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JOHANNES PAUL II.
Aus Nr. 05 - 2004

Autobiographie des Papstes



Giulio Andreotti


Titelseite des Buches <I>Auf, lasst uns gehen! </I>von Johannes Paul II.

Titelseite des Buches Auf, lasst uns gehen! von Johannes Paul II.

Das Erscheinen eines Buches in vielen Sprachen ist ein außergewöhnliches Ereignis. Aber noch seltener – ja, nie dagewesen – ist es, wenn die Autobiographie eines Papstes derart „polyglott“ erscheint.
Sammlungen von Ansprachen, acta und Enzykliken lösen keine Überraschung aus: die hat es immer gegeben. Ich selbst habe als Student an einer Maximensammlung zur Soziallehre der Kirche mitgearbeitet, die sich auf Papst-Dokumente stützte. Für das historische Ereignis der Veröffentlichung des Lebens von Johannes Paul II., von ihm selbst geschrieben und Urbi et orbi in einer wahrlich noch nie dagewesenen Dimension herausgebracht, gibt es eine sehr einfache Erklärung. Doch sehen wir uns die letzten Päpste an: Benedikt XV. hätte aus seiner „Vorgeschichte“ im Staatssekretariat und der pastoralen Leitung von Bologna schöpfen können, Pius XI. aus den kostbaren Bibliotheksforschungen (vielleicht mit dem ein oder anderen Hinweis auf seine sommerlichen Bergtouren). Pius XII. aus den turbulenten Ereignissen um die Nuntiaturen von München und Berlin. Paul VI. aus dem Dienst bei den katholischen Studenten und Akademikern. Johannes XXIII. aus der dramatischen Rettung der deutschen Juden in der Türkei. Johannes Paul I. aus der Volkspädagogik durch den Boten des hl. Antonius [ Il Messaggero di Sant’Antonio].
Alles zweifellos überaus interessante Seiten, aber eben aus der Ausbildungszeit jugendlicher Berufung und aus den Seminarjahren: und damit ein Klischée, ohne große Originalität.
Johannes Paul II. stellt nicht nur deshalb etwas so unglaublich Neues dar, weil er Ausländer ist, sondern aufgrund seines persönlichen Lebensweges schon vor der Berufung zum Priestertum, der sein ganzes Amt in einem dramatischen Umfeld von Verfolgung, Krieg, unterschwelliger Feindseligkeit seitens der bürgerlichen Macht begleiten sollte. Von den vielen „Prominenten“, die behaupten, den Arbeitern nahe zu stehen, ist Karol Wojtyla der, der von sich sagen kann, selbst einer gewesen zu sein; noch dazu einer, der wirklich schwere, aufreibende Arbeit geleistet hat. Die Anhänger von Solidarnosc spürten, daß er einer der ihren war.
Schon in seinem Buch Geschenk und Geheimnis konnten wir die Facetten dieser so markanten Persönlichkeit kennenlernen; einen Mann mit einer vielfältigen Berufung und Begabung, die ihn in vielen Bereichen – außerhalb des Priestertums – auffallen ließ, angefangen beim Theater, zu dem er eine ganz besondere Neigung verspürte. An den Beginn der heutigen Autobiographie, das Kapitel „Die Berufung“, hat er jedoch folgendes Evangelium-Zitat stellen wollen: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“. Dieses Mal war der Ruf nicht der für das Priestertum, sondern für das Bischofsamt. Überaus poetisch sind die Seiten, auf denen von der „Einberufung“ die Rede ist, die ihn in den Sommerferien erreicht, wo er die Zeit mit Bergwanderungen und Paddelboot-Fahrten verbringt. Das letzte Stück der Reise nach Warschau bringt er auf einem mit Mehlsäcken beladenen Lastwagen zu.
Karol Wojtyla im Alter von zwei Jahren auf einem Foto von 1922 mit seinen Eltern Karol und Emilia

Karol Wojtyla im Alter von zwei Jahren auf einem Foto von 1922 mit seinen Eltern Karol und Emilia

