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REKONSTRUKTIONEN
Aus Nr. 03 - 2004

Die Zerstörung von Montecassino


Am 18. Mai vor sechzig Jahren war die Schlacht von Cassino zuende, eine der unerbittlichsten und irrationalsten des Zweiten Weltkrieges. Sie kostete Tausende von Menschen das Leben und machte die vom hl. Benedikt gegründete Abtei Montecassino dem Erdboden gleich. „Ein Leuchtturm der europäischen Zivilisation“, wie sie Staatspräsident Ciampi nannte, von den Alliierten bombardiert „wegen eines tragischen Irrtums, einer Fehlinterpretation.“ Lesen Sie hier, was passiert ist.


von Roberto Rotondo


Titelblatt des Domenica del Corriere vom 27. Februar 1944

Titelblatt des Domenica del Corriere vom 27. Februar 1944

An jenem warmen Frühlingsmorgen des 18. Mai 1944 betreten die ersten polnischen Fußsoldaten vollkommen ermattet die in Schutt und Asche gelegte Abtei Montecassino. Die dezimierten Truppen von General Anders sind die ersten Soldaten der 5. Armee, die hierher kommen, sich ihren Weg bahnen zwischen den verwesenden Kadavern, die überall auf dem Gebirgskamm liegen. Eine der unerbittlichsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges ist zuende. Von dem 529 n.Chr. vom hl. Benedikt gegründeten ältesten Kloster der Christenheit, in dem auch die sterblichen Überreste des Heiligen ruhen, sind nur Trümmer und Mauerreste übrig. Am 15. Februar war es mit der beeindruckendsten Bombardierung eines einzelnen Gebäudes der Geschichte dem Erdboden gleichgemacht worden; darauf gefolgt waren drei Monate erbitterter Schlachten, um die Deutschen zu vertreiben, die sich nach der Bombardierung in den Trümmern verschanzt hatten. Doch als die alliierten Soldaten in Quota Monastero ankommen, haben sich die wenigen deutschen Fallschirmjäger, die seit Februar hartnäckig Widerstand leisteten, bereits aus dem Staub gemacht, um nicht den gurkha der indischen Division von General Francis Tuker in die Hände zu fallen. Der hat nämlich die Aurunci-Berge überquert, die feindliche Verteidigungslinie durchbrochen, Cassino abgeschnitten und den Alliierten den Weg nach Rom freigemacht. Ein Plan, den Tuker bereits im Februar ausführen wollte – unter Mithilfe des französischen Generals Alphonse Juin, Befehlshaber der nord­afrikanischen Truppen, um die deutschen Truppen nicht auf dem Montecassino frontal angreifen zu müssen. Aber die Strategie der Umzingelung durch die franko-indischen Truppen, die vielleicht Tausenden von Menschen – und auch den Mauern und Renaissance-Fresken aus der Abtei – das Leben gerettet hätte, war von den Spitzen der „multiethnischen“ alliierten 5. Armee verworfen worden, die sich aus Soldaten 12 verschiedener Nationen zusammensetzte und von dem amerikanischen General Mark Clark kommandiert wurde. Letzterer hatte, auch auf Drängen einflußreicher Offiziere wie dem neuseeländischen General Bernard Freyberg beschlossen, daß die Gustav-Linie (von Feldmarschall Kesselring gewollt, um die von Süden nach Norden vorstoßenden Alliierten aufzuhalten) frontal angegriffen werden müßte, und zwar genau an ihrem Angelpunkt: dem Städtchen Cassino und dem dahinterliegenden Berg, auf dem sich das antike Benediktiner-Kloster erhob und über das Liri- und das Rapido-Tal blickte.
Die nach dem Krieg vollständig wieder aufgebaute Abtei Montecassino wollte dieses Jahr mit einigen Kundgebungen dem sechzigsten Jahrestag der Bombardierung und der tragischen Schlacht gedenken. Auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi nahm am 15. März an den Feierlichkeiten teil. Er ging in die Abtei hinauf, wo er drei Schweigeminuten lang den Opfern des Terroranschlags von Madrid fünf Tage vorher gedachte, nahm an einer Messe teil und erinnerte dann, in seiner Ansprache auf dem Marktplatz von Cassino, an das Leid, das der Zweite Weltkrieg hier angerichtet hatte. Ein Leid, das in der Nachkriegszeit nur von dem Buch, und dann dem Film La Ciociara, „mutig erzählt wurde“, wie Ciampi meinte, der dann noch sagte: „Es gibt Ereignisse, die das Übel repräsentieren und die keine Geschichtsphilosophie mildern kann. Im Zweiten Weltkrieg hat es leider viele davon gegeben. Die Zerstörung von Montecassino ist eine davon.“ Außerdem, so Ciampi, „wird niemand die Zerstörung von dem vergeben können, was mehr als 1000 Jahre lang ein Leuchtturm der europäischen Zivilisation war, die Abtei des hl. Benedikt“. Zweimal kam das Staatsoberhaupt auf die Bombardierung des Benediktiner-Klosters zu sprechen: „Es war ein tragischer Irrtum, das Ergebnis einer Fehlinterpretation.“
Und genau sechzig Jahre später geben auch die USA und England zu, daß es „ein tragischer Irrtum“ war. Doch wie war es eigentlich zu der Bombardierung gekommen?

