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VIETNAM
Aus Nr. 05 - 2004

Interview mit Pietro Parolin über die Beziehung der Kirche zur Regierung von Ha Noi.

Auf kleinen Schritten auf den Wegen des Hô Chi Minh


„Man kann nur hoffen, daß die Bereitschaft besteht, zu dem Geist zurückzukehren, von dem Hô Chi Minh beseelt war. Der – in der berühmten Verfügung Nr. 234 von 1955 – der Kirche keine Beschränkungen auferlegte, was die Zahl der Bischofsernennungen anging, die Zulassung zu den Seminaren oder die Aktivität der religiösen Kongregationen.“ Die Stellungnahme des Untersekretärs der vatikanischen Abteilung für die Beziehungen mit den Staaten.


von Giovanni Cubeddu


„Die einzige wirkliche Erklärung für die Kreierung von Kardinal Phan Minh Mân beim letzten Konsistorium ist die Sorge des Papstes um die vietnamesische Kirche. Eine Kirche, die nicht nur lebendig, vereint ist, sondern auch mit einer wahren Blüte von Priester- und Ordensberufungen aufwarten kann.“ Eine Kirche, die, mitten in der Realität des Landes stehend, nichts anderes wünscht, als dem Gemeinwohl zu dienen. Die Ernennung wurde übrigens auch vom kommunistischen Regime begrüßt, das in einer Erklärung des Pressesprechers des Außenministeriums bekräftigte: „Es ist eine gute Botschaft für die vietnamesischen Katholiken, jetzt einen weiteren Kardinal zu haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche des Vietnam hat unser Land gleich zwei Kardinäle.“
Jean-Baptiste Phan Minh Mân wird bei seiner Rückkehr in die Heimat in der Stadt Than Po Hô Chi Minh empfangen. Kurz zuvor war er von Johannes Paul II. in den Kardinalsrang erhoben worden (Konsistorium vom 21. Oktober 2003).

Jean-Baptiste Phan Minh Mân wird bei seiner Rückkehr in die Heimat in der Stadt Than Po Hô Chi Minh empfangen. Kurz zuvor war er von Johannes Paul II. in den Kardinalsrang erhoben worden (Konsistorium vom 21. Oktober 2003).

Msgr. Pietro Parolin, Untersekretär der Abteilung für die Beziehungen mit den Staaten leitete Ende April die vatikanische Delegation, die nach Vietnam reiste und zu der auch Msgr. Luis Mariano Montemayor gehörte, Nuntiatur-Berater beim Staatssekretariat, und Msgr. Barnabé Nguyên Van Phuong, Bürovorsteher der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Mit diesem Besuch wurde der Brauch einer jährlich stattfindenden Begegnung 2003 „aus rein organisatorischen Gründen“ unterbrochen, erläutert Parolin. „Die Ursache waren die Wechsel, zu denen es in der Zweiten Sektion des Staatssekretariats gekommen war.“ Seiner Meinung nach kann man, nach den vietnamesischen Begegnungen, durchaus von einer Beziehung sprechen, die „auf dem Wege der Besserung“ ist.

Der neuernannte Kardinal Phan Minh Mân hat öffentlich vorgeschlagen, das Thema der Religionsfreiheit zu regulieren; eine Rückbesinnung auf das, was der Gründervater des kommunistischen Vietnam, Hô Chi Minh, festgelegt hatte. Was halten Sie davon?
PIETRO PAROLIN: Ich halte das für einen durchaus wertvollen Vorschlag. Der Kardinal hat da etwas überaus Vernünftiges getan, seine Initiative verdient jede Unterstützung. Man kann also nur hoffen, daß die Bereitschaft besteht, zu dem Geist zurückzukehren, von dem Hô Chi Minh beseelt war. Der – in der berühmten Verfügung Nr. 234 von 1955 – der Kirche keine Beschränkungen auferlegte, was die Zahl der Bischofsernennungen anging, die Zulassung zu den Seminaren oder die Aktivität der religiösen Kongregationen. Darüber hinaus wurde bei den offiziellen Unterredungen oft eine jüngst verabschiedete Resolution des Zentralkomitees der kommunistischen Partei erwähnt, in der die vietnamesischen Bürger als „vollwertige Bürger“ bezeichnet werden und die Entschlossenheit der Regierung bekräftigt wird, „den geistlichen Bedürfnissen jenes Teils der Bevölkerung Rechnung tragen zu wollen, die einem religiösen Glauben anhängen.“ Eine derartige Haltung der Partei kann man natürlich nur begrüßen. Ein anderes Thema, das bei verschiedenen Anlässen wiederaufgegriffen wurde, ist der Wunsch der vietnamesischen Ansprechpartner, in den Beziehungen zur katholischen Kirche die Vergangenheit hinter sich zu lassen und vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken.
Was können Sie uns über Ihren Aufenthalt im Vietnam sagen?
PAROLIN: Die Delegation des Hl. Stuhls hat, wie schon bei ihren vorherigen Missionen, im wesentlichen zwei Zwecke verfolgt: einen Dialog mit den Regierungsbehörden zu führen, um die gegenseitigen Beziehungen voranzutreiben, die Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu behandeln und gleichzeitig den katholischen Gemeinschaften entgegenzukommen. So wurde uns die Freude zuteil, uns mit dem Präsidenten der Bischofskonferenz, den Mitgliedern des Ständigen Rates derselben und mit den Bischöfen der Kirchenregion Ha Noi an einen Tisch setzen zu können. Wir waren in der Diözese Xuân Lôc und Ban Mê Thuôt. Diese Diözesen waren noch nie von den Delegationen des Hl. Stuhls besucht worden, und daß das endlich möglich geworden war, war, in einem gewissen Sinne, eine Überraschung. Xuân Lôc, im Süden, ist die größte Diözese des Landes, in der die Katholiken ca. 30% der Bevölkerung ausmachen. Ban Mê Thuôt befindet sich auf der Hochebene in der Mitte des Landes, und dort leben etwa 40 ethnische Minderheiten, „Montagnards“ genannt. Es gibt dort bekanntlich viele Spannungen. Über das, was sich Anfang April zugetragen hat, haben wir von den örtlichen Behörden Informationen erhalten. In Ha Noi konnten wir die Messe am Priesterseminar feiern, und in Thanh Pho Hô ChiMinh wurde eine Begegnung mit den Repräsentanten des Klerus, des geweihten Lebens, der Laien und der katholischen Institutionen der Erzdiözese organisiert. Auf Regierungsebene wurden zwei Arbeitssitzungen mit dem Büro für religiöse Angelegenheiten sowie „Anstandsbesuche“ beim Vizeminister für Äußeres, dem Vizepräsidenten der Kommission für äußere Angelegenheiten des Zentralkomitees des Vietnam organisiert, und während des Besuchs in den Diözesen bei den lokalen Behörden. Wir wurden mit sehr viel Respekt behandelt, ja, ich würde fast schon sagen, überaus herzlich aufgenommen; eine Haltung, die auch wir stets vermitteln wollten. Ich bin der Meinung, daß die Unterredungen mit den Repräsentanten des Büros für Äußeres überaus nützlich waren, wenn auch nicht alle Fragen geklärt werden konnten.
Ein Priester segnet eine Pilgergruppe beim Marienheiligtum Unserer Lieben Frau von La Vang, Provinz Quang Tri.

