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USA UND HL. STUHL
Aus Nr. 02 - 2004

Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Hl. Stuhl. Zweiter Teil



von Jim Nicholson
zusammengestellt von Giovanni Cubeddu



In diesem Moment, in dem wir den 20. Jahrestag der Anknüpfung diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Hl. Stuhl begehen, ist es mir eine besondere Freude, noch ein paar Zeilen an das 2002 veröffentlichte Buch anzufügen, das ich zu diesem Thema für 30Tage geschrieben habe. In diesen zusätzlichen Kapiteln wird beschrieben, wie sich unsere Beziehungen, zunächst nach den Ereignissen des 11. September 2001 und dann zur Zeit des Kriegs gegen den Irak, gestalteten. Den Abschluß bildet das Papstjubiläum vom Oktober 2003. Wie gut die Beziehungen unter Nationalstaaten wirklich sind, sieht man vor allem daran, ob sie in der Lage sind, Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Im Falle der Beziehungen USA/Hl. Stuhl war ein derartiger Test der Krieg im Irak – wenn man sich hier allerdings auch weniger über den Zweck als vielmehr die Mittel uneinig war. Und nun, nachdem wir diesen Test bestanden haben, steht unser Dialog darüber, wie sich unsere enge und dynamische Zusammenarbeit im Dienst aller Kinder Gottes gestalten kann, auch weiterhin im Zeichen der Herzlichkeit.
Seitdem ich das Amt des Botschafters übernommen habe, war offensichtlich, daß die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und dem Hl. Stuhl eine Zusammenarbeit sein würde, die dank der uns gemeinsamen Werte sehr fruchtbar sein kann. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten besagt unmißverständlich, daß das internationale Engagement Amerikas vor allem darauf abzielt, „mit Nachdruck für die unveräußerliche Notwendigkeit der Menschenwürde einzutreten, für den Rechtsstaat, die Einschränkung der absoluten Macht des Staates, für Redefreiheit, Kultfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Achtung der Frauen, Toleranz Religionen und Ethnien gegenüber sowie die Achtung des Privateigentums“1.
Dieses Ziel steht im Zentrum des umfassenden und starken internationalen Engagements des Hl. Stuhls. Das ist auch der Grund dafür, warum wir in den ersten zwei Jahren meiner Tätigkeit als Botschafter eng für die Förderung der Würde des menschlichen Lebens zusammengearbeitet haben. Eine Zusammenarbeit, die auf den Kampf gegen so schreckliche Dinge wie Menschenhandel, Hunger und Unterernährung ausgerichtet war, auf den Ausbau humanitärer Hilfe und Unterstützung, unter Förderung von Demokratie, Religionsfreiheit und Toleranz.

Nach dem 11. September. Eine Stimme gegen die Gewalt im Namen der Religion
Der Angriff auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 stürzte unser Land in eine im Bereich der Sicherheit nie dagewesene Krise. Im Gegensatz zu Pearl Harbour – ein militärischer Angriff eines Landes auf ein anderes – mußten wir nach dem 11. September einen Phantom-Feind verfolgen, der in vielen Nationalstaaten „operierte“ und in der Lage war, US-Interessen inner- und außerhalb der Landesgrenzen zu schädigen. Präsident Bush, der erkannt hatte, daß man diesen Feind nur mit der größtmöglichen internationalen Unterstützung bekämpfen konnte, stellte eine mehr als 170 Länder umfassende Koalition auf die Beine, die entschlossen war, gegen den Terror gemeinsame Front zu machen. In einer derartigen Koalition konnte der Hl. Stuhl eine deutliche Stärkung der moralischen Basis dieses weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus darstellen.
Am 13. September 2001 überreichte ich dem Heiligen Vater in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo mein Beglaubigungsschreiben – gerade 48 Stunden nach den Ereignissen in New York, Washington und Pennsylvania. Der Papst sagte mir, daß er über diesen tragischen Tag viel nachgedacht und gebetet hätte; dann fügte er noch an, daß „es nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten, sondern auf die ganze Menschheit“ gewesen sei. Er gab zu verstehen, daß die USA Maßnahmen ergreifen müßten, um sich selbst zu verteidigen, und wies lediglich darauf hin, daß Präsident Bush auch weiterhin den großen Gerechtigkeitssinn hochhalten solle, für den unser Land so sehr respektiert werde. Nachdem der Papst anerkannt hatte, daß die Terrorangriffe vom 11. September eine Antwort rechtfertigten, gab dann auch der vatikanische „Außenminister“ Jean-Louis Tauran den USA öffentlich Unterstützung dafür, die Schuldigen auszumachen, als er im Oktober 2001 in einem Interview erklärte, daß „wir heute alle der US-Regierung, wie jeder anderen Regierung, das Recht auf legitime Verteidigung zugestehen, da sie die Pflicht hat, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten“2.
Aber der Hl. Stuhl erkannte nicht nur das Recht der USA auf legitime Verteidigung an, sondern verstärkte auch seine eigenen Initiativen in Sachen Kampf gegen den Terrorismus. Er sprach sich entschieden gegen jeden Einsatz von Gewalt im Namen Gottes aus und für den interreligiösen Dialog und das Verständnis, verstanden als Gegengewicht zu denen, die einen gewaltsamen Zusammenprall von Zivilisationen und Religionen anstreben. Im Januar 2002 versammelte der Papst – wie bereits zweimal zuvor – mehr als 200 Repräsentanten der Weltreligionen zum Gebetstag für den Frieden in Assisi. Der Ruf des Papstes hatte geheißen: „Nie wieder Gewalt! Nie wieder Krieg! Nie wieder Terrorismus! Auf daß jede Religion im Namen Gottes Gerechtigkeit und Frieden bringe, Vergebung und Leben, Liebe!“3.
Am ersten Jahrestag der Attentate vom 11. September konnte ich den Papst nach seiner Generalaudienz, bei der er für die Opfer der Terrorangriffe betete, begrüßen und ihm für seine Unterstützung, seine Gebete danken. Zur Vorbeugung gegen zukünftige Terrorangriffe rief er die internationale Gemeinschaft auf, „neue politische und wirtschaftliche Initiativen zu ergreifen, mit denen man die skandalöse Situation der Ungerechtigkeit und Unterdrückung in den Griff bekommen kann“4.

