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EDITORIAL
Aus Nr. 11 - 2003

Der Mut Pater Martinas



Giulio Andreotti


Seite gegenüber, Pater Giacomo Martina mit der Kopie seines jüngsten Buches, Storia della Compagnia di Gesù in Italia 
(1814-1983), herausgegeben vom Verlag Morcelliana

Seite gegenüber, Pater Giacomo Martina mit der Kopie seines jüngsten Buches, Storia della Compagnia di Gesù in Italia (1814-1983), herausgegeben vom Verlag Morcelliana

Die in der Civiltà Cattolica erschienene Rezension des Buches von Pater Martina über die Geschichte der Gesellschaft Jesu in Italien (1814-1983) schließt mit einem eloquenten Satz: „Man könnte meinen, daß er seine Arbeit unbarmerzig verrichtet hat, wenn er sie nicht dagegen in Treue zu seinem Gewissen als Mann und Historiker und nicht zuletzt seiner Berufung getan hätte.“
In der Rekonstruktion einer langen Periode, die von der Erholung nach der Unterdrückung bis zum „Generalat“ von Pater Arrupe reicht, wird abwechselnd von wichtigen Ereignissen (wie der Beziehung zwischen der Kurie der Jesuiten und dem Vatikan) wie auch dem Verhalten einzelner Patres inner- und außerhalb des Ordens berichtet. Stets mit der Präzision und Sachlichkeit eines großen Historikers.
Das alles vor dem Hintergrund der ständigen Suche nach „Treffpunkten“ zwischen Modernität und Tradition. General Janssen scheint ein intransigenter und eher verschlossener Hüter letzterer gewesen zu sein, während mit Pater Arrupe – der die Atombomben in Hiroshima überlebt hat – der Qualitätssprung vielleicht über die Grenzen hinausging.
Mit wachsender Aufmerksamkeit habe ich diese 427 Seiten gelesen, und zwar unter drei Gesichtspunkten: dem debitum, das ich der Gesellschaft aufgrund meiner Ausbildung gegenüber habe; ihrer Beziehung zur Politik; den sehr fragwürdigen Merkmalen einiger Patres.
Als Kriegswaise verbrachte ich meine Schulzeit in öffentlichen Einrichtungen. Ich habe einmal die Gelegenheit gehabt, Fidel Castro, dessen dialektischen Scharfsinn ich sehr schätze, zu sagen, daß er mich geschlagen hätte, weil er bei den Jesuiten studiert hatte. Drei „Ergänzungen“ zu meiner Ausbildung habe ich von den Patres jedenfalls erhalten. Die erste in der Studenten-Missionsliga, wo man, abgesehen von der Bewunderung und dem Staunen über die fernen Kirchen, gelernt hat, die wirkliche Welt kennenzulernen, über alle Erdkundebücher hinaus; und sogar mit einer gewissen Spezialisierung. So konnte ich nach dem Krieg, als Indochina ein heikles Thema geworden war, mit meinem Bezug auf ein von mir 1936 gehaltenes Referat für Überraschung sorgen.
Wenn ich an die Missionsliga denke, erinnere ich mich auch an die ein oder andere wunderschöne Studientagung in Mondragone und L’Aquila, unter der Leitung von Pater Haeck, Pater Eugenio Pellegrino (nicht mit seinem Zwillingsbruder Francesco zu verwechseln) und dem geschätzten Professor Enrico Medi.
Ein anderes wichtiges Element meiner Ausbildung war die marianische Kongregation Mater Amabilis, unter der spirituellen Leitung von Msgr. Antonio Colonna aus dem Staatssekretariat, untergebracht im alten Noviziat der Jesuiten in Sant’Andrea. Eine interne Demokratie blieb gewahrt, der Präfekt wurde von den Mitgliedern der Kongregation in geheimer Wahl gewählt. Hier, einen Katzensprung vom Quirinal entfernt, beteiligte ich mich an meinen ersten Wahlen, und konnte sie auch gewinnen.
Verschiedene Professoren der Universität Gregoriana kamen, um Msgr. Colonna unter die Arme zu greifen. Ich erinnere mich an den österreichischen Pater Ludwig Naber und den italienischen Pater Agostino Tesio. Als Msgr. Colonna starb, wurde er von dem Jesuitenpater Giampiero ersetzt: einem gebildeten und sehr pastoralen Priester.
Die Generalskurie der Gesellschaft Jesu im Borgo Santo Spirito, nahe der Peterskirche, und die Statue Jesu im Innenhof.

Die Generalskurie der Gesellschaft Jesu im Borgo Santo Spirito, nahe der Peterskirche, und die Statue Jesu im Innenhof.

