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LITURGIE
Aus Nr. 03 - 2004

Versus Deum per Iesum Christum


„Zugleich wird die in den äußeren Formen nie vollständig auszudrückende innere Richtung des liturgischen Geschehens verdeutlicht, die für Priester wie für Volk gemeinsam ist: zum Herrn hin.“ Die Einleitung, die der Dekan des Kardinalskollegiums zu dem Buch von Uwe Michael Lang geschrieben hat.


von Joseph Ratzinger


Incipit des Kanons aus einem ambrosianischen Missal (Ende 11. Jh. – Anfang 12. Jh.), Ambrosianische Bibliothek, Mailand.

Incipit des Kanons aus einem ambrosianischen Missal (Ende 11. Jh. – Anfang 12. Jh.), Ambrosianische Bibliothek, Mailand.

Zwei Dinge erscheinen für den normalen Kirchenbesucher als die greif­barsten Ergebnisse der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils: das Verschwinden der lateinischen Sprache und die Wendung der Altäre zum Volk hin. Wer die Texte des Konzils selber liest, wird mit Erstaunen fest­stellen, daß weder das eine noch das andere in dieser Form in den Konzils­beschlüssen zu finden ist. Gewiß, der Volkssprache sollte – vor allem im Be­reich des Wortgottesdienstes – nach dem Konzil Raum gegeben werden, aber die vorausgehende Generalregel des Konzilstextes lautet: „Der Gebrauch der lateinischen Sprache soll in den lateinischen Riten erhalten bleiben, soweit nicht Sonderrecht entgegensteht“ (SC 36,1). Von der Wen­dung der Altäre zum Volk hin ist im Konzilstext nicht die Rede; sie er­scheint erst in nachkonziliaren Anweisungen, deren wichtigste sich in der Nummer 262 der „Institutio Generalis Missalis Romani“, der Allgemeinen Einführung in das neue Römische Meßbuch von 1969 findet. Dort wird ge­sagt: „Der Hauptaltar soll von der Wand getrennt gebaut werden, so daß er leicht umschritten werden und auf ihm die Zelebration versus populum (zum Volk hin) ausgeführt werden kann...“ Die Einführung in die Neuauf­lage des Missales vom Jahre 2002 hat diesen Text unverändert übernom­men, aber am Schluß noch einen Nebensatz angefügt, der so lautet: „Dies sollte der Fall sein, wo immer es möglich ist.“ Diese Ergänzung wurde von vielen Seiten als eine Verschärfung des Textes von 1969 in dem Sinn auf­gefaßt, daß es nun eine allgemeine Verpflichtung gebe, die Altäre „wo immer möglich“ zum Volk hin gewendet zu bauen. Die zuständige Kongregation für die göttliche Liturgie hat aber bereits am 25. September 2000 diese Ausle­gung abgewiesen und erklärt, das Wort „expedit“ (sollte der Fall sein) drücke keine Verpflichtung, sondern eine Empfehlung aus. Die physische Ausrichtung, so sagt die Kongregation, müsse von der geistlichen unter­schieden werden. Wenn der Priester „versus populum“ feiert, solle seine geistliche Ausrichtung doch immer „versus Deum per Iesum Christum“ (auf Gott hin, durch Jesus Christus) sein. Riten, Zeichen, Symbole und Worte könnten den inneren Vorgang des Heilsgeheimnisses nie ausschöpfen, und daher müsse man einseitige und verabsolutierende Positionen vermeiden.
Dies ist eine wichtige Klärung, weil sie das Relative der äußeren symboli­schen Formen ins Licht setzt und sich damit Fanatismen entgegenstellt, die in den letzten vierziger Jahren im Streit um die Liturgie leider nicht selten gewesen sind. Zugleich wird die in den äußeren Formen nie vollständig aus­zudrückende innere Richtung des liturgischen Geschehens verdeutlicht, die für Priester wie für Volk gemeinsam ist: zum Herrn hin – zum Vater durch Christus im Heiligen Geist. Die Antwort der Kongregation sollte damit auch ein neues, entspannteres Klima der Diskussion schaffen, in dem ohne ge­genseitige Verurteilungen im sorgsamen Hören auf die anderen, aber be­sonders auf die innere Weisung der Liturgie selbst nach den besten Weisen praktischer Verwirklichung des Heilsgeschehens gesucht werden kann. Eilfertige Abstempelungen einzelner Positionen als „vorkonziliar“, als „reak­tionär“, als „konservativ“ oder auch als „progressistisch“ oder „glaubens­fremd“ sollten aus der Debatte verschwinden und einer neuen gemeinsa­men Offenheit im Ringen um die beste Verwirklichung des Vermächtnisses Christi Platz machen.
Graduale des Kapitels von Santa Maria Maggiore,  
16. Jh., Basilika Santa Maria Maggiore, Rom.