Irak: wie man einem Mann des Friedens gegenüber den Krieg rechtfertigt
Während der Kampf gegen den globalen Terrorismus weiterging und wir mehr über die Bemühungen der Terroristen, sich Massenvernichtungswaffen zu beschaffen, in Erfahrung bringen konnten, richteten die USA ihr Augenmerk verstärkt auf Länder, die bekanntlich Massenvernichtungswaffen herstellten und einsetzten. Saddam Husseins Irak, das durch den Einsatz chemischer Waffen gegen Nachbarn, ja selbst Iraker, ein brutales Desinteresse an seinen eigenen Bürgern unter Beweis gestellt und jahrelang Kontakte zu Hezbollah und anderen internationalen Terrornetzen gepflegt hatte, wurde schon bald von den USA ins Visier genommen5.
Angesichts dieser Priorität begannen meine Leute und ich im Spätsommer 2002, die vatikanischen Beamten von unseren Bedenken in Kenntnis zu setzen. Wir verwiesen darauf, daß es der Irak 12 Jahre lang versäumt hatte, den UNO-Resolutionen nachzukommen, auf die ausgebliebenen Klärungen zu seinen Massenvernichtungswaffen, die ständigen internen Unterdrückungsmaßnahmen und Menschenrechtsverletzungen. Wir konnten sehen, daß die vatikanischen Beamten unsere Besorgnis über das Regime Saddam Hussein teilten, und wie wir auch die Verbreitung von nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen unterbinden wollten. In der Tat waren hochrangige vatikanische Beamte entrüstet über den irreführenden öffentlichen Eindruck, der Hl. Stuhl hege Sympathien für den Irak. Ein Eindruck, der entstanden war, weil sich der Vatikan in der Vergangenheit, 1991, gegen den Golfkrieg gestellt hatte, nachdrücklich für ein Ende der UN-Sanktionen gegen den Irak eingetreten war und auch keine große Bereitschaft gezeigt hatte, die kontinuierlichen Menschenrechtsverletzungen im Irak öffentlich anzuprangern. Eine Vorsicht, die jedoch die Sorge des Hl. Stuhls um die ca. 500.000 Katholiken chaldäischen Ritus’ im Irak widerspiegelte, wie auch den Wunsch, die Irak-Regierung nicht gegen diese aufzubringen. Wofür ich natürlich vollstes Verständnis hatte; ich wußte aber auch, daß der Hl. Stuhl als Verfechter der Menschenrechte eine weltweit maßgebliche Stimme ist, und war daher der Ansicht, daß man auf die Mißbräuche im Irak ein internationales Auge haben sollte. Wir trieben den „Fall Irak“ also sozusagen privat weiter voran, wobei wir die Bedeutung der Menschenrechte herausstellten, die positiven Auswirkungen, die das UN-Programm „Öl gegen Nahrung“ für die irakische Bevölkerung hatte, sowie das Risiko, das dieses Regime des Bösen für die regionale und internationale Sicherheit darstellte.
Ein weiterer Faktor dafür, daß der Eindruck entstanden war, der Hl. Stuhl wäre dem Irak gegenüber nachsichtig, war der Wunsch nach Dialog und Kooperation mit dem Islam und der muslimischen Welt, um Gewalt nährenden Spannungen entgegenzuwirken6. Eine offene Befürwortung der von Präsident Bush im Irak verfolgten Politik hätte den Eindruck erwecken können, der Vatikan sei gegen den Islam, was wiederum bei vielen Muslimen das Bild von einem Bündnis zwischen der westlichen Welt und der Christenheit heraufbeschworen und bestätigt hätte.
Unter dem derzeitigen Pontifikat konnte der Hl. Stuhl mit großem Erfolg Brücken bauen und den interreligiösen Dialog vorantreiben. Papst Johannes Paul II. brachte seine Wertschätzung für den Islam zum Ausdruck und legte nicht nur eine Haltung der Offenheit und des Respekts an den Tag, sondern auch den Wunsch nach Reziprozität in seiner Beziehung zur muslimischen Welt7. Der Hl. Stuhl hat auch nach gemeinsamen Grundlagen einer Zusammenarbeit mit islamischen Ländern gesucht, vor allem in internationalen Organisationen, wo man oft dieselben Ziele verfolgt. Ich glaube, daß dank der Initiativen und ökumenischen Bemühungen des Hl. Stuhls die Spannungen zwischen Christen und Muslimen gemildert, neue Spaltungen verhindert werden konnten und daß man auch zukünftige Mauern des Mißverständnisses niederreissen wird.
Als sich die USA dann, im Spätsommer 2002, zusehends auf Saddam Hussein konzentrierten, kam es zu einer öffentlichen Debatte darüber, ob sich die Vereinigten Staaten um ein neues UN-Mandat für eventuell notwendige Militäraktionen gegen einen sich nicht an die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates haltenden Irak bemühen sollten. Sowohl öffentlich als auch privat hielt der Hl. Stuhl nicht mit seiner Ansicht hinterm Berg, daß ein Rückgriff auf Gewalt nur mit Genehmigung der Vereinten Nationen erfolgen dürfe. Der vatikanische Außenminister Erzbischof Tauran bekräftigte am 9. September in einem Interview mit der katholischen italienischen Tageszeitung Avvenire, daß die UNO, laut vatikanischer Ansicht, eine zentrale Rolle spielen sollte: „Sofern die internationale Gemeinschaft zu dem Schluß kommen sollte, daß der Einsatz von Gewalt angebracht und gerechtfertigt sei, sollte dies nur durch eine im Rahmen der Vereinten Nationen getroffene Entscheidung erfolgen“8.
Obwohl die Vereinigten Staaten nicht die Meinung vertraten, daß eine solche Entscheidung nur im Rahmen der UNO getroffen werden könne, waren wir jedoch davon überzeugt, daß Entscheidungen, die den Segen der UNO haben, der internationalen Gemeinschaft bei ihren Bemühungen um eine Entwaffnung des Irak einen größeren Handlungsspielraum geben würden. Um einen solchen Konsens zu erreichen, hielt Präsident Bush am 12. September vor den Vereinten Nationen eine Ansprache, in der er die UNO aufrief, ihre Ideale zu verteidigen und zu gewährleisten, daß ihre Forderungen respektiert würden. Der Präsident hatte also keineswegs die Absicht, die UNO zu ignorieren, sondern wollte vielmehr deren Autorität einem Regime gegenüber wieder herstellen, das nichts anderes tat, als diese ständig mit Füßen zu treten. Nach fast zweimonatiger Debatte verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat am 8. November 2002 einstimmig Resolution 14419: eine Resolution, die den Willen der Internationalen Gemeinschaft widerspiegelte, den Irak zu zwingen, sich an die UNO-Abrüstungsresolutionen zu halten und ihm klar zu machen, daß ein Nicht-Ergreifen dieser letzten Chance „ernste Folgen“ haben würde – was in UNO-Sprache soviel heißt wie: Militäraktion. Eine sensationelle Abstimmung, der sich auch Syrien anschloß, was bestätigte, daß die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins sehr wohl als Bedrohung empfunden wurden.