In der Mater Ambabilis fand sich keinerlei politische Färbung. Msgr. Colonna erzählte uns zwei Episoden um die Versöhnung mit Italien von 1929. Er, als versierter Mathematiker, war es gewesen, der die Entschädigung ausgerechnet hatte, die nach Porta Pia verweigert worden war, die Italien dann aber doch gezahlt hatte. Als namhafter minutante war er bei der Zeremonie im Lateran-Palast auch damit betraut gewesen, die Unterschriften De Gasperis und Mussilinis trocken zu stempeln.
In einer nahegelegenen Kongregation, der Prima Primaria, in der Viadella Caravita, konnten die katholischen Kommunisten so gut Fuß fassen, daß es zum Ausschluß von Pater Giuliano Prosperini aus der Gesellschaft kam.
Das dritte einschneidende Element war meine Bekanntschaft mit einigen Patres, anfangend, sehr jung, bei Pater Garagnani und seinen herrlichen Vorträgen, bis zu den Begegnungen – einige davon sehr intensiv und manches Mal polemisch –, die sich im Laufe meines langen öffentlichen Lebens ergaben.
Als ich noch ein Junge war, versuchte mich ein Jesuit, der mich in Anagni kennengelernt hatte, wohin ich von Segni zu einem Ausflug mit (den späteren Kardinälen) Angelo Felici und Vincenzo Fagiolo gekommen war, für die Gesellschaft zu gewinnen. Aber ich war nicht für den kirchlichen Zölibat geschaffen, und Pater Bitetti, römischer Provinzial, gab schon bald auf. In die Gesellschaft eingetreten sind dagegen aber, mehr oder weniger zu dieser Zeit, Bertolotti, Pappalardo und Davantali. Eine später, in der Missionsliga gereifte Berufung war die von Felice Ricci, und seine Ermahnungen, die im Vergleich zu denen von Pater Venturini und Pater Miccinelli sehr einfach waren, waren sehr beliebt und eröffneten Lebensperspektiven.
In meiner Gymnasialzeit waren die Professoren den Jesuiten im allgemeinen nicht sehr gewogen, von Pater Rocci – in seiner Eigenschaft als Griechisch-Experte – einmal abgesehen. Kritische Verweise auf Ereignisse während des Risorgimento wurden in Wahrheit nicht eingehend analysiert, waren aber recht häufig.
Ich bin dann später auf dieses Thema zurückgekommen, als ich, durch die Lektüre des grundlegenden Werkes von Pater Martino mein Wissen über Pius IX. vertiefte. Der Jesuitenpater kommt auch in dem von mir besprochenen Werk auf dieses Thema zurück. So erzählt er beispielsweise, daß am Vorabend der Erstürmung der Porta Pia der Papst zu dem königlichen Gesandten Graf Ponza gesagt hat: „Ich bin weder ein Prophet, noch der Sohn von Propheten, aber ich kann Ihnen sagen, daß Sie nicht hineinkommen werden, und wenn Sie hineinkommen, werden Sie nicht bleiben.“ Ich weiß nicht, ob diese Vorhersage mit der „Verbannung“ der Monarchie 76 Jahre später in Verbindung gebracht werden kann. Der Quirinal brachte dem Herrscherhaus jedenfalls kein Glück: Vittorio Emanuele II. starb noch vor Pius IX. im Alter von nur 57 Jahren; Umberto I. wurde ermordet; Vittorio Emanuele III. und Umberto II. starben im Exil. Und das war es.
Graf Ponzo hatte bekanntlich einen Jesuiten zum Bruder, Alessandro; und das gilt auch für den Garibaldi-Anhänger Nino Bixio: sein Bruder Joseph engagierte sich in einem aktiven Apostolat in Kalifornien und Australien. Gerade diese interessanten Randbemerkungen machen die Erzählung von Pater Martina so lebendig.
Aber Papst Mastai Ferretti haben wir auch die Gründung von Civilà Cattolica zu verdanken; und diese komplexe und dynamische offiziöse Zeitschrift (die Entwürfe werden dem Staatsekretariat unterbreitet) verbreitet nun schon seit fast zweihundert Jahren interessante Meldungen. Das anfängliche Gefühl der Opposition eines Teils des Kirchenstaates gegen die italienische usurpatorische Regierung sollte – mit Hochs und Tiefs – andauern, noch lang nach der Eroberung Roms durch die Piemontesen. Die Redakteure in der Via Ripetta waren nicht daran gewöhnt, sich auf gefährliche Kurvenfahrten zu begeben; zur einzigen Ausnahme kam es im Oktober 1922 angesichts der Neuheit der Regierung Mussolini, die dem aus Mailand gekommenen Papst [Pius XI.] a priori nicht mißfiel. Der verehrungswürdige Chefredakteur, Pater Rosa, bewahrte jedoch die größte Zurückhaltung – so sehr, daß er als Feind betrachtet wurde, auf den die faschistische Polizei ein Auge haben mußte. Wir werden in Kürze... die Kompensation mit dem Mitbruder Pater Tacchi Venturi sehen.
An einer gewissen Urteilsautonomie hat es nie gefehlt. So schien Pater Brucculeri beispielsweise lange Zeit vom Korporatismus angezogen zu sein, war aber stets darauf bedacht, den Protagonisten des Ventennio [Zeit, in der die Faschisten in Italien an der Macht waren] nicht auf den Schlips zu treten.
