadt.

Die Grablegung, 1602-1604, Vatikanische Museen, Vatikanstadt.

Die Neuheit des Einfachen
Im Palazzo Madama bewohnte Caravaggio ein Zimmer in den oberen Etagen. Er teilte es wahrscheinlich mit Mario Minniti, einem sizilianischen Künstler und treuen Freund, der selbst in den düsteren Monaten in Messina und Palermo nicht von seiner Seite weichen sollte. Vor dem Palazzo Madama befand sich die Residenz einer anderen wichtigen Persönlichkeit im Rom jener Jahre: Vincenzo Giustiniani, ein Bankier aus Genua. Ein weiterer aus Genua stammender Bankier mit engen Kontakten zur Familie Giustiniani war Ottavio Costa. Kardinal Del Monte und die beiden Bankiers waren die Hauptabnehmer der Werke Caravaggios im ausklingenden 16. Jahrhundert: die drei waren leidenschaftliche Kunstsammler und fasziniert von der von diesem leicht aufbrausenden Künstler aus dem Norden eingeführten neuartigen und realistischen Bilddarstellung.
Bis dahin war Caravaggio als eine Art „Geheimtipp“ der feinen römischen Gesellschaft gehandelt worden. Erst 1599 wurde er der breiten Öffentlichkeit bekannt. Eine Kapelle in der Kirche San Luigi dei Francesi, gleich beim Palazzo Madama, sollte nach dem letzten Willen ihres Titular-Kardinals, Mathieu Cointrel (oder „Contarelli“, wie die spätere italianisierte Version lautet) mit den Geschichten des hl. Matthäus dekoriert werden. Die Arbeiten waren aber aufgrund der fehlenden Tatkraft der Testamentsvollstrecker nie eingeleitet worden; die Kapelle war kahl geblieben. Klemens VIII. war darüber sichtlich verärgert und hatte die Vollstreckung des Testaments 1597 der Dombauhütte von Sankt Peter anvertraut. Dem Papst war sehr daran gelegen, die Arbeiten im Heiligen Jahr 1600 abschließen zu können, weil die Kirche mit einem wichtigen politisch-religiösen Ereignis zu tun hatte: der 1593 erfolgten Bekehrung von Heinrich IV., König von Frankreich. Ausführen sollte die Arbeiten eigentlich Cavalier d’Arpino, dann aber wurde der Auftrag – wie Caravaggios späterer Biograph und nik Caravaggio bewundern: wenn ihn das auf der rechten Seite dargestellte Martyrium auch sichtliche Mühe gekostet hatte und oft überarbeitet werden musste, um weder die Dramatik des Frevels noch die antirhetorische Objektivität der Berichterstattung verlorengehen zu lassen, so war das Gemälde auf der linken Seite erstaunlich innovativ. Caravaggio hatte die Szene in einer Taverne im Rom des 16. Jahrhunderts angesiedelt und ihr so eine verblüffende Einfachheit und Lebensnähe verliehen. Roberto Longhi schreibt: „Caravaggio fragte sich: was können wir heute schon darüber wissen, wie sich das Martyrium des hl. Matthäus auf den Stufen des Altars abgespielt hat? Der heutige Maler