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AMBROSIUS UND AUGUSTINUS
Aus Nr. 03 - 2004

„Er weinte nicht, weil ihm der Atem fehlte, sondern weil er endlich atmete“


So beschreibt der Historiker Luigi Crivelli die Rührung des Augustinus, nachdem dieser von Ambrosius in der Osternacht 387 getauft worden war. Mailand will der Geschichte dieser Begegnung nun eine Ausstellung widmen.


von Giuseppe Frangi


Ambrosius tauft Augustinus, Tempera- und Goldmalerei, Vatikanische Pinakothek, Vatikanstadt

Ambrosius tauft Augustinus, Tempera- und Goldmalerei, Vatikanische Pinakothek, Vatikanstadt

Das Mailand des Jahr 384 war eine pulsierende Stadt. Hier residierte der Kaiser des Westreiches, Valentinian II., damals noch ein Kind, mit seiner Mutter Justina, die die Regierungsgeschäfte für ihn führte. Und hier lebte Bischof Ambrosius, Statthalter oder consularis der Emilia, der 374 zwischen der philonizänischen und der antinizänischen Partei zu vermitteln verstanden hatte und dank dieses Eingreifens zur Befriedigung aller Bischof geworden war: die Antinizänischen vertrauten auf seine Neutralität, die Philonizänischen auf die über jeden Zweifel erhabene Tradition seiner Familie, der Kaiser auf seine Loyalität als Staatsbeamter. Ambrosius, wie einer der namhaftesten Historiker der ersten Jahrhunderte der Christenheit, Richard Krautheimer, schreibt, machte die Diözese Mailand in den nachfolgenden 24 Jahren zur wichtigsten der westlichen Welt.
Im Jahr 383 erkannte ein ehrgeiziger junger Mann, noch keine 30 Jahre alt, der aus Afrika stammte und erst vor kurzem nach Rom gekommen war, daß Mailand die richtige Adresse war, wenn man Karriere machen wollte. Dieser junge Mann war Augustinus. Nachdem er erfahren hatte, daß man in Mailand einen Lehrer der Rhetorik suchte, wandte er sich an den heidnischen Präfekten der Ewigen Stadt, Quintus Aurelius Symmachus, um den Posten zu bekommen. Daß die Reise auf Staatskosten unternommen werden konnte, war für Augustinus, damals recht knapp bei Kasse, ein weiteres schlagkräftiges Argument.
„Symmachus gefiel der Gedanke, daß das institutionelle Amt nicht von einem Christen bekleidet wurde“, erklärt der Historiker Luigi Crivelli, Präsident der St.-Ambrosius-Stiftung. Im Oktober des Jahres 384 war Augustinus in Mailand, in Begleitung seiner Konkubine, deren Namen er nie verraten sollte, und ihres gemeinsamen Sohnes, dem 12jährigen Adeodatus. „Der Professor entzog sich nicht der institutionellen Pflicht, dem Bischof Ambrosius seinen Besuch abzustatten,“ erklärt Crivelli. Der Begegnung zwischen Ambrosius und Augustinus wird in Mailand nun eine feierlich vorbereitete und gebührend angekündigte Ausstellung im Diözesan-Museum und dem „Palazzo delle Stelline“ gewidmet. Eine fatale Begegnung – wie der Corriere della Sera und la Stampa das Ereignis kurioserweise einhellig betitelten.
