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BENEDIKT XVI. IN...
Aus Nr. 08/09 - 2010

GROSSBRITANNIEN 16.-19. SEPTEMBER 2010

Ein außergewöhnlicher Besuch


Der Erzbischof von Westminster kommentiert die Reise von Papst Benedikt: „Die verschiedenen – großen oder kleinen – Events wollten natürlich organisiert sein; dass sie dann aber tatsächlich so nachhaltig die Herzen von Millionen von Menschen gerührt haben, stand auf einem anderen Blatt: es war eine Sache der Gnade und Frucht inbrünstigen Gebets.“


von Vincent Nichols


Vincent Nichols, Erzbischof von Westminster, begrüßt Benedikt XVI. bei der Ankunft am Internationalen Flughafen Edinburgh, Schottland (Donnerstag, 16. September). [© Osservatore Romano]

Vincent Nichols, Erzbischof von Westminster, begrüßt Benedikt XVI. bei der Ankunft am Internationalen Flughafen Edinburgh, Schottland (Donnerstag, 16. September). [© Osservatore Romano]

Die Apostolische Reise von Papst Benedikt ins Vereinigte Königreich war noch nicht zu Ende, als aus der ganzen Welt schon Botschaften der Freude und der Dankbarkeit eingingen. Natürlich war dieser Besuch für uns alle hier sehr wichtig und ermutigend, aber er war auch ein Ereignis von internationaler Tragweite. Manche Botschaften kamen sogar aus so weit entfernten Orten wie Bangladesh, Buenos Aires und Peru, um nur einige zu nennen!
Viele davon waren Komplimente für diesen in jeder Hinsicht gelungenen Besuch. Ich glaube aber auch, dass vielen Menschen klar geworden war, dass der wahre Erfolg mit unserem inständigen Gebet zusammenhing. Die verschiedenen – großen oder kleinen – Events wollten natürlich organisiert sein; dass sie dann aber tatsächlich so nachhaltig die Herzen von Millionen von Menschen gerührt haben, stand auf einem anderen Blatt: es war eine Sache der Gnade und Frucht des inbrünstigen Gebets für den Heiligen Vater – eines Gebets, das sich aus der Kirche erhob.
Eine unauslöschliche Erinnerung des Besuches wird für mich immer die überschäumende Freude sein, die überschwänglichen Sympathiebekundungen, mit denen der Papst überall empfangen wurde. Mir wurde das Privileg zuteil, den Heiligen Vater auf seinem Weg durch die Londoner Straßen zu begleiten. Am Samstagabend waren mehr als 200.000 Menschen gekommen; auch am Vortag hatte sich ja schon eine riesige Menschenmenge eingefunden. Wo immer der Heilige Vater vorbeikam, schlugen ihm Wellen der Sympathie und Begeisterung entgegen: Strahlende Gesichter und Herzen, die sich durch seine Gegenwart sichtlich getröstet fühlten. Das war schon beim ersten wichtigen Termin in Schottland nicht zu übersehen.
Aber auch die „hochoffiziellen“ Momente des Papstbesuches waren von dieser positiven Atmosphäre geprägt. Die Queen, die Papst Benedikt offiziell nach Großbritannien eingeladen hatte, bereitete ihm einen sehr warmherzigen Empfang. Und auch die politischen Obrigkeiten, die ins Erzbischöfliche Palais gekommen waren, um den Heiligen Vater zu treffen, waren sichtlich angetan – nie vergessen werde ich allerdings die Herzlichkeit, mit der man ihn beim „offiziellsten“ aller Anlässe empfangen hat: dem Treffen mit Vertretern der Gesellschaft Großbritanniens in der Westminster Hall. Es war wirklich unglaublich mit ansehen zu dürfen, wie die strahlenden Gesichter, die ehrliche Begeisterung, den Heiligen Vater auf dem ganzen langen Weg durch die Great Hall begleiteten.
