Startseite > Archiv > 10 - 2010 > Die in der Via Santa Chiara versteckten Juden
KIRCHLICHE KOLLEGIEN IN ROM
Aus Nr. 10 - 2010

Die in der Via Santa Chiara versteckten Juden


Zum ersten Mal werden hier die Namen der fünfzig Juden veröffentlicht, die während der Besetzung Roms durch die Nazis im Französischen Priesterseminar versteckt wurden. Die Liste mit ihren Namen tauchte 2003 im Archiv des Seminars wieder auf.


von Pina Baglioni


Die Liste der während des Zweiten Weltkriegs in der Via Santa Chiara versteckten Juden.

Die Liste der während des Zweiten Weltkriegs in der Via Santa Chiara versteckten Juden.

„Die Seminaristen sind nicht sehr zahlreich… 110 sind im Krieg. Das Schuljahr hat mit etwa 20 Alumnen begonnen und wird im Lauf des ganzen Jahres 46 umfassen, davon 14 Franzosen, 15 Italiener, fünf Malteser, drei Iren, zwei Jugoslawen, zwei Maroniten, zwei Schweizer, ein Holländer, ein Engländer, ein Nordamerikaner, ein Mauritier. Dazu kommen: zehn Priester, sechs Spiritanerscholaren … Ohne aufzuhören, das Französische Seminar zu sein, sind wir ein wahrhaft katholisches Seminar geworden.“ Dies hielt der anonyme Chronist des Journal de Communauté 1930-1943, internes Tagebuch des Päpstlichen Französischen Priesterseminars, am 15. Oktober 1939 fest. Zu jener Zeit hatte der Kriegsausbruch das damals von Pater François Monnier geleitete Haus in der Via Santa Chiara geleert. Nur dank der Anwesenheit von Seminaristen aus anderen Ländern war es nicht gezwungen, seine Pforten zu schließen. Nach dem 1. November 1940 waren noch einige Neapolitaner dazu gekommen, die vor der Bombardierung ihrer Stadt geflohen waren. Es folgten zwei harte Jahre, in denen die Gemeinschaft der Via Santa Chiara versuchte, ein normales Leben zu führen: die Audienzen beim Papst, die Eucharistiefeiern in der Kirche „San Luigi dei Francesi“, die kleinen Feste aus Anlass der Priesterweihe einiger Seminaristen.
Nach dem Sturz des faschistischen Regimes und der Unterzeichnung des Waffenstillstands begannen am 8. September 1943 die neun Monate der Besetzung Roms durch die Nationalsozialisten. „Wir sind auf das Mindestmaß reduziert… Ein Dutzend Anfragen von Italienern, die bei uns eintreten wollten, haben wir abgelehnt… Aus Frankreich kann niemand kommen, weil die Deutschen immer noch nördlich von Florenz sind“, ist im Journal de Communauté 1943-1957 weiter zu lesen. Ein widersprüchlicher Abschnitt, denn man fragt sich, warum ein auf das „Mindestmaß“ reduziertes Seminar keine italienischen Seminaristen aufnehmen kann. Die Erklärung wurde erst 2003 gefunden, als der damalige Rektor Pater Yves-Marie Fradet bei einer systematischen Durchsicht der Dokumente des Seminararchivs eine mit „C 14-2 Guerre 1939-45“ beschriftete „Note confidentielle“ fand. Dort steht zu lesen: „Erst jetzt ist es uns möglich niederzuschreiben, dass das Seminar in acht Monaten etwa einhundert ‚Gesetzlose‘ versteckt hat. Seit Oktober hatten wir immer zwischen dreißig und vierzig… Einen belgischen Hauptmann, der aus der Schweiz hierhergeschickt wurde, Soldaten und italienische Hauptleute, die sich geweigert haben, an der Seite der Deutschen zu kämpfen, zahlreiche Juden (insgesamt etwa fünfzig ).“
Offensichtlich ist die Erklärung für die seltsame Zurückweisung der Italiener durch das Seminar in der Tatsache zu sehen, dass das Seminar diese „Gesetzlosen“ versteckt hat.
Dass das Seminar in den neun Monaten nationalsozialistischer Besetzung Roms 50 Juden versteckt hat, war dank des grundlegenden Werkes Geschichte der italienischen Juden in der Zeit des Faschismus von Renzo De Felice, das 1961 bei Einaudi verlegt wurde, bereits bekannt. Pater Yves-Marie Fradet aber hielt, als er in den Dokumenten des Seminararchivs stöberte, plötzlich die Liste mit den Namen jener 50 Juden in den Händen, die auf den karierten Seiten eines einfachen Schreibheftes geschrieben standen. Der ehemalige Rektor des Französischen Seminars hat sie zum ersten Mal in dem Jubiläumsband 150 ans au cœur de Rome. Le Séminaire Français, 1853-2003 veröffentlicht (hg. Philippe Levillain, Philippe Boutry und Yves-Marie Fradet, Editions Karthala, Paris 2004).
Die Liste mit den Namen der in das Französische Seminar geflüchteten Juden ist in Italien bisher noch nicht veröffentlicht worden. Bevor Pater Yves-Marie Fradet, der letzte Rektor des Seminars aus der Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist, Italien verlassen hat, um als Missionar nach Afrika zurückzukehren, hat er 30Tage nun die Erlaubnis dazu gegeben.
Doch nun zurück zum Journal de Communauté. Dort steht zu lesen: „Vor Weihnachten haben wir erfahren, dass es eine Hausdurchsuchung geben würde: das Haus wurde in aller Eile geräumt. Gott sei Dank hatten wir Glück… Am 4. Juni 1944 haben wir wieder etwa 40 Flüchtlinge, darunter 25 Juden, einen amerikanischen Hauptmann, einen Oberleutnant der französischen Luftwaffe … sechs junge Franzosen, zwei Polen und ein paar Italiener, sowie Abbé Battmann, eine elsässischen Deserteur.“
Es ist nicht bekannt, ob die 25, am 4. Juni 1944 im Seminar beherbergten Juden zu den 50 vorher erwähnten gehörten. Jedenfalls – so schließt der anonyme Verfasser – „war Maria erneut ‚Tutela Domus‘“.


Italiano Español English Français Português