Auch bei den theologischen Polemiken gab Civiltà Cattolica nicht so sehr das Denken der Gesellschaft Jesu wider, sondern die Anweisungen des Vatikans (Vorsicht: nicht immer dasselbe wie die persönliche Meinung des Papstes, wie im Fall des umstrittenen Abtes Rosmini offensichtlich).
Ich habe mich nur einmal mit Pater Rosa getroffen, um ein Universitäts-Problem mit ihm zu erörtern. Die ihn quälende Trigeminusneuralgie erweckte mein Mitgefühl, aber er widmete mir trotzdem seine ganze Aufmerksamkeit und gab mir wertvolle Ratschläge dazu, wie ich mit den kommunistischen Katholiken umgehen konnte, ohne hier eine Hexenjagd anzuzetteln. Pater Rosas Nachfolger waren Pater Rinaldi und Pater Martegani, ein geschickter Diplomat und vollkommener Priester. Bei mehr als einer Gelegenheit spielte er Vermittler zwischen der von oben gewollten Intransigenz italienischen Politikern katholischer Überzeugung gegenüber und dem intelligenten Erfassen, aus der Nähe betrachteter schwieriger Situationen. Pater Maregani haben wir den Weitblick zu verdanken, die Civiltà Cattolica in die Villa Malta zu verlegen, einen Sitz von großem Prestige, der Versammlungen im Stadtzentrum Roms möglich machte. Danach wechselte er zur Generalskurie über, wo er wichtige Funktionen erfüllte. Außergewöhnlich ist es festzustellen, wie verschieden die einzelnen Chefredakteure menschlich doch waren. Pater Sorge beispielsweise (Pater Gliozzo habe ich nicht kennengelernt) schien sehr darauf bedacht, ja nicht in politische Bereiche einzudringen, bemühte sich aber auf seine Weise um die auf eine sichtlich ermüdete „Democrazia Cristiana“ folgende „Zeit danach“. Seine persönlichen Kontakte waren überaus intensiv. Eine bedeutende Persönlichkeit – Giovanni Spagnolli, ehemaliger Präsident des Senats – beschloß auf seinen Rat, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen. Bei einem Treffen in der Villa Malta hatte ich den Eindruck, einen ähnlichen Rat erhalten zu haben. Den ich allerdings nicht befolgte. Das war vielleicht falsch: denn so hätte ich vielen Leuten die Mühe erspart, mich loszuwerden zu versuchen.
Nach dem kurzen Pontifikat von Johannes Paul I. (der daran dachte, ihn zu seinem Nachfolger in Venedig zu ernennen: dafür gibt es sichere Quellen) verließ Pater Sorge Rom und ging nach Palermo, wo er sich um einen neuen Kurs für die italienische Politik bemühte. Aber Sizilien ist nun einmal eine ganz besondere Region. Die lokale Jesuitengemeinschaft ist zwar klein, aber wurde Zeuge der Auseinandersetzungen zwischen den Leaders von zwei gegensätzlichen Trends. Pater Noto, Direktor eines gemäßigten Studienzentrums, war ein guter Freund von Salvo Lima; während Pater Pintacuda, zusammen mit Leoluca Orlando, die Christdemokraten der Opposition anführte, die zumindest in ihren Erklärungen progressiv waren. Ohne offen für die eine oder andere Seite einzutreten, begann Pater Sorge damit, einen dritten Weg herauszukristallisieren, mit einer Öffnung für die sogenannten linksgerichteten Unabhängigen; doch nach ein paar Jahren verließ er den „tiefen Süden“ und siedelte nach Mailand über, um die Aggiornamenti Sociali herauszugeben. Er hat in der Zwischenzeit zu Studien über vergangene Erfahrungen angeregt wie auch dazu, über eine neue Art, mit Politik umzugehen, nachzudenken: nach einem in großen Zügen entworfenen und ohne Hast ausgearbeiteten Schema.
Nach Pater Sorge wurde Pater Tucci an die Leitung der Civiltà Cattolica berufen, ein Mann von großer menschlicher Kommunikationskraft, und politisch extra partes. Angesichts des neuen Kurses der Kirche, mit den apostolischen Reisen, waren fähige Mitarbeiter für die organisatorische und kulturelle Vorbereitung notwendig. Erstere Aufgabe wurde dem amerikanischen Bischof Msgr. Marcinkus übertragen (der später, meiner Meinung nach zu unrecht, in Vatikanbank-bezogene Polemiken hineingezogen wurde, und heute ein vorbildlicher Priester ist, der sich um die Gläubigen in Arizona kümmert). Pater Tucci – der heute Kardinal ist und in der Villa Malta residiert – kümmerte sich mit großem Takt und bewundernswerter Öffnung für die jeweiligen Merkmale der besuchten Länder und lokalen Hierarchien um die intellektuelle und politische Vorbereitung der Papstbesuche.
Eine Illustration von Achille Beltrame, auf der Pius XI. und Benito Mussolini bei einer Audienz vom 11. Februar 1932 dargestellt sind.