Aber wunderbar waren nicht nur der Empfang, den man dem Heiligen Vater bereitete und die davon ausgelösten Reaktionen, sondern auch die Botschaften, die wir als besonders denkwürdig hochhalten sollten, und das Vorbild, das er uns gegeben hat.
Der Papst war gekommen, um den Platz zu bekräftigen, den der Glaube an Gott in unserer pluralistischen Gesellschaft einnimmt. Er wollte nicht nur herausstellen, welcher Reichtum unsere christlichen Traditionen sind, sondern auch auf das Risiko hinweisen, diese zu schmälern oder beiseite zu schieben. Ich glaube, dass seine Botschaft auf offene Ohren gestoßen ist. Ich glaube, dass die einfachen Leute die Bedeutung seiner Worte verstanden haben. Ich glaube, dass die in der Westminster Hall Versammelten wirklich tief gerührt waren von der Tiefe und Deutlichkeit seiner Ansprache. Der Papst hat das Hauptproblem unserer Zeit wirklich auf den Punkt gebracht: „Wenn die den demokratischen Abläufen zugrundeliegenden moralischen Prinzipien ihrerseits auf nichts Soliderem als dem gesellschaftlichen Konsens beruhen, dann wird die Schwäche dieser Abläufe allzu offensichtlich; darin liegt die wahre Herausforderung der Demokratie“. Zum Thema der Rolle von Glaube und Vernunft, die eine solide ethische Grundlage für das politische Handeln sein sollten, meinte er: „Die Religion ist, anders gesagt, für die Gesetzgeber nicht ein Problem, das gelöst werden muss, sondern ein äußerst wichtiger Gesprächspartner im nationalen Diskurs“: Ein Diskurs, dem wir größte Aufmerksamkeit widmen sollten.
Meiner Meinung nach hat der Heilige Vater einen ganz ausgezeichneten Beitrag zur Geschichte unseres Landes geleistet; zu der Art und Weise, wie wir miteinander reden und an unserer Zukunft bauen sollen.
In seiner Ansprache zum Abschluss der Reise hat unser Premierminister sehr herzliche Worte für den Heiligen Vater gefunden, seinen Besuch als „eine große Ehre für unser Land“ bezeichnet. Er hat dem Papst versichert, dass „der Glaube fester Bestandteil unseres Landes ist, immer war und immer sein wird“ und festgestellt: „Sie haben unsere Nation dazu gebracht, einen Moment innezuhalten und nachzudenken“.
Der Besuch des Papstes wird sich noch lange auswirken. Vielleicht wird unsere Regierung mit dem Hl. Stuhl nun enger zusammenarbeiten beim gemeinsamen Kampf gegen einige der wichtigsten Probleme unserer Zeit: Armut, fehlende Grundschulbildung, Umweltschutz und Krankheitsbekämpfung.
Wir haben viel aus diesem Besuch gelernt. Ich glaube, dass der Heilige Vater uns vermittelt hat, wie wir es schaffen können, unseren Glauben in einer so komplexen Gesellschaft wie der unsrigen anzubieten. Wir müssen lernen, dem Heiligen Vater nachzueifern – auf eine konsequente und aufmerksame Weise. Er war bei allen Begegnungen ausnehmend freundlich und höflich. Er war herzlich. Und er war allen gegenüber stets respektvoll, hatte Verständnis für unsere Anliegen und Sorgen. Seine Botschaften waren klar und vernünftig, nie hat er sich gescheut, auch heikle Themen anzusprechen – und dort, wo er es getan hat, hat er es nie an der gebotenen Aufmerksamkeit und Sensibilität fehlen lassen. Er hat sich nicht darauf versteift, die Erfordernisse des Glaubens herauszustellen, sondern vielmehr erläutert, wie Glaube und Vernunft interagieren, sich gegenseitig „berichtigen“ können. Und damit hat er uns ein Vorbild aufgezeigt, dem wir nacheifern können.
Papst Benedikt XVI. und Queen Elizabeth beim Austausch der Geschenke im Rahmen der Audienz im Morning Drawing Room in Schloß Holyroodhouse in Edinburgh, Schottland, (Donnerstag, 16. September). <BR>[© Associated Press/La Presse]

