Startseite > Archiv > 11 - 2010 > Ein denkwürdiger Besuch
APOSTOLISCHE REISEN
Aus Nr. 11 - 2010

Ein denkwürdiger Besuch


Sommario


von Kardinal Lluís Martínez Sistach


Benedikt XVI. mit Kardinal Lluís Martínez Sistach, Erzbischof von Barcelona. [© Osservatore Romano]

Benedikt XVI. mit Kardinal Lluís Martínez Sistach, Erzbischof von Barcelona. [© Osservatore Romano]

Die Weihe der “Sagrada Família” war ein historischer Moment. Nicht nur wegen der Anwesenheit von Papst Benedikt XVI., der bei dieser Feier den Vorsitz führte, sondern auch wegen dieser einzigartigen, majestätischen und wunderschönen Basilika, die so reich ist an biblischer, theologischer, liturgischer und katechetischer Symbolik und die wir dem Genie des Architekten und Dieners Gottes Antoni Gaudí zu verdanken haben.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen und noch einmal meine Dankbarkeit dem Heiligen Vater gegenüber zum Ausdruck bringen. Er hat unserer Ortskirche und den anderen Diözesen unseres Landes eine große Ehre erwiesen, als er meine formale Einladung annahm, zu einem Anlass nach Barcelona zu kommen, der eine Reise wert ist: die Weihe einer Kirche an Gott, die viele als die “Kathedrale Europas”, die “Kathedrale der Welt”, ja sogar die “Kathedrale des 21. Jahrhunderts” betrachten.
Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, aber wir sind zuversichtlich und werden alles dafür tun, dass dieser 7. November 2010 für uns und für andere zukunftsweisend sein kann und es auch bleiben wird. Die “Sagrada Família” wird jährlich von drei Millionen Menschen aus allen fünf Kontinenten besucht: Benedikt XVI. hat die universale Dimension dieser Basilika bestätigt, die sich nun nach der Feier unter dem Vorsitz des Heiligen Vaters konsolidieren wird. Es war ein denkwürdiger Besuch, der – wie wir hoffen – positive “Nachwirkungen” haben wird.

Innere, geistliche und pastorale Früchte
Obwohl schon das sehr viel ist, hoffe ich, dass es nur das äußere Zeichen der vielen geistlichen und pastoralen Früchte des Papstbesuches ist. Dem warmherzigen Empfang nach zu urteilen, den so viele Menschen dem Heiligen Vater in der majestätischen und wunderschönen Basilika bereitet haben, ist uns allen, wie ich glaube, noch mehr bewusst geworden, wie bedeutend die Sendung des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri im Dienst aller Diözesankirchen ist, also auch im Dienst der Kirche von Barcelona und der anderen Kirchen in Katalonien und in ganz Spanien.
Dazu beigetragen haben auch die mehr als 100.000 Informationshefte, die zur Vorbereitung auf diesen Besuch gedruckt und unters Volk gebracht wurden. Drei der darin enthaltenen Katechesen waren dem Dienst des Petrus und seiner Nachfolger gewidmet, zwei der Person Gaudís, zwei der Symbolik des Gotteshauses.
Der Papst, sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit der Kirche, die sich von Ost bis West erstreckt, hat uns mit seiner Gegenwart und mit seinem Wort in der Dimension der Katholizität bereichert, die alle Christen zu leben gerufen sind. Unmittelbar nach seinem Besuch ist bereits erkennbar, dass die Priesterberufungen einen Aufschwung erleben, und ich zweifle nicht daran, dass dasselbe auch bald im Bereich des Ordenslebens und der Missionen festzustellen sein wird. Uns allen wird dabei geholfen, die Berufung zur Evangelisierung aller Getauften intensiver zu leben.
Es ist heute von großer Dinglichkeit, zu evangelisieren, die Inhalte der Frohbotschaft des Herrn darzulegen und die persönliche Begegnung von Männern und Frauen, Jugendlichen und Erwachsenen mit der Person Jesu zu fördern. Denn wie uns Benedikt XVI. schon in seiner Enzyklika Deus caritas est sagte, bedeutet Christsein die Begegnung mit einer Person, Jesus Christus, der dem Leben einen neuen Horizont gibt.

