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DON ORIONE
Aus Nr. 05 - 2004

Der Heilige des Unvorhersehbaren


Von seiner Freundschaft mit den Modernisten bis hin zur Vaterunser-Politik, der einzig wirksamen. Von den Anfängen in Tortona bis zu den Reisen nach Lateinamerika. Faszinierendes aus dem Leben von Don Luigi Orione.


von Stefania Falasca


Don Orione mit Freunden und Wohltätern

Don Orione mit Freunden und Wohltätern

Nein. So einer kann einen einfach nicht kalt lassen. Und um es gleich zu sagen: wenn man ihm nacheifern will, in seiner Haltung, seinen unverwechselbaren Gesten, muß man schon er selber sein, Don Luigi Orione... Kurzum: etwas Einzigartiges, Providentielles. Und vor allem: etwas Unvorhersehbares. Ja, genau. Sagen wir auch das gleich. Denn vielleicht ist das Unvorhersehbare niemals so sehr mit der Heiligkeit einher gegangen wie in diesem Mann.
Man braucht nur sein ganzes, facettenreiches Leben zu betrachten, von jenem 23. Juni 1872 bis zum 12. März 1940: ein Meer von unvorhersehbaren Geschichten, Umständen und großen Werken, ein ständiges, unerwartetes Kommen und Gehen von Päpsten und zwielichtigen Gestalten, Staatsmännern und armen Teufeln, Eremiten, Politikern und Menschen, die von allen verlassen waren, Literaten, Waisenkindern, Heiligen und Scheinheiligen. Nicht einmal der begnadetste Schriftsteller würde es schaffen, aus all dem eine einzige Geschichte zu machen. Er müßte Don Orione auf einem Weg folgen, dann irgendwann umkehren, um wieder einen anderen einzuschlagen, und dann wieder einen anderen. Unser Protagonist dagegen beschreitet sie alle zusammen – wenig kümmert es ihn, wohin sie führen. Der Füllfederhalter hat sichtliche Mühe, mit ihm Schritt zu halten, die schnell gefüllten Seiten sind viel zu eng – und immer bleibt etwas ungesagt. Es ist und bleibt ein Leben, das einfach in keine Schublade zu stecken ist – da sehen wir Don Orione, der sich als „Kuli“ der Vorsehung betätigt, Türen aufmacht, sie weit offen stehen, sich von der Realität provozieren läßt, es versteht, die Zeiten zu deuten und vorherzusehen, mit fast unglaublicher Intuitionsgabe. So mancher wollte ihm ein Etikett aufdrücken. Und doch blieb ihnen allen letzten Endes nichts anderes übrig, als sich dem „Narren Gottes“ zu beugen, „einer der originellsten und herausragendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts,“ wie er genannt wurde. Der englische Schriftsteller Douglas Hyde, ein konvertierter Atheist, definierte ihn in seiner berühmten Biographie als „Banditen Gottes“, „Genie der Nächstenliebe“, ihn, der wahre Meisterwerke vollbrachte, ohne es an die große Glocke zu hängen. Sicher ist, daß dieser etwas unbeholfen wirkende Priester, „mit der Ausdauer und dem Herzen des Apostels Paulus, impulsiv und hartnäckig, zartfühlend und sensibel bis zu den Tränen, unermüdlich und von großem Wagemut“, die Gabe hatte, Menschen ohne Glauben zu erleuchten. Er hat, wie berichtet wird, selbst Priester zu Tränen gerührt. Was ja bekanntlich nicht einfach sein soll – die Predigten von Don Orione sollen tatsächlich auch von diesem Wunder begleitet gewesen sein. Es bleibt uns also nichts anderes übrig als zu versuchen, uns an seine Fersen zu heften, ihm auf seinen unvorhersehbaren Wegen zu folgen, ihm immer näher zu kommen und uns an der wärmenden Glut dieser Liebe zu erquicken.
Don Orione mit Don Umberto Terenzi (erster von links) beim Sanktuarium Divino Amore.

Don Orione mit Don Umberto Terenzi (erster von links) beim Sanktuarium Divino Amore.