Der Hl. Stuhl begrüßte die von Resolution 1441 vorgesehene Miteinbeziehung der UNO sowie die von der internationalen Gemeinschaft an den Tag gelegte Einheit. Wir waren uns auch im Klaren darüber, daß Saddam, ohne Androhung militärischer Gewalt, den Inspektoren nach Approbierung der Resolution niemals gestattet hätte, ihre Arbeit zu tun. Schließlich hatte er sich auch nicht gescheut, in den vergangenen 12 Jahren gegen 16 Sicherheitsratsresolutionen zu verstoßen. Und der UNO-Sicherheitsrat hatte, seit der Invasion Kuwaits durch den Irak, fast 60 Resolutionen verabschiedet, in denen vom irakischen Regime verlangt wurde, sich den UNO-Forderungen zu beugen. Was jedoch bisher keine ernsten Folgen gehabt hatte: die einzige Bestrafung waren noch mehr Ermahnungen und kontinuierliche Wirtschaftssanktionen gewesen.
Obwohl nicht geleugnet werden konnte, daß Saddam Hussein ständig gegen das Völkerrecht verstieß und außer Frage stand, daß er eine Gefahr darstellte, war man in vatikanischen Kreisen sehr besorgt über einen möglichen Krieg gegen den Irak. Ein Umstand, der sich auch in vatikanischen und internationalen Medien niederschlug. Manche dieser besorgten Stimmen waren gemäßigt, wie die Stellungnahmen von Kardinälen, die die Meinung vertraten, es gäbe – solange der Inspektionsprozess noch nicht abgeschlossen wäre – „weder ein Motiv noch einen Beweis“, der eine Militäraktion rechtfertige, und darauf hinwiesen, daß ein Krieg „der Region sehr schaden würde.“ Andere Stimmen dagegen, besonders die vatikanischer Quellen, die den vermeintlichen „Unilateralismus der USA“ kritisierten und von einem „Kreuzzugsgeist“ sprachen, waren weniger vorsichtig und trugen dazu bei, daß in den Medien der Eindruck entstehen konnte, die USA und der Hl. Stuhl würden immer weiter auseinanderdriften.
Eine meiner Aufgaben war es nun, jene Verdachtsmomente ausräumen zu helfen, die die Macht und den Einfluß der USA sowie seine vermeintliche „Öl-Gier“ mit zunehmender Besorgnis betrachteten. Vor allem in Europa hatten viele das Gefühl, daß Amerika, das weltweit führende kapitalistische Land, aus dem Irak Kapital schlagen wollte. Die Medien setzten alles daran, die Vereinigten Staaten und den Hl. Stuhl als gegensätzliche Pole in der Kriegsdebatte hinzustellen – eine katholische italienische Zeitung ging sogar soweit, eine Umfrage zu starten, bei der man sich „mit Präsident Bush für den Krieg“ oder „mit dem Papst für den Frieden“ entscheiden sollte. In Wahrheit waren unsere Positionen aber nie so weit voneinander entfernt, wie man glauben machen wollte. Sowohl der Papst als auch Präsident Bush waren der Meinung, daß der Krieg das letzte Mittel sein sollte. Beide wußten nur zu gut, welche Gefahr der Irak darstellte und riefen ihn dazu auf, sein Waffenarsenal abzubauen. Beide erkannten an, daß Entscheidungen über Krieg und Frieden von den zuständigen Zivilbehörden getroffen werden müßten. Der Unterschied lag im Wesentlichen in der Frage, ob alle diplomatischen Mittel für eine „Entwaffnung“ des Irak vor einem militärischen Einschreiten auch wirklich vollkommen ausgeschöpft worden wären. Die Vereinigten Staaten waren der Meinung, daß der Irak, der schließlich 12 Jahre lang nichts anderes getan hatte, als gegen UNO-Regeln zu verstoßen, niemals einlenken würde. Der Hl. Stuhl dagegen glaubte auch weiterhin, daß Inspektionen und Dialog ein Mittel wären, mit dem man die Besorgnis der internationalen Gemeinschaft zerstreuen könnte – eine Ansicht, die der Papst Präsident Bush Ende Oktober in einem Schreiben mitteilte10.

Der gerechte Krieg. Die zentrale Rolle des Augustinus
Zu Jahresbeginn lösten diese unterschiedlichen Ansichten darüber, wie man die Entwaffnung des Irak erreichen und die regionale Sicherheit fördern könnte, eine internationale Debatte aus, bei der man sich fragte, wann eine Militäraktion zur Erreichung eines bestimmten Ziels gerechtfertigt ist. Da das Vermächtnis der Tradition des „gerechten Kriegs“ auf Augustinus zurückgeht, stand der Hl. Stuhl immer mehr im Zentrum dieser weltweit entbrannten Debatte um den Krieg im Irak. In seiner traditionellen Neujahrsansprache an die 174 Vertretungen des Diplomatischen Korps, beschrieb der Papst seine Haltung zum Irak, und meinte nach einem entschiedenen „Nein zum Krieg“: „Der Krieg ist nie ein unvermeidbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit!“. Aber obwohl seine Opposition gegen den Krieg eine starke war, fügte er auch an, daß „der Rückgriff auf den Krieg, auch wenn es darum geht, das Gemeinwohl zu gewährleisten, nur als allerletztes Mittel und nur unter gewissen Voraussetzungen möglich ist“11 – eine Ansicht, die von den USA geteilt wurde. Der Hl. Stuhl appellierte an die Welt, sicher zu gehen, daß die drei klar definierten Kriterien des gerechten Krieges auch wirklich gewährleistet wären: daß es sich nämlich um einen Krieg handelte, der zur Notwehr oder zur Verteidigung anderer geführt wurde, daß der Einsatz von Gewalt reale Erfolgsaussichten versprach, und daß man alle anderen gewaltlosen Mittel bereits ausgeschöpft hätte. Die Botschaft des Papstes, die mir auch bei meinen privaten Treffen im Vatikan vermittelt wurde, war, daß die internationale Gemeinschaft alle möglichen Mittel, außer dem Krieg, ausschöpfen sollte, um das erhoffte Ziel der Entwaffnung des Irak zu erreichen; daß die Lehre der Kirche aber nicht die Legitimität des Gebrauchs von Gewalt ausschließt – wenn auch natürlich nur nach klar definierten Kriterien und, wie gesagt, erst nach Ausschöpfung aller anderen Alternativen. Präsident Bush stellte heraus, daß er darum bemüht war, sich an die Voraussetzungen eines gerechten Krieges zu halten; letzten Endes waren sich der Hl. Stuhl und die Vereinigten Staaten aber uneinig darüber, ob man alle nicht gewaltsamen Mittel tatsächlich ausgeschöpft hätte und ob die von Saddam dargestellte Gefahr nicht doch noch Zeit ließe für Gespräche und Inspektionen.