kann es nur als Berichterstattung über ein schreckliches Verbrechen in einer Kirche darstellen. Und was ist mit der Berufung des Heiligen? Wir wissen nur, dass er ein Zöllner war. Und weil es in der Wechselstube, wo schließlich Geld gewechselt wird, naheliegend ist, dass man sich zum Glücksspiel zusammensetzt, spricht nichts dagegen, wenn Christus heute die Wechselstube betritt und den Matthäus ruft, der gerade am Spieltisch sitzt.“
Der Durchbruch war geschafft. Nur wenige Monate später gab Tiberio Cerasi, der päpstliche Schatzmeister, Caravaggio einen weiteren großen Auftrag: die Ausschmückung einer Kapelle in Santa Maria del Popolo, über deren Hauptaltar sich ein Gemälde des damals populärsten römischen Malers befand: Annibale Carracci. Caravaggio wurde nun mit der Ausschmückung vieler römischer Kirchen beauftragt. Er bekam den Auftrag für Santa Maria in Vallicella, für St. Peter (die Ausschmückung des Altars für die römische Palafrenieri-Bruderschaft), Santa Maria della Scala, und die Kirche, die dem hl. Augustinus geweiht ist. Das Verhältnis zu seinen Auftraggebern war stets ein gespaltenes, angefangen bei Tiberio Cerasi, der ihn die bestellten Gemälde – die Bekehrung des Saulus und die Kreuzigung Petri – zweimal überarbeiten ließ. Am schwierigsten gestalteten sich jedoch die Arbeiten für die Kirche Santa Maria della Scala: auf der einen Seite brachte man dem Genie dieses Malers eine glühende Verehrung entgegen, auf der anderen fühlte man sich fast dazu verpflichtet, die von ihm eingeführte realistische Art der Bilddarstellung mit Skepsis zu betrachten. Als wahrer Stein des Anstoßes erwies sich dann das Gemälde Tod Mariens, mit dem ihn 1601 Laerzio Cherubini beauftragt hatte und das für die Kirche im römischen Stadtteil Trastevere bestimmt war. Da das Gerücht, für die dargestellte Maria habe eine Dirne Modell gestanden, nicht verstummen wollte, sahen sich die Karmeliten gezwungen, es 1606 vom Altar zu entfernen. Auf Empfehlung des jungen Peter Paul Rubens, den Vincenzo Gonzaga nach Rom gesandt hatte, erwarb es der Herzog von Mantua für seine Sammlung. Als der Handel 1607 perfekt war, ließ es der Botschafter des Herzogs im Palazzo am Corso ausstellen, damit es die römischen Kunstliebhaber und Malerkollegen wenigstens einmal bewundern konnten. Es war allerdings verboten, Kopien davon anzufertigen. Kopien der Gemälde Caravaggios waren nämlich inzwischen zum beliebten Handelsobjekt geworden. Der Maler hatte aus Rom fliehen müssen, nachdem er am 28. Mai 1606 mit drei Kumpanen auf dem Campo Marzio Ranuccio Tomassoni tödlich verletzt hatte. Ein Eifersuchtsdelikt. Am 16. Juli wurden die Flüchtigen wegen Totschlags zum Tode verurteilt.

