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KIRCHE
Aus Nr. 01 - 2004

LITURGIE. Interview mit dem Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung.

Die Beichte: ein überaus nützliches Thermometer


„Eines der Thermometer, mit denen man die Vitalität der christlichen Gemeinschaften messen kann, ist der Zulauf zum Sakrament der Beichte. Und es ist ein überaus nützliches Thermometer. Das zwar nicht alles aussagt, aber doch sehr viel.“ Begegnung mit Kardinal Francis Arinze zum 40. Jahrestag der Veröffentlichung der Konstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanischen Konzils.


von Gianni Cardinale


Kardinal Francis Arinze.

Kardinal Francis Arinze.

Am 3. Dezember kam das Chirograph von Johannes Paul II. heraus, verfaßt zum 100. Jahrestag der Veröffentlichung des motu proprios von Pius X.(am 22. November 1903) über die Erneuerung der Kirchenmusik: Tra le sollecitudini. Einen Tag später wurde das Apostolische Schreiben des Papstes zum 40. Jahrestag der Konstitution Sacrosanctum Concilium über die heilige Liturgie veröffentlicht, das erste, am 4. Dezember 1963 vom II. Vatikanischen Konzil promulgierte Dokument. Und am 4. Dezember 2003 fand auf Initiative der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung im Vatikan ein Studientag statt, bei dem die grundlegenden Thematiken der vom Konzil gewollten liturgischen Erneuerung herausgestellt werden sollten.
30Tage hat die Gelegenheit genutzt, Kardinal Francis Arinze zu diesem Thema zu befragen. Der 71jährige Nigerianer, seit Oktober 2002 Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordung, war 18 Jahre lang (von 1967-1985) Erzbischof von Onithsa und ebenfalls 18 Jahre lang Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog. Arinze, damals Weihbischof von Onitsha, nahm auch an der Schlußsitzung des II. Vatikanischen Konzils teil.
ýusgangspunkt unseres Interviews ist das Chirograph, in dem daran erinnert wird, daß die Bedeutung der Kirchenmusik, wie Pius X. geschrieben hatte, von dem Umstand herrührte, daß sie, „als integrierender Bestandteil der feierlichen Liturgie an deren grundlegenden Zielsetzung teil hat, die die Verherrlichung Gottes und die Heiligung und geistliche Erbauung der Gläubigen ist.“ Unser Gespräch lehnt sich auch an den Anfangsworten von Sacrosanctum Concilium an, wo es heißt: „Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen.“

Eminenz, das motu proprio Tra le sollecitudini erinnert daran, daß allgemeines Ziel der Liturgie die Verherrlichung Gottes und die Heiligung der Gläubigen ist, der Beginn der Konstitution Sacrosanctum Concilium verbindet die liturgische Erneuerung mit dem Vorsatz, das Leben der Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen. Kann das das Kriterium einer jeden Reform der Kirche sein: die Vertiefung des christlichen Lebens im Volk Gottes?
FRANCIS ARINZE: Ja, man kann in der Tat sagen, daß die verschiedenen Initiativen zur Erneuerung der Kirche gerade darauf abzielen: Gott mehr zu lobpreisen, uns immer mehr zu heiligen. Und zweiterer Aspekt ist eng mit dem ersten verbunden: es ist in der Tat Verherrlichung Gottes, wenn wir dem Geist Jesu näher sind.
Die „erneuerbaren“, „reformierbaren“ Aspekte der Kirche betreffen offensichtlicherweise zweitrangige Aspekte ihres Lebens...
ARINZE: Ich würde nicht den Begriff „zweitrangig“ gebrauchen... Es ist in der Tat offensichtlich, daß sich die Glaubensinhalte nicht ändern können. Jesus ist immer derselbe, gestern, heute und morgen. Das ist gewiß. Das depositum fidei muß unangetastet bleiben. Aber es präsentiert sich auf andere Weise, einer der Zeit, in der man gerade lebt, besser angepaßten. So wie sich eben auch die Art und Weise ändern kann, die göttlichen Geheimnisse Christi zu feiern. Als uns der Herr die heilige Eucharistie geschenkt hat, hat er nicht bestimmt, daß es ein Eingangslied geben soll, und dann das Gabengebet, und danach die erste, und die zweite Lesung... Jesus ist nicht so ins Detail gegangen. Die heilige Kirche ist es, die all das im Laufe der Geschichte bestimmt hat. Und es ist normal, daß das so ist. Die Kirche ist ein lebendiger Leib. Der Heilige Geist, den Jesus Seiner Kirche versprochen hat, steht Seiner Kirche bis zum Ende der Zeit bei. Und deshalb darf sich niemand wundern, wenn die Kirche die Form des Kultes verändert, ohne dabei jedoch an die Glaubensinhalte zu gehen. Und das hilft uns allen. Da manche nicht gerade sehr elastisch sind, beschließen sie ein Datum, nach dem nichts mehr verändert werden darf. Und diese Haltung spiegelt keinen vollen Glauben an jene Kirche wider, die Jesus eingesetzt, und der er den Heiligen Geist bis ans Ende der Zeit garantiert hat.
Zisterzienser-Mönche im Chor der Abtei von Chiaravalle, Mailand

