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REPORTAGE AUS DEM LIBANON
Aus Nr. 06/07 - 2010

Es ist Zeit für Dialog, und der Libanon ist das Emblem des Dialogs



Interview mit Daoud Sayegh von Davide Malacaria und Lorenzo Biondi


Daoud Sayegh ist der politische Berater des libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri, besonders für die religiösen Angelegenheiten. Auch aus diesem Grund hat er eine fruchtbare Beziehung zur maronitischen Kirche, besonders zum Patriarchen von Antiochia, Seiner Seligkeit Nasrallah Pierre Sfeir.

Daoud Sayegh. [© Lorenzo Biondi]

Daoud Sayegh. [© Lorenzo Biondi]

Besteht die Partei von Premierminister Saad Hariri, die das Land regiert, nur aus Sunniten?
DAOUD SAYEGH: Die Zukunftsbewegung wurde von Rafiq Hariri ins Leben gerufen, war aber immer eine traditionalistische libanesische Partei. In ihr waren immer Abgeordnete vieler verschiedener religiöser Konfessionen vertreten. Diesem Umstand muss die Demokratie Rechnung tragen. In den libanesischen Koalitionsregierungen repräsentieren die Minister die Parteien, die Ordensfamilien und die Regionen des Landes. Es ist eine einzigartige Erfahrung, die der Welt zum Vorbild gereichen kann; um sie zu bewahren, brauchen wir die Hilfe unserer Nachbarländer und der europäischen Freunde.
Wie sind die Beziehungen zwischen der Regierung unter muslimischer Leitung und den christlichen Gemeinden?
SAYEGH: Die Rolle einer großen Partei ist auch die, die Beziehung zwischen der politischen Leitung und den Religionsgemeinschaften zu fördern. Die christlichen Kirchen im Libanon spielen eine moralische Führungsrolle, die aber auch eine soziale Dimension hat. Das maronitische Patriarchat spielte eine entscheidende Rolle in dem Prozess, der dem Land die Unabhängigkeit gebracht hat. Es ist normal, dass ein Regierungschef, auch wenn er Sunnit ist, einen konstanten Kontakt zur katholischen Autorität sucht.
Ministerpräsident Hariri hat im Februar Benedikt XVI. besucht...
SAYEGH: Johannes Paul II. hat unserem Land eben so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie Polen. Er bezeichnete den Libanon als eine „Botschaft“ für die Welt, was Pluralismus und Demokratie angeht. Rafiq Hariri hatte den Wunsch zum Ausdruck gebracht, den Heiligen Vater einmal im Jahr zu treffen. Und sein Sohn Saad wollte diese privilegierte Beziehung aufrecht erhalten. Im Februar konnte er sich ca. eine halbe Stunde mit Benedikt XVI. unterhalten, und dann noch mit Kardinal Tarcisio Bertone. Thema waren der Libanon und die Region, die Palästinenser und die Rolle, die der Hl. Stuhl im Friedensprozess spielt. Es war eine wirklich sehr zufriedenstellende Begegnung.
Wie kam man auf die Idee, Mariä Verkündigung zu einem nationalen Feiertag zu machen?
SAYEGH: Die Muttergottes wird auch von den Muslimen respektiert, wenn sie für sie auch nur die Mutter des Propheten Jesus ist. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Begegnung zwischen Christen und Muslimen. Als Saad Hariri dem Ministerrat vorgeschlagen hat, dieses Fest zum nationalen Feiertag zu machen, waren alle Minister einverstanden.
Wie lautet die derzeitige „Botschaft“ des Libanon an Nahost und an die Welt?
SAYEGH: Der ein oder andere hat die Worte von Johannes Paul II. missverstanden und gemeint, dass seine Aussage, der Libanon sei mehr als ein Land, nämlich eine Botschaft der Freiheit, ein Vorbild des Pluralismus für Ost und West, sozusagen gegen Israel gesprochen hätte. Wir sind mit den Palästinensern solidarisch und glauben nicht, dass es ohne Israel einen stabilen Frieden im Nahen Osten geben kann. Aber unser Land ist schließlich ein Ort der Begegnung zwischen Ost und West, ein multikonfessioneller und demokratischer Staat, der sich auf die Gewissensfreiheit gründet. Und das kommt nicht von ungefähr: es liegt in der Natur unseres Landes. Es ist die Zeit des Dialogs, und der Libanon ist das Emblem des Dialogs.


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