Der Bischof von Rom und die Einheit der Christen
Der Theologe Bruno Forte nimmt zu den von Patriarch Bartholomaios I. in der letzten Nummer von 30Tage aufgeworfenen Fragen Stellung: „Auf dem Weg zur Einheit ist die Rolle des Petrus und seiner Nachfolger nach wie vor von grundlegender Bedeutung für die Kirche
von Gianni Valente
Das Jahr 2004 ist auf dem besten Weg, sich als ein Jahr bedeutungsvoller
Termine in Sachen Beziehung der Kirche von Rom und den orthodoxen Kirchen zu
entpuppen. Nach der Begegnung in Moskau zwischen Patriarch Alexej II. und
Kardinal Walter Kasper, am 22. Februar, könnte der ökumenische Patriarch von
Konstantinopel, Bartholomaios I., am 29. Juni nach Rom kommen, zum Fest der
Patrone Roms, Petrus und Paulus. Und zwar auf mit Schreiben vom 16. Januar von
Johannes Paul II. explizit ausgesprochene Einladung (siehe Kasten).
Die Begegnungen, die bereits
stattgefunden haben und die, die noch auf der Agenda stehen, kreuzen sich mit
den sich bald jährenden zahlreichen historischen Gedenktagen. Auf Mitte Juli
fällt der 950. Jahrestag der gegenseitigen Exkommunikation des Päpstlichen
Legaten Humbert von Silva Candida und des Patriarchen von Konstantinopel,
Michael Kerularios. Jene Episode von 1054, die in der Geschichtsschreibung als
Datum des Schismas zwischen den Kirchen des Ostens und der Kirche von Rom gilt.
Vor der Tür steht auch der 800. Jahrestag des Kreuzzuges von 1204, bei dem die
christlichen Milizen des Abendlandes das schismatische Byzanz plünderten. Aber
dieses Jahr kann auch mit Jahrestagen ganz anderer Art aufwarten – solchen, die
hoffnungsvolle Momente eines beginnenden ökumenischen Dialogs wiederaufleben
lassen. In seinem ersten Angelus des Jahres 2004 erinnerte Johannes Paul II. an die Umarmung
zwischen seinem Vorgänger Paul VI. und dem ökumenischen Patriarchen Athenagoras
in Jerusalem am 5. Januar 1964. Kommenden November dagegen wird mit einer
großen Studientagung in Frascati, vorangetrieben vom Päpstlichen Rat zur
Förderung der Einheit der Christen, der 40. Jahrestag der Promulgation von Unitatis redintegratio begangen, jenes vom letzten
ökumenischen Konzil promulgierte Dekret über den Ökumenismus.
Vor diesem Hintergrund voller suggestiver Gedenktage stellt das ausführliche Interview mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. (siehe letzte Nummer von 30Tage) nur den ersten einer Reihe von Beiträgen und Artikeln dar, die unsere Zeitschrift dieses Jahr dem derzeitigen fehlenden Verständnis und den theologischen und historischen Gründen zu widmen gedenkt, die für den trennenden Abgrund zwischen dem Großteil der Kirchen des Ostens und der Kirche von Rom verantwortlich sind. Viele davon haben mit der Funktion des Bischofs von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus zu tun. Eine Problematik, zu der auch Johannes Paul II. mit der Enzyklika Ut unum sint von 1995 eine friedliche, aber freie zwischenkirchliche Diskussion anriet, als er meinte: „Es ist jedoch bedeutungsvoll und ermutigend, daß die Frage des Primats des Bischofs von Rom gegenwärtig zum Gegenstand einer unmittelbaren, bzw. bevorstehenden Untersuchung wurde“ (Nr. 89) und zeigte, daß er „die an ihn gerichtete Bitte, eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ ernst nahm (Nr. 95).
In dieser Perspektive können auch
die provozierendsten Passagen besagten Interviews positive Fragestellungen
eröffnen. Beispielsweise die, ob es möglich und angebracht ist, den Primat des
Bischofs von Rom, so wie er von der Kirche definiert wurde, von Vorhaben
geistlicher, kultureller oder politischer Hegemonie zu unterscheiden.