Eine Begegnung, die die Historiker bis ins kleinste Detail ausgelotet haben. Und die diese Ausstellung nun einem breiten Publikum nahebringen möchte.
Es waren turbulente Monate für Ambrosius. Der Grund war Symmachus, der wichtigste Sponsor des Augustinus. Als Kaiser Gratian ein Jahr zuvor ermordet worden war, hatte Ambrosius einen wertvollen Verbündeten verloren. „Er war jener, welcher auf den Titel pontifex maximus verzichtet und mit seinen Dekreten die katholische Seite begünstigt hatte,“ schreibt Crivelli. „Ambrosius erfaßte, welche ernstzunehmende Gefahren sich um seine gesamte Politik rankten.“ Augustinus konnte durch seine Beziehungen unmöglich nicht darüber informiert sein, in welcher Lage sich Ambrosius befand, und in den Confessiones (Bekenntnisse) macht er einige kurze, aber bedeutungsvolle Anspielungen darauf. Vor seinen Augen hatte sich der Bischof dem „Kampf um die Basiliken“ gestellt. Justina, Mutter des knapp 15jährigen Valentinian II., „verfolgte den Gottesmann Ambrosius, ihrer Häresie zuliebe, zu der sie sich von den Arianern hatte verführen lassen“ (Augustinus, Bekenntnisse, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1987, S. 447). Im Jahr 385 ergeht die erste Anfrage seitens der Arianer, für die Osterriten eine Basilika zu haben. Ambrosius lehnt sie ab. Im Jahr darauf wird die Anfrage, noch deutlicher, wiederholt. Es sind dramatische Wochen. „Ich hatte den Tod vor Augen,“ schrieb Ambrosius an seine Schwester Marcellina. Das Volk war auf seiner Seite und bewachte die Basilika Portiana (wahrscheinlich die heutige San Vittore al Corpo), auf die es die Arianer abgesehen hatten, auch bei Nacht. „Augustinus war von diesen Ereignissen tief beeindruckt,“ erklärt Crivelli. In den Confessiones äußert er sich mit Bewunderung darüber, wie „Dein [Gottes] Knecht Ambrosius“ diese Ereignisse anging; von der Menschenmenge, die „bereit war, mit ihrem Bischof zu sterben“; von der Mutter Monika, „im Sorgen und Wachen allen zuvor.“ Und Augustinus schließt mit folgenden Worten: „Auch wir, obgleich noch kalt, nicht von Deinem Geist befeuert, waren doch aufgewühlt von all dem Schrecken und Tumult in der Stadt“ (ebd., S. 447). Und schließlich „bändigte es aber doch ihre [Justinas] Wut, uns zu verfolgen“ (ebd., S. 449).
Initialen (mit der Figur des Augustinus) eines Kodexes des 13. Jhs. mit dem Kommentar zweier dominikanischer Theologen zum De civitate Dei, Ambrosianische Bibliothek, Mailand.

