Der Brand Roms und die erste Christenverfolgung
„Er verschonte weder Rom noch das Volk“
Der von Nero im Juli 64 angestiftete Brand und die darauf folgende Christenverfolgung.
von Marta Sordi
Der Brand Roms, Robert Hubert (1733-1808), Musée André Malraux, Le Havre, Frankreich.
Die Modernen neigen allerdings dazu, eine direkte Verantwortung des Nero zu leugnen: alle Quellen besagen jedoch, daß Personen gesehen worden wären, die das bereits schwelende Feuer schürten. Für die „Ankläger“, handelten diese iussu principis, „auf Befehl des Kaisers“; für die „Verteidiger“, die der Meinung waren, daß das Feuer aus Fahrlässigkeit ausgebrochen war, wegen der erdrückenden Sommerhitze, dem Wind, taten sie es, „um ihre Raubzüge ungestört fortsetzen zu können.“ Für Suetonius und Dionysios handelte es sich dabei jedoch um cubicularii (Diener) des Kaisers, ja, sogar Soldaten, und deren Anwesenheit mußte natürlich die schlimmsten Befürchtungen nähren. Aus einem Vergleich zwischen Tacitus und Suetonius ergibt sich darüber hinaus, daß Vorsichts- und Rettungsmaßnahmen als Beweis für die Schuld Neros gesehen wurden: besonders die Tatsache, daß Soldaten die Gebäude nahe der späteren Domus aurea abbrannten und es den legitimen Besitzern nicht erlaubten, sich ihren Häusern zu nähern, um zu retten, was noch zu retten war oder Tote zu bergen, erhärtete den Verdacht. Dazu kam noch der Umstand, daß man Nero auch ein handfestes Motiv zuschrieb: allerdings weniger den (von Suetonius und Dionysios, nicht aber Tacitus, als sicher angenommenen) Wunsch, Rom unter seiner Regentschaft untergehen zu sehen – so wie Priamus Troja hatte untergehen sehen (ein Wunsch, der von dem berühmten Lied gekrönt wurde), sondern auch – und vor allem – die Abneigung gegen das alte Rom, mit seinen engen Straßen und alten Gebäuden, und der Wunsch, ein großes Städtebauprojekt in die Tat umzusetzen, das ihn zum neuen Gründer Roms machen sollte.
Tacitus ist der einzige unserer Quellen, der sagt, daß Nero, um die Stimmen, die ihn der Brandstiftung bezichtigten, zum Schweigen zu bringen, die Christen anschwärzte (Annales XV, 44): er selbst hat diese Information wiederum gewiß von der „Anklägerseite“ (für die „Verteidiger“, die das Feuer dem Zufall in die Schuhe schoben, gab es ja keinen Schuldigen), und damit also mit größter Wahrscheinlichkeit von Plinius. Für Plinius, wie auch für Tacitus, hatten die Christen keinerlei Schuld an dem Feuer und die von ihnen erlittene Pein löste Mitleid aus, obwohl sich die – zwar am Brand Roms unschuldigen – Christen doch, unserer Quelle nach, einer exitiabilis superstitio (unheilvoller Kult) schuldig gemacht hatten. Das Zeugnis des Tacitus, der den Christen wegen ihres superstitio feindselig gegenüberstand, von ihrer Unschuld am Brand Roms aber überzeugt war, zeigt, wie wenig fundiert die unter den Modernen vertretene Hypothese ist, daß die Christen Rom wegen ihres Glaubens an die unmittelbar bevorstehende parusìa (Rückkehr Christi auf die Erde) in Brand gesteckt hätten.