Wie die Wohltat einer sanften Brise Die vierte Klasse Gymnasium am Oratorium von Valdocco konnte er mit Bravour abschließen. Ende Juni fand er sich dann auch pünktlich zu den Exerzitien ein, nach denen er um Aufnahme für das Noviziat ansuchen sollte. Doch dann, auf einmal, verließ er die Salesianer-Familie. Alle waren fassungslos: Obere, Kameraden. Wenig Sinn hatte es da, ihn nach Erklärungen zu fragen. Die hatte er selber nicht. Er wußte nur, daß er ganz einfach gehen mußte. Und gestand: „Ich hatte doch nie Zweifel an meiner Berufung zum Salesianer gehabt, doch gerade in jenen Tagen wollte mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gehen, ich müsste vielleicht ins Seminar der Diözese eintreten.“ Und so trat Don Orione am 16. Oktober 1889 tatsächlich ins Diözesanseminar von Tortona ein. Wo der ebenso gehorsame wie lebhafte Junge schon bald wegen seiner Begabungen auffiel – und wegen der immer größer werdenden Gruppe von Altersgenossen, die sich im Oratorium um ihn zu scharen pflegte. Einige seiner Seminarskollegen zogen ihn auf, der ein oder andere fand ihn „ziemlich närrisch“, und als er am 16. September 1893 beim Bischof in der Residenz auftauchte, konnte sich dieser nicht des Eindrucks erwehren, daß dieses „ziemlich“ wohl doch recht überflüssig wäre, und man einfach nur „närrisch“ sagen müßte. Der Kleriker berichtete ihm, daß er ein gutes Dutzend armer Jungen hätte, die bereit wären, in ein kleines Kolleg für sie einzutreten... „Sie könnten eines Tages gute Priester werden...“ beeilte er sich zu sagen. Der Bischof hörte ihm sichtlich verblüfft zu, versuchte ihm schonend beizubringen, daß er das für etwas utopisch hielt, für etwas, das wohl kaum so einfach in die Tat umzusetzen wäre... Aber Luigi ließ sich nicht einschüchtern. „Ich vertraue auf die göttliche Vorsehung,“ sagte er nur, und wischte damit alle Bedenken vom Tisch. Da war es um die Beherrschung des Bischofs geschehen: „Na, wenn das so ist, was willst Du dann überhaupt von mir?“. „Nichts, Exzellenz, nur Ihre Genehmigung und Ihren Segen,“ erwiderte der andere. „Das kannst Du beides haben,“ räumte der Bischof schnell ein, in der Hoffnung, das Thema und auch den Jungen endlich losgeworden zu sein. Doch die Vorsehung hatte das ihre bereits getan; es hatte sich herumgesprochen, in den Tälern des Curone, der Staffora, der Borbera. Das „kleine Kolleg“ im berüchtigten Tortoner Viertel San Bernardino konnte am 15. Oktober 1893 geöffnet werden. Es besteht kein Zweifel: hier hat das Kleine Werk begonnen. Luigi Orione war damals gerade 21 Jahre alt. Am 13. April zwei Jahre später wurde er zum Priester geweiht; am selben Tag legten auch sechs seiner Jungen das Priestergewand an. Und damit konnte es losgehen. Von da an sollte es keine Verschnaufpause mehr geben: Begegnungen, Häuser, Kollegien, Waisenhäuser, Landwirtschaftsbetriebe, Institute – sie alle schossen geradezu wie Pilze aus dem Boden. Und schließlich waren da ja noch die Augen der Vorsehung. Die in seinem Fall alles ist: „Programm“ und „besonderes Ziel“ des Werkes. Und seine Augen, die eines unermüdlichen „Heckenschützen“ der Barmherzigkeit Gottes. „Wenn man diesem Blick einmal begegnet war, konnte man ihn nicht mehr vergessen. Er blieb dir im Gedächtnis wie die Wohltat einer sanften Brise...“, schrieb Ignazio Silone über ihn, und er war nur einer von vielen, die das bestätigen konnten. Man muß sich nur in die Zeugenberichte vertiefen, in die verschlungenen Wege vieler, die ihm auf den offenen und unwegsamen Straßen seines Apostolats begegneten. Oder in die Berichte dieser – auch illustrer – Persönlichkeiten, die vielleicht auf dem Sterbebett keinen „normalen“ Priester wollten, sondern eben gerade diesen „komischen Priester“. „Seelen, Seelen... Wenn der Herr mir erlauben würde, in die Hölle zu gehen, würde ich sie mit einem Liebeshauch auch dort herausholen wollen“. „Seelen, Seelen“, ist das Verlangen, das ihn dazu bringt zu sagen: „Stell mich, oh Herr, auf den Höllenschlund, damit ich ihn mit Deiner Barmherzigkeit zu schließen vermag“. Im Grunde hatte er es am Tag seiner Weihe als Gnade erbeten: „Ich habe die Muttergottes um eine besondere Gnade gebeten: daß alle, die irgendwie mit mir zu tun haben, das Heil erlangen mögen...“
Don Orione vermittelte in Sachen Versöhnung zwischen Kirche und Staat in Italien für verschiedene vatikanische Dikasterien

Don Orione vermittelte in Sachen Versöhnung zwischen Kirche und Staat in Italien für verschiedene vatikanische Dikasterien