Leider hatte die Öffentlichkeit die Feinheiten in der päpstlichen Botschaft nicht erfaßt – und so wurde sein „Nein zum Krieg“ – besonders in Europa – von Kriegsgegnern als ein absolutes, und nicht ein bedingtes „Nein“ aufgefaßt. In Rom wurde mir klar, daß nur eine breitangelegte öffentliche Debatte ein besseres Verständnis der heutigen Form von Terrorismus, der von den Massenvernichtungswaffen ausgehenden Bedrohung, sowie der moralisch angemessenen Mittel zum Schutz unschuldiger Bevölkerungen herbeiführen konnte. Wir beschlossen also, neue Denkanstöße zu diesen Bedrohungen zu geben und luden den bekannten amerikanischen Akademiker und katholischen Intellektuellen Michael Novak nach Rom ein, um im Kontext der Theorie vom gerechten Krieg über den Irak zu sprechen. Der Besuch Novaks Anfang Februar sollte die Debatte um den gerechten Krieg ausweiten und die moralischen Grundlagen der Irak-Politik der Vereinigten Staaten deutlich machen.
In der damals mehr als spannungsgeladenen Atmosphäre – Millionen von Menschen waren auch in Rom auf die Straßen gegangen, um zu protestieren – stellten die Medien den Besuch als letzten Versuch seitens der USA dar, den Papst doch noch dazu zu bewegen, den Krieg gutzuheißen. Dieses Mißverständnis führte dazu, daß mir verschiedene Religionsvertreter der USA schrieben und sich von dem Besuch Novaks distanzierten. Sie bezeichneten ihn als einen „dissidenten Theologen“, dessen Unterstützung eines „präventiven“ militärischen Angriffs auf den Irak mit dem auf Kollisionskurs gehe, was die Lehre der Kirche zum gerechten Krieg besage. Doch im Gegensatz zu dem, was die Medien behaupteten und der davon ausgelösten Reaktion kam Michael Novak als Privatmann nach Rom; als jemand, der seine eigene Meinung über traditionelle Theorien um den gerechten Krieg und die Bedrohungen, denen wir uns heute stellen müssen, darlegte – und nicht in einer Art Mission für die US-Regierung.
Die Ausführungen Novaks und seine Begegnungen mit den Beamten des Hl. Stuhls lieferten in der Tat eine angemessene Perspektive dafür, wann eine Militäraktion als gerechtfertigt bezeichnet werden kann. In seinem Vortrag vom 10. Februar am römischen „Center for American Studies“ unter dem Titel „Asymmetrischer Krieg und gerechter Krieg“ sprach er von den neuen Bedrohungen, denen sich unsere Leaders in einer Welt stellen müssen, wo internationale Terroristen, die ohne jeglichen Bezug zu den Staaten agieren, eine Bedrohung für unschuldige Menschen darstellen, und das mit katastrophalen Folgen12. Novak legte überzeugend dar, daß die traditionellen Theorien auf den neuesten Stand gebracht werden müßten, man nicht außer Acht lassen dürfe, wie schnell und zerstörerisch die modernen Bedrohungen seien und daß die Regierungen unmöglich erst regieren könnten, wenn ein solcher Angriff schon erfolgt wäre. Kritiker des „Präventivkrieges“ machte er darauf aufmerksam, daß die Militäraktion gegen den Irak eher als „legitimer Abschluß des 1991 geführten und schnell gewonnenen gerechten Krieges vom Januar 1991 gesehen werden müsse“; immerhin hatte Saddam Hussein hier ungestraft gegen die zur Bedingung gemachte Waffenruhe verstoßen.
Während dieser ganzen Zeit sprach sich der Papst wiederholt und mit großer Umsicht für den Dialog und friedliche Wege zum Ausräumen der Spannungen aus; betonte immer wieder, daß der Krieg das letzte Mittel sei. Ich hatte große Achtung vor der Botschaft des Papstes. Er ist ein Mann des Friedens, vielleicht die gewichtigste Stimme für den Frieden, aber er ist kein Pazifist. Sein Kardinalstaatssekretär, Angelo Sodano, verwies bei seinen öffentlichen Stellungnahmen zur Position des Hl. Stuhls immer wieder auf diesen Umstand. So stand die Position des Papstes auch stets in vollem Einklang mit der traditionellen katholischen Lehre vom gerechten Krieg, wo es, wie George Weigel herausstellte, Umstände gibt, unter denen „das Böse bekämpft werden muß, um die Unschuldigen zu verteidigen und um die Mindestbedingungen einer internationalen Ordnung zu fördern“13. Tatsächlich ergriff der Papst in dieser ganzen Zeit niemals Partei und verurteilte die Militäraktion auch nicht als unmoralisch. Sein im Einklang mit der traditionellen Rolle des Hl. Stuhls bei internationalen Angelegenheiten stehender Appell ging dahin, auf die Schrecken des Krieges hinzuweisen und die führenden Politiker zu ermutigen, der Bedrohung durch Dialog und Versöhnung zu begegnen, um auf diesem Weg einen dauerhaften Frieden zu erreichen. Ein Ziel, das auch die Vereinigten Staaten anstrebten, die sich darum bemüht haben, die Entwaffnung des Irak durch die Vereinten Nationen auf friedlichem Weg zu erreichen.

