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BEILAGE
Aus Nr. 04 - 2010

CHRISTENTUM

„Nicht wir Menschen sind es, die etwas tun”


„Sakrament bedeutet, daß zuallererst nicht wir Menschen etwas tun, sondern daß Gott uns im voraus mit seinem Handeln entgegengeht, uns ansieht und zu sich hinführt. […] Gott rührt uns an durch materielle Wirklichkeiten, … die er in seinen Dienst nimmt, zu Instrumenten der Begegnung zwischen uns und sich selber macht.“


Katechese von Papst Benedikt XVI. Mittwoch, 5.Mai 2010


<I>Altar der sieben Sakramente</I>, 
Rogier van der Weyden, Königliches Museum der Schönen Künste, Antwerpen, Belgien.

Altar der sieben Sakramente, Rogier van der Weyden, Königliches Museum der Schönen Künste, Antwerpen, Belgien.

Liebe Brüder und Schwestern!
Am vergangenen Sonntag hatte ich bei meinem Pastoralbesuch in Turin die Freude, im Gebet vor dem heiligen Grabtuch zu verweilen. Ich habe mich so den über zwei Millionen Pilgern angeschlossen, die es während der feierlichen Ausstellung in diesen Tagen betrachten konnten. Dieses heilige Tuch kann den Glauben stärken und nähren und der christlichen Frömmigkeit neue Kraft geben, weil es dazu anspornt, sich dem Antlitz Christi zuzuwenden, dem Leib des gekreuzigten und auferstandenen Christus, das Ostergeheimnis zu betrachten, den Mittelpunkt der christlichen Botschaft. Wir, liebe Brüder und Schwestern, sind lebendige Glieder des Leibes Christi, der auferstanden ist, lebt und in der Geschichte wirkt (vgl. Röm 12, 5) – jeder wie es der eigenen Funktion entspricht, das heißt der Aufgabe, die der Herr uns anvertraut hat. In dieser heutigen Katechese möchte ich auf die besonderen Aufgaben der Priester zurückkommen. Der Überlieferung gemäß sind es im wesentlichen drei: lehren, heiligen und leiten. In einer der vorangegangenen Katechesen habe ich über die erste dieser drei Sendungen gesprochen: die Lehre, die Verkündigung der Wahrheit, die Verkündigung Gottes, der sich in Christus offenbart hat, oder – mit anderen Worten – die prophetische Aufgabe, den Menschen mit der Wahrheit in Berührung zu bringen, ihm zu helfen, das Wesentliche seines Lebens und der Wirklichkeit an sich zu erkennen.
Heute möchte ich mit euch kurz bei der zweiten Aufgabe verweilen, die der Priester hat: die Aufgabe, die Menschen zu heiligen, vor allem durch die Sakramente und den Gottesdienst der Kirche. Hier müssen wir uns zunächst fragen: Was bedeutet das Wort „heilig“? Die Antwort lautet: „Heilig“ ist die besondere Eigenschaft des Seins Gottes, also absolute Wahrheit, Güte, Liebe, Schönheit – reines Licht. Eine Person zu heiligen bedeutet also, sie in Berührung zu bringen mit Gott, mit seinem Sein, das Licht, Wahrheit, reine Liebe ist. Natürlich verwandelt diese Berührung die Person. Im Altertum war man der festen Überzeugung: Niemand kann Gott sehen, ohne sofort zu sterben. Zu groß ist die Kraft der Wahrheit und des Lichts! Wenn der Mensch diesen absoluten Strom berührt, überlebt er nicht. Andererseits war man auch davon überzeugt, daß der Mensch ohne eine wenigstens geringe Berührung mit Gott nicht leben kann. Wahrheit, Güte, Liebe sind Grundbedingungen seines Seins. Die Frage ist: Wie kann der Mensch jene grundlegende Berührung mit Gott finden, ohne zu sterben, überwältigt von der Größe des göttlichen Seins? Der Glaube der Kirche sagt uns, daß Gott selbst diese Berührung herstellt, die uns nach und nach in wahre Abbilder Gottes verwandelt.
So sind wir wieder angekommen bei der Aufgabe des Priesters zu „heiligen“. Kein Mensch kann von sich aus, aus eigener Kraft heraus den anderen mit Gott in Berührung bringen. Ein wesentlicher Teil der Gnade des Priestertum ist die Gabe, die Aufgabe, diese Berührung herzustellen. Dies geschieht in der Verkündigung des Wortes Gottes, in dem uns sein Licht entgegenkommt. Auf besonders verdichtete Weise geschieht es in den Sakramenten. Das Eintauchen in das Ostergeheimnis des Todes und der Auferstehung Christi findet in der Taufe statt; es wird gestärkt in der Firmung und in der Versöhnung und genährt durch die Eucharistie, das Sakrament, das die Kirche aufbaut als Volk Gottes, Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes (vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Pastores gregis, 32). Christus selbst ist es also, der heilig macht, uns in die Sphäre Gottes hineinzieht. Aber als Akt seiner unendlichen Barmherzigkeit beruft er einige, „bei ihm zu sein“ (vgl. Mk 3, 14) und trotz der menschlichen Armut durch das Weihesakrament an seinem eigenen Priestertum teilzuhaben, als Diener dieser Heiligung, Verwalter seiner Geheimnisse, „Brücken“ der Begegnung mit ihm, seiner Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen und zwischen den Menschen und Gott (vgl. Presbyterorum ordinis, 5).