Im Erdbeben der Modernisten Als der Morgen des 28. Dezember 1908 anbricht, gibt es Messina nicht mehr. Ein Erdbeben hat es verschluckt. Was bleibt, sind nur Trümmer. Don Orione steigt am 4. Januar 1909 in den Zug nach Messina. Und stürzt sich voller Tatenkraft in dieses Meer der Verzweiflung. Alle, die ihn in diesen Tagen erleben, stimmen darin überein, daß nur wer gesehen hat, wie er sich in dieser Wüste menschlichen Elends zurechtgefunden hat, auch sagen kann, wer Don Orione ist. Aber nach den Verheerungen dieses Erdbebens sollte ihn schon bald ein Sturm ganz anderer Art mitreissen.
1907 hatte die Kirche mit Pascendi, Enzyklika von Pius X., und dem Dekret Lamentabili des Heiligen Offiziums den Modernismus verurteilt. Im März 1909 wurde die „Associazione nazionale per gli interessi del Mezzogiorno“ [Nationale Vereinigung für die Interessen Süditaliens] ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den von dem Desaster getroffenen Bevölkerungen zu helfen. Zu ihr gehörte auch eine Reihe von Modernisten, besonders jene um die von den kirchlichen Behörden exkommunizierte Zeitschrift Il Rinnovamento: Aiace Alfieri, Antonio Fogazzaro, dessen Roman Il Santo auf den Index gesetzt worden war, und andere Vertreter des katholisch-liberalen Denkens, wie der gelehrte Literat Tommaso Gallarati-Scotti. Don Orione – was für ein Zufall – kannte sie alle. Einige sogar sehr gut. Und gerade hier, in Messina, hatte er Gelegenheit, sie zu frequentieren, versäumte keine Gelegenheit, sie seiner Wertschätzung zu versichern, ihnen seine Hilfe anzubieten. Und er kannte nicht nur diese Modernisten. Vielen Priestern, die durch ihre modernistischen Ideen mit kirchlichen Zensuren belegt worden waren, war er in brüderlicher Freundschaft verbunden: Romolo Murri, Don Brizio Casciola, Pater Giovanni Genocchi, Pater Giovanni Semeria, Pater Giovanni Minozzi, Don Ernesto Buonaiuti. Mit einigen war er schon seit vielen Jahren befreundet. 1904 schrieb er einen Brief an Romolo Murri, bat ihn um einen Artikel für seine Zeitschrift La Madonna: „Du mußt unbedingt etwas Schönes für mich schreiben, etwas, das von Deinem Glauben und Deiner Seele erfüllt ist: so etwas wie ‚Unsere Liebe Frau und die Demokratie‘ vielleicht; du weißt ja – es ein sehr weites Feld, so voller Licht, und doch noch so unerforscht! Es könnte Dein Ehrerweis an die Muttergottes in diesem Jahr sein!“. Im Februar 1905, als er sich gerade mit dem Gedanken an ein Werk für jugendliche, gerade aus dem Gefängnis entlassene Straftäter trug, schrieb er an Don Brizio Casciola: „Du wirst mir sicher sehr helfen; Semeria, Murri, ihr werdet mir alle sehr helfen...“
Aber man darf nicht vergessen, welches Hexenjagd-Klima nach der Enzyklika Pascendi entstanden war, vor allem nach der Einführung des Antimodernisten-Eids unter Priestern, und der Schaffung der diözesanen Überwachungskommissionen für die Rechtmäßigkeit der Lehre. Schon ein Verdacht kam damals einer Verurteilung gleich. Die sogenannten „Zuaven im Talar“, bzw. die eifrigsten Scharfrichter der Modernisten, fackelten nicht lange, schwangen ihre Füllfederhalter wie ein Schwert, tauchten sie oft und gerne in Gift ein. So ließ auch die „Anklageschrift“ für Don Orione – von Msgr. D’Arrigo, Erzbischof von Messina –, nicht lange auf sich warten. Und landete direkt in den Händen von Kardinal De Lai, Präfekt des Heiligen Offiziums. Der Anklagebrief, in dem der Priester aus Tortona als „Mann mit halbem Gewissen, der mit allen Umgang pflegt“ definiert wird, gelangte bis zu Pius X., und Don Orione wurde alsbald „vorgeladen.“ Doch als Pius X. diesen „komischen Priester“ zu seinen Füßen sah, war er gerührt. Er wollte ihm sein vollstes Vertrauen aussprechen, und ernannte ihn zum Generalvikar für die Diözese Messina – was Don Orione die Sprache verschlug, weil es drei Jahre Hölle in dem Feuerofen klerikaler Eifersüchteleien bedeutet hätte. Aber damit nicht genug: kein Geringerer als der Verfasser von Pascendi ließ ihm vollkommen freie Hand in den Beziehungen zu den Modernisten.
Don Orione an Bord der „Conte Grande“, die ihn im September 1934 nach Argentinien brachte

Don Orione an Bord der „Conte Grande“, die ihn im September 1934 nach Argentinien brachte