Eine „fliegende Festung“ der Amerikaner über 
der Abtei am 15. Februar 1944

Eine „fliegende Festung“ der Amerikaner über der Abtei am 15. Februar 1944

Bombardierflugzeug Nummer 666
Rekonstruieren wir den Vorfall, der viele Analogien mit Kriegen und Militär-Operationen unserer Tage aufweist. Beginnen wir mit dem 15. Februar 1944, dem Moment, als die Abtei Montecassino morgens um 9 Uhr 24 von einer fürchterlichen Explosion erschüttert wird, die die kleine Gruppe von Benediktiner-Mönchen, die im Zönobium die Hilfe der Muttergottes erflehen und „et pro nobis Christum exora“ beten, aus dem Gebet reißt. Unter ihnen auch der achtzigjährige Abt, Dom Gregorio Diamare, und sein Sekretär, Dom Martino Matronola, der ein wertvolles Tagebuch über diese dramatischen Tage schreiben soll. Über ihren Köpfen, und denen der Hunderten von Menschen, die sich in das Kloster geflüchtet haben, hat sich soeben eine Traube von Bomben mit einem Einzelgewicht von 250kg entladen. Abgeworfen von Bomber Nr. 666, geflogen von Major Bradford Evans, der mit einer so beunruhigenden Code-Nummer die erste der vier B-17-Formationen leitet, die amerikanische Luftwaffe, die den Befehl erhalten hat, das tausend Jahre alte Kloster auf dem Berg zu zerstören. Auf die Luftwaffe folgen noch vier Angriffswellen mittlerer Bomber. Um 13 Uhr 33 ist alles vorbei, die Mönche sind gerettet, doch Hunderte von Flüchtlingen mußten unter dem Bombenhagel ihr Leben lassen. Tote, deren Bergung auch nach dem Krieg Schwierigkeiten bereiten soll, deren Grabsteine nur schwer mit einem Namen versehen werden können.
Szenenwechsel. Washington, selber Tag, 16 Uhr. In Italien ist es bereits nach 22 Uhr, ca. 12 Stunden sind seit Beginn der Bombardierungen vergangen. US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, beginnt eine Pressekonferenz mit folgenden Worten: „Ich habe am Nachmittag in den Zeitungen gelesen, daß die Abtei Montecassino von unseren Streitkräften bombardiert wird. In den Korrespondenzen ist genau dargelegt worden, daß sie deshalb bombardiert wurde, weil sie die Deutschen dazu benutzten, uns zu bombardieren. Sie war ein Bollwerk der Deutschen, mit Artillerie und allem, was dazugehört.“ Der amerikanische Präsident wirkt überzeugt, ebenso überzeugt wie die englische und amerikanische Presse: Die Air force schlägt die Nazis auf dem Montecassino lautet der Titel der New York Times an jenem Tag. Roosevelt kann nicht wissen, daß ihn die Geschichte furchtbar Lügen strafen soll, aber er kann sich unmöglich darüber im Unklaren sein, daß daran irgendetwas Merkwürdiges ist. Selbst für eine Welt, die sich seit Jahren im Kriegszustand befindet, für die Tod und Zerstörung an der Tagesordnung sind. Niemals zuvor war ein Gebäude Ziel der strategischen Bombardierflugzeuge gewesen, noch dazu in einer neutralen Zone, ein Eigentum des Hl. Stuhls, ein in der gesamten christlichen Welt berühmtes Kloster, ein Ort, an dem sich historische Zeugnisse und Kunstwerke von unschätzbarem Wert befanden. Und auch über den unverhältnismäßig hohen Aufwand an „Zerstörungsmitteln“ konnte man sich nur wundern: 452 Tonnen aus 239 Bombardierflugzeugen in acht Angriffswellen abgeworfene Bomben. Wie hätten ihn die amerikanischen Katholiken da nur wenige Monate später in seinem Amt als Präsident der USA bestätigen, ihn wiederwählen sollen? Und schließlich machte „die in der Geschichte meist publizierte Bombardierung eines einzigen Ziels“, wie es Newsweek definierte, an jenem Tag in den Zeitungen der halben Welt Schlagzeilen. Welche politischen Folgen hätte das gehabt, wer hätte die Propaganda-Schlacht gewonnen? Roosevelt ließ an die Journalisten auch ein bis dato nicht öffentlich gemachtes Rundschreiben des Oberbefehlshabers der alliierten Truppen in Europa verteilen, Dwight D. Eisenhower, in dem dieser erklärte, daß, sollte man im Laufe des Vorstoßes vor der Entscheidung stehen, „ein berühmtes Monument zu zerstören, oder unsere Soldaten zu opfern, das Leben der Soldaten unendlich mehr zählen würde.“ Doch die Entscheidung war keine einfache. Weil hinter dem Ausdruck „militärische Notwendigkeit“ keine persönlichen Interessen, keine Oberflächlichkeit oder Gleichgültigkeit stecken durften. Aber das alles konnte nicht verhindern, daß sich das Geschehene auf die öffentliche Meinung in Europa negativ auswirkte.