Eine Illustration von Achille Beltrame, auf der Pius XI. und Benito Mussolini bei einer Audienz vom 11. Februar 1932 dargestellt sind.

Der derzeitige Chefredakteur ist Pater Salvini: der junge Mann, dem para-politische Ziele fremd sind, ist intellektuell sehr offen, wird aber nie in den Zeitungen erwähnt. Zum Leben der Kirche und zum Weltgeschehen finden sich in jeder Nummer die neuesten Nachrichten und überaus interessante Anregungen. Auch die Beziehung zwischen Glauben und Wissenschaft wird mit großer Öffnung und Intensität behandelt. Der offiziöse Charakter der Zeitschrift ist sicher weniger ausgeprägt als früher; aber das kommt einer dialektischeren und objektiv attraktiven Ausrichtung zugute.

Ein zweiter Aspekt von Pater Martinas Buch betrifft die Beziehung der Jesuiten zur Evolution und Involution der italienischen Politik, auch in der Situation nach dem 2. Weltkrieg. Die neue Situation befreite die Patres sowohl von einer jahrhundertelangen Verwicklung in fragwürdige Themen, wie dem umstrittenen posttemporalistischen, als auch von den manchmal akrobatischen Positionen in einem italienischen Diktatur-System. Die politische Partei der erklärten Katholiken verdiente wohlwollende Aufmerksamkeit, aber nicht mehr. Hierher gehört auch das Thema der Haltung von Pius XII. zu De Gasperi. In einer Rezension zu einem meiner Bücher hat Pater Martina beobachtet, daß ich versuche, relativ neutral zu sein; und das stimmt vielleicht, angesichts meiner Zuneigung zum ehemaligen italienischen Präsidenten und der gleichzeitigen großen Verehrung für Papst Pacelli, und das nicht zuletzt auch wegen der vielen ungerechten Kritiken, die gegen letzteren erhoben worden sind.
Wie sehr Pius XII. De Gasperis große moralische Qualitäten bewunderte, geht aus der Ansprache an ihn hervor, anlässlich des 20. Jahrestages des Konkordats. Der Papst hielt jedenfalls nicht viel von einer gouvernativen Kollaboration mit erklärten Laizisten, und auch den demokratischen Antikommunismus hielt er nicht für ausreichend. Aus den Papieren des damaligen Monsignores (und späteren Kardinals) Pietro Pavan, der bei De Gasperi eine ihm 1952 vom Papst übertragene Mission ausführte, erfahren wir, daß man ihn gefragt hatte, warum wir nicht, wie die Deutschen, die kommunistische Partei geächtet hätten. In diesem Kontext ist der päpstliche Segen für die unkluge, sogenannte Operation Sturzo – ebenfalls 1952 – zu sehen. Die Entpolitisierung der römischen Stadtverwaltungswahlen war beschlossen worden, indem man in einer anonymen Sammelliste wohlgesinnte Christdemokraten, Monarchisten und Neofaschisten zusammenfließen ließ. Abgesehen von dem kargen Interesse, das die Rechte selbst zeigte, wurde die Unterstützung des Papstes sofort zurückgezogen, als es mir gelang, ihm – durch die gute Schwester Paschalina – eine Note darüber zukommen zu lassen, welchen katastrophalen Ausgang das für das Überleben der Regierung De Gasperi haben würde. Ich werde in Kürze die Rolle ansprechen, die Pater Riccardo Lombardi in dem Desaster spielte, zu dem Pater Martina eine unerbittliche Meinung hat, die er auch zum Ausdruck bringt.
Im folgenden Jahr, 1953, geriet De Gasperi, von seinen historischen Verbündeten im Stich gelassen, denen gegenüber sich die Wählerschaft, laut eines von Saragat geprägten Ausdrucks „zynisch und verräterisch“ verhalten hatte, in Krise. Auf die achte Regierung De Gasperi folgte die Einparteienadministration Pella, die von beiden Kammern mit der Unterstützung der Monarchisten gewählt worden war, die De Gasperi dagegen ihre Unterstützung verweigert hatten. Hier kam als politischer Berater Pater Giuseppe Messineo ins Spiel, der nicht nur voll des Lobes für den neuen Ministerpräsidenten war, sondern die gesamte Politik De Gasperis in einem Artikel gnadenlos verriß.
De Gasperi hatte Einaudis Vorstellung geteilt, die Regierung dem Schatzminister anzuvertrauen, in einer fast schon technischen Linie. Und er wollte, daß ich im Viminal [Innenministerium] blieb, als Zeichen der Kontinuität sozusagen. Aber es konnte sich eine merkwürdige Koalition pro Pella herausbilden, wobei tagtäglich herausgehoben wurde, was für ein starker Mann er war: der Enthusiasmus geriet dann vollkommen außer Kontrolle, als die Regierung, die einen von einer Nachrichtenagentur verbreiteten Bericht ernstnahm, in dem Marschall Tito Angriffsabsichten unterstellt wurden, Truppen an die Ostfront schickte. Leider tappte auch Verteidigungsminister Taviani in diese Falle und unterstützte den damaligen Abenteuergeist Pellas, der in einer Rede auf dem Kapitol gipfelte, bei der die nationalen Gefühle gefährlich aufgeheizt wurden. De Gasperi verlangte vergeblich, daß wenigstens die Entscheidung angekündigt würde, dem Parlament die Ratifizierung des Abkommens für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu unterbreiten.
Ein paar Wochen später kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Regierung und den beiden Christdemokratischen Parlamentsgruppen. Pella hatte den Abgeordneten Aldisio zum Landwirtschaftsminister ernannt: ein perfekter Demokrat und Drahtzieher des sizilianischen Autonomiestatuts. Dieser Schritt erschien in der Tat als Antithese, oder doch zumindest entschiedene Korrektur der Reform-Politik Segnis: das führte zum christdemokratischen Veto, was noch verschlimmert wurde durch die Haltung des Quirinals, das, dem Umstand nicht Rechnung tragend, daß sie über das „Vertrauensvotum“ verfügten, den Parlamentariern das Recht streitig machte, Kandidaten auszuschließen.
Pius XII.

Pius XII.