Zisterzienser-Mönche im Chor der Abtei von Chiaravalle, Mailand

Bei der von Ihrer Kongregation vorgeschlagenen Konferenz wurde betont, daß Sacrosanctum Concilium fast einstimmig von den Konzilsvätern approbiert worden war...
ARINZE: Gott sei Dank, ja.
Aber sofort danach hat es an – oft erbitterten – Debatten um seine Umsetzung nicht gefehlt...
ARINZE: Ich finde das nicht ungewöhnlich. Es gibt viele Dinge, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann. Es ist legitim, wenn zwei Menschen, zwei Bischöfe, zwei Kardinäle, zwei Professoren, über nicht dogmatische Fragen unterschiedlich denken. Hinsichtlich von Prinzipien einer Meinung zu sein, ist dann weniger problematisch: Die Probleme entstehen besonders dann, wenn man ins Detail geht. In diesen Fällen bedarf es der Demut, geistiger Offenheit, des Wunsches, das zu suchen, was für die Kirche und für das Volk Gottes das Beste ist.
In dem Apostolischen Schreiben zur 40-Jahr-Feier von Sacrosanctum Concilium betont der Papst: „Wenn die liturgische Regelung nicht beachtet wird, kommt es manchmal auch zu schweren Mißbräuchen, die die Wahrheit des Geheimnisses verdunkeln und Befremdung und Spannungen im Volk Gottes auslösen. Solche Mißbräuche haben nichts gemeinsam mit dem wahren Geist des Konzils und müssen von den Oberhirten mit einer Haltung kluger Festigkeit korrigiert werden“. Was sind diese „auch schweren Mißbräuche?“
ARINZE: Ich glaube, daß die größten Probleme dann entstehen, wenn da jemand ist, der meint, etwas Neues in der Liturgie erfinden zu müssen. Umso mehr als die Liturgie heute nicht mehr so steif ist wie früher, und auch das Meßbuch legitime Varianten anbietet. Aber dort, wo die Kirche genau festgesetzte Worte hat, tun alle gut daran, die Demut zu haben, sie so zu wiederholen, wie sie sind, ohne sich das willkürliche Recht anzumaßen, beliebig eigene zu erfinden. Zu diesem Thema wird jedoch bald „ein eigenes Dokument“ veröffentlicht werden, „auch mit Hinweisen rechtlicher Natur“, das der Papst in Punkt 52 seiner letzten Enzyklika Ecclesia Eucharistia verlangt hat.
In seinem Apostolischen Schreiben bekräftigt der Papst auch: „Erforderlich ist also eine liturgische Pastoral, die auf die neuen ordines getreu abgestimmt wurde“. Heißt das, daß es keinen Raum für die geben darf, die die vorkonziliären Riten beibehalten wollen, wie die sogenannte Messe nach Pius V.?
ARINZE: Der Heilige Vater hat das geschrieben, was Sie zitiert haben, hat aber nicht Konsequenzen gezogen, wie Sie das im zweiten Teil Ihrer Frage tun. Der Papst wollte einfach nur sagen, daß die Treue zu den liturgischen Büchern, wie sie nach dem II. Vatikanischen Konzil überarbeitet wurden, eine Notwendigkeit ist. Daher muß man diese neuen liturgischen Bücher kennen, studieren, versuchen, sie zu verstehen und zu lieben, und sie schließlich auch anwenden. Aber Johannes Paul II. hat auch die Päpstliche Kommission „Ecclesia Dei“ ins Leben gerufen, die die Kompetenz hat, die Forderungen der Priester und der Gläubigen zu analysieren, die die Messe im sogenannten Ritus nach Pius V. feiern wollen. Die Messe nach dem alten Ordo zu feiern, ist also nicht verboten. Im Gegenteil, der Heilige Vater hat die Bischöfe darum gebeten, großzügig dabei zu sein, das Indult zu gewähren, das in ihren Diözesen die Feier der tridentinischen Messe erlaubt. Und das ist kein Widerspruch. Das Volk Gottes ist nämlich kein Heer von Soldaten, und der Papst ist nicht dessen Kommandant. Der Papst ist der Vater einer Familie, in der zwei Grundregeln herrschen: die Verherrlichung Gottes und das Seelenheil.
Johannes Paul II. nimmt einem Pönitenten die Beichte ab