Die traurigen Reste der Abtei nach den Bombardierungen

Die traurigen Reste der Abtei nach den Bombardierungen

Eine Medien-Niederlage
Die Nazi-Propaganda machte sich die Nachricht von der Bombardierung natürlich sofort zunutze. In Europa, fest in Nazi-Hand, wurden Engländer und Amerikaner in den auf die Bombardierung folgenden Tagen als neue Barbaren dargestellt, die systematisch jede Spur der „überlegenen europäischen Zivilisation“ auslöschen wollen. Die Abtei Montecassino – in der Vergangenheit dreimal zerstört, von Barbaren, Sarazenen und einem Erdbeben – war nun von den „Juden und Bolschewikensympathisanten in Moskau, London und Washington in Schutt und Asche gelegt“ worden. Doch damit nicht genug. Der intelligence der Nazis – die laut Berichten des britischen Botschafters im Vatikan, D’Arcy Osborne, bereits seit geraumer Zeit die Nachricht verbreitete, daß sich in der Abtei Truppen befanden, um eine Bombardierung durch die Alliierten zu provozieren – ist es ein Leichtes, die Deutschen zu Verteidigern der Zivilisation hochzuspielen: die Division Hermann Göring war es nämlich, die, im Dezember 1943, alle transportfähigen Kunstwerke der Abtei, wie auch die immense Bibliothek mit ihren Kodexen von unschätzbarem Wert, im Vatikan in Sicherheit gebracht hatte.
Zu dieser vorbeugenden Sicherheitsmaßnahme hatte vor allem die Aufmerksamkeit beigetragen, die General Frido von Senger, Befehlshaber des 16. Panzerkorps, für die Benediktiner und das historische Monument hatte. Der Katholik Senger war dem Benediktinerorden seit vielen Jahren verbunden und gehörte einer kleinen Gruppe von Aristokraten Süddeutschlands an, die zwar gegen die Nazis war, aber den Befehlen gehorchte. Senger, der den Oberbefehl über die gesamte Gustav-Linie hatte, hatte auch die Neutralität des Ortes stets respektiert und es seinen, auf den Bergen stationierten Truppen niemals erlaubt, innerhalb des 300m langen Gürtels Stellung zu beziehen, der sich um die Mauer der Abtei zog und die Begrenzung der neutralen Zone darstellte.