In den letzten Jahrzehnten gab es Tendenzen, die darauf ausgerichtet waren, in bezug auf die Identität und die Sendung des Priesters der Dimension der Verkündigung den Vorrang zu geben und sie von der Dimension der Heiligung loszulösen; oft hieß es, daß es notwendig sei, eine rein sakramentale Pastoral zu überwinden. Kann man jedoch den priesterlichen Dienst authentisch ausüben, wenn man die Sakramentenpastoral „überwindet“? Was bedeutet es für die Priester eigentlich zu evangelisieren, worin besteht der sogenannte Primat der Verkündigung? Den Evangelien zufolge sagt Jesus, daß die Verkündigung des Reiches Gottes das Ziel seiner Sendung ist; diese Verkündigung ist jedoch nicht nur „Reden“, sondern sie schließt gleichzeitig auch sein Handeln mit ein; die Zeichen, die Wunder, die Jesus vollbringt, weisen darauf hin, daß das Reich Gottes als gegenwärtige Wirklichkeit kommt und daß es am Ende übereinstimmt mit seiner Person, mit der Selbsthingabe, wie wir in der heutigen Lesung aus dem Evangelium gehört haben. Und dasselbe gilt für den geweihten Amtsträger: Er, der Priester, vertritt Christus, den Gesandten des Vaters, er setzt seine Sendung fort, durch das „Wort“ und das „Sakrament“, in der Ganzheit von Seele und Leib, Zeichen und Wort. In einem Brief an Bischof Honoratus von Thiabe sagt der hl. Augustinus über die Priester: „Die Diener Christi, die Diener seines Wortes und Sakraments sollen also das tun, was er geboten oder gestattet hat“ (Brief 228, 2). Es ist notwendig, darüber nachzudenken, ob die Unterbewertung der treuen Ausübung des „munus sanctificandi“ nicht vielleicht eine Schwächung des Glaubens an die Heilswirksamkeit der Sakramente und letztlich an das gegenwärtige Wirken Christi und seines Geistes durch die Kirche in der Welt dargestellt hat.
Wer rettet also die Welt und den Menschen? Wir können nur eine einzige Antwort darauf geben: Jesus von Nazaret, der Herr und Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene. Und wo wird das heilbringende Geheimnis des Todes und der Auferstehung Christi verwirklicht? Im Wirken Christi durch die Kirche, insbesondere im Sakrament der Eucharistie, das die erlösende Opfergabe des Sohnes Gottes gegenwärtig macht, im Sakrament der Versöhnung, in dem man aus dem durch die Sünde verursachten Tod zu neuem Leben zurückkehrt, und in jedem anderen sakramentalen Akt der Heiligung (vgl. Presbyterorum ordinis, 5). Es ist daher wichtig, eine angemessene Katechese zu fördern, um den Gläubigen zu helfen, den Wert der Sakramente zu verstehen. Ebenso notwendig ist es jedoch, nach dem Vorbild des heiligen Pfarrers von Ars den Brüdern bereitwillig, großherzig und aufmerksam die Gnadenschätze zu geben, die Gott in unsere Hände gelegt hat: Wir sind nicht ihre „Herren“, sondern ihre Hüter und Verwalter. Besonders in unserer Zeit, in der einerseits der Glaube schwächer zu werden scheint und andererseits ein tiefes Bedürfnis und eine diffuse Suche nach Spiritualität zutage treten, muß jeder Priester sich daran erinnern, daß in seiner Sendung die missionarische Verkündigung und der Gottesdienst und die Sakramente niemals voneinander getrennt sind. Auch muß er eine gesunde Sakramentenpastoral fördern, um das Volk Gottes zu unterweisen und ihm zu helfen, die Liturgie, den Gottesdienst der Kirche, die Sakramente in Fülle zu leben, als unentgeltliche Gaben Gottes, als freie und wirkkräftige Akte seines Heilswirkens.
<I>Altar der sieben Sakramente</I>, 
Rogier van der Weyden, Königliches Museum der Schönen Künste, Antwerpen, Belgien.

Altar der sieben Sakramente, Rogier van der Weyden, Königliches Museum der Schönen Künste, Antwerpen, Belgien.