Zu einigen der in dem Interview von Patriarch Bartholomaios I. abgegebenen Urteile wollte 30Tage die Stellungnahme eines der bekanntesten und geschätzten katholischen Katholiken veröffentlichen, der dieses Jahr die Fasten-Exerzitien vor dem Papst und der Römischen Kurie predigen wird: Bruno Forte. Geboren wurde er 1949 in Neapel, zum Priester geweiht 1973. Er ist Professor für Dogmatik an der Päpstlichen Theologischen Fakultät für Süditalien. Er war lange in Tübingen und in Paris, und ist bekannt für seine Vorlesungen und Vorträge an vielen europäischen und amerikanischen Universitäten, wie auch für seine geistlichen Fortbildungs- und Exerzitienkurse in verschiedenen Kontinenten. Er ist Mitglied der internationalen Theologenkommission und führte den Vorsitz über die Arbeitsgruppe, die das Dokument Memoria e riconciliazione: la Chiesa e le colpe del passato (Februar 2000) verfaßt hat. Von seinen (größtenteils in die bekanntesten europäischen Sprachen übersetzten) Werken sind die bekanntesten: Simbolica ecclesiale (Edizioni San Paolo, Mailand), acht Bände, und Dialogica (Morcelliana, Brescia), vier Bände.
Das in der letzten Ausgabe von 30Tage veröffentlichte Interview mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. hat hohe Wellen geschlagen. Hatten Sie Gelegenheit, es zu lesen?
BRUNO FORTE: Ja, man hat mich darauf aufmerksam gemacht, und ich habe es mit Interesse gelesen. Ich empfinde tiefe Hochachtung vor Seiner Heiligkeit, Bartholomaios I., seit ich vor vielen Jahren, als junger Priester und Ökumene-Beauftragter der Kirche in Neapel, Gelegenheit hatte, ihn aufzufordern, einen Vortrag über den Dialog zwischen Ost und West zu halten – lange bevor er zum Nachfolger des Patriarchen Dimitrios gewählt wurde. Beeindruckt haben mich sein tiefer Glaube, sein leidenschaftliches Eintreten für die Einheit, seine gute Kenntnis der katholischen Welt, sein großes Sprachtalent (er spricht übrigens auch sehr gut italienisch). Später, als ich eine Pilgergruppe auf den Spuren des Apostels Paulus leitete, konnte ich ihn in Konstantinopel besuchen, im Fanar: wir waren damals alle angenehm überrascht von seiner Gastfreundschaft und seinem Wunsch nach Einheit, den seine Worte auch in uns wieder aufleben ließen. Ich glaube, daß auch seine jüngst abgegebenen Erklärungen im Licht eines schon lange dauernden und ständigen Bemühens für den ökumenischen Dialog gesehen werden müssen: die ein oder andere Behauptung aus diesem Hintergrund heraus zu lösen, würde der geistlichen und theologischen Statur des derzeitigen Patriarchen von Konstantinopel nicht gerecht werden.
Was hat Sie an der Perspektive, aus der Bartholomaios die Gründe für die Trennung während des gesamten 2. Jahrtausends auflistet, besonders beeindruckt?
FORTE: Der Punkt, in dem ich den in dem Interview gegebenen Erklärungen zustimme, ist der, daß die tiefe Ursache der Spaltung und des damit verbundenen Skandals der weltliche Geist ist, der sich in verschiedenen Formen und verschiedenen Zeiten im Bewußtstein der Jünger Christi eingenistet hat. Wenn das Kalkül weltlicher Macht an die Stelle des einzigen Ruhmestitels der Gläubigen tritt – nämlich die Nachfolge des um des Heils der Welt willen gekreuzigten Jesu – ist jederlei Entartung möglich. Die große Waffe des Feindes, um die Menschen vom Evangelium Christi zu entfernen ist, die Christen zu teilen: wenn der Herr selbst gesagt hat „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35) ist es offensichtlich, daß das Fehlen gegenseitiger Liebe, die Teilung, vor der Welt das Antlitz des Retters verbirgt. Und nichts begünstigt die Spaltung so sehr wie eine Logik der Macht und des Erfolgs in dieser Welt anstelle der als Hingabe seiner selbst bis zum Ende gelebten Liebe. Hierzu sagt Seine Heiligkeit Bartholomaios eine große Wahrheit.