Graduale des Kapitels von Santa Maria Maggiore, 16. Jh., Basilika Santa Maria Maggiore, Rom.

Das hier vorliegende kleine Buch des in England lebenden Oratorianers Uwe M. Lang untersucht die Frage nach der Gebetsrichtung der Liturgie historisch, theologisch und pastoral. Es nimmt damit in einem – wie mir scheint – günstigen Augenblick eine Debatte wieder auf, die dem äußeren Anschein zuwider auch nach dem Konzil nie verstummt war. Der Innsbrucker Liturgiker Josef Andreas Jungmann, einer der Architekten der Liturgie-Konstitution des II. Vaticanum, hatte sich von Anfang an entschie­den gegen das polemische Schlagwort gewandt, der Priester habe bisher „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriert. Jungmann hatte demgegenüber herausgestellt, daß es sich nicht um eine Abwendung vom Volk, sondern um Gleichrichtung mit dem Volk handelte: Der Wortgottesdienst ist als Verkündigung ein dialogisches Geschehen, zu dem Anrede und Antwort ge­hören; so muß ihm die gegenseitige Zuwendung von Verkünder und Hörer zu eigen sein. Das eucharistische Hochgebet hingegen ist Gebet, in dem der Priester zwar als Vor-Beter fungiert, aber doch gemeinsam mit dem Volk und wie dieses zum Herrn hin gerichtet ist. Deswegen – so argumentierte Jungmann – ist hier die Gleichrichtung von Priester und Volk die dem Ge­schehen von innen her angemessene Haltung. Später haben Louis Bouyer – auch er einer der führenden Liturgiker des II. Vaticanum – und Klaus Gam­ber, jeder auf seine eigene Art, die Frage wieder aufgegriffen. Solche Stim­men konnten sich – trotz der Autorität der Personen – zunächst kaum hör­bar machen, so stark war die Strömung, die ganz das Kommunitäre der li­turgischen Feier in den Vordergrund stellte und daher die gegenseitige Zu­wendung der Feiernden als unentbehrlich ansah.
Erst in jüngster Zeit hat sich das Klima aufgelockert, so daß der Verdacht antikonziliarer Gesinnung nicht mehr sofort zuschlägt, wenn Fragen in der Richtung von Jungmann, Bouyer und Gamber gestellt werden. Die weiter­gehende historische Forschung hat den Disput objektiviert, und unter den Gläubigen hat sich das Gefühl für die Problematik einer Lösung verstärkt, in der die Öffnung der Liturgie nach vorn und nach oben kaum in Erschei­nung tritt. In dieser Situation kann das wohltuend objektive und ganz un­polemische Buch von Uwe M. Lang eine wertvolle Hilfe werden. Ohne den Anspruch, große neue Einsichten zu bringen, stellt es sorgsam die For­schungsergebnisse der letzten Jahrzehnte heraus und bietet so die für ein sachliches Urteil nötigen Einsichten. Zu begrüßen ist, daß es die in Deutschland wenig bekannten Überlieferungen der Kirche von England zu dieser Frage wie auch den einschlägigen Disput in der Oxford-Bewegung des 19. Jahrhunderts darstellt, in deren Zusammenhang die Konversion von John Henry Newman gereift ist. Auf dieser Basis werden die theologi­schen Antworten entwickelt, die sich aus der inneren Richtung des histori­schen Befunds ergeben. Ich hoffe, daß dieses Buch eines jungen Gelehrten eine Hilfe werden kann für das in jeder Generation nötige Ringen um das rechte Verstehen und um das würdige Feiern der heutigen Liturgie. Ich wünsche dem Werk daher viele und aufmerksame Leser.

DAS BUCH
Der auf diesen Seiten zu lesende, in Italien bisher noch nicht veröffentlichte Text von Kardinal Joseph Ratzinger ist das Vorwort des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre zu dem Buch von Uwe Michael Lang Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung. Von dem letztes Jahr beim Johannes Verlag Einsiedeln erschienenen Buch wird in Kürze auch eine englische Version erhältlich sein (Turning towards the Lord: Orientation in Liturgical Prayer), herausgegeben vom Verlag Ignatius Press, San Francisco, der die Copyright-Rechte des Werkes besitzt.
Uwe Michael Lang, ein Mitglied des Oratoriums des hl. Philipp Neri in London, hat in Wien und Oxford Theologie studiert und bereits zahlreiche Texte zu patristischen Themen herausgegeben.


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