<I>Geißelung Christi</I> (1607-1610), 
Nationalmuseum Capodimonte, Neapel.

Geißelung Christi (1607-1610), Nationalmuseum Capodimonte, Neapel.

Auf der Flucht
Caravaggio war zunächst im Palazzo Colonna von seiner Gönnerin, der Marchesa, verarztet worden. Sie verhalf ihm auch zur Flucht aus dem Kirchenstaat ins Königreich Neapel. Die Familie Colonna hatte nicht nur Besitzungen in Neapel, sondern auch einen schönen Palazzo in Chiaia. Der Aufenthalt im florierenden Neapel bezeichnete eine kurze, aber intensive neue Schaffensphase in Caravaggios Karriere. Die Stadt mit ihrem pulsierende Leben zog den Maler sofort in ihren Bann, und er verewigte diese Atmosphäre auch in einigen seiner Meisterwerke, die den Enthusiasmus der Anfänge wieder aufleben lassen. Neapel war damals dreimal so groß wie Rom und eine reiche Stadt. Caravaggio wurde für seine Aufträge fürstlich entlohnt, verdiente Summen, von denen er in Rom nur träumen konnte. Für die Dominikaner malte er die Geißelung Christi und die wunderschöne Rosenkranzmadonna, die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet. Für den führenden neapolitanischen Wohltätigkeitsverein Pio Monte della Misericordia malte er das Altarbild Sieben Werke der Barmherzigkeit. Das Gemälde scheint in den neapolitanischen Gassen jener Zeit angesiedelt und wird ganz vom hektischen Treiben des einfachen Volkes beherrscht, das aus allen Ecken des Bildes hervorzuströmen scheint. Am 9. Januar 1607 konnte Caravaggio die Arbeiten abschließen. Die 400 Golddukaten Lohn zahlte er auf ein Konto ein, das er bei der Bank Sant’Eligio eröffnet hatte.
Im Juni 1607 bestieg Caravaggio eine der Galeeren seiner Gönnerfamilie Colonna, die ihn auf die Insel Malta brachte. Auch dieser Ortswechsel war wohl seiner großen Gönnerin, der Marchesa Colonna, zuzuschreiben, die wusste, wie verzweifelt der Großmeister des Malteserordens, Alof de Wignacourt, auf der Suche nach einem begnadeten Künstler war. Für Caravaggio begann eine neue schaffensreiche Zeit. Obschon weit von Rom und vom Festland entfernt, konnte er sich vor Aufträgen kaum retten. Für den Herzog von Lorena malte er die Verkündigung, die sich heute in Nancy befindet. Um ihn an sich zu binden, fasste der Großmeister einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Entschluss: er machte Caravaggio nicht nur zum Ritter des Malteserordens, sondern verwirkte sich in Rom auch für die Aufhebung des über den Maler verhängten Todesurteils. Von der feierlichen Zeremonie, in deren Rahmen Caravaggio das Ritterschwert verliehen wurde, ist uns sogar das Datum bekannt: es war der 14. Juli 1608. Das Hauptwerk, das Caravaggio während seines Aufenthalts auf der Insel geschaffen hat, die Die Enthauptung Johannes des Täufers, signierte er stolz: „f. [Bruder] Michelangelo.“ Aber auch der auf Malta erlangte Ruhm war nur von kurzer Dauer. Am 18. August 1608 wurde Caravaggio im Haus des Organisten der Klosterkirche San Giovanni, Fra Prospero Coppini, erneut in eine Schlägerei verwickelt und am 27. August zusammen mit den anderen Unruhestiftern in den Kerker von Sant’Angelo geworfen, einer steil über dem Meer liegenden Trutzburg. Am 6. Oktober gelang ihm die Flucht aus diesem Gefängnis, aus dem man – wie es in der Chronik heißt – nicht einmal fliehen kann, „wenn man ein Paar Flügel“ hat. Wieder einmal hatte der Maler mit der Hilfe Costanza Colonnas rechnen können. Der Gefängnisdirektor Girolamo Carafa stammte nämlich aus einer mit den Colonnas verwandten Familie. Wir können wohl davon ausgehen, dass er Caravaggio an Bord einer Feluke, mit denen man den Handel zwischen Malta, Sizilien und Neapel tätigte, die Flucht ermöglicht hat. Caravaggio ging in Syrakus an Land, wo er seinen alten Freund aus römischen Tagen, Mario Minniti, wiedertraf, der es inzwischen im heimatlichen Sizilien zu Ruhm gebracht hatte. Die Kunstliebhaber der Insel waren überglücklich, dass sie den damals so populären Maler nun ganz für sich hatten. Caravaggio selbst dagegen fühlte sich wie ein gehetztes Tier, hatte er doch nun außer der Verbannung aus Rom auch noch den Zorn des Großmeisters des Malteserordens auf sich gezogen, der ihm das statutenwidrige Verlassen der Insel nie verziehen hatte und ihn seiner gerechten Strafe zuführen wollte. Ein Biograph der sizilianischen Maler, Susinno, berichtet, dass Caravaggio „nie sein Gewand abzulegen pflegte, wenn er zu Bett ging, und stets mit einem Dolch an seiner Seite schlief“. In Syrakus malte er das Begräbnis der hl. Lucia. In Messina und Palermo nahmen ihn die Kapuziner unter ihre Protektion, für die er eine Anbetung der Hirten und eine Geburt Christi malte (das palermitanische Gemälde wurde vor zwanzig Jahren entwendet und ist seither verschollen). Auf beiden Gemälden übernahm Caravaggio den ikonographischen Stil der „Madonna der Demut“, stellte Maria auf dem Boden liegend dar (nicht umsonst leitet sich humilitas vom Wortstamm humus ab). Auf der in Palermo gemalten Geburt Jesu ist auch Franz von Assisi erkennbar, der – wie es in einer der Franziskus-Biographien heißt –, „von seinen Gefühlen übermannt und von freudvollem Staunen erfüllt, schluchzend vor der Krippe stand.“ Für das Gemälde, das für die Kirche Santa Maria della Concezione in Messina bestimmt war, bekam Caravaggio stolze 1.000 Golddukaten.