Gibt es in dem Interview auch
Passagen, die Sie weniger überzeugend finden?
FORTE: Ich würde mir dort einen Vorbehalt anzumelden erlauben, wo der Patriarch hinsichtlich dieser Sünde der Weltlichkeit die ausschließliche Schuld der Kirche des Abendlandes in die Schuhe schiebt: sie hätte „ihre Hoffnung auf ihre weltliche Macht gesetzt“, im Gegensatz zum orthodoxen Menschen, der „seine Hoffnung hauptsächlich auf Gott setzt.“ Auch wenn man die von den Kindern der katholischen Kirche begangenen Sünden eingesteht – was Johannes Paul II. im Heiligen Jahr 2000 entschlossen tat und so ein außergewöhnliches Beispiel von Vertrauen in die Kraft der Wahrheit, die befreit und rettet, gab – erscheint es mir doch unmöglich, zu meinen, daß Satan nur bei Christen des Westens leichtes Spiel hat. In Wahrheit ist die Versuchung der Macht und der Weltlichkeit im Laufe der Jahrhunderte in der gesamten Christenheit immer wieder aufgetreten, im Westen wie im Osten: nach historischen Beispielen müßte man wohl weder bei orthodoxen noch katholischen Christen lange suchen. Kurzum: Der Böse liegt überall auf der Lauer, und leider kann kein Teil der Kirche die Unschuld des Gartens Eden oder die vollkommene Nachfolge des Kreuzes für sich in Anspruch nehmen, indem man auf einer anderen Seite alle Schuld und alles Nachgeben gegenüber der Logik der Weltlichkeit sieht. In dieser Hinsicht – die mir offensichtlich scheint – kann das Interview mit Seiner Heiligkeit Bartholomaios nicht befriedigen, es sei denn, hier liegt ein ungewolltes Mißverständnis bei der journalistischen Wiedergabe seiner Worte vor. Vor allem möchte ich klar und deutlich sagen, daß die Hoffnung der katholischen Kirche, wie die der orthodoxen Kirche, nicht in dieser Welt liegt, sondern in Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Wenn dem nicht so wäre, würde sich nicht nur die außerordentliche Blüte von Heiligen sowohl im Westen wie auch im Osten keineswegs erklären, sondern wäre auch das einzigartige Fortbestehen der Kirche die Jahrhunderte hindurch – jenseits der Parabeln der in den 2000 Jahren Christentum aufeinander gefolgten Aufstiege und Niedergänge weltlicher Macht – vollkommen unverständlich.
In dem Interview relativiert Bartholomaios die Episode, die laut Geschichtsschreibung das Schisma ausgelöst hat. Im 2. Jahrtausend äußerte sich die Teilung jedoch mehrfach in Konflikten, die die harte Irreversibilität der historischen Tatsachen wiederaufleben ließen.