Pella war realistisch genug, sich nicht noch unerbittlicher zu zeigen, und das, obwohl ihm Pater Messineo anriet, „hart zu bleiben, weil sie auf Knien um Vergebung betteln werden“. Die Labyrinthe des politischen Lebens sind komplex, und manchmal auch für die, die darin leben, undurchdringlich. Als improvisierter „Hofrat“ übte Pater Messineo einen schädlichen Einfluß aus. In der Zwischenzeit waren es weder De Gasperi noch die christdemokratischen Abgeordneten und Senatoren, die die Übergangsregierung untergruben, sondern die früheren Verbündeten in den Regierungen der Christdemokraten (DC), die bereuten, durch ihre Angriffe auf De Gasperi selbst bewirkt zu haben, nicht mehr im Spiel zu sein.
Von De Gasperi selbst kam jedoch keine Reaktion, und der Plan, die – wenngleich mit einem engen Rahmen, zahlenmäßig mögliche – Vier-Parteien-Koalition wieder einzurichten, wurde von Mario Scelba ausgearbeitet, der in einer Ansprache in Novara das Pulverfaß zündete. De Gasperi hatte keine Vorwarnung erhalten, und konnte das Manöver nicht gutheißen. Ihm die Liquidierung Pellas in die Schuhe zu schieben, ist ein historischer Irrtum. Scelba jedenfalls, der 1953 schlecht behandelt worden war (mit der – von ihm abgelehnten – „Verschiebung“ vom Innen- zum Verteidigungsministerium), zog keinen unmittelbaren Vorteil aus der Liquidierung Pellas. Im Innern der DC bestand ein starkes Ressentiment gegen Saragat und die anderen, die De Gasperis Grab geschaufelt hatten. Und nicht wenige fragten sich, warum die nun reumütigen ehemaligen Verbündeten nichts für die Rückkehr De Gasperis an die Regierungsspitze taten. So wurde Fanfani damit betraut, eine Einparteienregierung zu bilden, die, laut kurzsichtiger Berater, einen „Waffenstillstand“ zwischen Monarchisten und Sozialisten herbeigeführt hätte. Zu meiner großen Überraschung und Besorgnis wollte mich Fanfani mit dem Amt des Innenministers betrauen, und ich ging zu De Gasperi, um mich von ihm davon überzeugen zu lassen.
Fanfani, ein Mann von außergewöhnlichem Dynamismus, führte die Neuheit der gleichzeitigen Vorstellung der Regierung und des Gesetzesentwurfes für die Umsetzung ihres Programms ein. Aber die Versicherungen, die er gegeben hatte, erwiesen sich als inkonsistent. Wenige Stunden nach seiner Ansprache ging ich zu ihm, um ihm zu sagen, daß ich froh war, angenommen zu haben, weil er sonst hätte glauben können, ich wolle seine Niederlage nicht mit ihm teilen. Er war überrascht über meinen Pessimismus und sagte mir, daß ich, sollte sich meine Information über die Niederlage als falsch erweisen, nicht nur unfähig wäre, Innenminister zu sein, sondern auch Parlamentsmitglied. Wer ihm seine Unterstützung zugesagt hatte, weiß ich nicht; er hatte aber sicher in den letzten Tagen intensive – direkte und indirekte – Kontakte zu Pietro Nenni und Alfredo Covelli gehabt.
Durch diese beiden schwierigen Erfahrungen und Pellas – sozusagen – administratives Interregnum, mußte das Parlament eine gewisse Stabilität erreichen. Und Scelba war der naheliegendste Kandidat. Pater Messineo mußte erkennen, daß niemand zu Pella gewallfahrtet war, um ihn wegen der Affäre Aldisio um Vergebung zu bitten.
Obwohl De Gasperis Gesundheit schon sehr angeschlagen war, ließ er sich nicht daran hindern, sich intensiv den europäischen Problemen zu widmen und sich um die Konsolidierung der DC zu bemühen. Scelba und Fanfani (Regierung und Partei) waren Stabilitätselemente; im Innern der DC gärte es jedoch in verschiedenen Richtungen, was beim Nationalkongress in Neapel Ende Juni nur scheinbar unter Kontrolle gebracht worden war. Unter Aufbietung all seiner Kräfte gelang es De Gasperi, stundenlang zu sprechen, ein echtes politisch-moralisches Testament diktierend.
In der Zwischenzeit wurde sich jedoch auch De Gasperi selbst der Existenz subtiler Manöver gegen ihn bewußt, die vielleicht auch von der Angst genährt waren, er könne 1955 als Nachfolger Einaudis kandidieren.
Die „Brief-Falle“, in die Guereschi wegen seiner 1944 an die Alliierten gerichteten Forderung tappte, Rom zu bombardieren, fällt in diesen Kontext. Aber da gibt es leider auch einen Artikel der Civiltà Cattolica vom März jenes Jahres 1954 mit dem feierlichen Titel Die Katholiken und das politische Leben – Verfasser war Pater Messineo, aber der Artikel war, wie man betonte, vom Papst akkreditiert worden.
Selten habe ich De Gasperi so verbittert gesehen. Er bestellte mich früh am Morgen nach Castel Gandolfo, wo ich ihn sehr aufgebracht vorfand. Er hatte ein paar polemische Kommentare vorbereitet und beauftragte mich, einen Artikel zu schreiben, und dem Priester so eine unmißverständlich Antwort zu geben.
Ein anderes Mal, sofort nach der Befreiung, hatte er mir – die DC als eine Zentrums-Partei bezeichnend, die sich auf den linken Flügel zu bewegt – einen Satz diktiert, der in die geschichtliche Historiographie eingegangen ist. Aber dieses Mal lagen die Dinge anders. Da war nur noch sein Ressentiment über so viele Mißverständnisse und Kompetenzübergriffe. Und es war an der Zeit, vermeintliche Politiker und Eindringlinge in unseren Bereich an die Kandare zu nehmen. Der offiziöse Charakter der Civiltà Cattolica war offensichtlich wie nie zuvor. Zu einer direkten Klärung mit dem Heiligen Vater, zu der er sich Msgr. Pavan gegenüber disponibel gezeigt hatte, war es nicht gekommen.
Und doch hatte er klar gesagt, welche Haltung er in den drei möglichen Situationen einnehmen würde. Wenn der Papst an den Wert seiner These glauben würde, gut. Wenn er ihm sagen würde, daß er ihm in seiner besonderen Verantwortlichkeit die Richtlinien überlassen würde, auch gut. Wenn er ihm gegenüber seinen Dissens zum Ausdruck bringen sollte, würde er, De Gasperi, ein praktizierender Katholik, sich zurückziehen. Mehr als das war nicht möglich.
Ich sagte ihm – und das war die reine Wahrheit –, daß ich den Artikel noch nicht gelesen hätte und daß ich mich mit großer Sorgfalt daran machen würde, die Antwort aufzusetzen. Ich wußte, daß man einen Tag vergehen lassen mußte, damit sein berechtigter Ärger verrauchen konnte und daß die Antwort dann weniger polemisch ausfallen würde. Und so war es auch. Am nächsten Tag wurde ich wieder bei ihm vorstellig, und konnte ihm vorschlagen, daß es besser wäre, gar nicht erst darauf zu reagieren. Natürlich war der Artikel von Pater Messineo besserwisserisch und anmaßend, aber politisch gesehen dann doch wieder nicht so verletzend, wie es in seinen Augen zuerst ausgesehen hatte.
An Alcide De Gasperi anläßlich seines Besuchs im Vatikan vom 11. Februar 1949, zum 20. Jahrestag der Lateranverträge

An Alcide De Gasperi anläßlich seines Besuchs im Vatikan vom 11. Februar 1949, zum 20. Jahrestag der Lateranverträge

Aus einem Brief Pater Messineos an Pater Martina zwanzig Jahre später konnte ich ersehen, daß er u.a. einen Vortrag in Novara De Gasperi zuschrieb, ihn also mit dem, bereits erwähnten, verwechselte, den Scelba gehalten hat.