Papst Benedikt XVI. und Queen Elizabeth beim Austausch der Geschenke im Rahmen der Audienz im Morning Drawing Room in Schloß Holyroodhouse in Edinburgh, Schottland, (Donnerstag, 16. September).
[© Associated Press/La Presse]

Der Heilige Vater hat viele wichtige Themen des Dialogs angesprochen, für den wir uns einsetzen müssen. Er hat aber auch die Zeit gefunden, mit Erzbischof Rowan Williams zu sprechen, mit ihm gemeinsam zu beten. Sie haben gemeinsam gebetet und gemeinsam zu ihren Bischöfen und zu den Obrigkeiten gesprochen, die sich in der Westminster Abbey versammelt hatten. Der Heilige Vater hat sich auch mit wichtigen Vertretern anderer Religionen getroffen – aber nicht nur mit ihnen, sondern auch mit Ministranten, Reinigungspersonal, Köchen. Er hat mit Polizisten und mit Ordnungshütern gesprochen; mit Lehrern, Ordensmännern und -frauen. Für alle hatte er ein offenes Ohr – und so ist es kein Wunder, dass ihm die Herzen nur so zugeflogen sind. Das Motto seines Besuches hätte treffender nicht sein können: „Von Herz zu Herz“.
Ich glaube, dass er uns auch zu verstehen gegeben hat, was im Mittelpunkt unseres Zeugnisses stehen sollte. In der Kathedrale von Westminster hat er gesagt, dass wir vor allem Zeugen der Schönheit der Heiligkeit sein sollen. Meiner Meinung nach lag eine der größten Faszinationen seines Besuches in den wunderschönen liturgischen Feiern. Aber auch in den Momenten der Stille, die es bei jeder von ihnen gegeben hat. Wie sollte man die unter die Haut gehende Stille im Hyde Park vergessen, als 80.000 Menschen vor dem Allerheiligsten gemeinsam gebetet haben? Eine ergreifende Stille!
Der Papst hat auch gesagt, dass wir für die Güte und die Anziehungskraft des Glaubens Zeugnis ablegen müssten – für den „Glanz der Wahrheit“. Und das ist ein so ganz neuer Ansatz – nicht einer, der die Wahrheit als etwas sieht, das man auf eine gezwungene, hölzerne Weise vermitteln muss! Die Wahrheit hat ihre eigene Faszination.
Als drittes sollen wir dann noch Zeugnis ablegen für die „Freude und die Freiheit, die der Beziehung zu Christus entspringt“. Eine Freude und eine Freiheit, die der Erfahrung entspringt, dass uns vergeben worden ist, dass wir geheilt sind – eine Erfahrung, die wir auf besonders deutliche Weise dank der Sakramente der Kirche machen können. Das Blut Christi ist unser Heil, die Quelle unserer Freiheit und unserer Freude.
Höhepunkt des Besuches war die Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman im Cofton Park: ein wirklich wunderbares Erlebnis! Unzählige Menschen, die John Henry Newman durch seine Schriften, seine Poesie und seinen seelsorglichen Dienst in der Pfarrei kennen und lieben gelernt haben, wurden von der in diesem Moment empfundenen Freude regelrecht übermannt. Und jetzt haben wir auch einen seligen englischen Pfarrer! Welches Privileg und welche Quelle der Inspiration!
Wir danken Gott für das Wunder dieses außergewöhnlichen Besuches. In den kommenden Monaten und Jahren können wir von den Gnaden und Lehren dieser wunderbaren Apostolischen Reise profitieren.

28. September 2010


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