FORTE: Seine Heiligkeit, der Patriarch von Konstantinopel, hat recht, wenn er das Faktum der sich 1054 zugetragenen Spaltung als Spitze des Eisberg eines viel längeren, im Bewußtsein derMenschen verankerten Prozesses betrachtet: ich möchte vor allem einmal präzisieren, daß, wie mir scheint, genau das die Meinung Kardinal Walter Kaspers ist, den ich ebenfalls seit vielen Jahren nicht nur durch seine bedeutenden theologischen Texte, sondern auch persönlich kenne. Niemals hat er das Schisma einfach nur auf eine charakterliche Unverträglichkeit zweier Protagonisten, dem Päpstlichen Legaten Humbert von Silva Candida und dem Patriarchen Michael Kerularios, reduziert – wenn auch offensichtlich ist, daß das Gewicht der beteiligten Charaktere beim Sich-Überstürzen der Ereignisse durchaus eine Rolle spielte. Die Entwicklung der Spaltung wurde dann noch von menschlichen Irrtümern begünstigt, derer wir uns bewußt sein müssen und für die die Kirche um Vergebung bittet, wobei sie sich zu recht zum Sprachrohr der Opfer macht, in Gehorsam zur Wahrheit: ich denke an die Opfer der 1204 mit der Plünderung von Konstantinopel begangenen Grausamkeit, auf die Patriarch Bartholomaios anspielt, aber ich denke auch an die vielen Opfer, die auf das Konto von Stalins Barbarei gehen, der die griechisch-katholische Kirche einfach im Gebiet des Sowjetimperiums auslöschen und sie zwangsweise dem Moskauer Patriarchat einverleiben wollte. In dem einen wie im anderen Fall ist es gut, wenn die kirchlichen Verantwortlichen für die mögliche „Mittäterschaft“ dessen, was sich ereignet hat, um Vergebung bitten; dafür, nicht alles getan zu haben, was sie konnten oder mußten, um die Barbarei aufzuhalten und die Unterdrückten zu schützen, und zwar sowohl auf katholischer als auch orthodoxer Seite.
Aus dem Interview mit Bartholomaios klingt auch heraus, daß ein Konsens über die Rolle des Bischofs von Rom für eine volle Gemeinschaft entscheidend ist. Der ökumenische Patriarch schreibt unter anderem, daß „die Vorrangstellung des Petrus im Vergleich zu den anderen Aposteln herausgestellt wird, um einen Machtprimat zu rechtfertigen.“ Was kann hier einem Dialog Ihrer Meinung nach hilfreich sein?
FORTE: Ich würde gern die Gründe für
Hoffnung herausstellen, auf die Seine Heiligkeit Bartholomaios mehrfach
verweist, wenn er beispielsweise herausstellt, daß er „den Dialog stets als
nützlich ansieht und sich davon Früchte erwartet, wenn sie auch langsam
reifen“, oder wenn er dazu einlädt, „auf die Erleuchtung des Heiligen Geistes,
auf die göttliche Gnade, die stets von Krankheit heilt und das Fehlende
ergänzt“ zu zählen. Auf diesem Weg in Richtung Einheit ist und war die Rolle
Petri und seiner Nachfolger von grundlegender Bedeutung für die Kirche, im
Westen wie im Osten: man muß nur das Neue Testament lesen, um das zu verstehen.
Petrus ist – nach Jesus – die darin bekannteste und am meisten zitierte Person:
154x wird er mit dem Namen Pétros erwähnt, „Stein“, „Fels“, in 27 Fällen mit
dem jüdischen Namen Simeon genannt, in der griechischen Form Simon, während der
aramäische Beiname Kephas, der ebenfalls „Fels“ bedeutet, 9x vorkommt und von
Paulus vorgezogen wird. Diese Häufigkeit ließe sich ohne eine besondere
Bedeutung der
Rolle des Petrusamtes für die gesamte Kirche nicht erklären, die dem Willen
Jesu entspricht und in klaren Aussagen Ausdruck findet, wie beispielsweise der:
„Du bist Petrus,
und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18) oder dem Auftrag, die Brüder
„zu stärken“ (vgl. Lk 22,32). Gewiß, die Ausübung des Petrusamtes hat in der Geschichte
unterschiedliche Formen angenommen, und Johannes Paul II. selbst hat sich – in