Johannes Paul II. nimmt einem Pönitenten die Beichte ab

Das einmal herausgestellt, ist recht anmaßend, wer sich dessen rühmt, nur nach dem alten Meßbuch zu feiern, und die nach 1962 erschienenen liturgischen Bücher nie aufgeschlagen zu haben. Für diese Personen ist es, als hätte sich die Kirche bei dem festgefahren, was sie vor vierzig Jahren war. Die Kirche, die das Konzil von Trient abgehalten hat, ist dieselbe Kirche, die das II. Vatikanische Konzil abgehalten hat. Im Glaubensbekenntnis, das wir bei jeder Messe aufsagen, heißt es: „Ich glaube an die eine heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Und die Kirche, an die wir glauben, ist, wie ich schon gesagt habe, ein lebendiger Leib, kein vatikanisches Museum, keine kirchliche Kühltruhe...
An einer anderen Stelle seines Briefes erinnert der Papst daran, daß Sacrosanctum Concilium die christliche Gemeinschaft dazu angeregt hat, „das Gebetsleben nicht nur durch die Liturgie, sondern auch durch die Andachtsübungen zu verstärken, sofern sie mit der Liturgie im Einklang stehen und gewissermaßen aus ihr hervorgehen und zu ihr hinführen“. In direktem Verweis auf den Rosenkranz heißt es, es wäre ein „traditionelles Gebet, das unter dem Volk Gottes weit verbreitet ist“. Und tatsächlich hat es in der postkonziliären Periode ja auch nicht an Versuchen gefehlt, die Formen von Volksfrömmigkeit zu schmälern...
ARINZE: Nach dem letzten Konzil hat es wirklich den ein oder anderen gegeben, der zu meinen schien, die Volksfrömmigkeit hätte ausgedient. Aber das hat das II. Vatikanische Konzil nicht gesagt, sondern genau das Gegenteil, wie der vom Papst in seinem Apostolischen Schreiben besonders herausgestellte und von Ihnen zitierte Satz von Sacrosanctum Concilium zeigt. Hier sei auf Absatz 13 dieser Konstitution verwiesen. Was nun den Rosenkranz angeht, darf man nicht vergessen, daß viele Päpste diesem traditionellen Gebet wenigstens ein Dokument gewidmet haben. Auch Johannes Paul II. stellt hier keine Ausnahme dar: von ihm stammt das Apostolische Schreiben Rosarium Virginis Mariae, in dem er das Jahr des Rosenkranzes ausgerufen hat, das dann im Oktober letzten Jahres mit seiner Wallfahrt nach Pompeji ausklang.
Es könnte den Anschein haben, daß hier, wie auch in anderen Fällen, in der postkonziliären Zeit größeres Gewicht auf das Diktat eines vermeintlichen Konzilsgeistes gelegt wurde als auf das, was effektiv von den Konzilsdokumenten festgelegt worden war...
ARINZE: Gewisse Personen, nicht alle, beschwören bekanntlich den „Geist des Konzils“ herauf, um Vorschläge als Behauptungen des Konzils zu „verkaufen“, die das Konzil selbst nicht wirklich bekräftigt hatte, sondern die vielmehr in der gesamten Konzilsatmosphäre lagen... Und so, unter diesem „Schutzschild“ versuchen sie, die von ihnen gehegten Theorien voranzutreiben, dem Konzil Worte in den Mund zu legen, die es nie gesagt hat. Es wäre jedoch eher gut, sich peinlich genau an den Buchstaben des Konzils zu halten, an die von dieser Versammlung hervorgebrachten Worte, die alle verstehen können, auch wenn sie nicht selbst teilgenommen haben. Im Falle schwieriger Interpretationen können die ergänzenden Dokumente des Konzils helfen.
Bei der am 4. Dezember abgehaltenen Konferenz konnte man den Eindruck haben, daß der gregorianische Gesang, von den ihm zugeschriebenen formellen Verdiensten einmal abgesehen, für die postkonziliären liturgischen Feiern nicht mehr als passend angesehen wird, wo die actuosa participatio der Gläubigen betont wird...