Initialen (mit der Figur des Augustinus) eines Kodexes des 13. Jhs. mit dem Kommentar zweier dominikanischer Theologen zum De civitate Dei, Ambrosianische Bibliothek, Mailand.

Im Juni jenes Jahres 386, in Porta Vercellina, werden die Leiber der Blutzeugen Protasius und Gervasius gefunden. „Wir können keine Märtyrer sein, aber wir finden die Märtyrer,“ schreibt Ambrosius am Anfang der ihnen gewidmeten Hymne. Er läßt sie unverzüglich in eine neue Basilika bringen, die Basilica Martyrum, heute St. Ambrosius. Auch das hinterließ bei Augustinus einen tiefen Eindruck, führt ihn, Schritt für Schritt, dem entscheidenden Moment seines Lebens zu. In den Confessiones beschreibt er in rührenden Worten die Übertragung der Leiber der beiden Märtyrer in die Basilika, die ihnen zu verdankenden Wunderheilungen, wie die des Blinden, der wieder sehend wurde.
Der Sommer 386 ist entscheidend für das Leben des Augustinus. Eine Mission hatte Ambrosius nach Trier geführt, wo sich General Maximus aufhielt. In seinem Realismus hatte er jenem rastlosen Intellektuellen geraten, sich dem Simplicianus anzuvertrauen, betagtet Priester der Kirche von Mailand und geistlicher Vater des Ambrosius. Simplicianus war es, der ihm von der Bekehrung des Caius Marius Victorinus berichtete, ebenfalls afrikanischer Herkunft, eine Bekehrung, deren Zeuge er ein paar Jahre zuvor in Rom geworden war. „Als mir nun der Gottesmann Simplicianus solchen Bericht über Victorinus gab, entbrannte ich vor Eifer, es ihm nachzutun“ (ebd., S. 381). „Der neue Wille aber, der in mir aufkam, daß ich frei Dir dienen und an Dir mich beseligen wollte, oh Gott“, schreibt er im wunderschönen achten Buch der Confessiones.
Als sich der Sommer seinem Ende zuneigt, beschließt er, seine Lehrtätigkeit aufzugeben und die Gelegenheit eines Herbsturlaubs zu ergreifen, da ihm Verecondus, ebenfalls Lehrer der Rhetorik in Mailand, ein Haus in Cassiciacco (heute Casciago, oberhalb von Varese, oder Cassago Brianza) zur Verfügung stellt. Augustinus begibt sich mit Freunden, seiner Mutter Monika und seinem Sohn Adeodatus dorthin. Aber noch vor der Abreise teilt er Ambrosius in einem Schreiben seinen Wunsch mit, getauft zu werden, fragt ihn, welches Buch er lesen sollte, um besser darauf vorbereitet zu sein, eine so große Gnade zu empfangen. Ambrosius empfiehlt im das Buch Jesaja. Der „Katechumene in ländlicher Ruhe“, wie Augustinus sich selbst bezeichnet, verbringt diese Tage mit Gesprächen, die ein Schreiber, den er eigens kommen läßt, getreu aufschreibt. Das Ergebnis sind Bücher wie Contra academicos, das De beata vita, das Soliloquia. „Dich allein liebe ich nun, Dich allein suche ich, Dir allein folge ich“, schreibt er im ersten Buch des Soliloquia.
Im Januar ist es soweit, nach Mailand zurückzukehren. In der Mailänder Kirche ist es nämlich Brauch, am Tag der Epiphanie das Datum des Osterfestes bekanntzugeben und auch die Namen derer, die in dieser Nacht die Taufe empfangen. Augustinus trägt sich bei den postulantes ein. Dann, in der Osternacht, von Samstag, 24., auf Sonntag, 25. April 387, wird er in dem achteckigen, an die Apsis der Basilika St. Thekla anschließenden Taufbecken (dessen Reste bei Bauarbeiten für die Mailänder U-Bahn freigelegt wurden) von Ambrosius getauft. „So wurden wir getauft, und von Stund an wich auch die Unruhe wegen des vergangenen Lebens von uns“ (ebd., S. 447). Und eine Überlieferung besagt, daß ihm, in Eigenschaft des heutigen Taufpaten, kein Geringerer als der geduldige Simplicianus die weiße infula anlegte. In zwei, bei der Ausstellung gezeigten Tafeln aus dem 15. Jahrhundert, wird die Szene genau rekonstruiert: man kann Augustinus im Becken erkennen, Adeodatus und Alypius, bereit, sofort nach ihm getauft zu werden, und seine Mutter Monika, die ihn schweigend bei diesem Schritt begleitet. Von dem pathetischen Nachdruck, den Crespi dagegen im 17. Jahrhundert in sein großes Gemälde legte, das die Apsis der Basilika San Marco, ebenfalls in Mailand (darf bei einer Tour durch das ambrosianische Mailand unmöglich fehlen!) beherrscht, ist hier nicht viel zu spüren.
Einfaches und konkretes Symptom dieser Wende sind die Tränen. Augustinus hatte in einer wunderschönen Passage des Confessiones von seiner Lektüre der Werke Platons berichtet, von der von ihm erhaltenen Lehre. Die Lektüre der platonischen Bücher war für ihn eine Bekehrung der Vernunft zu der Erkenntnis gewesen, daß das Glück des Menschen in der Einheit mit dem einzigen Schöpfer besteht. „Et non flebam“, schließt Augustinus. „Und ich weinte nicht.“ Und doch – „nach jener Osternacht begannen Tage unendlicher Wonne. Die Teilnahme an der Liturgie rührte ihn zu Tränen. Er weinte nicht, weil ihm der Atem fehlte, sondern weil er endlich atmete.“
Die hingebungsvolle, rührende Erinnerung an Ambrosius begleitete Augustinus sein ganzes Leben lang. Auch in seinem letzten Werk gegen den Pelagianismus, das unvollendete Contro Iulianum, schreibt er: „Mein Lehrmeister ist Ambrosius, von dem ich nicht nur die Bücher gelesen habe, sondern aus dessen Mund ich die Worte vernommen und die Reinwaschung erhalten habe, die mich neu geschaffen hat.“







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