seiner Enzyklika Ut unum sint (Nr. 88 ff.) – bereit erklärt, der an ihn von vielen
Christen, die nicht in voller Gemeinschaft mit Rom sind, gerichteten Bitte
Gehör zu schenken, „eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar
keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen
Situation öffnet“ (Nr. 95). In einer Welt, die sich immer mehr in ein „globales
Dorf“ verwandelt, erscheint das universale Amt des Nachfolgers Petri mehr denn
je notwendig für die ganze christliche Ökumene, wie das Beispiel der
prophetischen Rolle zeigt, die die Stimme des Papstes bei dem Krieg im Irak
hatte: hier ist zu hoffen, daß die orthodoxen Kirchen ihren wertvollen Beitrag
zu einer Entwicklung dieses Amtes nicht verweigern werden, das allen Jüngern
Jesu im Zeugnis vor der Welt dienlich ist und von allen aufgenommen werden
möge, im Gehorsam zum Plan Gottes der Einheit für die Kirche. Es ist eine
Hilfe, die der Bischof von Rom meiner Meinung nach von den Kirchen erwarten
darf, die auf der Ebene der Glaubenslehre und der Sakramente so eng mit der
katholischen Kirche verbunden sind, und insbesondere vom ökumenischen
Patriarchen von Konstantinopel, der am Beispiel seiner Vorgänger, angefangen
beim großen Athenagoras, viel getan hat und noch tun kann für die Entwicklung
des Dialogs zwischen Ost und West und für das Wachstum der vom Herrn gewollten
Einheit. Damit die christliche Ökumene mit beiden Lungen atmet und die Jünger
Christi auch sichtlich eins sind, wie Jesus im Vater und der Vater in ihm ist (vgl. Joh 17,21).
In besagtem Interview wird auf einen Umstand verwiesen, der weitgehend von der katholischen Geschichtsschreibung geteilt wird, daß sich nämlich durch die Gregorianische Reform im Abendland eine Art kirchlicher Struktur herauskristallisierte, die dazu beitrug, daß die mit dem Osten bestehende Fremdheit noch tiefgehender werden konnte. Meinen Sie das auch?
FORTE: Leben und Botschaft von
Gregor VII. lassen sich in den Worten zusammenfassen, die auf seinem Grab
geschrieben stehen: „Dilexi iustitiam, odivi inquitatem, propterea morior in
exilio“ – „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt, die Bosheit gehaßt, deshalb
sterbe ich im Exil.“ Sie drücken den wahren Sinn der von ihm vorangetriebenen
Reform aus, die darauf abzielte, die Kirche von jenem Sinn der Weltlichkeit zu
befreien, in dem seine Heiligkeit Bartholomaios zu recht die Ursache für alle
Übel der christlichen Existenz ausmacht. Die Verteidigung der libertas
Ecclesiae gegenüber
einer übergreifenden und gierigen politischen Macht bedeutete, die Simonie und
die Unmoral unter den Jüngern Christi zu bekämpfen, die dagegen durch die
Laieninvestitur in geistlichen Ämtern begünstigt waren. Dieser Kampf hat die
moderne Unterscheidung zwischen Kirche und Staat vorweggenommen, die in der
historischen Erfahrung der orthodoxen Kirchen oft ganz einfach fehlt: und
dieses Fehlen hat sich oft als Ursache für Leid und Übel für sie und für viele
christlichen Gläubigen erwiesen, auch Nicht-Orthodoxe. Es ist daher merkwürdig,
daß der Ökumenische Patriarch eine Reform so negativ beurteilt, die von
demselben anti-weltlichen Geist beseelt war, den er als etwas so Notwendiges für das
Wohl der Kirche und der Sache der Einheit betrachtet. Durch die journalistische
Wiedergabe wurden vielleicht historische Urteile verstümmelt, die große
Aufmerksamkeit verdient hätten und die – angemessen begründet und ausgedrückt –
interessante Resultate für den Ökumenismus eröffnen, wie beispielsweise die
grundlegenden Beiträge über die Geschichte der Ekklesiologie von Pater Yves
Congar zeigen.
Bruno Forte.