In der diesjährigen Chrisam-Messe habe ich in Erinnerung gerufen: „Das Zentrum des Gottesdienstes der Kirche ist das Sakrament. Sakrament bedeutet, daß zuallererst nicht wir Menschen etwas tun, sondern daß Gott uns im voraus mit seinem Handeln entgegengeht, uns ansieht und zu sich hinführt. […] Gott rührt uns an durch materielle Wirklichkeiten, … die er in seinen Dienst nimmt, zu Instrumenten der Begegnung zwischen uns und sich selber macht“ (Predigt in der Chrisam-Messe, 1. April 2010; in O.R. dt., Nr. 15 vom 16.4.2010, S. 9). Die Wahrheit, der zufolge im Sakrament „nicht wir Menschen etwas tun“, berührt auch das priesterliche Bewußtsein und muß es berühren: Jeder Priester weiß, daß er ein für das Heilswirken Gottes notwendiges Werkzeug, aber dennoch stets ein Werkzeug ist. Dieses Bewußtsein muß ihn in der Spendung der Sakramente demütig und großherzig machen, unter Wahrung der kanonischen Normen, aber auch in der tiefen Überzeugung, daß die eigene Sendung darin besteht, dafür zu sorgen, daß alle Menschen, mit Christus vereint, sich Gott als lebendiges und heiliges Opfer darbringen können, als Opfer, das Gott gefällt (vgl. Röm 12, 1). Auch im Zusammenhang mit dem Primat des „munus sanctificandi“ und der richtigen Auslegung der Sakramentenpastoral ist der hl. Johannes Maria Vianney ein Vorbild. Der Pfarrer antwortete einmal einem Mann, der sagte, daß er keinen Glauben habe, und mit ihm diskutieren wollte: „O! mein Freund, da sind Sie ganz an unrechtem Orte; ich weiß nicht vernünftig zu sprechen … bedürfen Sie aber eines Trostes, so lassen Sie sich hier nieder (indem er wieder auf den unerbittlichen Schemel [des Beichtstuhls] zeigte), und glauben Sie nur, es haben sich schon viele andere vor Ihnen hier niedergelassen und es nicht bereut“ (A. Monnin, Geist des Pfarrers von Ars: J. M. Vianney in seiner Katechese, in seinen Predigten, und in seinem Wandel, Regensburg 1865, S. 263–264).
Liebe Priester, lebt die Liturgie und den Gottesdienst mit Freude und mit Liebe! Es ist ein Handeln, das der Auferstandene in der Kraft des Heiligen Geistes in uns, mit uns und für uns ausführt. Ich möchte noch einmal die kürzlich ausgesprochene Einladung erneuern, „in den Beichtstuhl zurückzukehren als den Ort, an dem man das Sakrament der Versöhnung feiert, aber auch als den Ort, an dem man öfter ‚wohnt‘, damit der Gläubige Barmherzigkeit, Rat und Trost finden, sich von Gott geliebt und verstanden fühlen und die Gegenwart der göttlichen Barmherzigkeit erfahren kann, neben der Realpräsenz in der Eucharistie“ (Ansprache an die Teilnehmer eines von der Apostolischen Pönitentiarie veranstalteten Kurses über das „Forum Internum“, 11. März 2010; in O.R. dt., Nr. 12, 26.3.2010, S. 9). Und ich möchte auch jeden Priester einladen, die Eucharistie intensiv zu feiern und zu leben. Sie steht im Mittelpunkt der Aufgabe des Heiligens; sie ist Jesus, der bei uns sein, in uns leben, sich uns hinschenken, uns die unendliche Barmherzigkeit und Liebe Gottes zeigen will; sie ist das einzigartige Liebesopfer Christi, der gegenwärtig wird, sich unter uns verwirklicht und bis zum Thron der Gnade gelangt, zur Gegenwart Gottes, die Menschheit umfaßt und uns mit ihm vereint (vgl. „Lectio divina“ bei der Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom, 18. Februar 2010; in O.R. deutsch., Nr. 9 vom 5.3.2010, S. 7). Und der Priester ist berufen, Diener dieses großen Geheimnisses zu sein, im Sakrament und im Leben.„Die lange kirchliche Tradition hat die Wirkkraft des Sakraments zu Recht von der konkreten Lebenssituation des einzelnen Priesters losgelöst; dadurch werden die rechtmäßigen Erwartungen der Gläubigen adäquat geschützt“. Das mindert jedoch nicht „das notwendige, ja unverzichtbare Streben nach moralischer Vollkommenheit, das in jedem wirklich priesterlichen Herzen wohnen muß“: Das Volk Gottes erwartet von seinen Hirten zu Recht auch ein Vorbild des Glaubens und ein Zeugnis der Heiligkeit (vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für den Klerus, 16. März 2009; in O.R. dt., Nr. 15/16, 10.4.2009, S. 15 ). Und in der Feier der heiligen Geheimnisse findet der Priester die Wurzel seiner Heiligung (vgl. Presbyterorum ordinis, 12–13).
Liebe Freunde, seid euch bewußt, welch großes Geschenk die Priester für die Kirche und für die Welt sind; durch ihren Dienst rettet der Herr auch weiterhin die Menschen, wird er gegenwärtig, heiligt er. Dankt Gott und seid vor allem euren Priestern nahe durch das Gebet und durch die Unterstützung, besonders in Schwierigkeiten, damit sie immer mehr Hirten nach dem Herzen Gottes seien.
Danke.


© Copyright 2010 – Libreria Editrice Vaticana


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