Die Widerlegung der „unwiderlegbaren“ Beweise
Roosevelt beschloß – ebenso wie Winston Churchill in London – die Entscheidung der alliierten Kommandos im Mittelmeerraum zu rechtfertigen. Und das nicht nur, weil sich die Situation des Vorstoßes auf Rom in einer heiklen Phase befand (die alliierten Truppen im Liri-Tal waren blockiert und liefen in der Zone um Anzio sogar Gefahr, ins Meer zurückgedrängt zu werden), sondern auch, weil der englische General Henry Maitland Wilson, interalliierter Oberbefehlshaber im Mittelmeerraum, bekräftigte, „unwiderlegbare Beweise“ dafür zu haben, daß sich der Feind vor der Bombardierung in der Abtei aufhielt. Und als das englische Foreign Office Wilson dann am 9. März bat, dem Vatikan eine von Fakten gestützte Erklärung dahingehend zu geben, warum das Kloster zerstört worden wäre, obwohl dem Hl. Stuhl garantiert worden war, daß man die Abtei respektieren würde, bestätigte Wilson, er habe 12 „unwiderlegbare Beweise“ dafür, daß die Deutschen das Kloster zu militärischen Zwecken gebrauchten, behielt sich aber vor, diese geheim zu halten, damit die Deutschen keinen falschen Gegenbeweis erbringen konnten. Er versprach dem Vatikan aber, diese zu gegebener Zeit zu liefern. Eine Zeit, die jedoch niemals kam, da auch nach dem Krieg zahlreiche Nachforschungen und umstrittene historische Studien zu den Dokumenten in den Militärarchiven notwendig waren, um zu dem Schluß zu kommen, daß es sich um einen Irrtum gehandelt hatte. Einer der unwiderlegbaren Beweise Wilsons wurde nach dem Krieg von einem der Protagonisten enthüllt, Kapitän David Hunt, Helfer des britischen Feldmarschalls Harold Alexander, Befehlshaber der alliierten Truppen in Italien. Hunt berichtete, daß ihm, kurz nach Beginn der Bombardierungen, die Übersetzung einer abgehörten Nachricht der Nazis übergeben worden sei, in der es hieß: „Ist der Abt noch im Kloster?“, und die Antwort lautete: „Ja.“ Das Wort „Abt“ war als Abkürzung von „Truppenabteilung“ übersetzt worden, und so hieß der Satz: „Ist die Abteilung im Kloster?“. „Ja.“ Auch Hunt erschien das als Bestätigung ihres Verdachts. Man hatte also übersehen, was das Wort „Abt“ wirklich bedeutet. Und – so Hunt weiter – es genügte ihm, den Rest des abgehörten Textes zu lesen, um zu verstehen, daß die Deutschen von den Mönchen im Kloster, und nicht von ihren Truppen sprachen. Aber es war, wie Hunt meinte, nun einmal schon zu spät, um die bereits gestarteten Flugzeuge zu stoppen. Wie hatte es nur zu einem Irrtum von solcher Tragweite kommen können? Hier darf man nicht vergessen, daß die Geheimdienste oft das hören und sehen, was ihrer Meinung nach denen gefällt, die die Befehle geben. Und so war es auch in diesem Fall. Man muß nur daran denken, daß, nach Beginn der Bombardierungen, Oberleutnant Herbert Marks von der alliierten Gegenspionage, der das Kloster mit dem Teleskop beobachtete, obwohl erwiesen war, daß dort keine Deutschen waren, bestätigte, er hätte etwa siebzig Soldaten vom Tor der Abtei in den Hof laufen sehen. Und eine um 11 Uhr ergangene Nachricht der 5. Armee, nach der ersten Angriffswelle der B-17, lautete: „Zweihundert Deutsche fliehen aus dem Kloster auf die Straße.“