Wertschätzung unserer Geschichte und Kultur
Als Johannes Paul II. vom Zweck der Apostolischen Reisen sprach, sagte er, sie seien „Besuche, die von den einzelnen Ortskirchen ausgeführt werden und die zeigen sollen, welche Rolle diese dabei spielen, die Universalität der Kirche zu bauen… Jede Reise des Papstes ist eine wahre Pilgerfahrt zum lebendigen Heiligtum des Gottesvolkes“ (Ansprache an die Römische Kurie, 28. Juni 1980). Benedikt XVI. hat diesem lebendigen Heiligtum seinen Besuch abgestattet, das die Kirche Barcelonas ist, eine Versammlung von Personen, die durch das Bekennen des Glaubens die Gegenwart Christi inmitten der Menschen sichtbar machen (vgl. Lumen gentium, Nr. 26).
Der Papst hat uns nicht nur gezeigt, dass er unsere Ortskirche von Barcelona liebt, sondern auch herausgestellt, wie sehr er unsere Geschichte und unsere Kultur schätzt. Und das hat er dadurch unterstrichen, dass er nicht nur Kastillisch und Lateinisch gesprochen hat, sondern oft auch Katalanisch.
Benedikt XVI. hat uns seinen unerschütterlichen Glauben gezeigt. Selbst aus seiner Stimme schien dieser „demütige und freudige Glaube“ herauszuklingen. Der Papst ist nach Barcelona gekommen, um uns zu weisen, welche Haltung wir Gott gegenüber einnehmen sollen. Er hat uns aufgerufen, daran zu glauben, dass wir auf der Grundlage des Glaubens „gemeinsam der Welt das Antlitz Gottes zeigen können, der die Liebe ist und der allein auf das Verlangen des Menschen nach Erfüllung antworten kann.“ Er hat uns gesagt, dass „das die große Aufgabe ist: allen zu zeigen, dass Gott der Gott des Friedens ist und nicht der Gewalt, der Freiheit und nicht des Zwangs, der Eintracht und nicht der Zwietracht. Gott ist der wahre Maßstab des Menschen.“
So wollte der Papst in Santiago und in Barcelona auch den “Ruhm des Menschen” herausstellen, auf der Linie des hl. Irenäus von Lyon, der uns bereits im 2. Jahrhundert des Christentums folgenden, an theologischem Inhalt so reichen Ausdruck überliefert hat: “Gloria Dei homo vivens”, “der Ruhm Gottes ist der lebendige Mensch”, oder “das Leben des Menschen ist die Schau Gottes”.

Benedikt XVI.  spendet einem kleinen Mädchen die Kommunion. [© Osservatore Romano]

Benedikt XVI. spendet einem kleinen Mädchen die Kommunion. [© Osservatore Romano]

Gemeinschaft mit Gott, “Freund der Menschen”
Der Papst hat auch gesagt, dass Gott der “Freund der Menschen” ist. Gott ist der Freund der Menschen und er lädt uns ein, seine Freunde zu sein, denn wenn der Mensch „Gott in sein Leben und in seine Welt aufnimmt, wenn er Christus in seinem Herzen leben lässt, wird er dies nicht bereuen, sondern wird sogar die Freude erfahren, als Empfänger der unendlichen Liebe Gottes an dessen eigenem Leben teilzuhaben.“
Möge Gott geben, dass die Worte und Gesten des Papstes bei vielen Jugendlichen auf fruchtbaren Boden fallen und sie ermutigen, Christus nachzufolgen, mit ihm gemeinsam am Werk der Kirche in unserer heutigen Welt mitzuwirken. Junge Menschen wollen ihrem Leben einen Sinn geben, sie suchen nach einer Botschaft, die authentisch ist, und im Papst finden sie einen Ansprechpartner, der ihnen Inhalte zu vermitteln weiß, die bedeutungsvoll sind und sie zur Quelle führen: Jesus Christus.
Ich hoffe, dass viele Menschen, vom Besuch des Heiligen Vaters angeregt, auch erkennen werden, dass der Schöpfer dieses herrlichen Gotteshauses, das auf der Welt nicht seinesgleichen hat, Antoni Gaudí, auch ein vorbildlicher, konsequenter Christ war. Er war von einer zutiefst franziskanischen Spiritualität erfüllt und hat die letzten Jahre vollkommen seinem Lebenswerk gewidmet: der Kirche der Heiligen Familie. Alleinstehend und arm, wie die vielen unbekannten Künstler, denen wir unsere Kathedralen zu verdanken haben.
Gaudí schuf einen “Sonnengesang” nach dem Vorbild des Franz von Assisi. Sein Werk erneuert das Gothische, verleiht ihm eine größere Bewegtheit, schafft eine größere Öffnung der Natur gegenüber, eine größere Präsenz “guter Dinge”, der Geschöpfe Gottes – von den Pflanzen zu den Früchten und den für den unaufmerksamen Beobachter noch so unbedeutenden Lebewesen – und verleiht ihnen vor allem eine größere Leuchtkraft, mehr Licht, Symbol der Gottheit.

