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TÜRKEI
Aus Nr. 02 - 2004

Die sieben „Harmonisierungspakete“.

Der Countdown läuft



von Gianni Valente


Ein Diener des Europäischen Parlaments hißt für die Eröffnung der Außerordentlichen Sitzung vom 19. November 2002 die türkische Fahne.

Ein Diener des Europäischen Parlaments hißt für die Eröffnung der Außerordentlichen Sitzung vom 19. November 2002 die türkische Fahne.

In Sachen Integration der Türkei in die Europäische Union schlägt 2004 die Stunde der Wahrheit. Spätestens im Dezember wird sich der Europäische Rat versammeln, um auf der Grundlage eines Kommissionsberichts zu prüfen, ob die Türkei die beim Kopenhagener Gipfel von 2002 festgesetzten politischen Aufnahme-Kriterien erfüllt. Sollte dem so sein, dann könnten, laut optimistischer, wenn auch keineswegs gewisser Vorhersagen der Regierenden in Ankara, die Beitrittsverhandlungen Anfang 2005 beginnen und – nach realistischen Schätzungen – 2012 abgeschlossen sein.
1999 hatte die Türkei ihr Beitrittsgesuch bei der EU eingereicht und ­ – während verschiedene Länder Osteuropas aufgenommen wurden – einstweilen das Nachsehen gehabt. Gerechtfertigt wurden die europäischen Bedenken mit den in der Türkei im politischen und wirtschaftlichen Bereich und dem der Wahrung der Bürgerrechte herrschenden Anomalien. Ein Abgrund, den zu überbrücken sich die türkische Regierung verpflichtet hat – erreichen will man das durch „Harmonisierungspakete“, „aufgezwungene“ Gesetzesreformen, mit denen die Türkei an die europäischen Standards angepaßt werden soll. In den von den Gemeinschaftsorganen zur Überprüfung des Reformprozesses aufgesetzten provisorischen Berichten sind Licht- und Schattenseiten desselben nicht zu übersehen. Lobenswert ist die fast vollkommene Abschaffung der Todesstrafe wie auch der Umstand, daß man sich bereit erklärte, 12 Millionen kurdischen Bürgern im Bereich der linguistischen und kulturellen Rechte vollkommene Gleichberechtigung zuzugestehen. Aber im Bericht von 2003 wurde, neben den bei der allzu langsamen Umsetzung der Reformen festgestellten Mängel, auch die führende Rolle beanstandet, die die Armee in den politischen Gleichgewichten des Landes spielt; jene Armee, die sich seit der Zeit der Revolution Kemals zum Hüter der Laizität des Staates aufgeschwungen hat.
Von den einzelnen Punkten abgesehen, sind die Gründe für die Vorbehalte, die die Elite der öffentlichen Meinung in Europa gegen einen Eintritt der Türkei in die EU hat, nicht nur politischer Art (das auch rein demographische Gewicht der Türkei könnte konsolidierte Gleichgewichte ins Wanken bringen), sondern auch auf die bezweifelte Anpassungsfähigkeit eines Landes islamischer Kultur an die westlichen Parameter zivilen Miteinanderlebens zurückzuführen. Was der türkische Außenminister Abdullah Gul nur allzu gut wußte, als er am 14. Februar versucht hatte, seine perplexen Zuhörer beim Kongress der europäischen Volkspartei zu überzeugen, und die von der gemäßigten islamischen Regierung erzielten Erfolge anpries: „Wir haben gezeigt, daß eine muslimische Gesellschaft zeitgenössische Demokratie-Standards erreichen kann, Rechtsstaatlichkeit, Religionsfreiheit, Menschenrechte, Transparenz, eine zuverlässige und gute Regierung...“.


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