Der betagte Abt Gregorio Diamare verläßt das Hauptquartier des deutschen Befehlshabers Frido von Senger (zweiter von links auf dem Foto)

Der betagte Abt Gregorio Diamare verläßt das Hauptquartier des deutschen Befehlshabers Frido von Senger (zweiter von links auf dem Foto)

Ein Befehl, den niemand gegeben haben will
Aber wer hat nun beschlossen, daß Montecassiono zerstört werden sollte? In dem Buch Montecassino von David Hapgood und David Richardson (kürzlich beim Verlag Baldini Castoldi Dalai in Neuauflage erschienen), ein Ergebnis langer Nachforschungen in den Militärarchiven, wird bestätigt, daß die Entscheidung auf einer höheren Ebene als der von General Wilson und General Alexander getroffen wurde. Es ist eine Tatsache, daß sich zu dem endgültigen Beschluß, die Abtei zu bombardieren, niemand in der Hierarchieskala bekannte, angefangen bei den führenden alliierten Politikern, über die Generalstäbe, bis hin zu den Befehlshabern am Kampfschauplatz. Nur ein General ist als entschiedener Verfechter der Bombardierung Montecassinos in die Geschichte eingegangen: Bernard Freyberg. Der Kommandant des neuseeländischen Kontingents, der seit Anfang Februar mit seinen Männern im Liri-Tal Stellung bezogen hatte, war in Neuseeland ein berühmter Mann. Aber selbst diejenigen, welche seinen Mut bewunderten, mußten zugeben, daß es ihm nur schwer gelingen wollte, sich etwas Komplexeres vorzustellen als eine Strategie nach dem Motto „mit dem Kopf durch die Wand.“ So war er sich dann auch sofort mit seinem Vorgesetzten Mark Clark über den Plan einer Meinung, der die Besteigung des Hügels Montecassino vorsah, obwohl dieser Plan bereits seit Wochen nichts anderes gebracht hatte als schreckliche Verluste. Im Gegenteil, von den ersten Tagen an gab Freyberg der Abtei die Schuld an dem einfach nicht gelingen wollenden Durchbruch der deutschen Verteidigungslinien, weil diese seiner Meinung nach von dort ihre Geschütze abfeuerten. So kam es, daß Freyberg am 12. Februar, aufgrund „militärischer Erfordernisse“, auf der Bombardierung des Klosters bestand und sogar den Rückzug seiner Truppen androhte, sollte man ihm kein Gehör schenken. Clark war nicht einverstanden, und zwar sowohl aus politischen wie auch militärischen Gründen, befand sich aber in einer schwachen Position. Sein Ruf war noch immer wegen der Niederlage angekratzt, die die Division Texas am 20. Januar erlitten hatte. Sein Befehl, den Fluß Rapido zu überqueren, hatte den sinnlosen Verlust von fast 2000 Mann bedeutet, und die Nachricht von dieser Niederlage war um die ganze Welt gegangen. Dazu kommt noch, daß – wie Clark in seinem Buch In guerra con Alexander schrieb – in der Hierarchieskala noch zwei englische Generäle über ihm standen, und kein Geringerer als Alexander sagte im Bezug auf die Bombardierung zu ihm: „Freyberg genießt im Commonwealth einen gewissen Ruf, wir fassen ihn mit Samthandschuhen an, und das müßt ihr auch tun.“ Wenn man dann noch bedenkt, daß fast die gesamte englische und amerikanische Presse schon seit geraumer Zeit eine hartnäckige Pressekampagne gestartet hatte, im Rahmen derer behauptet wurde, daß ihre Soldaten das Entgegenkommen der Militärkommandos der katholischen Kirche gegenüber mit dem Leben bezahlten, und meinte: „besser ein Sieg in der Tasche als ein Michelangelo an der Wand“, kann man verstehen, warum Clark klein beigab und den Bombardierflugzeugen grünes Licht gab. Nicht allerdings, ohne die Bewohner durch abgeworfene Flugblätter vorsichtshalber davon unterrichtet zu haben, daß die Waffen auf sie gerichtet wären. Für die Flüchtlinge dennoch ein Todesurteil, und zwar sowohl, weil bis zum Schluß niemand glauben wollte, daß man wirklich soweit gehen würde, als auch, weil es keinen Fluchtweg für sie gab – sie waren, über viele Kilometer, von zwei kämpfenden Armeen umzingelt.