Die Unterscheidung zwischen der ungerechten Schuldzuweisung, von der, laut Tacitus, nur die Christen in Rom betroffen waren, und dem Vorwurf des superstitio illicita (illegaler Kult), der einzige, Suetonius bekannte (Nero 16,2), der gegen die Christen des gesamten Reiches erhoben wurde, ist nicht, wie man oft denkt, das Resultat zweier Versionen ein- und derselben Erzählung durch verschiedene Quellen, sondern das Ergebnis zweier verschiedener Beschlüsse, von denen der zweite sicher älter ist als der erste. Aus dem ersten Petrusbrief (4,15), der meiner Meinung nach in die Zeit zwischen 62 und 64 fällt, geht hervor, daß die Möglichkeit besteht, daß die Christen nicht nur in Rom angeklagt werden könnten, weil sie Christen sind, sondern im gesamten Reich, und er nimmt auch eine weit verbreitete Feindseligkeit an (vgl. 1Ptr 4,12), was gut zu dem Vorwurf der flagitia (infame Verbrechen) passt, die laut Tacitus dem vulgus (dem gemeinen Volk) die Christen so verhaßt machten. Aber wenn die Atmosphäre des ersten Petrusbriefes auch die von Tacitus vorgeschlagene ist, so ist das Anklagen der Christen gewiß das, was dem Suetonius bekannt war und kann sich nicht auf ein kaiserliches Edikt beziehen (wie die Anklage für den Brand Roms), sondern nur auf einen Senatsbeschluß, der in der julisch-claudischen Epoche religiöse Fragen regelte. Das institutum (Institution), von dem Suetonius spricht, das institutum Neronianum, von dem Tertullian spricht (Ad nationes I, 7, 14), ist weder ein Edikt noch ein Senatsbeschluß, sondern eine bereits dagewesene Tatsache: die durch Nero dedicator damnationis nostrae (Objekt unserer Verurteilung, Tertullian, Apologeticum V, 3) zum ersten Mal, unmittelbar nach dem Jahr 62, von einem Kaiser vollzogene Umsetzung des Senatsbeschlusses, der im Jahr 35 den Vorschlag des Tiberius abgelehnt hatte, die Rechtmäßigkeit des Kultes Christi anzuerkennen, was das Christentum im gesamten Reich zu einer superstitio illicita gemacht hatte. Das Veto des Tiberius hatte die Umsetzung des Senatsbeschlusses verhindert, und die Situation war bis zum Jahr 62 unverändert geblieben, als die von Hohepriester Ananos beschlossene Ermordung Jakobs des Jüngeren in Judäa nur durch die momentane Abwesenheit des römischen Gouverneurs möglich geworden war. Aber im Jahr 62 kam es zu einer entscheidenden Wende, nicht nur in den Beziehungen zwischen Reich und Christen, sondern in der gesamten Politik Neros: es war der Moment, in dem sich Seneca aus der Politik zurückzog, Burrus starb, in der Praefektur Prätorianer Tigellinus sein Nachfolger wurde, Octavia verstoßen und die judaisierende Poppäa Kaiserin wurde, man mit den Stoikern der Führungsklasse brach, und die julisch-claudische Linie des Prinzipats einem Dominat der orientalisierenden und theokratischen Art Platz machen mußte. Die Angriffe der öffentlichen Meinung auf die Christen und die auf die Stoiker erfolgten in denselben Jahren: aerumnosi Solones (gequälte Soloner) waren, laut Persius (Satirae III, 79) die Stoiker in der Meinung des ungebildeten Volkes, saevi Solones (erbarmungslose Soloner) wurden die Christen in einem Graffito in Pompeji genannt: laut dem ersten Petrusbrief (4,4) wurden sie verleumdet, „weil ihr euch nicht mehr in diesen Strudel der Leidenschaften hineinreissen laßt.“ Das Klima, in dem diese Anschuldigungen erhoben wurden, war ein und dasselbe: gegen die Stoiker der Führungsklasse wurde die politische Waffe der lex meiestatis angewandt (Gesetz zur Verteidigung des Staates); gegen die Christen mußte man nur den alten Senatsbeschluß von 35 wieder ausgraben.
Das erste Opfer von Neros Beschluß, die Christen aufgrund des alten Senatsbeschlusses anzuklagen, war meiner Meinung nach Paulus, der in Hofkreisen gut bekannt war: die Anklage ist durch den zweiten Timotheusbrief belegt, der im Herbst des Jahres 63 geschrieben sein konnte (vgl. 2Tim 4,21). Paulus befand sich wieder im Gefängnis in Rom, aber dieses Mal in Erwartung einer Verurteilung, wenn auch sicher nicht für den Brand Roms (gerade, weil er sich in „Zivilhaft“ befand, konnte Paulus Bücher und einen Mantel verlangen). Die Verhaftung und Verurteilung des Petrus muß dagegen zusammen mit den anderen Christen Roms erfolgt sein, nach dem Brand Roms von 64: sein Martyrium, erlitten durch Kreuzigung in den horti neroniani (den Gärten des Nero) kann – wie der Vergleich zwischen der Beschreibung von Clemens Romanus (1Kor 5) und der des Tacitus (Annales XV, 44) zeigt –, nicht von dem der multitudo ingens– poly plethos (riesigen Menge) getrennt werden, die Nero dem Volk Roms als Schauspiel bot, zusammen mit einem circense ludicrum (Zirkusspiel), wofür er hortos suos (seine Gärten) zur Verfügung stellte; Frau Guarducci bezieht sich auf die Spiele vom 13. Oktober 64, einige Monate nach dem Brand, als das Anhalten des Verdachts gegen den Kaiser diesem angeraten haben konnte, Sündenböcke zu suchen.