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REPORTAGE AUS DEM LIBANON
Aus Nr. 06/07 - 2010

Eine Konferenz für nationale Versöhnung



Interview mit Sami Gemayel von Davide Malacaria und Lorenzo Biondi


Obwohl Sami Gemayel noch nicht einmal dreißig Jahre alt ist, ist er schon ein wichtiger Exponent der Partei der Falangi. Er ist der Neffe Bashir Gemayels, des 1982 ermordeten Präsidenten des Libanon. Sein Bruder Pierre, der 2006 ermordet wurde, gilt als Märtyrer der Freiheit im Libanon.

Sami Gemayel. [© Lorenzo Biondi]

Sami Gemayel. [© Lorenzo Biondi]

Im Westen hat die Phalange-Partei nach den Massakern von Sabra und Shatila keinen guten Ruf.
SAMI GEMAYEL: Während des Krieges taten sich viele Abgründe auf. Leider stürzen sich die Medien nur auf Dinge, die mit dem Papst zu tun haben. Man hat viel über Sabra und Shatila gesprochen, nicht aber über das Gemetzel der libanesischen Christen. Die Kataeb-Partei hat nur Waffen, um sich selbst zu verteidigen, sie hat sie nie aus christlichem Territorium ausgeführt. Die Geschichte von Sabra und Shatila war die einzige Ausnahme, aber es war keine Entscheidung unserer Partei, sondern eine, die die Freunde von Präsident Bashir Gemayel nach dessen Ermordung getroffen haben. Ein schwerwiegender Fehler. Wir wissen, dass wir in der Vergangenheit Fehler begangen haben: nur durch Selbstkritik und Versöhnung kann man eine solide Basis schaffen. Der Krieg ist heute zu Ende und wir haben uns für den Frieden entschieden, für den Staat und die Verfassung.
Apropos Palästinenser: seit Jahrzehnten leben in Ihrem Land 350.000 palästinensische Flüchtlinge, die Rechte fordern wie beispielsweise das, Grundstücke und Häuser kaufen zu dürfen.
GEMAYEL: Das ist ein humanitäres Problem, das wir nicht allein angehen können: die arabischen Länder und die Vereinten Nationen müssen uns helfen. Eine andere Sache ist die Integration der Palästinenser in unseren Staat, was das Ziel Israels ist, da so das Problem der Rückkehr in ihre Heimat gelöst wäre. Man muss den Flüchtlingen in ihrer jetzigen Lage helfen, ohne ihr Recht, nach Palästina zurückkehren zu dürfen, zu beeinträchtigen.
Die Mehrheitskoalition Ihrer Partei wird im Westen als eine Art antisyrisches Bündnis angesehen. Ihre Beziehungen zu Syrien sind aber gut.
GEMAYEL: Man sagt, wie wären gegen die Syrer, weil wir an der Zedern-Revolution beteiligt waren, einer großen Allianz für die Rückkehr der syrischen Truppen. Sofort danach haben wir allerdings im Interesse des Staates versucht, gute Beziehungen zu Syrien aufzubauen. Es gibt viel zu tun; die libanesischen Gefangenen müssen beispielsweise aus den syrischen Gefängnissen befreit werden. Auch die Grenzprobleme sind noch nicht gelöst.
Obwohl Hisbollah eine bewaffnete Partei ist, hat sie Anteil am politischen Leben...
GEMAYEL: Ja, und das ist wirklich inakzeptabel. Das kann für den ganzen Staat Folgen haben. Warum sollen wir ausbaden, was Hisbollah beschlossen hat? Der Staat muss über Krieg und Frieden entscheiden, niemand anderer.
Ihre christliche Partei regiert gemeinsam mit einer muslimischen. Kann das einer Entspannung der Lage zuträglich sein?
GEMAYEL: Alles, was die Libanesen einander annähert, muss gefördert werden. Aber unser Regierungssystem, das auf dem Konsens der verschiedenen politischen Kräfte aufgebaut ist, funktioniert nicht: ohne Opposition gibt es keine Kontrolle über die Regierung.
Ihre Familie hat in der Zeit der Spannungen in Ihrem Land einen hohen Preis bezahlt...
GEMAYEL: Der Libanon hatte unter vielen Kriegen zu leiden, nicht zuletzt unter dem Bürgerkrieg. Es kam zu einer offiziellen Aussöhnung, aber es gab keine Vergangenheitsbewältigung, keinen Versuch, die Ursachen des Krieges zu verstehen. Wir hoffen auf die Schaffung einer Versöhnungskonferenz, die die letzten 50 Jahre der libanesischen Geschichte aufarbeiten kann. Sonst werden sich die verschiedenen Fraktionen weiter bekämpfen. Wir hoffen, dass die jetzige Regierung der Nationalen Einheit zu einer nationalen Versöhnungskonferenz wird.


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