Eine „Via-Crucis-Station der Diplomatie“
Und während die Debatten um eine zweite UNO-Resolution in New York immer hitziger wurden, wurde der Vatikan zum internationalen Treffpunkt der Leaders auf beiden Seiten der Debatte, die den Papst – in der Hoffnung, seine moralische Unterstützung zu erhalten – auf ihre Seite zu ziehen versuchten. Soviele Ministerpräsidenten und Außenminister kamen zum Papst nach Rom, daß die New York Times den Vatikan schließlich als „Via-Crucis-Station der Diplomatie“ bezeichnete. In nur zwei Wochen empfing der Papst den stellvertretenden irakischen Ministerpräsidenten Tariq Aziz, den deutschen Außenminister Joschka Fischer, UN-Generalsekretär Kofi Annan, den britischen Premier Tony Blair und den spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar. Die Besucher des Papstes brachten unterschiedliche Perspektiven in die Vatikanstadt; doch für alle – ganz gleich, welche Seite der Debatte sie repräsentierten – war die Botschaft des Papstes eine klare und unmißverständliche14: Alle Parteien haben die Pflicht, Frieden und Versöhnung anzustreben. Und alle Parteien haben die Verantwortung, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten und der vom Völkerrecht und den Prinzipien der Ethik inspirierten Gerechtigkeit zu entsprechen. Und schließlich muß auch die besondere humanitäre Situation des irakischen Volkes in Betracht gezogen werden.
Der Besuch Aziz’ bot die Gelegenheit, dem engsten Kreis um Saddam gegenüber die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen, den Irak zu entwaffnen. In einem Gespräch, das ich vor dem Besuch Aziz’ mit Erzbischof Tauran führen konnte, wurde mir klar, daß der Hl. Stuhl dem Irak bei dem Treffen klar und deutlich zu verstehen geben wollte, daß er sich an die UNO-Resolutionen zu halten habe. Bei seinen Treffen mit dem Papst und hochrangigen vatikanischen Beamten hatte man Aziz unmißverständlich gesagt, daß die Frist für den Irak am Ablaufen war und das Land konkrete Schritte unternehmen müsse, wenn man einen Krieg vermeiden wollte. Leider fiel die Botschaft des Papstes auf taube Ohren. In einer Pressekonferenz nach dem Meeting griff Aziz die europäischen Länder öffentlich an und drohte, daß „eine Beteiligung der christlichen Länder Europas an einem Angriffskrieg als ein Kreuzzug gegen die arabische Welt und den Islam ausgelegt werden und die Beziehungen zwischen der arabischen Welt und der christlichen Welt vergiften würde“15.
Angesichts der – wegen der fehlenden Bereitschaft der wichtigsten Mitglieder des Sicherheitsrates, die in der einstimmig approbierten Resolution 1441 vorgesehenen „ernsten Folgen“ auch wirklich in die Tat umzusetzen – immer konkreter werdenden Gefahr eines Krieges, entschloß sich der Hl. Stuhl zu einem letzten diplomatischen Vermittlungsversuch. In den Medien war schon seit längerem von einem möglichen Gesandten-Besuch in Washington die Rede, und als der Papst Kardinal Roger Etchegaray zu Saddam in den Irak schickte, wurden Vermutungen laut, daß bald auch in Washington ein Gesandter eintreffen würde. Die Mission Etchegarays – vom Vatikan als letzte Chance betrachtet, Saddam klarzumachen, welche Auswirkungen seine verweigerte Kooperation haben würde und einen Krieg zu vermeiden – hatte wenig Erfolg. Dreist und fatalistisch gab Saddam bei dem Treffen am 15. Februar nicht recht viel mehr von sich als die üblichen, lapidaren Bekräftigungen des ungebrochenen Willens des Irak, bis zum Ende zu kämpfen. Trotz der Unbeugsamkeit Saddams glaubte der Hl. Stuhl, die Entwaffnung des Irak könnte durch kontinuierlichen internationalen Druck auf das Regime und verstärkte Inspektionen erreicht werden, und nicht durch Krieg.
Um das dem Präsidenten klar zu machen, beschloß der Papst, Kardinal Pio Laghi als Sondergesandten zu Bush zu schicken. Eine Begegnung, die ich nur befürworten konnte, da der Präsident so meiner Meinung nach die Möglichkeit hatte, die moralischen Grundlagen für ein Handeln im Falle irakischer Unbeugsamkeit zu erläutern und unsere gemeinsamen Ziele hinsichtlich der Sicherheit der Region herauszustellen. So reiste Kardinal Laghi, ehemaliger Nuntius in Washington und Tennispartner des Vaters des Präsidenten, in der ersten Märzwoche dann tatsächlich mit einem Brief des Papstes nach Washington. Ich geleitete ihn ins Oval Office, wo er die Botschaft des Papstes überbrachte, den Präsidenten seiner Gebete versicherte und ihn drängte „den Weg zu dauerhaftem Frieden zu suchen“16. Laghi bekräftigte erneut die Meinung des Hl. Stuhls, daß der Krieg die letzte Lösung sein müsse und eine Entscheidung nur im Rahmen der UNO erfolgen dürfe. Der Präsident legte seine Meinung zur Legalität und Moralität eines militärischen Einschreitens dar, verwies darauf, daß die UNO bereits mit Resolution 1441 den erforderlichen Handlungsspielraum geschaffen hätte und betonte, daß es seine Pflicht wäre, das amerikanische Volk vor der vom Regime Saddam ausgehenden potentiellen Gefahr zu schützen.
Letzten Endes wichen beide Seiten nicht von ihren Ansichten über die Notwendigkeit einer Militäraktion ab, waren sich aber einig, daß man gegen die Bedrohung des Terrorismus etwas unternehmen müsse. Die Mission Kardinal Laghis – im Kielwasser der im Innern der Vereinten Nationen entstandenen Krise (Frankreich hatte beschlossen, sich gegen jede weitere Resolution in Sachen Irak zu stellen) – bewirkte bei der US-Administration keinen Meinungswechsel. Die Bereitschaft des Präsidenten, sich so eingehend mit dem vatikanischen Gesandten zu unterhalten, zeigte jedoch, wieviel Bedeutung er den Ansichten des Papstes beimißt und wie groß sein – auch durch die beiden Treffen mit dem Papst gezeigter – Wunsch ist, die Perspektiven des Hl. Stuhls bei der US-Außenpolitik in Betracht zu ziehen. Etwas, das sich dann nach dem Krieg bezahlt machen sollte, bei unserer engen Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Fragen wie humanitären Hilfen, Wiederaufbau und Entwicklung des Irak.