Meine offensichtliche Neigung, politische Aspekte zu betonen, kann mich jedoch nicht davon abhalten, auf jene herausragenden Persönlichkeiten zu verweisen, die sich als Militärkaplane verdient gemacht haben. Besonders bewegend sind die Berichte über die Jesuiten in Albanien, wo einer der Jesuiten unter dem kommunistischen Regime sogar erschossen wurde.
Aber ich will mein Augenmerk auf drei, historisch besonders bedeutende Persönlichkeiten richten: Pater Tacchi Venturi, Pater Arrupe und Pater Riccardo Lombardi.
Der erste, der alle Prüfungen – einschließlich Exil – erlebt hatte, die die Gesellschaft erdulden mußte, wird als jener Kleriker erwähnt, der offenen Zugang zu Palazzo Venezia hatte und manchmal als „Mussolinis Beichtvater“ bezeichnet wird.
Da er mit dem möglichen Erwerb der Chigi Bibliothek betraut war, die zusammen mit dem gleichnamigen Palast im Jahr 1919 vom Staat übernommen worden war, konnte er mit dem erst ein paar Tage zuvor an die Macht gekommenen Mussolini sprechen. In einer großzügigen Geste – er hatte vom Interesse des Papstes an dieser Sache gehört – dekretierte Mussolini die Schenkung der wertvollen Sammlung an den Hl. Stuhl. Ein so glänzender Vermittler erlangte natürlich schnell große Berühmtheit. Daher, drei Jahre später, die ihm von Kardinal Gasparri übertragene Aufgabe, mit Don Sturzo auszuhandeln, die Parteileitung zu verlassen und, kurz darauf, Italien.
Intervention und Vermittlung dieses Jesuiten waren in den folgenden Jahren, mit unterschiedlichen Resultaten, in vielen persönlichen Fällen gefragt. Sein Verhalten Buonaiuti gegenüber war nicht brillant, aber der „Boykott“ gegen den armen Don Ernesto ging auch mit zwei „Laien“-Ministern des öffentlichen Bildungswesens weiter.
Pater Tacchi Venturi war einer der namhaftesten Mitarbeiter der Italienischen Enzyklopädie.

Dort, wo Pater Martina über Pater Riccardo Lombardi schreibt, bestätigt er ein, von mir immer empfundenes, nicht gerade positives Urteil. Aber hier sind doch einige Präzisierungen vonnöten.
Das wieder einmal erhoffte Ziel einer tiefgehenden Erneuerung der Kirche und auch Italiens war suggestiv. Und in seinen Schriften über ersteres Projekte fanden sich nicht wenige Anregungen dessen, was die nachfolgende konziliäre Jahreszeit sein sollte. Leider hielt er sich selbst, um einen kanonischen Ausdruck zu gebrauchen, für umittelbar nur sich selbst verantwortlich, da er die Anreize direkt von Jesus erhielt. So kam es auch, daß er brüsk laut wurde, als er meinte, Patriarch Roncalli befände sich im Irrtum, sich aber auch in einer Audienz mit Pius XII. zu einem Wutausbruch hinreissen ließ, so daß ihn letzterer zurechtweisen und daran erinnern mußte, wer denn nun hier der Papst war.
Der Kreuzzug Pater Lombardis fand nicht nur auf den – mit begeistert applaudierenden Menschen überfüllten – Plätzen Italiens statt, sondern auch in den jeweiligen Sprachen vieler Nationen im Ausland. Überall proklamierte er große soziale Veränderungen und sagte voraus, daß die Macht von der Volksmasse erobert werden würde. Pater Martina kommt zu der Feststellung, daß die Auswirkungen in den USA deshalb gering gehalten wurden, weil seine Englischkenntnisse mehr als mager waren. Aber auch der Botschafter Brasiliens merkte an, daß es ein Glück war, daß er meinte, der portugiesischen Sprache mächtig zu sein.
Er war davon überzeugt, daß Italien in Scherben lag, und verwies mit Grauen auf die 300.000 Toten (?) der Tage der Befreiung. Während des Eucharistischen Kongresses in Assisi (1952) beklagte er – zur sichtlichen Beunruhigung des Päpstlichen Legaten, Kardinal Schuster –, daß Turin inzwischen kommunistisch geworden wäre. Da der Bürgermeister der Christdemokrat Peyron war, mußte ich ihn unterbrechen: er fragte mich, ob ich sicher wäre, und fuhr unbeirrt fort.