Diese Ernennung bedeutete für den für seine Rechtgläubigkeit und Papsttreue bekannten Priester, in den Augen gewisser Modernisten als Eiferer zu erscheinen, einer, der versuchen würde, sie zu konvertieren, als Störenfried... Doch weit gefehlt. Er blieb auch weiterhin sich selber treu, loyal wie immer. Und so suchten sie, ein brüderliches Band zu ihm zu knüpfen und zögerten nicht, ihm ihre Probleme aufzuladen, schickten auch so manchen anderen zu ihm. Nach der Suspendierung a divinis schrieb er an Murri: „Ich küsse Dir die Füße, Deine heiligen und gesegneten Hände... Wir werden uns lange nicht mehr sehen, aber ich werde Dir den Weg ebnen; und ich werde mit Dir sein, werde immer vor dem Angesicht Gottes mit Dir sein.“ Und so war er tatsächlich immer: bereit, überall einzuspringen, wo diskrete Hilfe erforderlich war, Risse gekittet, Brücken geschlagen werden mußten. Beliebter und gesuchter Bezugspunkt für viele Borderline-Priester, die auf Messers Schneide standen, a divinis suspendiert, exkommuniziert und abermals exkommuniziert worden waren. Man muß sich nur die reichhaltige, mit diesen Persönlichkeiten geführte Korrespondenz vornehmen, um zu sehen, zu welcher Wertschätzung und Nähe, zu welch feinem Taktgefühl Don Orione ihnen gegenüber fähig war, und umgekehrt. So kann Gallarati-Scotti bezeugen: „Ich muß sagen, daß der einzige Mensch, der damals großes Verständnis für jene aufbrachte, die im Bezug auf einige kritische Probleme von Zweifeln geplagt wurden, wohl Don Orione war [...]. Er verspürte dieses Bedürfnis, auszusöhnen, aber nicht in der Verwirrung – wie andere gewollt hätten –, sondern in einer liebevollen Unterscheidung, in der Wärme einer authentischen Liebe und eines brennenden Gewissens, was letzten Endes alles ist, was wirklich gut ist und einen Widerschein Gottes besitzt, wenn es auch manchmal fern von Gott ist. Da ist etwas in der Seele des Menschen, das auf die Berührung des Heiligen reagiert, im Tiefen und Verborgenen zwar, aber doch vibriert, wenn es den Klang der Stimme dieser Liebe vernimmt. Das war die erste, große Erfahrung, die ich mit ihm gemacht habe und die ich nie vergessen werde.“
Auch Ernesto di Buonaiuti hat ihn nie vergessen. „Mein lieber Freund“, schrieb er an Don Orione, „die Erinnerung an die Worte, die Du mir in unvergeßlichen Stunden gesagt hast, trage ich stets voller Dankbarkeit in meinem Herzen... Ich denke immer gern an Dich. Bete für mich, mein lieber, guter Freund.“ Buonaiuti lebte bis zum Schluß in dieser Befindlichkeit des Exkommunizierten vitandus. Ein Zeuge erinnert sich: „Buonaiuti sagte immer, daß Don Orione ihm sehr zugetan gewesen wäre, ihm zu verstehen gegeben hätte, daß er an seinen guten Glauben glaubte und überzeugt davon war, daß er so sterben würde, daß er gerettet werde. Das war für seine geplagte Seele der größte Trost.“ Don Orione stand ihm immer zur Seite. Als er erfuhr, daß er zum Exkommunizierten vitandus erklärt worden sei – auf Betreiben von Pater Agostino Gemelli –, kommentierte er diesen extremen Beschluß in einem Brief an Senator Schiapparelli wie folgt: „Pater Gemelli war vielleicht nicht die richtige Adresse für ihn [...]. Und schließlich ist es ja auch nicht so sehr die Bildung, die Seelen gewinnt und öffnet: ein wahrer Mann des Herzens war gefragt, einer, bei dem sich zu Bildung und Herz noch Demut und Geist gesellten, Ehrlichkeit und die Wissenschaft Jesu Christi. [...]. Es ist nicht der Syllogismus, der es bewirkt, sondern die Liebe Jesu und vor allem die Gnade Jesu Christi.“ Er tat alles, um ihn zu verteidigen, setzte sich für seine Wiederzulassung zum Priesterdienst ein, und rief auch einen seiner engsten Freunde zu Hilfe: den Jesuitenpater Felice Cappello, den „Beichtvater Roms.“
Don Orione mit Nuntius Msgr. Cortesi segnet er den ersten Stein des argentinischen Piccolo Cottolengo (Claypole, April 1935).

Don Orione mit Nuntius Msgr. Cortesi segnet er den ersten Stein des argentinischen Piccolo Cottolengo (Claypole, April 1935).