<I>Die Verkündigung</I> (1608-1610),  
Musée des Beaux-Arts, Nancy.

Die Verkündigung (1608-1610), Musée des Beaux-Arts, Nancy.

Die Begnadigung durch den Papst
Aber Caravaggio war – wie Biograph Susinno schreibt – ein von seinem rastlosen Leben gezeichneter Mann, der „keine Ruhe mehr fand.“ Im September 1609 reiste er erneut nach Neapel, wo er im Palazzo Cellamare der Familie Colonna in Chiaia empfangen wurde. Am 24. Oktober wurde er in der verruchten Taverne Cerriglio in eine Schlägerei verwickelt und schwer verletzt. Caravaggio wollte wieder nach Rom zurückkehren und suchte beim Papst um Begnadigung an. Als Zeichen seiner Reue malte er einen David mit dem Haupt des Goliath, das seine eigenen Züge trägt. Ein Haupt mit denselben Gesichtsverletzungen, die man ihm bei seiner letzten Schlägerei in Neapel zugefügt hatte. Der Schaffensdrang des Künstlers war ungebrochen. Aus Genua erhielt er einen wichtigen Auftrag: Marcantonio Doria bestellte zu Ehren seiner Stieftochter, die ins Kloster eingetreten war, ein Martyrium der hl. Ursula. Die Zeit drängte, und um schneller fertig zu werden, ließ es Caravaggio auf einer Terrasse in Neapel in der Sonne trocknen: noch heute sind die Zeichen dieser „Beschleunigungsmaßnahme“ sichtbar. Am 27. Mai trat das Gemälde den Weg nach Genua an. Und auch Caravaggio bereitete sich auf eine wichtige Reise vor: die Rückkehr nach Rom. Im Sommer 1610 ging er in Chiaia an Bord einer Feluke, in der Tasche den Geleitschein, der die Unterschrift von Kardinal Ferdinando Gonzaga trug und bescheinigte, dass ihm der Papst vergeben hatte. Der Laderaum war mit Gemälden vollgeladen, einige davon hatte Kardinal Scipione, der Neffe von Paul V., bestellt. Die Feluke machte in La Palo halt, einem kleinen Hafen zwischen der Tiber-Mündung und Civitavecchia. Kaum war Caravaggio an Land gegangen, wurde er auch schon vom Festungskapitän festgenommen. Wahrscheinlich aufgrund einer Verwechslung. Das Schiff legte jedenfalls ohne ihn ab, und Caravaggio musste für seine Freiheit einen hohen Preis bezahlen. Er machte sich auf den Weg nach Porto Ercole, wo die Feluke als nächstes anlegen sollte. Bei sengender Hitze musste er fast 100km zurücklegen und auf seinem Weg nach Norden unwegige Sumpfgebiete durchqueren. Als er endlich am Ziel anlangte, war er krank und am Ende seiner Kräfte. Er wurde von der Pilgerbruderschaft aufgenommen, starb aber schon wenige Tage später. Man schrieb den 10. Juli 1610. Am 28. Juli verbreitete sich die Nachricht von seinem Tod in Rom. Kardinal Scipione machte sich Sorgen um seine Gemälde und kontaktierte die Marchesa Costanza. Zwei bekam er zurück: den David mit dem Haupte des Goliath und Johannes der Täufer an der Quelle, den wir noch heute in der Galleria Borghese bewundern können. So also endete die Geschichte dieses begnadeten Lombarden mit dem „wachen Blick aus tiefliegenden Augen“ (Giulio Cesare Gigli), der in seinem Leben immer nur das gemalt hat „was wirklich passiert ist“ (Roberto Longhi).


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