Wir haben Krieg
Am 19. März, nachdem wir 12 Jahre lang vergeblich darauf gewartet hatten, daß sich Saddam endlich an die ihm 1991, nach dem Golfkrieg, auferlegten Bedingungen hielt, verkündete der Präsident, daß die US-Streitkräfte auf dem Weg wären, das irakische Volk von Saddam Hussein zu befreien. Er erläuterte seinen Beschluß mit folgenden Worten: „Wir befreien Amerika und unsere Freunde nicht, indem wir darauf hoffen, daß doch noch alles gut werden wird. Die Geschichte wird hart mit jenen ins Gericht gehen, die diese Gefahr zwar erkannt, aber nichts dagegen unternommen haben. In der neuen Welt, in die wir nun eingetreten sind, ist der einzige Weg zu Frieden und Sicherheit der Weg des Handelns“17. Außenminister Powell hatte Erzbischof Tauran in einem Telefonat vom 17. März zu verstehen gegeben, daß es – falls Saddam dem letzten Aufruf von Präsident Bush, den Irak zu verlassen, nicht nachkommen sollte – zu einer Militäraktion kommen würde. Er versicherte ihm, daß sich die USA der Besorgnis des Papstes sehr wohl bewußt wären und alles dafür getan würde, die Zahl der Opfer und das Leid so gering wie möglich zu halten. Erzbischof Tauran dankte Powell für seinen Anruf und betonte noch einmal – wie er das schon Tage zuvor öffentlich getan hatte –, daß die Entscheidung darüber, ob alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft wären, bei den Zivilbehörden liege, im Einklang mit der Lehre der Kirche zum gerechten Krieg.
Nach all seinen intensiven persönlichen Bemühungen um eine Vermeidung des Krieges, nahm der Papst – so ein Sprecher – die Nachricht vom Kriegsausbruch mit „tiefstem Bedauern“ auf. In der Erklärung hieß es: „Es ist einerseits bedauerlich, daß die irakische Regierung die UNO-Resolutionen nicht akzeptieren und nicht auf den Appell des Papstes hören wollte, als beide Seiten das Land aufgefordert hatten, seinen Waffenbestand abzubauen. Und bedauerlich ist es andererseits auch, daß der – vom Völkerrecht vorgesehene – Verhandlungsweg für eine friedliche Lösung des irakischen Dramas verlassen wurde“18. Andere Beamte brachten ihre Furcht vor „einem Feuer“ zum Ausdruck, „das sich über ganz Nahost ausbreiten und Haß und Feindseligkeit der als Eindringling empfundenen westlichen Gesellschaft gegenüber säen könnte“. In ihren Vorhersagen war von „Zerstörung, Haß und einer ernstzunehmenden Krise“19 die Rede.
Obwohl die Vereinigten Staaten und der Hl. Stuhl letztendlich uneins darüber waren, ob vor der Entscheidung für den Krieg auch wirklich alle friedlichen Mittel ausgeschöpft worden waren oder nicht, akzeptierte der Hl. Stuhl im Grunde doch, daß solche Entscheidungen bei den zuständigen Zivilbehörden lägen. Erzbischof Tauran beschrieb die Rolle des Hl. Stuhls in einem Interview mit Famiglia Cristiana mehr als treffend: „Der Hl. Stuhl ist sozusagen eine moralische Macht und muß die Stimme des Gewissens sein. Wir haben auf das höchste Gut des Friedens verwiesen, auf den Schutz des Lebens, die Verteidigung der Menschenrechte, und vor allem auf die Notwendigkeit, auf das Recht Bezug zu nehmen. Doch dann, an einem gewissen Punkt, fiel die Entscheidung den Verantwortlichen der Gesellschaft zu. Sie müssen darüber befinden, ob die Zeit der Diplomatie vorbei ist und man zur Gewalt übergehen sollte. Es ist ihre Verantwortung und ihr Gewissen, das ins Spiel kommt. Wir haben versucht, die Gewissen derer zu erleuchten, auf deren Schultern Verantwortung lastet“20.
Am 9. April, zum Zeitpunkt des Besuchs von Vizeaußenminister John Bolton, vom Weißen Haus gewollt, um über Möglichkeiten einer Nachkriegs-Kooperation im Irak mit dem Hl. Stuhl zu diskutieren, fiel Bagdad – und auch die Statuen Saddams. Der Hl. Stuhl brachte seine Erleichterung darüber zum Ausdruck, daß die Zahl der Todesopfer gering geblieben war und bezeichnete den Fall des Saddam-Regimes am 10. April als eine „wichtige Chance für die Zukunft der Bevölkerung“. Im Kielwasser der Gespräche mit Vizeaußenminister Bolton betonte der Hl. Stuhl seine Entschlossenheit, der irakischen Bevölkerung mit uns gemeinsam durch die Nachkriegszeit zu helfen und versicherte, daß „die katholische Kirche bereit ist, durch ihre sozialen und wohltätigen Einrichtungen die notwendige Hilfe zu leisten“21.

Kissinger und Pacem in terris
Als die erste Welle der Militäroperationen abgeebbt war und sich unser Augenmerk auf den Aufbau eines friedlichen, demokratischen und toleranten Irak richten konnte, mußte ich darüber nachdenken, welche Rolle ich als Repräsentant des amerikanischen Volkes beim Hl. Stuhl in dieser historischen Periode spielte. Meine Verantwortung und die meiner Kollegen im diplomatischen Korps ist es, die nationalen Interessen Amerikas voranzutreiben und eine internationale Stütze für jene Handlungen aufzubauen, von denen wir meinen, daß sie eine stabile Welt für uns Amerikaner und für die anderen Völker schaffen können. Um den dafür notwendigen moralischen Konsens zu erreichen müssen wir – wie Henry Kissinger herausstellte – klarmachen, daß die amerikanischen Interessen und die anderer Länder am besten dann verfolgt werden können, wenn wir uns für gemeinsame Werte wie Freiheit, Menschenwürde und Frieden einsetzen. Als Botschafter habe ich mich darum bemüht, einen moralischen Konsens in Sachen Irak herbeizuführen. Und wenn der Hl. Stuhl letztendlich auch nicht mit einem militärischen Einschreiten einverstanden war, so doch mit den von uns angestrebten Zielen der internationalen und regionalen Sicherheit und der Beendigung der Unterdrückung des irakischen Volkes. Was letzten Endes auf beiden Seiten außer Zweifel stand war, daß die Bedingungen für einen wahren Frieden im Irak Saddams nicht gegeben waren.
Bedeutungsvoll ist, daß der Papst zu Beginn dieses turbulenten Jahres in seiner Ansprache zum Weltfriedenstag an jenes Friedensmodell erinnern wollte, das zum ersten Mal in der Enzyklika Pacem in terris von Johannes XXIII. zur Sprache gekommen war. Als jener Papst die vier Säulen des Friedens herausstellte: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit. Im Irak war nichts davon gegeben. Statt mit Nächstenliebe bedachte Saddam seine Nachbarstaaten, ja seine eigenen Mitbürger, mit chemischen Waffen. Statt Gerechtigkeit gab es die Unterdrückung der Kurden – ganze Familien mußten sich reihenweise vor Massengräbern aufstellen und wurden erschossen. Statt Wahrheit wurde nichts als Täuschung der internationalen Gemeinschaft praktiziert. Statt Liebe erfuhren die Menschen Unterdrückung und Angst, Haß, Ungerechtigkeit und Täuschung: und das sind wohl kaum die Grundlagen des Friedens.