Heilige Freundschaften Daß Pater Cappello ein Heiliger war, daran gibt es wohl nichts zu rütteln. Und er war nicht der erste, der Don Orione auf seinem Weg begegnete. Einem neuen, unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Weg: den der „heiligen“ Freundschaften von Don Orione. Ein weiteres Kapitel mit vielen schönen Geschichten. Ein weiteres dichtmaschiges Netz von Beziehungen und gegenseitigen Hilfen, das auch zeigt, daß sich diese Menschen – obwohl viele von ihnen damals nicht bekannt waren – alle untereinander kannten, den Kontakt zueinander suchten, einander mochten. So hatte er in der Hölle von Messina Annibale Maria Di Francia an seiner Seite gehabt. Auch Don Umberto Terenzi, Vater der Söhne der göttlichen Liebe, war ihm freundschaftlich verbunden. Und Don Giovanni Calabria, Don Luigi Guanella, Kardinal Ildefonso Schuster – ganz zu schweigen von Pius X., Don Bosco und anderen späteren Heiligen. Aber da wäre auch noch Padre Pio. Und hier haben wir es mit einer wirklich bemerkenswerten Freundschaft zu tun, denn diese beiden Seelen, die einander doch so genau kannten, einander so tief verbunden waren, waren sich nie persönlich begegnet, hatten noch nicht einmal miteinander korrespondiert. Diese unglaubliche Geschichte, die auf die Jahre 1922-33 zurückgeht – Zeit der Stürme für den Heiligen aus Pietrelcina –, wird von Don Flavio Peloso, Postulator des Heiligsprechungsprozesses des Priesters aus Tortona, minutiös dokumentiert. Und da sieht man, wie Don Orione Licht in die moralischen Schatten von Kirchenmänner bringt, die in diese strittige Frage verwickelt waren, Brücken schlug, um Padre Pio von den Anschuldigungen freizusprechen. Lesen wir weiter bei Gallarati Scotti: „Verständnis, Verständnis und Intelligenz. Er war überaus intelligent. Es gelang ihm, in die Herzen und Köpfe der anderen einzudringen, und er verstand alles: er verstand die unreinen Dinge, wie sie die Reinen verstehen können, die niemals selbst von Unreinheit berührt worden sind; er verstand die Qual von Geist und Verstand, wie es jemand kann, der selbst einen absolut reinen, über jeden Zweifel erhabenen, niemals wankenden, in der gelebten Wahrheit feststehenden Glauben hat. Und diese Sicherheit, zu wissen, wohin man den Fuß zu setzen hat, hat wie ich sagen würde, aus Don Orione den Fürsprecher vieler Irrender seiner Zeit gemacht hat, und nicht nur dieser.“
Der rechte Priester zur rechten (vor allem aber schwierigen) Zeit, könnte man sagen. Der Priester der Stürme, der sich wie kein anderer mit soviel Geschicklichkeit und Taktgefühl zu bewegen verstand – vor allem an der Schwelle des Hauses Petri, mit seiner umsichtigen und diskreten Arbeit für die Gemeinschaft in der Kirche selbst. So überrascht es nicht weiter, daß auf mehr als einem geheimen Dokument vatikanischer Kongregationen, unter manch „brennender“ Frage, folgende handgeschriebene Notiz von Pius XI. zu finden ist: „Absprache mit Don Orione. [...]. In dieser Sache unbedingt Don Orione schicken.“ Seine Intelligenz war auch eine intuitive Intelligenz, fähig, die Ereignisse mit all ihrem Licht und Schatten zu sehen, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Von innen her. Ein Beispiel: die römische Frage. Viele wissen vielleicht gar nicht, daß Don Orione höchstpersönlich in die Verhandlungen zwischen italienischem Staat und Hl. Stuhl verwickelt war. Jene, die die Lateranverträge hervorbrachten.
Ein Gruppenfoto in der Pfarrei Ognissanti, im römischen Appio-Viertel, wohin ihn Pius X. geschickt hatte.

Ein Gruppenfoto in der Pfarrei Ognissanti, im römischen Appio-Viertel, wohin ihn Pius X. geschickt hatte.