Vor diesem Hintergrund voller suggestiver Gedenktage stellt das ausführliche Interview mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. (siehe letzte Nummer von 30Tage) nur den ersten einer Reihe von Beiträgen und Artikeln dar, die unsere Zeitschrift dieses Jahr dem derzeitigen fehlenden Verständnis und den theologischen und historischen Gründen zu widmen gedenkt, die für den trennenden Abgrund zwischen dem Großteil der Kirchen des Ostens und der Kirche von Rom verantwortlich sind. Viele davon haben mit der Funktion des Bischofs von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus zu tun. Eine Problematik, zu der auch Johannes Paul II. mit der Enzyklika Ut unum sint von 1995 eine friedliche, aber freie zwischenkirchliche Diskussion anriet, als er meinte: „Es ist jedoch bedeutungsvoll und ermutigend, daß die Frage des Primats des Bischofs von Rom gegenwärtig zum Gegenstand einer unmittelbaren, bzw. bevorstehenden Untersuchung wurde“ (Nr. 89) und zeigte, daß er „die an ihn gerichtete Bitte, eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ ernst nahm (Nr. 95).
Die Berufung des Petrus und des Andreas (1601), Ölgemälde, Royal Gallery Collection, Hampton Court Palace, London (Foto aus dem Buch von Maurizio Marini, Caravaggio, Rom 2001). Der berühmte Kunsthistoriker Sir Denis Mahon schrieb das Gemälde nach einer kürzlich vorgenommenen Reinigungsarbeit Caravaggio zu.
Zu einigen der in dem Interview von Patriarch Bartholomaios I. abgegebenen Urteile wollte 30Tage die Stellungnahme eines der bekanntesten und geschätzten katholischen Katholiken veröffentlichen, der dieses Jahr die Fasten-Exerzitien vor dem Papst und der Römischen Kurie predigen wird: Bruno Forte. Geboren wurde er 1949 in Neapel, zum Priester geweiht 1973. Er ist Professor für Dogmatik an der Päpstlichen Theologischen Fakultät für Süditalien. Er war lange in Tübingen und in Paris, und ist bekannt für seine Vorlesungen und Vorträge an vielen europäischen und amerikanischen Universitäten, wie auch für seine geistlichen Fortbildungs- und Exerzitienkurse in verschiedenen Kontinenten. Er ist Mitglied der internationalen Theologenkommission und führte den Vorsitz über die Arbeitsgruppe, die das Dokument Memoria e riconciliazione: la Chiesa e le colpe del passato (Februar 2000) verfaßt hat. Von seinen (größtenteils in die bekanntesten europäischen Sprachen übersetzten) Werken sind die bekanntesten: Simbolica ecclesiale (Edizioni San Paolo, Mailand), acht Bände, und Dialogica (Morcelliana, Brescia), vier Bände.
Das in der letzten Ausgabe von 30Tage veröffentlichte Interview mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. hat hohe Wellen geschlagen. Hatten Sie Gelegenheit, es zu lesen?
BRUNO FORTE: Ja, man hat mich darauf aufmerksam gemacht, und ich habe es mit Interesse gelesen. Ich empfinde tiefe Hochachtung vor Seiner Heiligkeit, Bartholomaios I., seit ich vor vielen Jahren, als junger Priester und Ökumene-Beauftragter der Kirche in Neapel, Gelegenheit hatte, ihn aufzufordern, einen Vortrag über den Dialog zwischen Ost und West zu halten – lange bevor er zum Nachfolger des Patriarchen Dimitrios gewählt wurde. Beeindruckt haben mich sein tiefer Glaube, sein leidenschaftliches Eintreten für die Einheit, seine gute Kenntnis der katholischen Welt, sein großes Sprachtalent (er spricht übrigens auch sehr gut italienisch). Später, als ich eine Pilgergruppe auf den Spuren des Apostels Paulus leitete, konnte ich ihn in Konstantinopel besuchen, im Fanar: wir waren damals alle angenehm überrascht von seiner Gastfreundschaft und seinem Wunsch nach Einheit, den seine Worte auch in uns wieder aufleben ließen. Ich glaube, daß auch seine jüngst abgegebenen Erklärungen im Licht eines schon lange dauernden und ständigen Bemühens für den ökumenischen Dialog gesehen werden müssen: die ein oder andere Behauptung aus diesem Hintergrund heraus zu lösen, würde der geistlichen und theologischen Statur des derzeitigen Patriarchen von Konstantinopel nicht gerecht werden.