Man sagte, daß seine Antipathie für De Gasperi und in gewisser Weise für das gesamte Nachkriegssystem auch auf die Säuberungsaktion zurückzuführen war, der sein Vater zum Opfer gefallen war, ein angesehener Professor und Senator des Reiches. Seine Schwester Pia dagegen, ein herausragendes christdemokratisches Parlamentsmitglied, war ganz anderer Meinung. Sein Bruder Gabrio war später verantwortlich für das Referendum gegen die Scheidung, das an sich einwandfrei war („wir können das Zurückgreifen auf ein legitimes Mittel zur Auslöschung eines Gesetzes, das wir für ungerecht halten, nicht verbieten,“ sagte Paul VI.), das politische Gewicht der Katholiken jedoch erheblich schmälerte. Die Vorbehalte gegen die Scheidung waren prozentual gesehen in den beiden Kammern deutlich stärker ausgeprägt als in der landesweiten Wahl, die Stadt Rom nicht ausgenommen.
Es wäre jedoch wenig korrekt, an Pater Lombardi so gar kein gutes Haar zu lassen, nicht anzuerkennen, daß er nicht nur einen guten Glauben hatte, sondern auch einige wirklich gute Initiativen auf die Beine stellte. Angefangen bei den Übungen für eine bessere Welt. Das Exerzitien-Schema des Ignatius erneuernd, wo die Gläubigen mehrere Tage absoluten Schweigens in Klausur verbringen, den Meditationen und den Reformen der geistlichen Führung lauschend (ich erinnere mich an den aulischen Pater Marchetti), war Pater Lombardis Modell das einer unerbittlichen Debatte zwischen allen Teilnehmern. Zweimal nahm ich dann daran teil, wenn die Politiker an der Reihe waren, und ich muß sagen, daß es sehr konstruktive und beeindruckende Tage waren.
Anders war Pater Lombardi in irdischen Dingen. Am Abend der fehlgeschlagenen Sturzo-Operation hielt er mir am Telefon eine lange Gardinenpredigt und drängte darauf, daß ich unbedingt einen Weg finden mußte, das sogenannte Sturzo-Projekt (in Wahrheit aber seines und das Geddas) wieder in Gang zu bringen. Ich war sehr müde und angespannt wegen der Gefahr, der das politische Leben ausgesetzt gewesen war, und sagte ihm am Ende kurzangebunden, daß ich nicht wüßte, was er zu tun gedenke, daß ich aber jedenfalls nun ins Bett gehen würde. Ich legte auf, und der Jesuit war später barmherzig genug, über diese unhöfliche Geste hinwegzusehen.
Um die Erinnerungen an Pater Lombardi ranken sich unweigerlich auch die an Pater Rotundi, der jahrelang sozusagen seine „rechte Hand“ war, dann aber immer mehr an Autonomie gewann und schließlich eine Bewegung (die Oase) von intensiver Spiritualität gründete. Der Zufall hatte es gewollt, daß ich viele Jahre zuvor gerade am Leonianum in Anagni anwesend war – wo Virginio Seminarist war –, als er seinen alles andere als begeisterten Angehörigen seinen Entschluß mitteilte, in die Gesellschaft eintreten zu wollen.
Pater Rotundi war ein geschickter Vermittler. Er war es, der die Beziehungen zwischen Pius XII. und Präsident Gronchi „normalisierte“ (oder das doch zumindest versuchte), indem er letzteren in seinem Auto – ohne Eskorte und andere, die sich einmischen konnten – nach Castel Gandolfo brachte. Das Duo Lombardi-Rotundi stellte jedenfalls eine a-typische Situation in der Geschichte der italienischen Jesuiten dar, war einschneidend und brachte reiche Beiträge hervor.
Zu den Gründen persönlicher Dankbarkeit kommt noch ein anderer dazu, ein ungewöhnlicher, etwas, das sich kurz nach meiner Ernennung zum Präsidenten der FUCI ereignete. In Anbetracht des Nationalkongresses war es üblich, den ein oder anderen Beitrag zu erbitten, immerhin mußten wir die meisten der Studenten umsonst unterbringen. Die Generalskurie der Jesuiten gab uns eine positive Antwort, voll des Lobes für die Initiative und die Tagesordnungspunkte, und man kündigte auch an, daß 100 Messen für ihren Erfolg gefeiert werden würden. Trotz der enormen Kriegsschwierigkeiten war der Kongress ein voller Erfolg. Die Lehre, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, hat mich und alle Vorsitzenden zutiefst beeindruckt.