Der Weitblick „seiner“ Politik Im Generalarchiv der Orionianer-Kongregation hat man ein wirklich außergewöhnliches Dokument entdeckt. Den Brief, den Don Orione am 22. September 1926 eigenhändig an Mussolini geschrieben hat. Und in dem steht: „Ich denke, daß Ihre Exzellenz, so das Ihr Wunsch ist, und mit Gottes Hilfe, den bitteren und unheilvollen Zwist zwischen Kirche und Staat beilegen kann. Darum bitte ich Sie demütigst, als Priester und Italiener. Finden Sie eine vernünftige Grundlage und schlagen Sie eine Lösung vor. An der italienischen Regierung ist es, dem Besiegten edelmütig die Hand zu reichen.“
Dieser Brief ist ein wichtiges Mosaikstück, wenn man verstehen will, welche Rolle er bei den Vorbereitungen für die Verhandlungen und bei diesen selber gespielt hat. Darüber hinaus ist auch dokumentiert, daß Don Orione einer der ersten war, der 1923 erkannte, daß das neue politische Klima die Streitfrage zwischen Staat und Kirche beenden hätte können, und daß er an der ersten Besprechung teilnahm, zusammen mit Pater Genocchi, die in der Wohnung der Grafen Santarelli in Rom stattfand. Mit diesem Brief hat der Hl. Stuhl – durch einen Priester seines Vertrauens und von allgemein anerkanntem moralischen Wert – der italienischen Regierung eine klare Nachricht überbringen wollen, ohne seine eigene Autorität geltend machen zu müssen.
Und wirklich – man weiß nicht, ob post hoc oder propter hoc – nur wenige Tage nach dem Brief von Don Orione wurden die Verhandlungen offiziell für eröffnet erklärt: die Arbeiten konnten beginnen. Der Rest ist Geschichte. Wie auch der 11. Februar 1929, Datum der historischen Unterzeichnung der Lateranverträge. Der Osservatore Romano, seit 1870 mit schwarzem Trauerrand, wurde endlich wieder ohne Trauerzeichen gedruckt. Pius XI. kommentierte zwei Tage später: „Mit tiefstem Wohlgefallen haben wir, wie wir doch meinen, mit dem Konkordat Gott Italien und Italien Gott zurückgegeben.“ Womit diese Episode der Geschichte ein ruhmreiches Ende gefunden zu haben scheint. Und doch will sich bei Don Orione, dem das Ganze so sehr am Herzen gelegen war, keine rechte Freude einstellen. Als man ihm von der Unterzeichnung der Verträge berichtet, küßt er das Foto des Papstes in der Zeitung gleich neben dem Bericht von der Unterzeichnung, und ruft aus: „Armer Papst! Wieviel Schmerz wird Dir das noch bringen!“. „Die Versöhnung mußte zustandegebracht werden,“ sagte er, „aber nicht so. Ich glaube nicht, daß dieser Kitt halten wird. Ich hoffe ja, daß ich mich irre, aber ihr werdet sehen: da kommen harte Zeiten auf uns zu!“. Für Don Orione gab es, bei verschiedenen Themen, so manche Schwachstelle. Vor allem fürchtete er, daß Mussolini das neuerlangte Prestige dazu benutzen könnte, neue und ungerechte Aktionen zum Schaden der Kirche in Italien in Gang zu bringen. Noch am selben Tag sagte er bei einer Versammlung seiner Kongregation zu seinen Priestern: „Wenn die Faschisten in die Institute kommen, um unsere Jungen zu holen, wird uns der Herr eingeben, was zu tun ist.“ Er hatte sofort verstanden. Und genau das, was er befürchtet hatte, trat auch ein. Die Lobeshymnen auf das Konkordat waren in der Tat kaum verhallt, als Mussolini seine Schikane-Politik gegen die katholischen Organisationen schon wieder aufnahm.
Was für ein Scharfsinn, was für ein Weitblick! Gaben, die ihm nicht nur bei Päpsten, sondern auch bei Politikern Gehör verschafften. In Don Oriones Residenz in Rom in der Via delle Sette Sale klopften nicht nur Gaetano Salvemini, Senator Zanotti Bianchi an, sondern auch Achille Malcovati, Großindustrieller und „graue Eminenz“ vieler herausragender Politiker. Um nur ein paar zu nennen. Sie gingen zu ihm, der – wie er selbst zugab – von politischen Programmen nicht nur keinen Schimmer hatte, sondern auch nicht die geringste Absicht, sich damit zu befassen, weil viel zu sehr damit beschäftigt, „seine“ Politik zu verfolgen: „Die des Vaterunser.“ Die einzig wirksame. Die einzige, die von keiner Grenzen beschränkt wird, „vollkommen umsetzbar“ ist, wie er es nannte. Die einzige, für die er auch bereit war, den Ozean zu überqueren. Seit dem Erdbeben in Sizilien und dem in Marsica von 1915, wo er das ganze Ausmaß menschlichen Leids inmitten der Trümmer hautnah miterlebt, selbst so tatkräftig und mitfühlend „Hand angelegt“ hatte, war es sein Wunsch gewesen, als Missionar nach Amerika zu gehen. Ein Wunsch, den er auch Pius X. anvertraute, der nicht lange fackelte und ihn prompt ins „römische Patagonien“ schickte, in die Peripherie im Osten Roms. Doch dann kam der Tag, an dem er sich doch noch auf die große Reise machen sollte.