Was hat Sie an der Perspektive, aus der Bartholomaios die Gründe für die Trennung während des gesamten 2. Jahrtausends auflistet, besonders beeindruckt?
FORTE: Der Punkt, in dem ich den in dem Interview gegebenen Erklärungen zustimme, ist der, daß die tiefe Ursache der Spaltung und des damit verbundenen Skandals der weltliche Geist ist, der sich in verschiedenen Formen und verschiedenen Zeiten im Bewußtstein der Jünger Christi eingenistet hat. Wenn das Kalkül weltlicher Macht an die Stelle des einzigen Ruhmestitels der Gläubigen tritt – nämlich die Nachfolge des um des Heils der Welt willen gekreuzigten Jesu – ist jederlei Entartung möglich. Die große Waffe des Feindes, um die Menschen vom Evangelium Christi zu entfernen ist, die Christen zu teilen: wenn der Herr selbst gesagt hat „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35) ist es offensichtlich, daß das Fehlen gegenseitiger Liebe, die Teilung, vor der Welt das Antlitz des Retters verbirgt. Und nichts begünstigt die Spaltung so sehr wie eine Logik der Macht und des Erfolgs in dieser Welt anstelle der als Hingabe seiner selbst bis zum Ende gelebten Liebe. Hierzu sagt Seine Heiligkeit Bartholomaios eine große Wahrheit.
Die Umarmung zwischen Bartholomaios I. und Johannes Paul II. am 29. Juni 1995 in der Basilika St. Peter.
FORTE: Ich würde mir dort einen Vorbehalt anzumelden erlauben, wo der Patriarch hinsichtlich dieser Sünde der Weltlichkeit die ausschließliche Schuld der Kirche des Abendlandes in die Schuhe schiebt: sie hätte „ihre Hoffnung auf ihre weltliche Macht gesetzt“, im Gegensatz zum orthodoxen Menschen, der „seine Hoffnung hauptsächlich auf Gott setzt.“ Auch wenn man die von den Kindern der katholischen Kirche begangenen Sünden eingesteht – was Johannes Paul II. im Heiligen Jahr 2000 entschlossen tat und so ein außergewöhnliches Beispiel von Vertrauen in die Kraft der Wahrheit, die befreit und rettet, gab – erscheint es mir doch unmöglich, zu meinen, daß Satan nur bei Christen des Westens leichtes Spiel hat. In Wahrheit ist die Versuchung der Macht und der Weltlichkeit im Laufe der Jahrhunderte in der gesamten Christenheit immer wieder aufgetreten, im Westen wie im Osten: nach historischen Beispielen müßte man wohl weder bei orthodoxen noch katholischen Christen lange suchen. Kurzum: Der Böse liegt überall auf der Lauer, und leider kann kein Teil der Kirche die Unschuld des Gartens Eden oder die vollkommene Nachfolge des Kreuzes für sich in Anspruch nehmen, indem man auf einer anderen Seite alle Schuld und alles Nachgeben gegenüber der Logik der Weltlichkeit sieht. In dieser Hinsicht – die mir offensichtlich scheint – kann das Interview mit Seiner Heiligkeit Bartholomaios nicht befriedigen, es sei denn, hier liegt ein ungewolltes Mißverständnis bei der journalistischen Wiedergabe seiner Worte vor. Vor allem möchte ich klar und deutlich sagen, daß die Hoffnung der katholischen Kirche, wie die der orthodoxen Kirche, nicht in dieser Welt liegt, sondern in Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Wenn dem nicht so wäre, würde sich nicht nur die außerordentliche Blüte von Heiligen sowohl im Westen wie auch im Osten keineswegs erklären, sondern wäre auch das einzigartige Fortbestehen der Kirche die Jahrhunderte hindurch – jenseits der Parabeln der in den 2000 Jahren Christentum aufeinander gefolgten Aufstiege und Niedergänge weltlicher Macht – vollkommen unverständlich.