ARINZE: Ich muß gestehen, daß das der Eindruck ist, den auch ich gewonnen habe. Die Vorrangstellung des gregorianischen Gesangs in der lateinischen Liturgie war von Pius X. bestimmt worden, was sich das II. Vatikanische Konzil dann zueigen gemacht hat und Johannes Paul II. in seinem am 3. Dezember veröffentlichten Chirograph betonte. Damit bleibt der gregorianische der Gesang der lateinischen Kirche schlechthin. Ohne andere Arten von Musik auszuschließen, wie die Polyphonie (Pierluigi da Palestrina wird im motu proprio von Pius X. ausdrücklich zitiert), und den Volksgesang, vorausgesetzt, er eignet sich wirklich für den Gottesdienst und die Erbauung der Herzen. Was nun moderne Musikkompositionen angeht, will ich noch daran erinnern, daß Johannes Paul II. die „allgemeine Regel“ übernommen hat, die Pius X. so formulierte: „Eine Komposition für die Kirche ist in dem Maße dem Heiligen angemessener und liturgischer, als sie sich in Rhythmus und Aufbau und Klang dem gregorianischen Gesang nähert, und sie ist umso weniger für das Gotteshaus geeignet, als sie sich von jenem obersten Modell entfernt.“
‹s ist heute aber doch nur schwer möglich, daß man in einer normalen Pfarrkirche bei einer Messe den gregorianischen Gesang hören kann...
ARINZE: Natürlich hat der gregorianische Gesang in den normalen Pfarrei-Messen heute nicht mehr dieselbe Bedeutung, wie beispielsweise in der monastischen Liturgie. Aber bei den Feiern in den Pfarreien ist es doch möglich, daß zumindest einige der allgemeinen Teile der Messe, wie das Gloria, das Credo, das Sanctus, das Vaterunser oder das Agnus Dei auch vom Volk gesungen werden. Wie es z.B. bei den Papstmessen der Fall ist, wo sich die Sixtinische Kapelle und das Volk beim Singen der Strophen dieser Gesänge abwechseln. Aber wie es auch anderswo auf der Welt passiert. Ich komme aus Nigeria, und ich darf sagen, daß die Gläubigen dort, ohne Latinisten zu sein, den gregorianischen Gesang beherrschen. Als ich Erzbischof von Onitsha war, beharrte ich bei den Pfarrern darauf, daß in jeder Stadt zumindest eine Sonntagsmesse auf Lateinisch zelebriert wurde. Den Gläubigen sollte die Möglichkeit gegeben sein, selbst ihre Entscheidung zu treffen. Man darf nicht meinen, daß das Lateinische zwar zu loben, aber nicht anzuwenden sei, oder daß der gregorianische Gesang nur noch etwas für die Klostergemeinschaften wäre, für die, die ihn früher einmal benutzten... Es wird schon seinen Grund haben, wenn die von einigen Klöstern herausgebrachten CDs mit gregorianischen Gesängen auch bei jungen Leuten großen Erfolg hatten. Diese Jugendlichen können kein Latein, aber die gregorianischen Gesänge, die oft von Heiligen komponiert wurden, haben eben etwas Erhebendes für die menschliche Seele.
Bei einer am 8. Dezember in San Antonio, Texas, abgehaltenen Studientagung haben Sie den Sekretären der diözesanen Liturgie-Kommissionen der USA gegenüber Tanzeinlagen bei der Liturgie kritisiert...
ARINZE: Das war zwar nicht der zentrale Punkt meiner Ansprache, aber einer, den ich kurz angeschnitten habe. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat sich bisher noch nicht dazu geäußert, wenn man auch sagen muß, daß in einem Orientierung gebenden Artikel im Bollettino der Kongregation (Notitiae 106-107, 1975) Tanzeinlagen bei der Messe ausgeschlossen worden waren. Es ist klar, daß sich nicht alles, was als Tanz definiert werden mag, für die Kirche eignet. Der eine Tanz mag vielleicht für manche Kulturen angehen, der andere dagegen mag einer sein, der nirgends zuläßlich ist. Und bei dieser Unterscheidung kommt den Bischöfen eine wichtige Rolle zu.
Kann dem Tanz in der gesamten lateinischen Kirche Raum eingeräumt werden, oder nur in einigen besonderen Realitäten?