General Mark Clark (rechts auf dem Foto) mit Generalmajor Alfred M. Gruenther (links), seinem Generalstabschef, und General Henry Maitland Wilson, Kommandant der alliierten Streitkräfte im Mittelmeerraum

General Mark Clark (rechts auf dem Foto) mit Generalmajor Alfred M. Gruenther (links), seinem Generalstabschef, und General Henry Maitland Wilson, Kommandant der alliierten Streitkräfte im Mittelmeerraum

Der Sohn Freybergs – von Nonnen gerettet
Durch eines der unfaßbaren Paradoxe, die die Geschichte zu schenken vermag, wurde gerade der Sohn Freybergs, jenes Generals, der um jeden Preis eines der bedeutendsten Monumente des Christentums zerstören wollte, in jenen Tagen dank der Gastfreundschaft gerettet, die ihm in einem Nonnenkloster in Castel Gandolfo gewährt wurde. Die Ordensschwestern versteckten den jungen Infanterie-Oberleutnant, der vor den Deutschen geflohen war, nachdem ihn diese in Anzio gefangengenommen hatten. Auch Castel Gandolfo war eines dieser Eigentümer der Kirche, das, wenngleich in neutraler Zone, in jenen Monaten aus demselben Grund bombardiert wurde wie dem, der schon zur Rechtfertigung der Zerstörung der Abtei Montecassino vorgebracht worden war: „militärische Notwendigkeit“. Aber wahrscheinlich hätte nicht einmal das Los seines Sohnes General Bernard Freyberg von seinem Vorhaben abgebracht. Er ließ die Bombardierungen nicht einmal dann einstellen, als er am Tag vor dem Start der Flugzeuge erkannte, daß es von einem militärischen Standpunkt aus nutzlos war, weil seine durch die deutschen Stellungen „festgenagelten“ Männer vom Ziel zu weit entfernt waren und die Ruinen der Abtei niemals vor dem Feind hätten besetzen können. Der Kommandant der Air force weigerte sich, die Bombardierung zu stoppen, weil die Flugzeuge ab dem 16. Februar in der Zone um Anzio hätten eingesetzt werden sollen. Freyberg beschloß also, weiterzumachen, und die Folgen kann man in jedem Geschichtsbuch lesen und auf den vielen Friedhöfen sehen, die in dieser Gegend entstanden sind. Freyberg erhielt sehr viel mehr Bombardierungen als er verlangt hatte, weil die US-Luftfahrt die Gelegenheit ergriff, eine alte Streitfrage zu klären: was denn nun effizienter wäre, die Bombardierung bei Tag – wie sie meinten –, oder die bei Nacht, welche die Engländer vorzogen.
Wie der neuseeländische Befehlshaber richtig erkannt hatte, besetzten die Deutschen als erste die Ruinen, und damit konnte die Tal- und Bergschlacht erst richtig beginnen. Das Städtchen Cassino wurde in den folgenden Wochen so unerbittlich bombardiert, daß die amerikanischen Panzer bei ihrem Vorstoß von den Kratern der Bomben ihrer eigenen Flugzeuge und Artillerie behindert wurden. Der Kostenaufwand war ungeheuer. Ein Hügel wurde sogar „One-million-hill“ getauft, weil die Artilleristen ausgerechnet hatten, daß die Tötung jedes einzelnen Soldaten 25.000 Dollar an Munition gekostet hatte. „Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn man den Deutschen diese Summe dafür angeboten hätte, daß sie von selbst gehen,“ schrieb der berühmte Kriegskorrespondent Ernie Pyle.


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