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REPORTAGE AUS DEM LIBANON
Aus Nr. 06/07 - 2010

Hisbollah: Die Dankbarkeit den Christen gegenüber



Interview mit Nawaf al-Mousawi von Davide Malacaria und Lorenzo Biondi


Nawaf al-Mousawi fungierte für Hisbollah als Verantwortlicher für Äußeres. Er empfängt uns in seinem Büro gleich beim libanesischen Parlament, wo er Abgeordneter ist.

Nawaf al-Mousawi. [© Lorenzo Biondi]

Nawaf al-Mousawi. [© Lorenzo Biondi]

Wie ist Hisbollah entstanden?
NAWAF AL-MOUSAWI: 1982, als Widerstandsbewegung gegen die israelische Besatzung. Völker, die besetzt wurden, haben sich immer dagegen aufgelehnt: das ist normal. Wir sind aber auch eine politische libanesische Partei, die sich für einen pluralistischen Staat entschieden hat. Aus zwei Gründen. Erstens, weil wir wollen, dass unser Land ein Vorbild ist für das Zusammenleben verschiedener Völker und Religionen: wenn Gott gewollt hätte, hätten wir alle denselben Glauben. Er aber hat sich für den Pluralismus entschieden. Die Wahrheit wird sich zeigen, wenn die Zeit des Jüngsten Gerichts gekommen ist. Zweitens wollen wir kein rassistisches Regime: Regierungen, die nach Völkern und Religionen getrennt sind. Den Zionismus als rassistische Bewegung lehnen wir – UNO-Resolution 3379 entsprechend – ab.
Wie kam es zum Bündnis mit der Partei von General Aoun?
AL-MOUSAWI: Ein erster Dialog wurde schon 1989 begonnen, als über die von General Aoun kontrollierten christlichen Viertel ein Embargo verhängt wurde. Wir weigerten uns, das anzuerkennen, versorgten sie trotzdem mit Nahrungsmitteln und setzten uns für die Aufhebung des Embargos ein. Wir glauben an die Notwendigkeit guter Beziehungen zu unseren christlichen Partnern. Ihre – auch politische – Rolle ist von grundlegender Bedeutung, aber die Politik der Amerikaner ist nur auf Öl ausgerichtet, hat kein Interesse an Israel. Dass im Nahen Osten das Blut der Christen vergossen wurde, ist ihre Schuld: im Irak, in Palästina, und zum Teil auch im Libanon. Im Irak wollen die Schiiten mit den Christen in Frieden leben, die meisten irakischen Christen flüchten nach Syrien... Appellieren wir an Europa, das die Christen aus den Gefahren erretten möge, denen sie die amerikanische Politik ausgesetzt hat.
Im letzten Krieg hat die christliche Gemeinde den Muslimen geholfen. Wie hat sich das auf die gegenseitigen Beziehungen ausgewirkt?
AL-MOUSAWI: Sehr gut, wir werden ewig dankbar sein. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: viele schiitischen Familien haben in der christlichen Stadt Jazine Zuflucht gefunden... Die Schiiten werden sich noch Jahrhunderte lang daran erinnern. Sayyid Hassan Nasrallah ist ein religiöser Mann, schließt General Aoun, Sleiman Franjieh und Émile Lahoud, drei christliche Leader, jeden Tag in sein Gebet mit ein. Nasrallah sagt immer, dass der Herr am Tag des Jüngsten Gerichts für sie beten wird. Es scheint ein Wunder zu sein, aber im Libanon ist es normal, für die Menschen anderer Religionen zu beten.
Hat sich das Bündnis mit einer christlichen Partei auf Ihre Beziehungen zu den libanesischen Christen ausgewirkt?
AL-MOUSAWI: Die Christen können General Aoun dankbar sein. Er hat sich nämlich sehr darum bemüht, dass die Christen durch die den Muslimen im letzten Krieg geleistete Hilfe wieder glaubwürdig wurden. 1997 hat Johannes Paul II. die Christen aufgerufen, wesentlicher Bestandteil der arabischen Welt zu sein: es gibt keine schönere Integration als Solidarität in Gefahrenzeiten.
Kann Hisbollah in diesem Moment der Entspannung in Nahost nicht die Waffen niederlegen?
AL-MOUSAWI: Die Spannung in Nahost ist das Ergebnis der israelischen Angriffe. Wenn diese aufhören, wird es keinen Grund mehr geben, bewaffnet zu sein. Der Widerstand ist eine Reaktion gegen die Besatzung der libanesischen Territorien, der Golanhöhen und Palästinas. Palästina muss auf historischem palästinensischen Boden ein demokratischer und pluralistischer Staat sein.


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