ARINZE: Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat sich, wie bereits gesagt, noch nicht zu diesem Thema geäußert. Man kann jedoch feststellen, daß der lateinische Ritus den Tanz in der Liturgie traditionsgemäß nicht kennt. In den letzten Jahrhunderten wurden Asien und Afrika evangelisiert, wo mehr, wo weniger. Und in der Kultur der Völker dieser Kontinente wird der Tanz nicht so empfunden wie in Europa und in Nordamerika, wo man normalerweise dabei an Ballsäle denkt, an Tänzerinnen, Diskotheken, aber gewiß nicht an die Kirche. So ist es nur natürlich, wenn ein europäischer oder nordamerikanischer Katholik, auf die Angemessenheit von Tanzeinlagen in der liturgischen Feier angesprochen, perplex, peinlich berührt reagiert... Für einen Afrikaner oder Asiaten dagegen ist es etwas vollkommen Normales, daß das Bringen der Gaben zum Altar während des Offertoriums von würdevollen Tanzschritten begleitet sein kann, die Ausdruck sind von Freude. Es ist daher etwas Gutes, wenn sich die Bischöfe des Landes eingehend mit dieser Frage befassen. Aber es ist nichts Gutes, wenn sich ein westlicher Pfarrer daran macht, Liturgiefeiern mit Tanzeinlagen zu imitieren, die er vielleicht im Fernsehen gesehen hat, und damit nur Unmut bei den Gläubigen auslöst. Im Westen könnten die Gläubigen, die tanzen wollen, das in den Pfarrsälen tun, und wer einen schönen Tanz sehen will, kann das im Theater tun, ganz sicher aber nicht in der Kirche, und stets vorausgesetzt, daß der fragliche Tanz moralisch akzeptabel ist! Wie Sie sehen, bin ich also der Meinung, daß Tanzeinlagen zu den lateinischen Liturgien in Europa und Nordamerika nur schwer Zugang finden werden, für Afrika und Asien halte ich es aber, unter gewissen Bedingungen, für möglich.
Bei der Studientagung in San Antonio haben Sie auch den Baustil der in den letzten Jahrzehnten errichteten Kirchen kritisiert...
ARINZE: Ich habe dabei darauf aufmerksam gemacht, daß das Kirchen-Gebäude auch ein Symbol für die Kirchen-Gesellschaft sein soll, für die hierarchische Kirche. Im Innern des Kirchengebäudes haben wir traditionsgemäß den Raum für den Altar, wo der Zelebrant wirkt, den für den Tabernakel, wo sich das Allerheiligste befindet, und den für den Ambon, von wo die Lesung verkündet wird, und dieser Raum wird gemeinhin sanctuarium genannt; dann noch den Raum für das Volk Gottes. Diese Unterscheidung müßte normal sein und sollte respektiert werden. Wem die Trennung zwischen Altar und Volk Gottes nicht gefällt, und der sagt, daß das gesamte Kirchengebäude sanctuarium ist, und daß nicht ein Teil mehr sanctuarium sein kann als ein anderer, dem antworte ich: sei vorsichtig, du schenkst der Sensibilität der Kirche, der Geschichte und der Theologie, die all dem zugrundeliegen, nicht genügend Aufmerksamkeit. Man kommt nicht in die Kirche wegen dem Priester, der die Güte der Gläubigen preist, oder um ihm zu seiner Bravour zu gratulieren, man kommt nicht in die Kirche, damit sich Priester und Gläubige gegenseitig bewundern können, sondern um Gott anzubeten. Die Kirche ist kein Theater, in dem das Publikum applaudiert und sich die Schauspieler artig verbeugen...
Eminenz, in einem kürzlich der französischen Zeitschrift L’homme nouveau gewährten Interview sagen Sie, daß eines der Thermometer, mit denen man die Vitalität der christlichen Gemeinschaften messen kann, der Zulauf zum Sakrament der Beichte ist.
ARINZE: Ja, es ist tatsächlich eines der Thermometer, und noch dazu ein überaus nützliches. Es sagt zwar nicht alles, aber doch bestimmt sehr viel aus. Denn wenn eine Person oder ein Volk glaubt, ohne Sünde zu sein, die Vergebung Gottes nicht zu brauchen, die wir dank dieses Sakraments erlangen, wird die Zahl derer zunehmen, die sonntags zur Kommunion gehen, ohne vorher gebeichtet zu haben. Wir können natürlich hoffen, daß sie alle ohne den Makel der Erbsünde sind, aber nur Maria wurde ohne Erbsünde empfangen.
Auch Sie konnten also feststellen, daß die Schlangen bei der Kommunion viel länger sind als die vor den Beichtstühlen...
ARINZE: Auch wenn Kardinal Arinze das nicht sagen würde, wüßte man, daß es so ist...
(Auszüge zu Sacrosanctum Concilium zitiert nach L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 3/2004, SS. 7-8; Auszüge aus Tra le sollecitudini, ebd, Nr. 1/2004, SS. 8-9)



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