Kardinal Wyszynski teilte ihm seine Ernennung zum Weihbischof des Erzbischofs von Krakau mit. Er versuchte, zu protestieren, verwies auf sein junges Alter (kaum 38 Jahre), worauf ihm allerdings nur die geistreiche Antwort gegeben wurde, daß das ein Fehler wäre, den er schon bald überwinden würde.
Krakau machte bereits seit langem schwere Zeiten durch. Als 1942 der vorherige Erzbischof, Kardinal Sapieha, von dem Gesandten Pius’ XII. (Msgr. Quirino Paganuzzi) den Text einer Botschaft erhielt, in der der Papst gegen die Schikanen protestierte, die alle – ob sie nun Katholiken waren oder nicht – über sich ergehen lassen mußten, war ihm klar, wie nutzlos das war, ja, daß diese Initiative alles nur noch verschlimmern würde. Der Gesandte konnte in Rom von dem tragischen Leben der Polen in jenem schrecklichen Moment berichten. Als Wojtyla 1958 Weihbischof wurde, hatte sich die Situation weiß Gott nicht gebessert. Im Gegenteil.
In den verschiedenen Kapiteln des Buches werden die vielfältigen Aktivitäten des frischgebackenen Bischofs beschrieben, mit einer besonderen Wertschätzung für die Mutterschaft und Vaterschaft (Familienpastoral), und für die Studenten. Und es werden die Schwierigkeiten beschrieben, die das Regime dem katholischen Lehramt auferlegte, der Boykott des Baus neuer Kirchen. Vor einigen Tagen hat ein Überlebender in einem Fernseh-Interview aus Nowa Huta berichtet, wie hartnäckig sich Msgr. Wojtyla persönlich für den Bau einer Kirche in ihrer Arbeiterstadt eingesetzt hatte, die sich vollkommen in der Hand des alles vereinnahmenden Kommunismus befand und über keine Kultgebäude verfügte.
Ein Thema, dem der Papst in seinem Buch wirklich bewegende Beschreibungen widmet. Aber neben den Berichten über das vom polnischen Katholizismus erduldete Leid finden sich auch wahrhaft erleuchtende Seiten zu Themen von ungebrochener Aktualität für die universale Kirche. Wie das Problem der Kollegialität, das Paul VI. soviel Kopfzerbrechen bereitet hatte. In diesem Zusammenhang werden die mit dem II.Vatikanischen Konzil und den Bischofsversammlungen gemachten Erfahrungen beschrieben; leben persönliche Freundschaften wieder auf, die mit Bischöfen anderer Nationen angeknüpft werden konnten. Ein besonderer Hinweis gilt Kardinal Ratzinger, dessen außergewöhnliche theologische Bildung der Papst bestätigt, und von dem er ausdrücklich sagt; „Ich danke Gott für die Gegenwart und die Hilfe von Kardinal Ratzinger – er ist ein zuverlässiger Freund“.
Kardinal Wojtyla zelebriert, nach der Einweihung der neuen Kirche, in Nowa Huta unter freiem Himmel die Messe.

Kardinal Wojtyla zelebriert, nach der Einweihung der neuen Kirche, in Nowa Huta unter freiem Himmel die Messe.

Ergreifend der Schluß des Buches, der sich an Rom inspiriert: „Ich spreche über diese Dinge von einem Posten aus, an den mich die Liebe Christi, des Retters, geführt hat, indem sie mich aufforderte, wegzuziehen aus meinem Heimatland, um mit seiner Gnade woanders Frucht zu bringen, eine Frucht, die dazu bestimmt ist, zu bleiben. Als Nachhall der Worte unseres Meisters und Herrn wiederhole deshalb auch ich mit einem jeden von euch, liebe Brüder im Bischofsamt: ‚Auf, lasst uns gehen!‘. Gehen wir im Vertrauen auf Christus. Er wird uns begleiten auf unserem Weg bis zu dem Ziel, das nur er kennt.“
Um das auszudrücken, was man für Johannes Paul II. empfindet, möchte ich auf ein Büchlein verweisen, das der rebellische Don Primo Mazzolari geschrieben hat, und das sich von den üblichen, von Lobhudeleien nur so triefenden Biographien abhebt, die – wie zutreffend und gerechtfertigt sie auch immer sein mögen – eben doch als Schmeichelei erscheinen können.
Er sprach von der Sehnsucht, die der Papst empfunden haben muß, wenn er – unter Lobesreden und dem Schwenken der [damals noch gebrauchten] flabella in einfacher Erinnerung an seine Mutter schwelgte, die abends in sein Zimmer kam, um ihm die Bettdecke festzustecken und ihm eine gute Nacht zu wünschen. Karol Wojtyla hat seine Mutter schon in jungen Jahren verloren. Was den Bezug noch bewegender und gerechtfertigter macht.


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