Regelung der Nachkriegszeit. Colin Powell im Vatikan
Nachdem nun also feststand, daß jede Grundlage für den Frieden fehlte, stand die internationale Gemeinschaft vor dem Problem, wie man in Zukunft die Voraussetzungen dafür schaffen könnte. Dieser Herausforderung mußten sich Präsident Bush und der Rest der Welt stellen. Auf die vom Regime Husseins verkörperte Gefahr und Ungerechtigkeit mußten die USA als Verfechter von Frieden und Sicherheit eine Antwort finden, mit der die Grundlage jenes wahren Friedens geschaffen werden kann, den wir alle ersehnen. Präsident Bush war aufgeschlossen für die ihm von den religiösen Autoritäten gegebenen moralischen Ratschläge, hatte sich davon überzeugen lassen, daß den neuen Gefahren in dieser so massiv vom Terrorismus bedrohten Zeit mit Vorsicht begegnet werden mußte. Der Präsident ist ein tief gläubiger Mensch. Beim National Prayer Breakfast vom Februar 2003 erklärte er die Hintergründe für sein Handeln: „An der Sache Amerikas in der Welt kann nicht gerüttelt werden. Unsere Nation hat sich dem Grundsatz verschrieben, daß eine jede Person den gleichen und unleugbaren Wert hat. Die Ideale Freiheit und Menschenwürde sind nicht unser Besitz... Aber wir treten für diese Ideale ein, und wir werden sie verteidigen“22.
In dieser ganzen Zeit hat der Hl. Stuhl immer anerkannt, daß die Säulen des Friedens im Irak fehlten, daß Saddam Hussein eine Gefahr für sein eigenes Volk und die ganze Region darstellte. Nicht umsonst hatte Kardinal Laghi bei seinem Treffen mit Präsident Bush von den Säulen des Friedens gesprochen. Im Gegensatz zu der von den Medien heraufbeschworenen Vorstellung einer „Eiszeit“ in unseren Beziehungen waren unsere Diskussionen immer von der gemeinsamen Feststellung der irakischen Versäumnisse und unserem gemeinsamen Interesse an einem friedlichen, entwaffneten und toleranten Irak geprägt. Und deshalb waren diese Gespräche auch stets freundlicher Art und auf gemeinsame moralische Ziele konzentriert. Als die internationale Debatte gerade am hitzigsten war, meinte Erzbischof Tauran auf die Frage nach Diskussionen mit den USA Journalisten gegenüber: „Wir diskutieren zwar, aber es sind ruhige, sachliche Gespräche. Ich würde sagen: die USA halten an ihrer Position fest“23. Den damals aufkommenden antiamerikanischen Gefühlen zum Trotz hatte ich immer den Eindruck, daß der Hl. Stuhl aufgeschlossen war für unsere Ansichten und unsere Bemühungen um die Förderung der gemeinsamen Werte schätzte. Wie Erzbischof Tauran der italienischen Zeitschrift Famiglia Cristiana gegenüber erklärte, „entspricht es nicht der Wahrheit“, daß man im Innern des Hl. Stuhls antiamerikanische Gefühle hege. „Das amerikanische Volk ist ein großes Volk. Es gibt dort eine katholische Gemeinschaft, die regen Anteil am sozialen und kulturellen Leben hat und wohltätige Werke vollbringt. Das sind Werte, die der Papst und der Hl. Stuhl überaus schätzen.“
Als Beweis dafür, wie solide unsere Beziehung ist und wie groß unser gemeinsames Interesse daran war, dieser Region, die bisher nur Verzweiflung kannte, Hoffnung zu bringen, kam Außenminister Powell im Juni zu einer Audienz mit dem Papst, Kardinal Sodano und Erzbischof Tauran nach Rom. Powell besprach mit seinen Gesprächspartnern, wie man dem irakischen Volk am besten unter die Arme greifen, die Religionsfreiheit im Irak und anderswo gewährleisten könnte, wie man in Nahost den Friedensprozess, den interreligiösen Dialog und das Verständnis vorantreiben könnte, wie der Hunger und die Unterernährung durch Bio-Nahrung bekämpft und die AIDS-Epidemien in Afrika eingedämmt werden könnte. Der Besuch war die öffentliche Bestätigung für das bei uns vorherrschende Gefühl einer engen Beziehung, die zu unser beider Vorteil ist und dabei hilft, die Menschenwürde weltweit voranzutreiben.

Die moralische Frage der Biotech-Nahrung
Während dieser ganzen, dem Irak gewidmeten Zeit rissen meine kontinuierlichen, fruchtbaren Gespräche mit dem Hl. Stuhl nicht ab – Gespräche, bei denen es um eine moralische Frage ging, ein Thema von großer Wichtigkeit, das mir ganz besonders am Herzen liegt: die Ernährung der Hungernden. Seitdem ich erkannt hatte, welch großes Potential Biotech-Nahrung im Kampf gegen Hunger und Unterernährung darstellt, war ich entschlossen, den Hl. Stuhl für dieses Anliegen zu gewinnen, ihn dazu zu bringen, seine gewichtige moralische Stimme auch hier zu erheben – wie er das schon in Sachen Menschenhandel getan hatte, nämlich bei der Konferenz, die meine Botschaft mit Unterstützung des Vatikan im Mai 2002 organisiert hatte.
Die Frage der Biotech-Nahrung war im Herbst 2002 aufgeworfen worden, als die sambische Regierung vom World Food Program zur Verfügung gestellte amerikanische Nahrungshilfen abgelehnt hatte, weil ein Teil davon aus Biotech-Nahrung bestand. Ein Jesuiten-Priester hatte die Regierung in Sambia aufgehetzt und auch sambische Bischöfe beeinflußt, mit dem Ergebnis, daß die Verwirrung immer größer geworden war und immer mehr Sambianer den Hungertod riskierten. Bei dem im Juni 2002 in Rom abgehaltenen World Food Summit war öffentlich geworden, daß 800.000 Menschen auf der Welt unterernährt sind, alle fünf Sekunden ein Kind verhungert. Nahrung als Lebensmittelgrundlage ist zweifelsohne eine moralische Frage, und daher sind die Vereinigten Staaten auch der Meinung, daß jeder Staat zwar das Recht hat, Hilfeleistungen anzunehmen oder abzulehnen, aber auch die Pflicht, zu gewährleisten, daß seine Bürger genug zu essen haben. Kurzum: wir sind der Meinung, daß Nahrung Leben erhält, daß das Leben wertvoll ist, und daß dieses Problem daher eine moralische Frage ist, ganz besonders für einen derartigen Fürsprecher einer „Kultur des Lebens“ wie den Vatikan.