Dinge aus einer anderen Welt Am 24. September 1934 war es endlich soweit: es ging nach Lateinamerika.
Um genau zu sein, hatte er schon am 21. seinen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt. Und selbst dort fiel er auf, dieser einfach nicht einzuordnende Priester, der soviel Elan hatte, manchmal so unwirsch herausplatzen konnte, sich kein Blatt vor den Mund nahm – besonders dort nicht, wo es darum ging, Übergriffe und soziale Ungerechtigkeit anzuklagen. Dieser Priester, der predigte, daß die wahre Revolution auf Knien vor dem Tabernakel gemacht wird.
In Brasilien hatte er den dortigen Klerus mit seiner „Pastoral für die Neger“ verblüfft. War wieder einmal seiner Zeit voraus. Eine seiner geistlichen Töchter hatte darauf bestanden, daß er in dieses Land reiste: Mutter Teresa Michel, eine „Närrin“, genau wie er, deren Vertrauen an die Macht der Vorsehung dem Don Oriones in nichts nachstand, und der er für ihre Ratschläge in schwierigen Stunden sein Leben lang dankbar sein sollte.
An Bord der „Conte Grande“, die ihn nach Argentinien bringen sollte, war auch der zukünftige Pius XII., unterwegs zum internationalen eucharistischen Kongress. Kardinal Pacelli hatte auf der Überfahrt Gelegenheit, ihm seine Wertschätzung zu bekunden. Don Orione kannte seinen Bruder Francesco gut, den Rechtsanwalt, der bei den schwierigen offiziellen Konkordats-Verhandlungen mitgearbeitet hatte. Doch was der „Beichtvater der Conte Grande“, wie sie ihn auf dem Schiff getauft hatten, dann in Buenos Aires vorfand, war ein unglaubliches Bild der Armut und des Elends. Don Dutto erinnert sich: „Er ließ sich von nichts abhalten, ging in die erbärmlichsten Hütten und Gassen, die schlimmsten Elendsviertel, auf der Suche nach Behinderten, Verstümmelten, unheilbar Kranken, Alkoholikern, Schwachsinngen: die machte er zu seinen ‚Herren‘, wusch eigenhändig ihre Wunden, ihnen diente er.“ In der Via Carlos Pellegrini, in Buenos Aires, in dem Haus, das ihm eine adelige Dame geschenkt hatte und das er sich mit einem früheren Priester teilte, pflegte inzwischen ein wahres Sammelsurium von Menschen anzuklopfen: arme Teufel ebenso wie reiche Großgrundbesitzer, Akademiker, Ordensleute, Offiziere. 1936 fand Jacques Maritain hier Aufnahme, wurden Kontakte zu Erzbischof Copello unterhalten, zum Nuntius, auch zum Staatschef. Seine Noviziate, ein Haus nach dem anderen, wurde geöffnet, und mit schönster Regelmäßigkeit erlebten alle von ihm auf seinem Weg hinterlassenen Werke eine wahre Blüte: eine konkrete Geste, eine prompte Antwort, eine Intuition, ein glücklicher Umstand – und da existierten sie auch schon, dank des Geldes, das direkt vom Himmel zu kommen schien – und aus den Taschen jener Reichen, die ihm ihr Vertrauen schenkten und nicht zögerten, ihr Geld in seine stets leeren Taschen zu stecken. In diesem so weiten Land mit seinen weiten Horizonten scheint er schon bald Wurzeln geschlagen zu haben, und wenig wollen da die immer nachdrücklicher werdenden Bitten um seine Rückkehr nach Italien fruchten. Unermüdlich nimmt er weiter Bedürftige auf, verlangt immer noch mehr Personal. Der gute Don Sterpi, der inzwischen auf der anderen Seite des Ozeans die Kongregation leitet, weiß schon bald nicht mehr weiter und fleht ihn an, zurückzukommen. Außerdem ist auch schon der drohende Kriegshauch zu spüren, und mit dem Bischof von Tortona gibt es auch die ein oder andere Meinungsverschiedenheit. Und am Ende, als ihm wirklich kein schlagkräftiges Argument mehr einfallen will, fügt er resigniert an: „Wenn Sie auch wissen, wie überaus teuer mir Ihre Briefe sind, so flehe ich Sie doch an, mich zu verschonen und mir nicht ständig zu schreiben, daß Sie schon wieder ein Haus geöffnet haben: mir ist ja schon ganz schwindelig!“. In drei Jahren legt er eine Distanz zurück, die zehnmal größer ist als die zwischen Italien und Argentinien, „den Herren bittend, sein Werk zu vervielfältigen“, wird nie müde, in immer wieder neue, ungekannte Realitäten einzutauchen – Hindernisse kennt er nicht: „Wenn ich nur hundert, tausend Arme hätte, um überall dorthin gelangen zu können, wo niemand hin will“, wieder und wieder entzündet er das Feuer, das so unbezähmbar in ihm brennt. Argentinien wird ihn nie vergessen.