Die drei großen “Bücher” Gaudís uml;rme emporragen: Wie Pfeile verweisen sie auf das Absolute des Lichts und dessen, der das Licht, die Erhabenheit und die Schönheit selbst ist.
In diesem Raum wollte Gaudí die Eingebung zusammenfassen, die er aus den drei großen Büchern erhielt, aus denen er als Mensch, als Gläubiger und als Architekt Nahrung zog: das Buch der Natur, das Buch der Heiligen Schrift und das Buch der Liturgie. So vereinte er die Wirklichkeit der Welt und die Heilsgeschichte, wie sie uns durch die Bibel berichtet und in der Liturgie vergegenwärtigt wird.“
Ein Experte für die Symbolik von Gotteshäusern hat einmal geschrieben, dass die ganze Basilika ein einziger Lobpreis Jesu Christi ist. Gaudí betrachtete die Natur als ein Werk, das Gott geschaffen hat, und als solches war sie für ihn eine wahre Lehrmeisterin – er wiederum arbeitete durch sein Schaffen als Künstler und Architekt eng mit dem Schöpfer zusammen. Gaudí war auch ein Glaubender, der, als er die “Sagrada Família” schuf, dafür viele andere Bauaufträge ablehnte. Jeden Tag zog er aus der Lektüre der Heiligen Schrift Nahrung, dem Buch seines Glaubens und seiner künstlerischen Inspiration, und fand dabei immer mehr zum christlichen Leben. Auf seinem Nachttisch lag ein Buch von Dom Guéranger, Abt von Solesmes: L’Année liturgique. Wie man beim Betrachten der “Sagrada Família” unschwer erkennen kann, muss er kontinuierlich darin gelesen haben. Nicht umsonst inspiriert sich die Basilika an Kapitel 47 des Propheten Ezechiel, den Kapiteln 21-22 der Offenbarung des Johannes und an der Schönheit der Liturgie.

Die rührendste Geste des Apostolischen Besuches
Die Feier zur Weihe der Basilika hat den ganzen liturgischen und kirchlichen Reichtum des Ritus herausgestellt, und wurde mit besonderer Anteilnahme und spiritueller Aufmerksamkeit sowohl in der Basilika als auch auf dem Platz davor und in den umliegenden Straßen mitverfolgt, wo man eigens Maxibildschirme aufgestellt hatte. So konnte auch ein geschulter und erfahrener Beobachter wie der Pressesprecher und Direktor des Pressamts des Heiligen Stuhls, Pater Federico Lombardi, spontan sagen: „Die Liturgie dieses Vormittags ist das Feierlichste, was ich in fünf Jahren Pontifikat gesehen habe.“
Dennoch glaube ich, dass die rührendste Geste des Apostolischen Besuches mit jenem Nachmittag zu tun hat, als der Papst die Fürsorgeeinrichtung “Obra benèfico-social del Nen Déu” besuchte, ein 1892 gegründetes Diözesanwerk für kranke und bedürftige Kinder, das sich inzwischen auf die Betreuung behinderter Menschen aller Altersgruppen spezialisiert hat.
Es war wunderschön, bei der Begegnung des Heiligen Vaters mit Familien, die behinderte Kinder haben – vor allem mit Down-Syndrom –, die dankbaren Blicke der Mütter und Väter dieser Kinder zu sehen. Wenn wir also in der “Sagrada Família” beeindruckt waren von dem so unerschütterlichen und einfachen Glauben des Papstes, hat uns in der “Obra del Nen Déu” vor allem seine väterliche Warmherzigkeit gerührt.
Der Besuch des Heiligen Vaters hat mir eine Episode ins Gedächtnis gerufen und einen Wunsch in mir geweckt, die beide mit Gaudí zu tun haben. Die Episode rankt sich um Francesco Ragonesi, zu Lebzeiten Gaudís Nuntius des Papstes in Spanien, der die Arbeiten an der “Sagrada Família” besichtigte, die damals gerade eingeleitet worden waren. Voller Begeisterung über das, was ihm der Architekt über sein großes Projekt erklärte, rief der Nuntius aus: „Sie sind der Dante der Architektur!“. Ein ebenso schlichtes wie wunderbares Lob!
Mein Wunsch dagegen ist es, dass in dem unvergleichlichen Rahmen, den diese majestätische Basilika darstellt, in nicht allzu weiter Ferne und so die Kirche will, die feierliche Seligsprechung Antoni Gaudís stattfinden wird, dessen letzte Ruhestätte sich in der Krypta der Kirche befindet. Oder wäre die Schönheit und Originalität dieser Monumentalbasilika, die nicht nur aufgrund ihres Stils, sondern auch ihrer reichen biblischen, theologischen, liturgischen und katechetischen Symbolik auf der Welt einzigartig ist, etwa nicht der angemessene Rahmen für die erste Seligsprechung eines Architekten? Dass wir Gaudí und seine Kunst bewundern, ist nur recht und billig – aber es ist auch recht und billig, dass wir nie vergessen, dem Herrn den Wunsch anzuvertrauen, dass sich unsere Hoffnung eines Tages erfüllen möge.


Italiano Español English Français Português