Ein Priester segnet eine Pilgergruppe beim Marienheiligtum Unserer Lieben Frau von La Vang, Provinz Quang Tri.

Gibt es in Sachen Religionsfreiheit gute Nachrichten?
PAROLIN: Seit den ersten Besuchen der Delegation des Hl. Stuhls bis heute sind 15 Jahre vergangen, und es hat zweifellos Fortschritte gegeben. Wir haben erfahren, daß die Behörden in einigen Regionen die Ordensschwestern um Hilfe bei der Betreuung Aids-Kranker gebeten haben. An anderen Orten wieder wurde die Genehmigung für Neuzugänge an religiösen Instituten erteilt. Das alles ist Zeichen für eine offenere Haltung der katholischen Kirche gegenüber. Ich denke aber dennoch, daß wir noch einen weiten Weg vor uns haben. In der Zwischenzeit hoffe ich, daß der Dialog weitergeht, daß mit dem Dialog Verständnis und Vertrauen wachsen. Die Kirche will nicht mehr, als in Freiheit ihre Mission erfüllen zu dürfen, stellt sich großzügig in den Dienst des Landes und seiner Einwohner.
Und was ist mit den von der Regierung auferlegten Limits bei den Bischofsernennungen?
PAROLIN: Die Delegation des Hl. Stuhls ist auch nach Vietnam gekommen, um mit den Regierungsbehörden über die Bischofsernennungen zu sprechen, die – aufgrund der wohlbekannte Umstände – derzeit in Vietnam nach einer Sonderprozedur erfolgen. Natürlich nähren wir die Hoffnung, daß es auch in diesem Bereich zu einer Normalisierung kommen wird. Dieser letzte Besuch hat auch das ein oder andere Resultat erbracht, das wir zu gegebener Zeit bekannt geben werden. Und es wurden auch andere Fragen behandelt, die Aufmerksamkeit verdienen.
Gibt es eine Episode um Ihre Reise nach Vietnam, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
PAROLIN: Ich denke, daß uns das am meisten bewegt hat, was sich in Ban Mê Thuôt ereignete. Am Nachmittag feierten wir die heilige Messe in der Kapelle des Bischofspalastes und für den Morgen darauf war der private Besuch der Kapelle vorgesehen. Und dann haben wir bei unserer Ankunft eine zum Bersten mit Gläubigen gefüllte Kirche vorgefunden, die spontan gekommen waren, als sie von der Ankunft der vatikanischen Delegation gehört hatten. Es war eine sehr intensive Erfahrung, die sich nur wenig später im Haus der Schwestern Mariens, Königin des Himmels, wiederholte, eine diözesanen Kongregation, die vor allem mit den „Montagnards“ zusammenarbeitet. Ich muß allerdings sagen, daß alle Begegnungen mit der Kirche von Enthusiasmus geprägt waren, tiefer Spiritualität, einem Klima intensiver kirchlicher Gemeinschaft und einem starken Gefühl der Verbundenheit, Verehrung und Treue dem Nachfolger Petri gegenüber: etwas, das die Delegation dem Heiligen Vater bei ihrer Rückkehr in Rom nur allzu gerne berichtet hat.


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