Einfach nur ein Priester Im August 1937 befindet er sich wieder auf italienischem Boden, im Hafen von Neapel.
Nach seiner Rückkehr aus Amerika wird er aufgefordert, von seinem Aufenthalt zu erzählen. Nichts Besonderes: schließlich hat er nie die Absicht gehabt, die Werke der Göttlichen Vorsehung zu verstecken. Gegen jedes Aufhebens um seine Person allergisch, wollte er selbst jedoch stets im Hintergrund bleiben. Bei einem seiner Vorträge in der Aula Magna der Katholischen Universität Mailand mußte er wohl oder übel die Lobeshymnen des offiziellen Redners über sich ergehen lassen. Alle, die in seiner Nähe saßen, konnten sehen, wie er sich verlegen das Gesicht verdeckte, nervös auf dem Stuhl hin- und herrutschte, so, als würde er Höllenqualen leiden. Doch dann, ohne den gringsten Anflug von Geltungssucht, brach sein ganzes ungestümes Temperament plötzlich aus ihm hervor, und er rief aus: „Ach, was soll das: Don Orione, Don Orione! Ein Bauer aus Pontecurone ist er, nichts weiter! Glaubt bloß nicht alles!“. Ein anderes Mal, bei der Einweihung des Instituts San Filippo in Rom, wieder dieselbe „Tortur“. In der dritten Reihe sitzend, lauschte er mit finsterer Miene den Lobeshymnen, die Senator Cavazzoni auf ihn sang. Er blickte sich um, auf der Suche nach einem Fluchtweg. Nichts zu machen. Der Saal war proppenvoll. Auch der Senatspräsident war da, gleich neben ihm Kardinal Salotti, eben alles, was Rang und Namen hatte. Am Schluß wurde er auch noch selbst auf die Bühne gerufen. Und da stand er nun, schüchtern, mit einer Stimme, aus der seine Verlegenheit deutlich herauszuhören war, nach Worten ringend. „Ich verstehe mich nicht aufs Reden. Ich verstehe mich nur darauf, für Unruhe zu sorgen... und ich bin sicher, daß keiner der hier anwesenden Priester ein größeres Sünder ist als ich.“ Und dann, an den Redner gewandt: „Verehrter Herr Senator, wer hat Ihnen bloß diesen ganzen Unsinn über mich erzählt?“. Und an dieser Stelle nahm seine Stimme auf einmal einen bestimmten Ton an, war deutlich vernehmbar, um auch ja nicht falsch verstanden zu werden: „Die Wahrheit ist – damit das auch allen klar ist – daß ich überhaupt nichts gegründet habe! Ich habe rein gar nichts damit zu tun!“. Und da er gerade erst aus Argentinien zurückgekommen war, fuhr er im Spanisch des hl. Johannes vom Kreuz fort. „Nada! Nada!... Und wenn ich um die halbe Welt reisen mußte, bis ins ferne Amerika, dann, weil das etwas ist, das jeder x-Beliebige tut.“ Ganz anders dagegen war sein Verhalten, wenn es darum ging, die Verantwortung für irgendetwas auf sich zu nehmen. Da war er immer an vorderster Front, bereit, auch öffentlich seine Schuld einzugestehen. „Wenn an unserer Kongregation irgendetwas Gutes ist, dann ist das alles Werk der göttlichen Vorsehung und deren Güte zuzuschreiben. Wenn irgendetwas Fehlerhaftes, Unvollkommenes daran ist, dann nehme ich das auf meine Kappe, oder auch auf die eure, meine lieben Kinder.“ Lob verletzte ihn, aber auch Beleidigungen, wenn er letztere auch als etwas Gutes ansah. So berichtet Don De Paoli: „Einer seiner Söhne bedachte ihn, als er die Kongregation verließ, mit den wüstesten Beschimpfungen. Ich war auch dabei. Don Orione steckte ihm Geld zu, umarmte ihn, küsste ihn liebevoll auf die Stirn, wünschte ihm alles Gute und meinte, wir müßten für ihn beten wie für einen Wohltäter.“
Unten, am Rand eines Bildes, das ihn bei einem Eselsritt auf den Monte Soratte zeigt, wo er seine Eremiten besuchte, steht geschrieben: „Er und ich sind zwei.“ Was wieder einmal zeigte, wie wenig Bedeutung er sich selbst beimaß. Und in der Zwischenzeit gab es in Tortona wieder so manche Aufregung. Der Bischof beschwerte sich. Üble Nachrede, Gerüchte, Lügen, Anschuldigungen. Wieder einmal Feindseligkeit und Ärger. Einem Freund in Rom schrieb er: „Ich vergebe allen und bin froh, weit weg zu sein von dem ganzen Durcheinander von Tortona. Meine Priester beten, schweigen und harren mit mir aus, fidentes in Domino... Sollen mir die Feinde ruhig die Augen ausstechen; solange sie mir nur mein Herz lassen, um auch weiter lieben zu können...“. Eine seiner Ordensschwestern, der er vertrauensvolle Aufgaben übertragen hatte, schrieb ihm einen „häßlichen Brief voller Lügen“. Das traf ihn sehr. Don Cribellati wollte von ihm wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Seine Antwort: „Nichts... was solche Leute angeht, gilt: a) man betet zu Gott; b) man verzeiht; c) man liebt.“
„Unsere Liebe ist eine süße, wahnsinnige Liebe Gottes und der Menschen, die nicht von dieser Welt ist“, hatte er vor seiner Reise nach Argentinien geschrieben. Zu dieser Zeit begann auch sein Herz, nicht mehr so recht mitzuspielen. 1939 hatte er einen schweren Angina pectoris-Anfall, im Februar 1940 einen weiteren. Am 8. März, in Tortona, im Mutterhaus, bat er um die letzten Sakramente und entbot allen eine letzte „gute Nacht.“ Tags darauf fuhr er nach Sanremo. Er wußte, daß er nicht mehr zurückkehren würde, dem Tod entgegenging, so, als würde er eine neue Tür öffnen: „Jesus, Jesus... ich gehe.“ Und das war der aufsehenerregendste Streich, den ihm sein Herz jemals gespielt hatte: um von ihm zu sprechen, mußte man unweigerlich einem Anderen die Tür öffnen. Wie wundervoll ist Gott doch in seinen Heiligen. Auf dem Grab Don Oriones steht geschrieben: „Alyosius Orione Sacerdos. Te Christus in Pace. Nichts weiter. Sacerdos. Genau. Das war vielleicht das einzige, was er über sich hätte sagen lassen, denn das ist und war er: einfach nur ein Priester. Der hl. Luigi Orione vergebe uns.


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