Die Beerdigung von Pater Arrupe am 9. Februar 1991. Auf dem Foto: Kardinal Carlo Maria Martini, Pater Peter-Hans Kolvenbach und Giulio Andreotti.

Die Beerdigung von Pater Arrupe am 9. Februar 1991. Auf dem Foto: Kardinal Carlo Maria Martini, Pater Peter-Hans Kolvenbach und Giulio Andreotti.

Zu den großen Wirren in den Nachkriegsjahren gehörte auch der Sturm, der die Gesellschaft Jesu selbst erschütterte. Hohe Wellen schlagende Strömungen kirchlicher Erneuerung erfaßten die Kirche in vielen Teilen der Welt. Mit vereinten Kräften war man darum bemüht, sowohl der Strömung des internationalen Kommunismus, als auch der der spirituellen Dürre einer immer unmenschlicheren kapitalistischen Gesellschaft Einhalt zu gebieten.
Als Elitetruppen für die Feldzüge Gottes bekamen die Jesuiten die Krise mehr noch als andere zu spüren. Man sagte ihnen, sie sollten durchschlagende Innovationen herbeiführen, aber ohne die Richtlinien der Tradition zu kompromittieren.
Und während in Lateinamerika die sogenannten Befreiungsbewegungen in der Kirche Wellen schlugen – die gleichzeitig vom Evangelium wie auch vom Gewehr symbolisiert wurden –, gärte es fast überall und es entstanden gefährliche Situationen, die besonders die schwächeren Patres auf eine harte Probe stellten und schmerzliche Austritte aus der Gesellschaft bewirkten.
Die bedingungslose Treue zum Papst ist ein wichtiges Merkmal der Gesellschaft Jesu. Das Echo des Falles Billot, jenes französischen Jesuiten, der gegen den Ratschlag des Hl. Stuhls mit der Action Française geliebäugelt hatte, ein Fall, der mit dem Entschluß des französischen Jesuiten, auf das Kardinalat zu verzichten, ausgegangen war, war noch nicht verhallt. Dieses Mal dagegen war der Wunsch, vor allem bei jungen Priestern, weitverbreitet, selbst die wesentlichen Fixpunkte in Vorbereitung und Apostolat der Gesellschaft zu überdenken.
Die Wahl von Vater Arrupe zum General leitete eine Wende ein. Dieser Jesuit, der in Japan Erfahrungen hatte sammeln können, die durch die tragischen Ereignisse des Atom-Holocausts nicht nur als a-typisch, sondern als ganz und gar außergewöhnlich zu bezeichnen sind, sollte die Gesellschaft einer großen Erneuerung zuführen, wenn auch stets einer Erneuerung im Einklang mit den vom Gründer gewollten Fixpunkten. Er war an zwei Fronten aktiv: mußte gegen den nicht nachlassenden Druck seitens der Jungen kämpfen und sich auch ständig vom Vatikan scharf zur Ordnung rufen lassen.
Ich habe bereits auf die Begegnungen mit Pater Arrupe bei mir zuhause angespielt, von wo aus man auf der anderen Seite des Tibers die Christus-Statue auf der Generalskurie sehen kann. Grund für diese Treffen war der Wunsch, in einem ungezwungeneren Rahmen als dem der formalen Beziehungen von Kirche und Staat über einige spezifische Probleme der Gesellschaft Jesu sprechen zu können. Aber vielleicht war es dem Pater auch ganz angenehm, sich einmal ohne Angst vor Indiskretionen aussprechen zu können und dabei seine dramatische Situation intuitiv verstanden zu wissen.
Später, stets bei mir zuhause, erfuhr ich aus erster Hand von einer der persönlichen Krisen, die den Jesuitengeneral so sehr quälten. An eine Gruppe, Freunde meiner Kinder, hatte sich ein junger Mann angeschlossen, der ein wenig älter war als sie und der immer Jeans und T-shirts trug. Man hatte mir gesagt, daß er ein bedeutender brasilianischer Jesuit sei, und ich war im Stillen ganz froh über diesen „kirchlichen“ Einfluß in der Gruppe. Eines Tages berichteten mir meine Kinder, daß ihnen der „Pater“ gesagt hätte, daß die Kirche längst nicht mehr dieselbe Faszination besäße wie früher; und er hatte – sozusagen – das Gewand abgelegt, mit dem ich ihn in der Tat nie gesehen hatte. Vielleicht war es falsch von mir, aber ich kam nicht umhin, mit dem Satz zu antworten, den Pius XI. angesichts in Krise geratener Priester geprägt hatte: „Wie heißt die junge Dame?“. Meine Kinder waren entrüstet, doch dann, ein paar Monate später, berichteten sie mir, daß der Pater bald heiraten würde.
Es wäre närrisch, die große Krise, der sich Pater Arrupe stellen mußte, den Frauen in die Schuhe zu schieben. Es bestand eine weite kulturelle und soziale Unruhe, die Verständnis und Respekt erforderte. Man konnte keine Männer „geißeln“, die sich so lange Jahre im Dienst der Kirche aufgeopfert hatten. Hier waren Umsicht, Mäßigung und Vertrauen angesagt.
Das war meine persönliche Erfahrung mit Pater Arrupe, vor dessen Grab ich oft innehalte, um zu meditieren und zu beten.
Einer der schmerzlichsten Tage war für ihn der, an dem er die scharfe Ermahnung lesen mußte, die Johannes Paul I. – in seinem so kurzen Pontifikat – dem Orden zukommen ließ und worin er daran gemahnte, daß die Patres „nicht die Rolle der Laien einnehmen und ihre besondere Evangelisierungspflicht nicht vernachlässigen“ dürften.
Am 7. August 1981, bei seiner Rückkehr von einem Besuch im Fernen Osten, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte, ernannte Pater Arrupe den amerikanischen Pater O’Keefe zum Generalvikar, einen damaligen Freidenker (der in einer holländischen Zeitung ein denkbar schlechtes Interview gegeben hatte). Aber hier griff der Papst ein und ernannte (den späteren Kardinal) Pater Dezza zum Sonderdelegaten und beauftragte ihn mit der Vorbereitung der Generalkongregation, die für den 2. September 1981 einberufen war. Am Tag darauf wurde dem Rücktritt von Pater Arrupe stattgegeben und Pater Peter-Hans Kolvenbach zu seinem Nachfolger gewählt, der die Gesellschaft noch heute leitet.
Es war sicherlich eine sehr turbulente Zeit, die 18 Jahre von Pater Arrupe im Borgo Santo Spirito, bis zu seinem Tod 1991. Aber auch sein Nachfolger hatte es mit dem Vatikan nicht immer leicht. Das zeigt Pater Martina auf wirksame Weise, wenn einige Misstöne von außen auch nicht immer zu verstehen sind (wie der Widerstand gegen die Verallgemeinerung des vierten Gelübdes, dem des Gehorsams gegenüber dem Papst).
Besonders eingehend befaßt sich Pater Martina mit der Ernennung von Kardinal Carlo Maria Martini zum Erzbischof von Mailand, und erinnert an den einzigen Präzedenzfall einer einem Jesuiten anvertrauten italienischen Diözese (Boetto, dem im Krieg Genua anvertraut wurde). Bei der Betonung der Verdienste des großen Bibelexperten wird auch nicht vergessen, auf die turbulente Situation im Heiligen Land hinzuweisen.
In seinem Panorama von 169 Jahren Leben der Jesuiten in Italien hat mich besonders eine Episode beeindruckt. Zu Weihnachten 1913 schickte der Papst einen Brief, in dem er, unmittelbar nach der Anerkennung der bisher vollbrachten Verdienste, die Gesellschaft ermahnte, sich „von der pestilenzartigen Ansteckung durch die Welt“ fernzuhalten, eine „weltliche Gesinnung, eine Leichtfertigkeit der Seele und die Suche nach verwegenen Neuheiten“ zu vermeiden.
Pater General Wernz antwortete mit einem leidenschaftlichen Brief am 13. Juli 1914, aber ohne Erfolg. Pius X. starb am 20. August; nur wenige Stunden zuvor war auch Pater Wernz in eine bessere Welt eingegangen. Si transit gloria mundi.


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