In dem Interview relativiert Bartholomaios die Episode, die laut Geschichtsschreibung das Schisma ausgelöst hat. Im 2. Jahrtausend äußerte sich die Teilung jedoch mehrfach in Konflikten, die die harte Irreversibilität der historischen Tatsachen wiederaufleben ließen.
FORTE: Seine Heiligkeit, der Patriarch von Konstantinopel, hat recht, wenn er das Faktum der sich 1054 zugetragenen Spaltung als Spitze des Eisberg eines viel längeren, im Bewußtsein derMenschen verankerten Prozesses betrachtet: ich möchte vor allem einmal präzisieren, daß, wie mir scheint, genau das die Meinung Kardinal Walter Kaspers ist, den ich ebenfalls seit vielen Jahren nicht nur durch seine bedeutenden theologischen Texte, sondern auch persönlich kenne. Niemals hat er das Schisma einfach nur auf eine charakterliche Unverträglichkeit zweier Protagonisten, dem Päpstlichen Legaten Humbert von Silva Candida und dem Patriarchen Michael Kerularios, reduziert – wenn auch offensichtlich ist, daß das Gewicht der beteiligten Charaktere beim Sich-Überstürzen der Ereignisse durchaus eine Rolle spielte. Die Entwicklung der Spaltung wurde dann noch von menschlichen Irrtümern begünstigt, derer wir uns bewußt sein müssen und für die die Kirche um Vergebung bittet, wobei sie sich zu recht zum Sprachrohr der Opfer macht, in Gehorsam zur Wahrheit: ich denke an die Opfer der 1204 mit der Plünderung von Konstantinopel begangenen Grausamkeit, auf die Patriarch Bartholomaios anspielt, aber ich denke auch an die vielen Opfer, die auf das Konto von Stalins Barbarei gehen, der die griechisch-katholische Kirche einfach im Gebiet des Sowjetimperiums auslöschen und sie zwangsweise dem Moskauer Patriarchat einverleiben wollte. In dem einen wie im anderen Fall ist es gut, wenn die kirchlichen Verantwortlichen für die mögliche „Mittäterschaft“ dessen, was sich ereignet hat, um Vergebung bitten; dafür, nicht alles getan zu haben, was sie konnten oder mußten, um die Barbarei aufzuhalten und die Unterdrückten zu schützen, und zwar sowohl auf katholischer als auch orthodoxer Seite.
Aus dem Interview mit Bartholomaios klingt auch heraus, daß ein Konsens über die Rolle des Bischofs von Rom für eine volle Gemeinschaft entscheidend ist. Der ökumenische Patriarch schreibt unter anderem, daß „die Vorrangstellung des Petrus im Vergleich zu den anderen Aposteln herausgestellt wird, um einen Machtprimat zu rechtfertigen.“ Was kann hier einem Dialog Ihrer Meinung nach hilfreich sein?
Die Umarmung zwischen Athenagoras und Paul VI. in Jerusalem (5. Januar 1964).
In besagtem Interview wird auf einen Umstand verwiesen, der weitgehend von der katholischen Geschichtsschreibung geteilt wird, daß sich nämlich durch die Gregorianische Reform im Abendland eine Art kirchlicher Struktur herauskristallisierte, die dazu beitrug, daß die mit dem Osten bestehende Fremdheit noch tiefgehender werden konnte. Meinen Sie das auch?
Die Begegnung zwischen Patriarch Alexej II. und Kardinal Walter Kasper. (Moskau, 22. Februar 2004).