Im Licht der positiven Beurteilung der Biotech-Nahrung durch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften drängte ich darauf, Bischöfe und Nuntien weitreichendst davon in Kenntnis zu setzen, um gegen Fehlinformationen wie die angehen zu können, die die Bemühungen des World Food Programs in Sambia zunichte gemacht hatten. Außenminister Powell trat diesbezüglich an Erzbischof Tauran heran, und der Hl. Stuhl erklärte sich bereit, die führenden Kirchenmänner in den betroffenen Gebieten entsprechend zu unterrichten.
Angesichts der durch Biotech-Nahrung für die Entwicklung der Welt möglichen Vorteile glauben wir, daß die moralische Stimme des Hl. Stuhls dahingehend, daß Biotech-Nahrung für den Verzehr sicher ist und ein großes Potential beim Kampf gegen Hunger und Unterernährung darstellt, helfen kann, mit den in den Entwicklungsländern umgehenden Mythen über Biotech-Nahrung ein für allemal aufzuräumen.
Darüber hinaus kann der Hl. Stuhl gegen die Verbreitung von Menschenleben gefährdenden Fehlinformationen durch führende Kirchenmänner oder Gruppen angehen. Es gibt zu viele Menschen auf der Welt, die Hunger leiden, und es kann nicht angehen, daß deren Zukunft von engstirnigen politischen Agendas guternährter Menschen in Industriestaaten abhängt. So hat der Hl. Stuhl im November 2003 schließlich auch eine internationale Konferenz zum Thema „Gentechnisch veränderte Organismen: Bedrohung oder Hoffnung?“ einberufen. Eine Initiative, die nicht nur den Wunsch zeigte, über diese unleugbare moralische Frage besser informiert zu sein, sondern auch die Bereitschaft, zu untersuchen, welches Potential solche Nahrungsmittel beim Kampf gegen Hunger und Unterernährung der bedürftigsten Völker der Erde darstellen.
Das ist nur ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen USA und Hl. Stuhl bei dem Bemühen, das Leben auf der Welt besser zu gestalten. Ob es nun darum geht, die Heiligkeit des Lebens zu verteidigen, die menschliche Würde zu fördern, für die Sache der Freiheit – auch die Religionsfreiheit – einzutreten, auf den Menschenhandel aufmerksam zu machen oder den Hungernden auf der Welt zu essen zu geben: die auf soliden Grundlagen ruhende Beziehung zwischen USA und Hl. Stuhl garantiert diese gemeinsamen Ziele; sie schmieden unsere jeweilige Außenpolitik zusammen und haben nach wie vor bei unserem Einsatz für die Würde des Menschen auf der ganzen Welt einen hohen Stellenwert.
USA und Hl. Stuhl werden sich auch in den kommenden Jahren den Platz auf der internationalen Bühne teilen, sich auch weiterhin für die Festsetzung der internationalen Agenda stark machen. Wenn wir auch höchstwahrscheinlich nicht immer darüber einer Meinung sein werden, welches der beste Weg beim Erreichen des einen oder anderen unserer gemeinsamen Ziele ist, wird der vor uns liegende Weg doch zweifelsohne vom Primat der Menschenwürde erhellt. Während wir also nun den 20. Jahrestag unserer formalen diplomatischen Beziehungen begehen, bin ich zuversichtlich, daß unser fruchtbarer Dialog auch weiterhin der Menschenwürde zuträglich sein und den gemeinsamen Wunsch nähren wird, daß jede Person, unabhängig von Rasse, Hautfarbe oder Glauben, in Frieden in einer freien Gesellschaft leben und die ihr von Gott gegebenen Talente nutzen kann.

Der 20. Jahrestag voller diplomatischer Beziehungen
Jetzt, am 20. Jahrestag unserer vollen diplomatischen Beziehungen, sollten wir über die Worte nachdenken, die der Papst und auch Präsident Bush hinsichtlich des bereits zurückgelegten und noch vor uns liegenden Weges gesagt haben. Der Papst erklärte im Juli 2001: „Ich bin sicher, daß die Nation unter Ihrer Leitung weiterhin aus ihrem Erbe und ihren Ressourcen schöpfen kann für den Bau einer Welt, in der ein jedes Mitglied der Menschheitsfamilie gedeihen und auf eine seiner angeborenen Würde entsprechende Weise leben kann. Für das geliebte amerikanische Volk erflehe ich von Herzen den göttlichen Segen der Weisheit, der Stärke und des Friedens“24. Präsident Bush dagegen brachte seinen Respekt und seine Wertschätzung für Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Polen im Mai 2003 zum Ausdruck. Bei einer Ansprache in der spirituellen Heimatstadt des Papstes, Krakau, meinte Präsident Bush: „In der Zeit des 2. Weltkrieges... sah ein junger Seminarist, Karol Wojtyla, die Fahne mit dem Hakenkreuz über dem Wawel wehen. Er teilte das Leid seines Volkes und wurde in die Zwangsarbeit geschickt. Aus seiner priesterlichen Erfahrung und seinem Glauben wurde ein Ideal geboren: jeder Mensch muß mit Würde behandelt werden, weil Gott einen jeden Menschen kennt und liebt: mit der Zeit sollte das Ideal und der Mut dieses Menschen die Tyrannen das Fürchten lehren, seiner geliebten Heimat die Freiheit, und dem halben Kontinent die Befreiung bringen. Gerade in dieser Stunde setzt sich Johannes Paul II. für die Würde eines jeden menschlichen Lebens ein und steht für die höchsten Bestrebungen unserer gemeinsamen Kultur “25.
Nach 20 Jahren voller diplomatischer Partnerschaft ist die Beziehung zwischen diesen beiden großen Supermächten – die eine zeitlich, die andere moralisch – zum Reifen gekommen und wird, auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Werte, alles daran setzen, den Menschen auf dieser Welt Frieden und Würde zu bringen. Als Botschafter des Präsidenten beim Papst sehe ich es als ein wahres Privileg an, Teil dieser Geschichte, Teil dieser großen Chance zu sein.


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